Gutes Wort, böse Tat.

In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. „Ist’s noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?“ Der Herr Schulmeister sagt: „Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium.“ Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger. „Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben.“ Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: „Es steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird man in euern Schoss geben“, und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück und sagte: „Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander nur die heilige Schrift aus.“

Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man’s nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 3