Fortsetzung ... Volkslogis - Kronprätendent - Volkstribun - Suprematie - Seeadvokat - Seegesetze - Volksschiffsrat - Windsbraut - Südwester - Schiffsjunge.

Schlimmer ist es aber, wenn dieser „Gesetzeskundige“ als Schiffsmann vorne im Matrosenraume, dem „Volkslogis“ wohnt und thront! Denn hier hat er stets ein gläubiges Publikum um sich versammelt; er sinnt da nicht mehr in der Einsamkeit und will ja auch gerade seine Weisheit an den Mann bringen. Bald bricht sich „vorne“ denn auch die Meinung Bahn, daß Jan — er hat dies günstige Vorurteil von sich selbst natürlich schon recht lange gefaßt — doch „einen hellschen, einen ganzen fixen Kerl“ ist. Eigentlich ist an ihm ein Rechtsgelehrter verloren gegangen, denn er kennt das Gesetz durch und durch, seiner Ansicht nach! — Es wäre eine dankbare Aufgabe für einen kommenden Gelehrten, einmal die Naturgeschichte dieser Abart des homo sapiens zu schreiben!

Ein beifälliges Nicken des gewichtigen, stiernackigen Hauptes, ein mißbilligender Blick der alles überwachenden Augen — namentlich, wenn es sich um Schwächen und Blößen der Vorgesetzten handelt — gilt ,,vorne“, d. h. bei der Mannschaft, mehr als Lob und Tadel von Kapitän und allen Offizieren zusammen! Um seine Gunst buhlt das ganze Volkslogis, ein jeder will’s ihm zu Gefallen machen! Der Tyrann da vorne kann seine Rolle natürlich erfolgreich nur dann spielen, wenn er selbst ein wirklich tüchtiger Kerl, ein Seemann durch und durch ist, „ein Mann, der seine Arbeit versteht“, wie’s im Bordjargon heißt. Er muß zugleich auch über eine ausreichende Menge von Knochendampf, d. h. physischer Kraft, gebieten, damit sich nicht so leicht ein Kronprätendent ohne solche Hilfstruppen in seine Nähe wagt und womöglich mit ihm um die Suprematie ringt!


Woher hat nun ein solcher Volkstribun seine Weisheit? Er kennt, wie „vorne“ steif und fest behauptet wird, das Seerecht besser, als mancher Gelehrte beiderlei Rechts jus und Pandekten! Aber dieser Bordjurist kommt ohne Buch, ganz ohne solche papierne Paragraphen mit seiner Gesetzesauslegung zurecht! Mitunter allerdings findet man ihn schon im Besitz eines Exemplars des Deutschen Handelsgesetzbuches. Das taugt dann jedoch meistens nicht viel, so meint er; denn sie haben da „ja doch alle Paragraphen ausgelassen, die für den armen Matrosen günstig waren!“ Und die richtigen, die ,,vollständigen Bücher“ sind selten; aber der Seeadvokat weiß doch genau, was in den echten Exemplaren drin stand! Oh! ihn täuscht keiner so leicht, so ist Jan lange nicht, daß man ihn für dumm verkaufen könnte! Meistens hat er’s auch schon den Herren an Land zu verstehen gegeben, dem Konsul oder gar dem Reeder selbst mal gelegentlich klar gemacht, wie er ihre Praktiken durchschaut! —

Das sind so seine Redensarten, von denen solch ein verdrehtes Menschenkind nicht abzubringen ist — und wenn man mit Engelszungen redete oder die Wache gar zweimal bei Windstille manövrieren ließe, um die Kerls auf andere Gedanken zu leiten!

Oft habe ich früher mit solchen Leuten, selbst noch mit ihnen lebend, mich herumgestritten; aber es gibt ja eine Tugend, gegen die selbst die Götter vergebens kämpfen: und, man hat’s schon oft behauptet: Dummheit ist auch eine Gottesgabe!

Aber dennoch: vox populi, vox dei! Etwas muß doch dran sein an den alten Döntjes — wie man an Bord für „Schnäcke“ sagt —, so dachte ich mir schließlich, wenn sie immer und immer wiederkehrten! Ich traf diese verschrobenen Ansichten nämlich nicht nur an Bord in der Praxis, sondern auch noch bei Schülern im Unterrichte, nachdem ich das Schiffsdeck mit dem Katheder vertauscht und Schiffstagebuchführung zu lehren hatte. Mit der Regelmäßigkeit einer trigonometrischen Funktion kehrten gewisse Fragen, Äußerungen und Ansichten in fast jedem Kursus wieder. Ich hatte also den besten Beweis: auch heute noch findet der ,,Seeadvokat“ ein gläubiges Publikum vor dem Maste. —

Da fiel mir mal ein alter Band Seegesetze in die Hand und gab mir sofort den Schlüssel zur Entstehung vieler der geschilderten Äußerungen. In alten Seegesetzen ist nämlich manches, was heute undenkbar wäre, wirklich niedergeschrieben gewesen! Daher noch die Erinnerung. die sich von Generation zu Generation weiter geerbt und in mündlicher Überlieferung von Schiff zu Schiff durch die Jahrhunderte forterhalten hat! Natürlich ist manches verdunkelt: vieles wird nicht mehr verstanden, da die Vorbedingungen nicht mehr existieren; manches ist auch von vornherein von den Trägern der Überlieferung unverstanden weitergegeben worden.

In dem eingangs genannten Entwurfe der sozialdemokratischen Partei war z. B. ein Schiffsrat vorgesehen, den der Kapitän bei eintretenden wichtigen Ereignissen erst um seine Zustimmung fragen sollte! Dies ist heute doch unausführbar! Wir haben im geltenden Handelsgesetze zwar einen Schiffsrat! Diesen kann der Führer, wenn es ihm angemessen erscheint, berufen; aber nur die Offiziere, die Mannschaft ist von vornherein ausgeschlossen. Der Schiffer ist außerdem heute nicht einmal an die etwa gefaßten Beschlüsse gebunden!

Früher aber hat dieser Volksschiffsrat existiert! Die Mannschaft fuhr damals auf Gewinnanteil und hatte somit auch das größte Interesse an schnellen Reisen.

„Ihr Männer, lieben Brüder, soll demnach der Schiffsherr die Schiffskinder, das „Volk“, erst fragen, was ist Eure Meinung wegen des Segelkürzens!“ Das steht in einem alten Gesetze niedergeschrieben! Aber denke man sich dies einmal auf den Fünfmaster ,,Preußen“ oder auf die ,,Potosi“ übertragen! Von Koalitionsrecht wird soviel gesprochen: die meisten reden es nach und verstehen gar nicht, was sie eigentlich fordern! Wenden wir es mal auf die Praxis an: Eine tüchtige Bö fällt ein an Bord. ,,Alle Mann an Deck“ schrillt das Kommando, die Stärke des Windes noch übertreffend. Statt der mit Ölzeug und Südwester an Deck eilenden Matrosen erscheint jetzt vielleicht ,,Korl“, der Schiffsjunge, und geht im prasselnden, von der Windsbraut gepeitschten Regen zum Halbdeck: ,,Herr Kapitän, die Leute sind gerade bei einer wichtigen Versammlung und beraten: der Matrose Wilhelm hat’s Wort augenblicklich!“ — Die Bö wird dann abbestellt bis zum Schlusse der Beratung! —

Aber ähnliche Verhältnisse fand ich dennoch hier und da in alten Verordnungen angedeutet; natürlich nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt, daß alle nun mitregieren wollten. — Ich schöpfe meine Angaben aus einem in der Lübecker Navigationsschulbibliothek enthaltenen Bande von Seegesetzen. Dieser erschien im Jahre 1787 bei Christian Gottfried Donatius in Lübeck und enthält eine Sammlung alter und neuer Seerechte, bearbeitet von Johann Andreas Engelbrecht.

Dieses Buch gibt nun von der ältesten Zeit, da Schifffahrt existierte, solche Gesetze an und beginnt mit Fragmenten des Rhodischen Seerechtes. Wenn ich nun auch aus diesem und noch einigen anderen uralten Vorschriften zitiere, so gehe ich über die zuerst beabsichtigte Grenze etwas hinaus. Doch die Hanseaten haben aus älteren Sammlungen vieles übernommen, und ausländische Gesetze wiederum entlehnten manches von den Bräuchen unserer Altvordern, um sie auf ihre Schiffe zu übertragen.

Im Rhodischen Seerecht fand ich eine Äußerung des Kaisers Antonin, die wohl der Erwähnung wert ist: ,,Ich bin zwar der Herr der Welt, dies Gesetz aber ist der Herr des Meeres.“

Tu der Engelbrecht’schen Bearbeitung folgen nunmehr: Pandekten; das Seerecht von Oléron; das Wisbuische Seerecht; und als Nummer 5: Das alte Schiff- und Seerecht der Kaiserlichen freien Reichsstadt Hamburg von 1276. Dann: das Lübsche Seerecht von 1299; eine neuere Ausgabe, als 6. Buch des Stadtrechtes, und damit die dritte Hansestadt nicht fehle, auch Bremens Bestimmungen. von 1433, 1533 und 1688. Engelbrecht gibt ferner: ,,das alte Hanseatische Seerecht oder der uralten Hänsischen Verwandnis Städten auf dem 1591 binnen Lübeck gehaltenem, allgemeinen Hänsetage bewilligte Schiffsordnung, deren sich die Schiffsrhedere, Schiffer und Boeßleute hinfürder verhalten sollen. (Von neuem übersehen und gebessert ist dies und unter gewisse Titul ausgeteilt: Lübeck, den 23. May 1614.)“

Der Vollständigkeit halber seien noch angeführt: Verordnungen des Königs Peter von Aragonien, des Rates von Barcelona und der Stadt Florenz, auf die vergleichshalber in einigen Punkten Bezug genommen ist. Das Rigische und Dänische Recht führt Engelbrecht ferner an und entnimmt auch dem berühmten, aus dem Italienischen übersetzten „Konsulate der See“ einige Auszüge.

Die Zusammenstellung ist, wie man sieht, sehr reichhaltig und könnte mehr als nur ein Heft dieser Sammlung füllen. Ich will jedoch nur eine Auslese halten und mich auf das auch Nichtseeleuten Interessante beschränken. —

Wie heute die Seemannsordnung zuerst das Verhältnis vom Kapitän zu seiner Mannschaft regelt, so finden wir dies auch schon in den alten Gesetzen. Die im folgenden ohne Quelle angeführten Stellen entstammen unseren einheimischen Ordnungen, sonst wird kurz angegeben, woher sie genommen sind.

In Lübeck ist zwar erst am 31. März 1827 durch Senats-Regulativ eine Prüfung der Steuerleute eingeführt worden; man verlangte aber vom Schiffer schon viel, viel früher, daß er gut Zeugnis und Beweis auflege, von seinen vorigen (Geschäfts-) Freunden, denen er gedienet, mit ihrem Wissen und guten Willen, nach gethaner, ehrbarer richtiger Rechnung abgeschieden sei.“ Der Reeder hat Macht, ihn zu beurlauben und abzusetzen, ,,wenn er sich nicht dergestalt erzeiget, daß sie ihn behalten möchten,“ doch müssen sie dann sein etwaiges Schiffspart übernehmen. Der Kaufmann wird auch ermahnt, ,,bei erster Abrechnung richtige, klare und deutliche Abred, Geding und Vergleichung mit ihm zu machen.“ um künftigen Streitigkeiten nach Möglichkeit vorzubeugen.

„Dagegen soll ein jeglicher Schiffer des Kompaß, der See undd Fahrwasser kundig sein, und das Schiff zu führen, laden und lossen, das Volk anzuführen und zu regieren wissen.“ Alle alten Gesetze nennen den Führer des Schiffes: ,,Schiffer“, erst die Seemannsordnung von 1902 legt ihm amtlich auch die Bezeichnung „Kapitän“ bei. — „Gäbe sich jemand dafür aus und könnte nicht bestehen, der soll nach Befind und Ermessigung gestraft werden. Er soll sich mit erfahrenen Steuerleuten und anderen tüchtigen Schiffsvolk versehen, darf sein Schiff weder zu wenig, noch zu viel, in der Kajüte und Ueberlauff — was wir heute Deck nennen — gar nicht beladen, sondern so, daß es weder seiner Rankigkeit halben periclitiere, noch der Ueberladung wegen der Güter Werffung vonnöten sei!“

Noch heute ist ja der Streit wegen der Tiefladelinie und der Decklast nicht entschieden; die Seeberufsgenossenschaft ist allerdings auf dem besten Wege, ihn zu endigen und hat soeben Vorschriften darüber erlassen.

Der Schiffer darf des Nachts nicht vom Schiffe wegbleiben, soll sich „alles weitläufftigen Handelns, dadurch er an Wartung seines Amptes verhindert werden möchte, gänzlich entschlagen.“

Begab sich ’s aber, „daß ihm ein Freybeuter an Bord käme, und der Schiffer wollte nicht fechten, soll selbiger nach der Zeit einig Schiff zu führen nicht geglaubt, sondern seiner Ehren entsetzt sein, und für keinen redlichen Mann mehr gehalten, noch in einiger Hansestadt mehr geleidet, noch gelitten werden!“

Er komme, wenn er in Lübeck oder Hamburg anwesend, regelmäßig zur Morgensprake, zum Gottesdienste des Sonntags, ,,ofte he ne hebbe Orlof van dem äldermanne.“

In Dänemark fühlte sich der Gesetzgeber bewogen: „uht besonderlicker Thonegunge eine gude Verordnung tho maken darup, dat de ein mit de annern desto beter weten möge, sick in seine Bestellinge, Schip und Schepeshandel anlangende, recht tho holdende“ — da es zu den Ohren des Gesetzgebers gedrungen, „dewiele veele unerfahrne Schipper gefunden werden, de sick befrachten laten, und doch nicht weeten rechte middel. Wyse und mate, vor tho wendende tho ehrer Uhtreder Nutzbaden und vordehl, ock nicht, wo se sick holden schöln jegen dem Volke binnen schepesbort — desglieken, det der veele unbekandte Stuer-Lüede hier int Rieke gekamen vor grot Lohn und Hüer. Jedoch ein part van ehnen, in dem Ampte, der se sick vor uhtgeven, sehr unverständig und unwethende sind, und: nademe alle deren, so binnen Schepes Borte sint, meiste und gröste troste, negst den Allmächtigen Gade, up den Stüerlüeden steit, so se im Storme van aller Gefahr, Lives, Schepes und Gutes redden schölen, is it neue ringe (geringe) sacke, sodan Befehl over sich tho nehmende. . .“

Also auch schon zu jener Zeit machte sich die Unfähigkeit breit und nahm anderen, guten Leuten die Stellen fort!

Im Lübschen Rechte wird der Steuermann, Gleitsager oder Pilot, dann auch später der Hauptboßmann erwähnt, während ihn das aragonische Gesetz als Leutnant des Schiffes anspricht. — Dies wird heutzutage wieder Mode, da der Steuermann sich jetzt viel lieber als Schiffsoffizier bezeichnet. Die Mannschaft nennt man das ,,Volk“ oder mehr patriarchalisch ,,die Schiffskinder“, die bei ihrer Annehmung geloben müssen, dem Schiffer treu, hold und gehorsam zu sein. —

Während sich heutigen Tages der Staat zuerst von der Fähigkeit eines Steuermannes überzeugt, bevor ihm die Gewerbebefugnis zuerkannt wird, mußten sich die Offiziere bei unseren Altvordern ,,vor dem Schiffer mit zween guten Männern oder ihrem Volke“ ausweisen, daß sie ,,voll dafür thun können“, d. h. ihr Fach verstehen! Der Matrose gab also sein Urteil über die Brauchbarkeit seines zukünftigen Offiziers ab!

Eine wichtige Rolle spielte zu jenen Tagen der Schrifein, der Schiffsschreiber. Fahrzeuge über 500 Zenter mußten nach der Schiffsordnung von Barcelona stets einen solchen fahren. Er wurde vereidigt, das Schiffsbuch sorgsam zu führen, geheim zu halten und den Schlüssel zu der Buchlade nie stecken zu lassen. Bei Strafe des Verlustes seiner rechten Hand durfte er auch niemandem Einblick in dies so geheimnisvolle Schreibwerk gewähren!

Die Bogenschützen verpflichtete Aragonien, sich selbst den Küraß, die Sturmhaube, Messer und Schwerter zu halten.

Die Seemannsordnung verlangt, wie ich schon anführte, heute von jedem Schiffsmanne ein Seefahrtsbuch. Dies finden wir hier schon 1614: „Kein Schiffer soll nach diesen Tagen Schiffsvolk heuren, wie sie auch Namen haben, sie hätten denn genugsam Pasport von vorigen Schiffern, unter welchen sie gefahren, bey Poen zwey Thaler vor jede Person, die er ohne Pasport mitnehmen würde. Die Hälfte an die Obrigkeit und die andere Hälfte an die Schiffergesellschaft zu entrichten. Und sollen die Schiffer die Pasporten ohn redliche Ursach nicht diffikultieren und weigern. Und sollen die Pasporten in einer gemeinsamen Form bey den Alter-Leuten der Schiffergesellschaft jedes Ortes gedruckt vorhanden seyn, und jedermann, der ihrer benötige, ohne Entgeltnis gefolget werden. Nur daß der Name des Schiffers und Schiffskindes auf das Spatium, so darin offen zu lassen, gezeichnet und des Schiffers Petschaft oder Merkmal soll darunter gesetzt werden.“ — So hielt man’s auch schon in Dänemark; Aragonien und das ,,Konsulat der See“ schrieben ähnliches vor.

Wie ich in der Einleitung ausführte, darf der Schiffer heute einen Matrosen im Auslande nicht so ohne weiteres abmustern und zurücklassen. Dies war ihm schon jener Zeit verboten. Auch selbst dann durfte er sich des Schiffsmannes nicht entledigen, wenn er etwa einen Verwandten an dessen Stelle setzen wollte! Noch viel weniger aber, wenn er sich eine billigere Arbeitskraft einstellen konnte!

Diebstahl und — Ketzerei, sowie Ungehorsam der Leute bildeten zwar hier und da einen Entlassungsgrund, aber: der Steuermann sollte auch nichts befehlen, was ihm nicht zukam!

Wird jemandem von der Besatzung ein Meineid nachgewiesen, so verdient seine Aussage bei einer folgenden Verklarung keinen Glauben mehr. Der Kaufmann darf sich demgemäß eines solchen Schiffsmannes alsbald entledigen. Entdeckt man aber seine Unredlichkeit noch vor dem Antritt der Reise, so schickt man einen solchen Matrosen schleunigst wieder an Land. Jedoch brauchte ein Gekündigter (nach dem ,,Konsulat der See“) nicht sofort von Bord gehen. Da wir heute die Zahl Drei so bevorzugen, mutet es sonderbar an, daß der Matrose damals erst die fünfte Wiederholung der Mitteilung seiner Kündigung oder Dienstentlassung abwarten durfte, ehe sie rechtsverbindlich wurde. Und dann mußte sich der Schiffer noch vergewissern, ob die Verhältnisse auch gestatteten, den Mann am Lande zurückzulassen. Er durfte nämlich nicht hilflos dableiben, sondern mußte Aussicht haben, sein Fortkommen später am Lande zu finden.

Fordern aber durfte der Matrose seine Entlassung — wie das Gesetz es auch heute für gewisse Fälle vorsieht — bei Krankheit, Heirat, Erbschaft und — natürlich nach italienischem Rechte — wann er gar ein Gelübde getan hatte, eine Pilgrimschaft anzutreten! — Da die Seeleute alle schlechte und müßige Fußgänger sind, werden sich in Lübeck und anderen Hansestädten wohl nur ausnahmsweise Leute auf diesen Vorwand gestützt haben, um vom Schiffe freizukommen.

Nach gewissen Grundsätzen konnte die Mannschaft vom Löschen der Ladung befreit werden, wenn man imstande war, Ersatzleute zu stellen. Doch wurde die Arbeit in der Ladung nach Gutachten des Steuermannes und des Schreibers im Verhältnisse höher bezahlt, als sonst die Monatsheuer ausmachte.

Wurden die Leute gar ohne Ursache entlohnt, dann hatte der Schiffer 1/3 der Heuer aus seinem eigenen Beutel zuzulegen und durfte dies dem Reeder nicht in Rechnung stellen. Auch anderen Schiffern die Leute abspenstig zu machen, war verboten.

Ein Übereinkommen mit dem Schiffseigentümer setzte des Kapitäns Heuer fest; nach dieser wurde dann in gewissem Verhältnisse später die Löhnung des Steuermannes und der übrigen Mannschaft geregelt. Fuhr man aber auf Teilung (Part), dann mußte eine schriftliche Abmachung vorhergehen. Das ,,Konsulat der See“ verlangte: Der Kapitän hat den Leuten Schiff und Takelage gehörig zu zeigen und gemeinschaftlich mit ihnen zu beraten, was wohl auszubessern sei. Für die Ausführung dieser Beschlüsse war dann der Schiffsschreiber verantwortlich.

Hier also findet sich die eingangs von mir erwähnte Beteiligung der Mannschaft an der Bestimmung über das Schiff und dessen Leitung schon vor! — Die Berechtigung aber zu dieser, uns heute komisch erscheinenden Einmischung der Mannschaft erklärt sich so: Wurde nämlich etwas von der Takelung verloren, so war sie auf gemeinschaftliche Kosten zu ersetzen. Ging ein Rundholz über Bord oder flog ein Segel weg, ohne daß zuvor Befehl zum Bergen ergangen war, mußte das Schiff allein zahlen; hatten die Leute aber ein befohlenes Manöver nicht ausgeführt, waren sie selbst mit zum Ersatze verpflichtet. So gings auch beim Ankern. Hatten die Leute das Kabeltau — jetzt haben wir starke eiserne Ketten — für zu schwach gehalten, so waren sie beitragsfrei, falls der Anker mit einem Teile des Kabels verloren ging. Dagegen wurden sie mit zu den Kosten herangezogen, wenn sie eine schadhafte Stelle bemerkt, deren Ausbesserung aber nicht veranlaßt hatten.

Im Gegensatze zu diesen auf Part fahrenden Schiffen — die Fischdampfer haben das jetzt in gewissem Sinne wieder eingeführt —, standen diejenigen, welche sich ,,meilenweise“ verheuert hatten. Sie waren gehalten, mit dem Schiffe ,,bis an’s Ende der Welt zu gehen“, wie der terminus technicus damals lautete. Außer der in Bausch und Bogen bedungenen Heuer hatten die Schiffsleute Anrecht auf die sogen. Führung, die ,,voeringe“. Man stellte ihnen dazu einen kleinen Teil des Raumes zur Verfügung, in den sie Güter für eigene Rechnung statten durften. Jeder konnte sich eine noch nicht belegte Stelle des Schiffsraumes dazu aussuchen, durfte aber keinen anderen, der ihm etwa zuvorgekommen war, verdrängen. Der Schiffer mußte sogar Urlaub geben, die Güter einzuhandeln. Zum Anbordbringen standen die Schiffsboote gesetzmäßig zur Verfügung, ferner war auch vorgeschrieben, daß die Leute sich beim Einschiffen ihrer ,,Föhringe“ gegenseitig Hilfe zu leisten hatten.

Später traten die (Gesetzgeber gegen diese Unsitte auf, denn sie brachte viel (Unbequemlichkeiten, ärgerliche Zwischenfälle mit den Leuten und Plackereien mit Zollbehörden mit sich. Der Schmuggel konnte sich ungehindert ausbreiten und dem Schiffe manche Verlegenheit schaffen. Deshalb löste man die ,,Führung“ bald in barem Gelde ab.

Gehorsam wurde natürlich als die erste Pflicht eines Schiffsmannes verlangt. Doch fassen die verschiedenen Gesetzgeber die Grenze demselben verschieden auf. Er begann mit der Anheuerung.

Während man heute einen schriftlich abzuschließenden Vertrag verlangt, begnügte man sich früher allein mit dem Handschlage. Dadurch wurde die Annahme besiegelt, als sei sie vor einem Notar geschlossen! Der Matrose hatte zu schwören, dem Kapitän getreu zu sein und „nirgendwo mehr hinzugehen.“ Alle vorkommenden Arbeiten mußte er geloben, auszuführen. Die Vorschriften des „Konsulats der See“ verpflichten ihn sogar, ,,ins Gebüsch zu gehen, Holz zu sägen, die Taue in Ordnung zu halten, dem Bootsmanne zu helfen, Güter zu stauen, im Ballast zu arbeiten und sonstige Schiffsdienste zu verrichten.“ An anderer Stelle wiederum verlangt man von dem Matrosen nur, Güter an Bord zu nehmen, aber nicht, sie auch zu verstauen, wenn es nicht besonders ausgemacht ist. Nur im Falle, daß man keine Arbeits- — oder wie man heute sagt — Schauerleute — erhalten konnte, mußten auch die Matrosen in die Ladung und fix anfassen, allerdings gegen besonderen Entgelt. ,,Sie sollen aber nicht gezwungen werden, wie Tagelöhner zu arbeiten.“

Auf Befehl müssen sie an die Winde gehen, das Schiff ans Land zu hiewen; auf See, so oft dazu Gelegenheit. Die Luken öffnen, um die Ladung zu kühlen; der Kaufmann hat dafür wiederum eine Extrazahlung zu leisten.

Pflicht des Bootsmannes war es auch — uns heute ungewöhnlich und nebensächlich erscheinend —: alle Leute — gemeint sind wohl nur die Passagiere — ans Land zu tragen, und, wenn nötig, auch barfuß ins Wasser zu gehen!

Bringen die Leute aber alles gut in Ordnung und befleißigen sich beim Aufklaren des Schiffsraumes, so soll man ihnen eine Gratifikation nicht vorenthalten. Also hier finden sich auch schon die durch die neue Seemannsordnung sanktionierten Überstundengelder, welche unsere Zeitgenossen so oft teils beklagen und verwünschen, teils schmunzelnd in Empfang nehmen, je nachdem sie zu einer oder der anderen Gruppe gehören. Diese Groschen geben oft Anlaß zum Streite, sind aber, wie wir hier sehen, nicht erst eine Erfindung unserer begehrlichen Jetztzeit!! — Trunkenheit und Ungehorsam wird — wie noch heute — bestraft. Der Schiffsführer konnte einen solchen Mann ohne weiteres entlassen.

Treibt sich der Matrose des Nachts herum in ,,untemlike Hüser und Herbergen“, so kann er drei Tage bei Wasser und Brot eingesperrt werden und muß außerdem noch eine Geldbrüche leisten. Diese beiden Strafen, Einsperrung und Geldbuße, darf, wie vorher erwähnt ist, der Kapitän heute nicht mehr verhängen; nur das Seemannsamt kann Heuer als Poen oder Brüche einbehalten. Früher aber konnte der Schiffer einen Mann des ganzen Lohnes für verlustig erklären, ,,wenn er nicht Frede und Eenigkeit halten will, mit der vorgesetzten Kost nicht zufrieden war und im Auslande nicht by tiden vom Urlaub zurückkehrte.“

Bei Seegefahr und Angriffen von feindlicher Seite mußte das Schiffskind sein Bestes tun, die Schäden abzuwehren; man durfte aber nach einem Schiffbruch nichts beiseite bringen, „sonst sollte er eine unehrlicke mann mank andern guden Seefahrenden Lüeden gehalten werden.“

Er hatte aber sein Handwerk zu verstehen und durfte sich nicht für einen Seemann ausgeben, wenn er kein ,,befahrener“ Mann war.

,,Würde sich jemand für Steuermann, Hauptboßmann oder sonst einen Offizier im Schiffe ausgeben, der nicht gut und voll dafür tun könnte, und solches der Schiffer mit zween guten Männern oder seinem Volke beweisen könnt, so soll derselbige seiner Heuer verlustig gehen und darüber nach Ermäßigung gestraft werden.“

Die Dänen schützten sich schon dadurch, daß Steuerleute und Bootsmänner ,,von Bürgermeister und Rat edder Stadt-Vaegt sülvest beglaubigte Papiere beybringen mußten“.,,De kein bewys hefft, alse nun gesecht ist, de schal verachtet syn, glik also de, de unehrlich gehandelt hefft.“

Das „Konsulat der See“ verlangte vom Steuermanne: die Höhe (der Gestirne) zu messen, Segel zuzuschneiden, das Gut zu stauen und — was jetzo Zimmermanns-Arbeit ist —: das Schiff zu kalfatern. Er muß die Striche wissen, um bey den Wind zu kommen — also Kompaß und Schiffsmanöver verstehen —, das Schiff zu Anker bringen und überhaupt seinen Dienst so schnell wie möglich verrichten. Deshalb darf er nie entkleidet schlafen!

Die Matrosen, einerlei, was sie können, darf man nie im Lohne und Range herabsetzen; ausgenommen, sie hätten sich nicht als schlichte Matrosen, sondern als Kalfaterer und Zimmerleute verheuert.

Heute haben wir genau entgegengesetzte Bestimmungen: der Steuermann darf vom Kapitän nicht herabgesetzt werden, weil eine Behörde, die über dem Schiffer steht, jenem nach Ablegung einer Prüfung die Gewerbebefugnis zuerkannt hat. Der untüchtige Schiffsmann aber darf heute vom Kapitän in Rang und Lohn erniedrigt werden.

Die Heuer nun soll der Kapitän den Leuten nicht vorenthalten oder gar ohne Grund kürzen. — Ostwärts gehend und nach Norwegen muß sie in zwei Raten, bei weiteren Reisen aber in drei Sätzen gezahlt werden. Das Rigische Recht erkennt dem Manne unter anderem zu: ,,4 Pund to Foringe, na Heringe tall to rekenen.“ Wie der Reeder noch heute für Heuerforderungen der Leute mit seinem ganzen Vermögen haftet, so wollte man den Matrosen auch schon vor unseren Tagen vor Verlusten schützen und ihm sein sauer erworbenes Geld auf jede Weise erhalten. Das ,,Konsulat“ verlangte sogar den Verkauf des Schiffes, „denn ein Matrose muß seine Bezahlung haben, und sollte auch nur ein Nagel vom Schiff übrig bleibenn!!“ Fahren die Leute auf Diskretion — wohl ein anderer Ausdruck für auf Part —, so müssen Steuer- und Bootsmann mit dem Schreiber ,,ohne Gunst und ohne Haß bei Strafe des Meineides den verdienten Lohn abschätzen.“ „Anders aber im Winterlager. Wurde man vom Eise überrascht. dann verdiente zwar das Schiff meistens nichts mehr, die Leute aber nutzten doch ihre Kleider ab und erhielten deshalb den verlangten vollen Lohn.“

Wenn heute eine Reise über zwei Jahre dauert, tritt eine Erhöhung der Heuer für die die ganze Zeit an Bord bleibenden Leute ein. Bei diesem Paragraphen der heutigen Seemannsordnung hatte sich ein erst später entdeckter böser Druckfehler eingeschlichen. Man hatte die Erhöhung nämlich um ein Jahr zu früh eingesetzt und mußte sofort nach Erscheinen des Gesetzes eine Berichtigung hinterherschicken!

Kranke waren auf Reeders Kosten zu heilen und zu verpflegen. Aber ,,So welck Schipman von See wegen weddergifft offte leghachtig werd, de scall wedderkehren all sien Vorlohn.“ Also: der Unbefahrene, Unkundige sollte, wenn er seekrank wurde, den gezahlten Heuervorschuß zurückgeben!

Über die Kost sind viele Verordnungen vorhanden, wie noch heute die ,,Speisetaxe“, die Magenfrage, eine große Rolle spielt. Ein sehr wichtiger Punkt, die Quelle vieler Streitigkeiten und Klagen! Es überrascht uns, zu vernehmen, daß unsere Hanseatischen Seeleute auf den Herreisen von Frankreich und Spanien sich ihren eigenen Proviant halten mußten. Schiffe mit Ladung beköstigten die Leute, Fahrzeuge in Ballast aber nicht.

Das alte Rhodische Seerecht verbot Passagieren, Fische im Schiffe zu braten — wegen der Feuersgefahr. — Diese fürchtete man überhaupt sehr. Noch vor wenigen Jahrzehnten durfte im Lübecker Hafen an Bord nicht gekocht, nachts nicht Licht gebrannt werden. Man hatte Kochhäuser an Land und mußte abends im Dunkeln sitzen. — wenns keinen Mondschein gab — oder konnte auch früh zur Koje gehn. — Erst als die Dampfer immer mehr aufkamen, die starkes Feuer unter ihren Kesseln unterhielten und Tag und Nacht durcharbeiteten, ließ man diese nicht mehr zeitgemäße Verordnung fallen. Alte Seeleute haben mir noch oft davon erzählt.

Nach den eben angeführten Vorschriften war es auch verboten, im Fahrzeuge Holz zu hauen, um die Planken nicht zu beschädigen, auch durfte nicht jedermann nach Belieben Trinkwasser entnehmen. Der Grund für letztere Anordnung liegt klar: frisch Wasser war ein zu rarer Artikel! Der Reeder aber sollte dabei sein, wenn der Lübsche Schiffer den Proviant besorgte. ,,Denn dessen Rechnungen schlagen alle Victualien oft höher an, als es sonst unsere Bürger in ihren Häusern zeugen können, so daß der Verdacht entsteht, der Kaufmann speise nicht alleine die Schiffer in den Schiffen, sondern auch noch das ganze Tahr hindurch in ihren Häusern! Es soll das Fleisch hinfüro in des Reeders Haus oder Spieker gesalzen und aufbewahrt werden!“ Auch soll wenigstens einer der Herren zugegen sein, ,,wenn das Victualienbodding abgeht, damit man sehe, daß alles ans Schiff komme!“ — Manche Speckseite mag trotzdem den verkehrten Kurs genommen haben! Bei langer Reisedauer wurde aller vorhandene Proviant vom Schiffer in Verwahrung genommen und verteilt. Auch der Superkargo hatte dann seine Vorräte auszuliefern und nur Anspruch auf einen Teil, wie jeder gemeine Mann! Bei der erwähnten Selbstbeköstigung war solche Maßregel sehr nötig, wenn die Vorräte knapp wurden.

Auch für den Todesfall waren gesetzliche Vorkehrungen, des Nachlasses wegen, getroffen. Teils gingen Betten und Kleiderbestände an Schiffer und Steuerleute über, teils hatte der Schreiber das übrige aufzubewahren. Nur den Proviant verbrauchte man sofort, falls ein Passagier der Erblasser war. Beim Hinscheiden eines Matrosen wurde der Frau oder den Verwandten die verdiente Heuer verabfolgt. Hatte sich die Ehegattin jedoch nicht ,,ehrlich aufgeführt“, ging sie leer aus. Geleistete Heuervorschüsse, auch wenn sie noch nicht abverdient waren, brauchten nicht wieder zurückgegeben zu werden.

Wie noch heute, stand dem Schiffer auch in frühesten Tagen die Strafgewalt zu. Das erinnert mich an die Verhandlungen in Berlin, welche die technische Kommission für Seefahrt vor Einführung der eingangs so oft erwähnten, jetzt giltigen Seemannsordnung pflog. Die Reichsregierung hatte außer den eigentlichen Mitgliedern zu diesen Beratungen noch 8 Seeleute der verschiedensten Dienstklassen, vom Steuermann und Maschinisten bis zum Matrosen und Heizer hinab, zugezogen. Diese gaben nach den stenographischen Aufzeichnungen ihre Ansichten ungeschminkt zum besten. Lange wurde beraten über das Kapitel der Schiffsjungen. Man wollte dem Kapitän, wie dem Lehrmeister am Lande, das väterliche Züchtigungsrecht zugestehen, konnte es aber nicht durchdrücken. Denn einige der zugezogenen Leute waren im Prinzip gegen jede Hauerei, andere meinten, man könne widerspenstige leichter durch Strafarbeiten usw. zur Raison lbringen, als durch Prügel! Ein Mitglied sprach sich in jovialer Weise dahin aus: ,,Die Jungen werden ihre Prügel doch nach wie vor kriegen, ob es ins Gesetz hineinkonnnt oder nicht! — Wer will noch Lehrmeister sein, wenn so’n Bengel ungezogen, dumm und niederträchtig ist, und ich soll ihm nicht mal ’ne Backpfeife applizieren dürfen? Dann mag ein anderer Kapitän spielen!“

Im allgemeinen geht die Ansicht der Leute jetzt dahin, daß die Jungen, deren Los an Bord früher nicht allzu rosig gewesen sein mag, mehr als zu milde behandelt würden. Die Wahrheit wird in der Mitte liegen!

Grausam aber strafte man früher die Leute, die sich gegen den Kapitän auflehnten, frech oder boshaft waren.

Feigheit vor dem Feinde zog den Tod durch den Strang nach sich. Kleinere Vergehen, wie Überschreiten des Urlaubes, eigenmächtiges Benutzen des Schiffsbootes und dergl. konnten mit Geldbuße abgemacht werden. Einverständnis mit dem Feinde, sowie Begünstigung der Flucht eines Gefangenen wurde mit dem Ausstechen eines Auges geahndet!

Unsere Hanseaten zeichneten die Deserteure durch Einbrennen eines ,,Boeshaeks auf die Backen.“ Wurde aber jemand bei der Verteidigung des Schiffes als feige befunden, „so soll er offenbar mit Ruten auf dem Block gehauen werden.“ Meuterei zog den Tod durchs Schwert nach sich, Trunkenheit wurde mit Geldstrafe belegt, ,,bei Poen for jede Nacht, die sie ausbleiben, vier Schilling Lübsch.“ Eine andere Strafe war: das „Von der Rah fallen.“ Man band den Deliquenten selbst an ein Tau, an seine Füße eine Kanonenkugel, stürzte ihn dann von der Rahe ins Wasser und zog ihn nach einigem Untertauchen, kurz bevor ihm die Luft ganz ausging, wieder an die Oberfläche, um dasselbe Spiel einige Male zu wiederholen. Den „Superkargo, den man nicht treu fand, brandmarkte man auf der Stirn. Verschlafen der Wache kostete einen Teilbetrag der Heuer; geschah’s aber in Feindesland, dann wurde der ertappte Siebenschläfer ,,nacket das ganze Deck entlang gegeißelt.“ Dem pflichtvergessenen Offizier, der sich des Schlafes nicht enthielt, goß man einen Kübel Wasser über den Kopf: noch heute ein beliebtes Aufmunterungsmittel für die Jungen! Dem verschlafenen Matrosen, der rückfällig wurde, drohte der Tod in der See; man durfte ihn einfach über Bord werfen, konnte er die Augen nicht offen behalten! — Gegen den Schiffer durfte niemand die Hand erheben. Erst wenn ein Schiffsmann von seinem Vorgesetzten wiederholt geschlagen war, erlaubte ihm das Recht, sich zur Wehr zu setzen. Doch nicht ohne weiteres durfte dies geschehen! Der Matrose sollte nach vorne fliehen: ließ dann der Kapitän, auch vor dem Ankerspill, nicht von ihm ab, dann erst gewann der Schiffsmann das Recht der Notwehr!

Eine grausame Strafe aber traf denjenigen, der gegen seinen Vorgesetzten das Gewehr zog, d. h. das Messer zückte. Dessen Hand wurde mit einem scharf schneidenden Messer an den Mast genagelt. Er konnte sich nur befreien dadurch, daß er die Hand wegzog und dabei dieselbe halb durchschnitt!! Das Wegziehen konnte noch durch Nähern eines Lichtes beschleunigt werden. Man ist also damals gegen die Tückebolde von Messerstechern, „schneidig“ im ureigensten Sinne vorgegangen!

Die Lotsen sind in der heutigen Seemannsordnung nicht erwähnt. War früher ein solcher der Gewässer unkundig, so ,,sollte er ohn Gnad und Barmherzigkeit seinen Kopf verlieren.“ Der Schiffer mußte aber zuerst Schiffsrat darüber halten, war dann jedoch, im Widerspruch mit heute, an die in demselben gefaßten Beschlüsse gebunden. ,,Denn es giebet auch viele Schiffer, die so wenig wissen, ob sie rückwärts oder vorwärts fahren sollen, als sie wissen, was ein Meer sey, oder nicht. Es wäre schlecht gehandelt, wenn ein Mensch bloß auf den Willen eines solchen sollte sein Leben verlieren. Denn er möchte wohl sehen, daß diejenigen, die sie haßten, ihren Kopf einbüßten, dann hätten sie auch noch den versprochenen Lotsenlohn für sich!“

Die über dem Schiffer stehende Obrigkeit, dazu bestimmt, Streitigkeiten zwischen ihm und seiner Mannschaft zu schlichten, war nach Lübschem Rechte die Schiffergesellschaft, man nennt auch hier und da den „Baliven ofte deme Schulteten, den Oldermann, Vaegd, und die Amtslüede.“ An diese Behörden wurden auch die verfallenen Strafgelder, meist ,,Brüche oder Poen“ genannt, abgeführt. Die Schiffergesellschaft und die Armenbüchse scheinen immer in erster Linie bedacht gewesen zu sein. Nur die wieder ausgelieferte Avance (Vorschußzahlung) des seekrank gewordenen Schiffsmannes verfiel, wie schon gesagt, „dem Schiffsherre und deme Schiffskinderen.“

Alles Erdenkliche war also schon damals gleichwie heute vorgesehen. Manches, was in der jetzt gültigen Verordnung nicht mehr vorkommt, stand früher als Gesetz in den alten Vorschriften. Doch: Tempora mutantur, sed navigatur ut prius.

Was früher notwendig gesetzlich geregelt werden mußte, ist jetzt hinweg gefegt vom Ozean, der Sturm hat’s verweht; nur in unklaren Garnen alter Alatrosen spukts noch umher!

Schon 1614 verordnete man:

„Und damit solchem desto weniger Mangel und Verhindernis fürfallen möge, wollen wir nicht alleine, was wir hiervor im dritten Artikul des andern Tituls verordnet haben, anhero erholet, sondern auch ferner gesetzt und verordnet haben: daß ein jeder Schiffer, wann er von Haus segeln, vorhabens, zween Exemplaria und Abdruck dieser Ordnung ihme verschaffen, deren eins von den Rehdern und Schiffer unterschrieben bey dem Schrifein oder Steuermann anstatt der sämtlichen Schiffskinder; das ander aber von den Schiffskindern, soferne die alle schreiben können, von dem Schiffsschrifein oder sonst einem Notario unterzeichnet, bey dem Schiffer seyn und bleiben soll, damit sie sich samt und sonders und zwar das Schiffsvolk an Eides statt verpflichten, dieser Ordnung, soviel in einem Jeden berührt, gehorsamlich zu geleben und nachzukommen, mit diesem Anhang und Erklärung: Im Falle sich Jemand des Schiffsvolks solcher subscription und Zusag verweigern würde, daß derselbe zur See nicht gebraucht noch befördert, noch in einiger Hansestadt geduldet und gelitten werden sollte.“

Dies ist nichts anderes als die Musterrolle, welche auch noch heute alle Verhältnisse der Offiziere und Mannschaft gegeneinander regelt.