Gute Geduld.

Ein Franzos ritt eines Tages auf eine Brücke zu, die über ein Wasser ging und fast schmal war, also, dass sich zwei Reitende kaum darauf ausweichen konnten. Ein Engländer von der andern Seite her ritt auch auf die Brücke zu, und als sie auf der Mitte derselben zusammenkamen, wollte keiner dem andern Platz machen. „Ein Engländer geht keinem Franzosen aus dem Wege“, sagte der Engländer. „Par Dieu“, erwiderte der Franzos, „mein Pferd ist auch ein Engländer. Es ist schade, dass ich hier keine Gelegenheit habe, es umzukehren und Euch seinen Stumpfschweif zu zeigen. Also lasst doch wenigstens Euern Engländer, auf dem Ihr reitet, meinem Engländer, wo ich darauf reite, aus dem Wege gehen. Euerer scheint ohnehin der jüngere zu sein; meiner hat noch unter Ludwig dem Vierzehnten gedient in der Schlacht bei Käferolse Anno 1702.“

Allein der Engländer machte sich wenig aus diesem Einfall, sondern sagte: „Ich kann warten. Ich habe jetzt die schönste Gelegenheit, die heutige Zeitung zu lesen, bis es Euch gefällt, Platz zu machen.“ Also zog er kaltblütig, wie die Engländer sind, eine Zeitung aus der Tasche, wickelte sie auseinander wie eine Handzwehle und las darin eine Stunde lang auf dem Ross und auf der Brücke, und die Sonne sah nicht aus, als wenn sie den Toren noch lange zusehen wollte, sondern neigte sich stark gegen die Berge. Nach einer Stunde aber, als er fertig war und die Zeitung wieder zusammenlegen wollte, sah er den Franzosen an und sagte: „Eh bien!“ Aber der Franzos hatte den Kopf auch nicht verloren, sondern erwiderte: „Engländer, seid so gut und gebt mir jetzt Eure Zeitung auch ein wenig, dass ich ebenfalls darin lesen kann, bis es Euch gefällt auszuweichen.“ Als aber der Engländer diese Geduld seines Gegners sahe, sagte er: „Wisst Ihr was, Franzos? Kommt, ich will Euch Platz machen.“ Also machte der Engländer dem Franzosen Platz.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 3