Moritz Bermann - Der eiserne Landgraf und sein Arzt.

Der eiserne Landgraf wurde in seinem Leben von jedermann gefürchtet, er selbst aber hatte vor niemand Furcht. Auch war er um das Heil seiner Seele wenig bekümmert, drückte und schatzte seine Untertanen hart und brachte viele Besitzungen der Kirchen und Klöster an sich. Wenn ihn fromme und ehrbare Männer deshalb tadelten und ihn in der Beichte an die künftige Vergeltung erinnerten, ihm die Strafe der Gottlosen und die himmlische Seligkeit der Auserwählten vor Augen stellten, antwortete er: »Bin ich zur Seligkeit bestimmt, so werden keine Sünden mir das Himmelreich entreißen können; bin ich aber zur Hölle verurteilt, so werden auch gute Werke mir den Himmel nicht bringen.« Und weil er im Wort Gottes wohl Bescheid wußte, so verhärtete und verstockte er sich noch mehr und mehrte seine Verderbnis damit, daß er gegen die, welche ihm Vorwürfe machten, das Wort des Psalmisten im Munde führte: »Er gab den Himmel dem Herrn des Himmels, die Erde aber den Söhnen der Menschen.« Sprachen nun gottesfürchtige Männer: »Herr, schonet Eurer Seele, höret auf zu sündigen, damit nicht Gottes Gerechtigkeit, durch Eure Sünden gereizt, den Sünder in seinen Sünden töte und zuletzt in die Tiefen der Hölle werfe,« so entgegnete er: »Ist mein Todestag gekommen, so werde ich sterben, ich werde ihn weder durch frommes Leben hinausschieben können noch ihm durch Sündigen zuvorkommen.«

Gott wollte ihn aber nach seiner Barmherzigkeit von so großem Wahn bekehren und zur Erkenntnis führen, darum schlug er ihn mit einer gefährlichen Krankheit, wenn auch nicht ihm selber, so doch andern zur guten Lehre. Man rief seinen Arzt, einen rechtschaffenen und auserwählten Mann, der nicht allein in der Kenntnis der Natur, sondern auch in der Theologie mehr als gewöhnlich erfahren war. Zu diesem sprach der Fürst: »Ich bin sehr schwach, wie du siehest, darum wende deine Kunst an, daß ich genesen mag.« Der Arzt antwortete: »Herr, wenn der Tag Eures Todes kommt, so wird meine Kunst Euch nicht dem Tode entreißen können; wenn Ihr aber an dieser Krankheit nicht sterben sollt, so wird meine Arznei überflüssig sein.« Erstaunt über diese Worte, sprach der Landgraf: »Wie magst du so reden?« Wenn mir die Sorgfalt deiner Behandlung nicht zuteil und die vorgeschriebene Lebensweise nicht eingehalten wird, so werde ich von mir selbst und von andern aus Unkenntnis vernachlässigt werden und vor der Zeit sterben können.« Als der Arzt dieses gehört hatte, wurde er heiter und froh und antwortete also: »Herr, wenn Ihr meint, daß durch die Kraft der Arzneimittel Euer Leben verlängert werden könne, warum wollt Ihr nicht glauben an die Buße und an die Werke der Gerechtigkeit, welche Heilmittel der Seele sind? Ohne diese stirbt die Seele, und man gelangt nicht zur Gesundheit des künftigen Lebens.«


Der Landgraf überdachte den Wert und Ernst dieser Worte, und weil jener gut und verständig geredet hatte, sprach er zum Arzte: »Fortan sollst du der Arzt meiner Seele sein, da mich Gott durch deine Zunge von einem großen Wahn und Irrtum befreit hat.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen