Die Wachtel.

Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbaren lebten sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: „Freund, begreift Ihr nicht, dass mir Euer Lärmenmacher, Euer Tambour da, sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stündlein schlafen möchte, und dass Ihr Euch unwert macht bei der ganzen Nachbarschaft?“--Ihm erwiderte der Nachbar: „Ich begreife das Gegenteil. Ist’s nicht aller Ehren wert, dass meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst ansagt und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage die Atzungskosten allein?“ Als alle Vorstellungen nichts verfangen wollten und Wachtel immer früher schlug und immer heller, kommt endlich der Nachbar noch einmal und sagt: „Freund, wär’ Euch Eure Wachtel nicht feil?“ Der Nachbar sagt: „Wollt Ihr sie tot machen?“--“Das nicht“, erwiderte der andere.--“Oder fliegen lassen?“--“Nein, auch nicht.“--“Oder in eine andere Gasse stiften?“--“Auch das nicht, sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch noch hören könnt alle Morgen.“ Der Nachbar merkte nichts, denn er war nicht der Klügere von beiden. Ei, dachte er, wenn ich sie vor deinem Fenster umsonst hören kann und bekomme noch Geld dazu, so ist’s besser.-- „Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?“ fragte er den Nachbar. Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll’s ihm nicht verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel umquartiert.

Am andern Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem Schlaf erweckte und er eben denken wollte: „Ei, meine gute Wachtel ist auch schon munter“,--halbwegs des Gedankens fällt’s ihm ein: „Nein, es ist meines Nachbars Wachtel,--das undankbare Vieh“, sagte er endlich am dritten Morgen, „ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt mir zum Schabernack.--Der Nachbar sollte verständiger sein und bedenken, dass er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt.“ Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruss es nimmer aushalten konnte, redete er hinwiederum den Nachbar an: „Freund“, sagte er, „Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht wieder einen kurzen Schlaf gehabt.“--“Es ist ein braver Vogel“, erwiderte der Nachbar, „ich habe mich nicht daran verkauft.“--“Er ist recht brav worden in Eurem Futter“, fuhr jener fort. „Was verlangt Ihr Aufgeld, dass er Euch wieder feil werde?“ Da lächelte der andere und sagte: „Wollt Ihr sie vielleicht tot machen?“-- „Nein!“--“Oder sie fliegen lassen?“--“Das auch nicht.“--“Oder in eine andere Gasse vermachen?“--“Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie wieder stellen, wo Ihr sie ja eben so gut hören könnt wie an ihrem jetzigen.“--“Freund“, erwiderte ihm hierauf der Nachbar, „vor Euer Fenster kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder, so lass ich sie fliegen.“ Der Nachbar dachte bei sich: „Wohlfeiler kann ich sie nicht los werden, als für sein eigenes Geld.“ Also gab er ihm die zwei Gulden wieder, und die Wachtel flog.


Der geneigte Leser wolle hieran gelegentlich erkennen, wenn er es nötig hat, was für ein grosser Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigenen Haus geschieht oder in einem andern, ferner--denn es braucht keine Wachtel dazu--ob einer in einer Gesellschaft selber pfeift und auf dem Tisch trommelt, oder ob es ein anderer anhören muss; item: ob einer selber bis nachts um 10 Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei sein und von Zeit zu Zeit sich verwundern und etwas dazu sagen muss, gleich als ob er achtgäbe.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Bd 2