DIE VILLA DES HUMANISTEN IN S. VIGILI0

Von manchem Bemerkenswerten am Gardasee, von antiken Bauresten und Inschriften, mittelalterlichen Burgen und Kirchen, Renaissanceanlagen der Villen und Gärten ist in des Silvan Cattaneo fast ganz vergessener, dem anmutigen Stile Boccaccios nacheifernder Schrift der „Dodici Giornate“, welche mit Gratarolos Beschreibung der Riviera von Salò zusammen erst 1745 veröffentlicht wurde, die Rede. (Salò e sua Riviera descritta da Silvan Cattaneo e da Bongianni Gratarola. Venezia, Giac. Tommasini.) Manches von dem, was dem begeisterten Patrioten der Beschreibung würdig erschien, ist der Zeit zum Opfer gefallen oder hat doch Veränderungen erfahren, vieles aber wirkt noch heute ebenso, wie vor vierhundert Jahren. Und hierzu gehört überraschenderweise die Villa des Dottore auf dem Kap S. Vigilio. Lange, der Unbequemlichkeit der Verbindungen wegen, den Besuchern des Sees fast unbekannt geblieben, ward sie erst neuerdings ein Ausflugsziel für die in Salò, Gardone und Maderno in immer größerer Zahl sich einfindenden Fremden. Aber bisher doch ohne dass dem Traumbild aus der Zeit der Renaissance, das hier erhalten ist, eine Berücksichtigung, wie es sie verdient und herausfordert, bisher geschenkt worden wäre.

Freilich hat auch Cattaneo, und zwar, wie wir sehen werden, zur Unzufriedenheit des Besitzers und Begründers dieser Anlage, es verschwiegen, dass es in ihr außer dem herrlichen Blick und der Vegetation noch anderes zu sehen gab. Für ihn mochte dies freilich kein so großes Interesse haben, uns aber dürfte eine genauere Betrachtung nicht gereuen, denn dieser Landsitz ist die einzige, fast in vollständiger Unberührtheit bis auf unsere Zeit erhaltene, in Anordnung und Ausschmückung charakteristische Villa eines Humanisten aus der Epoche der Renaissance.


Seitdem Petrarca mit der Mahnung: „Silva placet musis, urbs est inimica poetis“ es ernst nehmend, die Stille des Landes in Vaucluse und später in Arquä für seine Studien aufgesucht und das weltferne Leben in seiner Schrift »de vita solitaria« gepriesen hatte, dünkte den Humanisten ein, wenn auch bescheidener, Landbesitz als eines der für den Gelehrten unumgänglichen Erfordernisse des Lebens. Zu einer Wiedererweckung aller Herrlichkeiten antiken Denker- und Dichterdaseins schien auch die Erneuerung einer Sitte zu gehören, von welcher die römischen Schriftsteller, namentlich Plinius und Statius, so anregend erzählten. In der Nähe von Verona schuf sich der berühmte Guarino sein kleines „Paradies“, in welchem er das „reine und wahre Leben“ fand, auf dem Virgiliushügel in Pietole bei Padua erwarb sich Vittorino da Feltre ein Häuschen mit Garten, und bei Resina gründete Beccadelli sein „Plinianum“. Entsprachen diese Besitzungen wohl im wesentlichen nur Varros „villa rustica“, so musste es doch bereits im Anfang des 15. Jahrhunderts, zur Zeit als antike Statuen, Reliefs und Inschriften Gegenstand eifrigen Sammelns wurden, Manchen verlocken, durch Ausstattung des Grundstückes mit Kunstwerken das Ideal der „marmornen Gärten“, von denen Juvenal (VII, 79) spricht, zu verwirklichen und damit den Schein des Altertums bis zur Täuschung vorzuspiegeln. Freilich konnte hierfür nicht das Vorbild des Plinius selbst geltend gemacht werden, aber die in seinen Episteln gegebenen Beschreibungen von Gärten und Villen, wie die des Domitius Tullus (VIII, 18, 11), des Silius Italicus (III, 7, 8) und des Regulus (IV, 1), wie auch die Angaben des Statius (I, 3. II, 2, 52 und 98. IV, 6, 10 — 12) waren dazu angetan, die Phantasie zu beschäftigen. Schon Poggio brachte, indem er seine Liebhaberei mit dem Hinweis auf Ciceros Aufforderung an Atticus, ihm Kunstwerke zu verschaffen, entschuldigte, Büsten und Statuen auf sein Landhaus Terranova im Valdarno, welches, „accademia Valdarnina“ von ihm genannt, „seinem Geist die Ruhe gibt“. Hier durfte er, wie er in seiner „convivialis prima“ berichtet, selbst den Besuch eines Papstes, Nikolaus V., empfangen. In seinem Dialog „de nobilitate“ (Opera 1513, S. 25) erzählt er, dass Niccolo Niccoli und Lorenzo Medici ihn besucht hätten, um diese seine Schätze zu sehen, und es ist bezeichnend, aus welchen Motiven sich der Medici die Sammlung und Aufstellung derselben erklärt. „Als sie in dem kleinen Garten waren, welchen ich durch einige seltene Marmorwerke zu verherrlichen begehrt hatte, sagte Laurentius, als er lächelnd die Blicke hatte umherschweifen lassen: unser Wirt, da er von der antiken Sitte bei jenen alten ausgezeichneten Männern gelesen, wie sie Häuser, Villen, Gärten, Portiken und Gymnasien mit mannigfachen Kunstwerken und Tafeln, auch den Statuen ihrer Vorfahren geschmückt haben aus Ruhmbegier und um ihr Geschlecht zu adeln, hat, da ihm die Ahnenbilder fehlten, beabsichtigt, diesen Ort und damit sich selbst durch diese kleinen und zertrümmerten Marmorreliquien vornehm zu machen, damit die Neuheit der Sache ihm einigen Ruhm bei der Nachwelt verschaffe.“ Gab Poggio so als der erste das Beispiel der Anlage eines mit Antiken geschmückten Gartens, so zeigte er zugleich mit seiner Schrift: „de laude ruris sive de re rustica“, welche literarische Pflichten ein solcher Landbesitz einem wahren Humanisten in Nachahmung von Männern, wie Varro, Cato und Columella auferlege, und machte die Schilderung der Freuden des Landlebens zu einem in den Briefen zu behandelnden Thema. Moralisten, wie Maffeo Vegio (de lib. educatione VI, 4) und Leone Battista Alberti (Pandolfini: trattato del governo delle famiglie) nahmen die Betrachtung der sittlichen Vorzüge des Landlebens in ihre Traktate auf, und bald bemächtigte sich auch die Dichtkunst durch Vegio, Pontanus, Lorenzo Medici, Angelo Poliziano, Sannazaro u. a. des Stoffes, den sie bald in elegischer, bald in beschreibender, bald in lehrhafter Weise gestaltete.

Unter denen, welche Poggios Statuengarten nachahmten, nahm Lorenzo Medici den ersten Rang ein, dessen mit zahlreichen antiken Kunstwerken geschmückte Gärten an der Piazza di S. Marco wirklich zu einer für das Studium der Künstler bestimmten Akademie wurden, und dessen Villen in der Umgebung von Florenz den Dichtern und Gelehrten seines Kreises allezeit offen standen. Hier durften sich die Platoniker unter Führung des verehrten Marsilio Ficino ungestört ihren dialogischen Betrachtungen über das höchste Gut, über die Unsterblichkeit der Seele und die Ideen der Liebe und der Schönheit hingeben, hier die Poeten, vor allen Lorenzo selbst und Poliziano, ersehnte neue Inspiration von der Natur gewinnen.

Mit dem wachsenden Luxus der Lebensbedürfnisse und dem sich steigernden Kunstsinn gewann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch die Ausstattung der Villen, wie die der städtischen Paläste, eine immer größere Ausdehnung. Die Anbringung von Statuen, und zwar vorzugsweise antiker, im Haus und in Loggien wurde nun für alle, welche die Mittel hierfür besaßen, Regel, mochten auch so herrlich geschmückte Gärten, wie die römischen des Kardinals Hippolyt von Ferrara auf dem Montecavallo, des Erzbischofs von Cypern, Clemens V. und des Kardinals Andrea della Valle (Vasari), wie die venezianischen des Andrea Michele bei S. Gervaso und der Gritti auf der Giudecca (Sansovino S. 369), zu den Ausnahmen gehören. Grottenwerk und Wasserkünste, von deren ausgebildetem Mechanismus der Briefwechsel Annibale Caros und Giovanni Guidiccioni’s über Brunnen und Grotte des Kardinals Gaddi lehrreich berichtet, kamen als Bereicherung hinzu, und die bildnerische Tätigkeit erstreckte sich auf das Zustutzen von Bäumen und Büschen, namentlich des Buchsbaumes, das gleichfalls der Antike in dem Ziergarten, dem Xystus, gebräuchlich war. Die erhaltenen Beschreibungen beziehen sich allerdings vorzugsweise auf die von weltlichen und kirchlichen Großen gemachten Anlagen, dass aber auch Gelehrte und Dichter, wenn auch in bescheidenem Maße, das Ideal des künstlerisch ausgestatteten Landsitzes, das ja gerade vom Humanismus wieder erweckt worden war, zu verwirklichen sich bemühten, versteht sich von selbst, sind uns auch über die Ausstattung von Villen, wie von dem Norciano des Antiken sammelnden Pietro Bembo, von dem Besitze Sannazaros: Mergoglino bei Neapel, welchen er in einem Epigramm (Poemata 1731, Padua S. 159) preist, von der Villa Annia des Honoratus Fascitellus (ebendaselbst: Carmen de Annia villa S. 292), von der Villa, welche sich Annibale Caro in Toscolano baute, keine näheren Angaben erhalten.

Vergeblich auch suchen wir solche in des Anton Francesco Doni Büchlein: „Attavanta Villa“ (Firenze 1857, herausgegeben von Le Monnier), in welchem, ähnlich wie in des Poliphili Hypnerotomachia, mehr eine phantastische Träumerei, als eine Wirklichkeitsschilderung gegeben wird. Der bizarre Schriftsteller, welcher nicht minder leichtfertig wie sein Feind Pietro Aretino mit Gedanken und Vorstellungen spielt, unterscheidet fünf Arten von Villen: die „villa civile da Signore“, den „podere di spasso da gentiluomo“, die „possessione di ricreazione“ (für den Kaufmann), die „casa di risparmio“ (für den Handwerker) und die „capanna dell’ utile“ (für den Bauern). Der ersten, der herrschaftlichen, gibt er den steifen Charakter des städtischen Palazzo mit schön angelegtem, aber nicht mit Kunstwerken verziertem Garten, die zweite, die auch den „letterati“ eigne, denkt er sich einfacher, namentlich durch reiche Loggienanlagen mit der Naturumgebung in intimere Beziehung gesetzt und mit allen Bequemlichkeiten für Studium, Spiele und Sport ausgestattet, in der dritten spielt eine üppige Ausschmückung des Hauses mit Gemälden und Skulpturen und die Anordnung künstlicher überraschender Anlagen die Hauptrolle. Wie wenig genau schließlich aber hier unterschieden wird und wie alles auf ein unterhaltendes Spiel der Phantasie hinausläuft, zeigt die gelegentlich der Besprechung der einfachen „Casa di risparmio“ gegebene Beschreibung der luxuriösen Villa eines Handwerkers, in welcher Fresken von Raphael und Parmigianino zu sehen sind! Diese Fiktionen dienen dem Schriftsteller eben nur als Vorwand zu barocken Einfällen und sind so wenig ernst zu nehmen, wie seine moralischen Betrachtungen. Aber sein Spott trifft wahre Schwächen der Zeit, wenn er ausruft: „das ländliche Haus und das Hirtenleben ist durch den Wunsch, es vornehm zu machen, verderbt worden, und die Stadt ist durch Verbauerung zum Wald geworden. Der Bauer macht sich zum Städter und der Pedant hüllt sich ins Fell des Bauern“. Damit spielt er auf die affektierte Einfachheit des geizigen Städters, welcher seinen Landaufenthalt nur zum Sparen benutzt, an und schließt seinen Exkurs mit den Worten: „der wahre Villenbesitzer, edel, höflich, würdig und ehrenvoll, lebt auf seinem Grundstück und empfängt heute diesen Edelmann und beweist sich morgen für jenen liebevoll. Er ist der wahre Anbauer der Vornehmheit, bringt einen verbindlichen Willkommen dar, zeigt eine heitere Miene und ein herzliches Gebühren, reich an Liebenswürdigkeit, wie es solch ein ergötzlicher Aufenthalt verlangt.“

Anton Francesco Doni würde nach allem, was Gattaneo uns erzählt hat, mit dem Dottore der Villa von S. Vigilio zufrieden gewesen sein, und deren Betrachtung hätte vermutlich seiner Vorliebe für das Absonderliche neue Nahrung gegeben und ihn zu weiteren Phantasien angeregt, denn dieser Landsitz ist die Verwirklichung einer Fiktion, die den seinigen verwandt ist.

Die Villa von S. Vigilio

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Durch eine Allee von alten Zypressen, welche eine Olivenwaldung durchschneidet, gelangt man von der östlichen Landseite auf dem Vorgebirge her zu dem Thor der Villa, vor welchem links eine abwärts sich senkende Straße nach dem südlich gelegenen kleinen Hafen abbiegt. Eintretend gewahren wir hinter Rasenplätzen gerade vor uns den in schönen Verhältnissen gehaltenen, aber architektonisch sehr einfachen zweistöckigen Palazzo mit seinen viereckigen, schlicht gerahmten Fenstern. An den Ecken des Gebäudes ist das Wappen des Besitzers, welches im oberen Felde einen nach links schreitenden Löwen, im unteren drei Querbalken zeigt, angebracht; Reste eines gemalten, Kannelüren nachahmenden Frieses sind unter dem Dache erhalten. Rechts von dem Hause zieht sich, von üppigen Oleanderbüschen halb verhehlt, ein langes, schmales Wirtschaftsgebäude von Osten nach Westen, welches einen kürzeren Seitentrakt fast bis zum Tore entsendet. Nördlich davon befindet sich, durch eine Treppe erreichbar, der Nutz- und Gemüsegarten.

Beim Betreten des Hauses empfängt uns eine große Halle mit einem Stichkappengewölbe auf einfachen Konsolen. Eine in der Mitte des Fußbodens eingelassene Inschrift besagt:

Aenigma A. B.

Neptunus mare deseruit subducere tentans
Benaco imperium verum agmina sacra repressit
Dextera habens Oleam Pallas legemque sinistra.
Exulet ignotis Saturnus rupibus, inquit,
Mars Latium fugiat, Pluto sub humo, Eolus antrum,
Piscibus auricomis Rex ingerat acquoreum aurum.

Auf deutsch:

Rätsel A. B.

Einstmals verließ Neptunus sein Meer, denn das Reich des Benacus
Wollt’ er sich selbst unterwerfen, doch trieb seine wilden Schaaren
Pallas zurück, in der Hand das Gesetz, in der andern den Ölzweig:
„Heimliche Felsen verbannet sich suche Saturnus“, so sprach sie,
„Latium Mars sich, die Grotte sich Äolus, Pluto die Tiefe,
Meergold flöße der König ein goldflossigen Fischen!“

Die Lösung des Rätsels gelingt nicht ohne weiteres, nur in dem letzten Verse erkennt man die Anspielung auf eine Fabel, die der berühmte Veroneser Arzt, Philosoph und Naturforscher Girolamo Fracastoro († 1553) erfunden und in einem lateinischen, dem Bischof Giberto gewidmeten Gedichte erzählt hat:

Der greise Saturn, von Jupiter vertrieben, kam, nach einem neuen Wohnsitz suchend, an den Gardasee. Müde und durstig bat er einige Schiffer, die es sich beim Mahle wohl sein ließen, sie möchten ihm zu trinken geben. Die Schiffer, die ihn nicht kannten, gaben ihm spottend den Rath, aus dem See zu trinken, der des Wassers genug enthalte. Saturn, ihnen folgend, stärkte sich an der reinen Flut, dann frug er jene, wie viel sie für die Überfahrt nach einer in der Nähe gelegenen Insel, auf die er mit der Hand wies, verlangten. Sie forderten eine große Summe und nahmen ihn mit sich. Mitten im See aber fassten sie, da sie sich einbildeten, der Alte wolle. auf jener Insel geraubtes Gold verbergen, den Gedanken, ihn zu töten und sich seines Goldes zu bemächtigen. Der kühnste der Schiffer war Carpo, der den armen Alten beschimpfte und die Genossen zur Tat anstachelte. Schon wollten sie ihr Vorhaben ausführen, als der Gott, über solche Niedertracht empört, ausrief: ich werde euch Gottlosen das Gold geben, das ihr verlangt, und ewig werdet ihr euch in der Tiefe des Wassers von ihm ernähren. Kaum war die Beschwörung ausgesprochen, als die Schiffer sich in Fische verwandelten. Als der erste sprang Carpo in den See, ihm folgten die Gefährten. Als Carpioni leben sie im See und nähren sich von den Goldminen, die in der Tiefe sich befinden. (Fracastori: Garmina. Padova 1739.)

Dass Pallas dem See die Olive geschenkt, sagt Giorgio Jodoco in seinem Gedichte über den Benacus.

Links an die Halle schließen sich drei Räume, deren vorderster von einem sternförmigen Gewölbe bedeckt ist, auf der rechten Seite führt zwischen zwei Räumen die Treppe in das obere Geschoß. Auf deren Absatz ist am Gewölbeansatz das Relief einer Madonna mit dem Kinde angebracht; unter ihm liest man die Verse:

L’amor che mosse già l’eterno padre
per figlia haver di sua deità trina
costei che fu del suo figlol poi madre
de l’universo l’hà fatta regina.

Auf deutsch:

Die Liebe, welche einst den ew’gen Vater trieb,
Der eigenen dreiein’gen Gottheit sich als Tochter
Zu wählen sie, die seines Sohnes Mutter ward,
Hat sie zur Königin des Weltenalls gemacht.

Die Zimmer im oberen Stockwerk, einfach angeordnet, tragen Holzdecken.

Nach Westen, wo das felsige Gestade in geringer Höhe in den See abfällt, öffnet sich das Haus in zwei, aus je sechs runden, schlicht profilierten Bögen bestehenden geräumigen Loggien, deren untere ein Stichkappengewölbe, deren obere eine Holzdecke zeigt. Eine kleine von gestutztem Buchsbaum eingefasste Treppe führt von hier zu einem Landungsplatz der Boote hinab und eine andere seitwärts nach Norden unterhalb der Mauer des Gemüsegartens zu einer Promenade, die aus gleich geformten Bäumen besteht. In der Nähe der Loggia, an der fünf Fenster breiten, einfachen südlichen Fassade angebracht, sagt eine Inschrift:

Quis neget auspiciis rura haec florescere divum
In quibus et genius leguit antra sibi.

Auf deutsch:

Wer wohl leugnet’s: in göttlichem Schutz dies Gefilde erblühet!
Stiftet’ der Genius doch auch sich eine Grotte allhier.

Südlich von dem Palazzo längs des felsigen Gestades und von diesem durch eine zinnenbekrönte Mauer geschieden, zieht sich der Ziergarten hin, dessen Mitte durch eine Allee dreihundertjähriger herrlicher Zypressen gebildet wird. Diese führt zu einem auf kleiner Anhöhung gelegenen Rondell, dessen Abhänge von Akazien überwuchert sind. Ein eigentümlicher Anblick bietet sich hier dem Blicke des Emporschreitenden dar. Im Hintergründe erhebt sich über einem Brunnen ein tabernakelartiger Bau, in welchen ein Relief mit nicht ganz lebensgroßen Figuren eingelassen ist. Im Umkreis rings aber sind zwölf, aus Backsteinen aufgemauerte Ädikulen mit Nischen errichtet, in denen je eine antike Feldherrnbüste auf geschwungenem Sockel aufgestellt ist. Unwillkürlich überkommt in dem dunklen Schatten der Zypressen den Wanderer das Gefühl sepulkraler Feierlichkeit — man würde sich nicht wundern, stände über dem Eingang zu lesen: „den Ahnen geweiht“. Aber schon bleibt das Auge an einer der Büsten haften: ist denn das wirklich eine Antike? Kopf und Brustteil gehören nicht zu einander und sind aus verschiedenem Stein gearbeitet, ja der Kopf lehnt nur lose auf jenem, und die in ihm sich bemerkbar machende flaue künstlerische Behandlung weicht von römischer Arbeit ab. Ein über die anderen Ädikulen hinschweifender Blick genügt, überall das gleiche zu erkennen: es sind künstliche Nachahmungen stark beschädigter antiker Kaiserbüsten, frei und allgemein erfunden, ohne dass bestimmte Vorbilder kopiert wären. Eine Wanderung außen um die kleine Mauer des Rondels herum lässt noch weitere zahlreiche, bald in Nischen an der Rückwand der Ädikulen, bald im Mauerwerk angebrachte Trümmer von Kunstwerken entdecken: einige Kinderbüsten, zwei Karyatidenköpfe, weibliche Torsos, einen Krieger, Reste einer Marmorhand, Säulenbasen und dergleichen mehr, alles in kleinen Dimensionen; auch einige Inschriftstücke, deren eines die Worte: „nos omnes la“, ein anderes: „latrai ai latri onde messer“, ein drittes: „Carthago Italiam contra“ zu lesen erlaubt. Auch dieses alles Fälschung!

Der Zypressenhügel in S. Vigilio

Neugierig wendet man sich dem großen Relief im Hintergründe zu, das bis auf einen Riss und den oberen unregelmäßig abgebrochenen Rand wohlerhalten ist. Zwei wie im Gespräche miteinander begriffene jugendliche Gestalten gewahrt man: die eine links mit zierlich gedrehtem, auf die Schultern herabfallendem Lockenhaar, auf dem ein bindenartiger Kopfputz ruht, ist in ein eng gefälteltes Hemd, eine eng anliegende Jacke mit rundem Ausschnitt, ein trikotartig anliegendes, an die Jacke genesteltes Beinkleid und einen faltig im Rücken niedersinkenden Ärmel gekleidet und hält die Linke vor der Brust, die Rechte mit einem unkenntlichen rundlichen Gegenstand am Bein über einem um die Lenden gezogenen Epheuzweig. Lächelnd wendet sich die in gleicher Weise kostümierte Figur rechts, welche sich nur durch straffer gewelltes Haar und eine Mütze unterscheidet, aber die Hände ähnlich hält, zu ihr. Dahinter kommen in flacherem Relief zwei Köpfe: ein bartloser männlicher en face und ein weiblicher mit Kopftuch im Profil zum Vorschein. Tracht und Behandlungsweise der vorderen Gestalten lassen die Arbeit zunächst in das Ende des XV. Jahrhunderts verweisen, bald aber belehren Einzelheiten, wie die hinteren Köpfe, darüber, dass sie doch in das XVI. zu verlegen ist. Ein merkwürdiger Widerspruch macht sich, das Urteil verwirrend, geltend — nur eine Erklärung ist denkbar. Der gewandte und begabte Künstler dieses Reliefs hat mit Bewusstsein am Stil des Quattrocento, etwa in Art des in Venedig tätigen Veronesen Antonio Rizzo festgehalten. Erregt schon solche Absonderlichkeit Verwunderung, so wird diese durch die seltsame Darstellung noch gesteigert. Was ist mit diesen beiden Figuren, deren eine rechts etwa einen vornehmen Alters- und Zeitgenossen des jugendlichen Raphael, wenn auch mit sehr freier Gestaltung der Tracht, vor Augen führt, gemeint? Dem Kopfe nach zu schließen ist die andere links eine Frau, aber sie trägt männliches Kostüm! Eine Inschrift unten an der Marmorplatte des Reliefs besagt:

Gognoverunt sese nudos esse ideo perizomata.
Sie erkannten, dass sie nackt seien, daher die Gürtel.

So wären es Adam und Eva? Wie wäre das denkbar? Aber unter der Marmorplatte, über der Brunnenschale, befindet sich eine zweite Inschrift:

Interitum quondam nobis vetus attulit hortus
Hic vitam. Haec utinam poma habuisset Adam;
Nam fovet hunc genius, serpens infecerat illum,
Prisca manent pomis nomina crimen abest.

Auf deutsch:

Untergang brachte ein Garten vor Zeiten, doch Leben uns dieser,
Ach! dass Adam dereinst Äpfel wie diese gehabt!
Schützt doch ein Genius den Hain, keine Schlange vergiftet die Früchte,
Denen der Name verbleibt, frei von Verbrechen und Schuld.

Diese auf einen Garten von pomi d’Adamo, Adamsäpfeln, d. h. Granatäpfeln, sich beziehende Inschrift ist offenbar in jenem Zypressenhain nicht an ihrem Platze und dürfte daher von einem anderen Orte, etwa einer Gartentür, hierher versetzt worden sein, aber die Beziehung zu jenem Relief, welches, wie nun klar wird, auch ursprünglich anderswo, nämlich unter Bäumen mit Granatäpfeln, sich befand, ist nicht zu leugnen. Irgendeine freilich durchaus geheimnisvolle Beziehung der beiden sonderbaren Figuren auf Adam und Eva muss angenommen werden. Vollständig dunkel aber bleibt der Sinn der beiden Köpfe im Hintergründe. Vielleicht ergibt sich die Lösung des Rätsels an einer anderen Stelle.

Mit einem kurzen Blick auf eine in dem Rondell seitwärts hingestellte alte, halb erhaltene gotische Säule, welche eine steinerne Vase mit zwei in der Gestalt von Delphinen geformten Henkeln trägt, verlassen wir, nach der östlichen Seite des Gartens uns wendend, auf einem Seitenwege den Zypressenhügel. Unterhalb desselben auf einem kleinen freien Platze zieht eine Stele mit der Inschrift:

CASSIVS
FVLVI L1B
TROPHIMVS
IVNONI B.
V. S.

unseren Blick auf sich, doch vermag sie uns nicht lange zu fesseln, denn unfern an einer Mauer leuchtet aus dunklem Grün wieder ein Relief, in Größe und Ausführung ein Gegenstück zu der Adamsdarstellung.

Apollo Daphne et Laura

besagt die Inschrift an dem Postament. Ein junger in antikische Tracht gekleideter Krieger mit wellig den Kopf einrahmendem dichten Haar, das durch einen Lorbeerkranz und einen Edelsteinzierrat geschmückt ist, nimmt, auf eine abgebrochene Lanze gestützt, die Linke in die Seite gestemmt, den einen Fuß auf einen am Boden sich windenden Drachen gestellt, die Mitte der Darstellung im Hochrelief ein. Hinter ihm sind drei Figuren in flacherem Relief gemeißelt: links eine große, in doppelt gerafftes Gewand gekleidete Frauengestalt, welche zwei in den Verhältnissen viel zu klein gezeichnete, einander abgewandte Köpfe, einen weiblichen und einen jugendlichen helmbewehrten männlichen trägt, rechts ein langbärtiger Eremit mit halbgeschlossenen Augen und ein w r ie schlafumfangener, trauernder, geneigter Kopf eines Jünglings mit einer Kappe auf dem schlicht herabfallenden Haar. Ein größerer Quersprung durchschneidet das Relief in der Höhe der Knie des Kriegers, ein schwächerer schräg die Brust der Frau; zwei Finger an der linken Hand Apollos sind abgebrochen.

Denn Apollo den Python-Töter haben wir hier offenbar vor Augen. Soweit ist die Deutung leicht. Wer aber sind die drei anderen Gestalten? In der doppelköpfigen Frau Daphne oder Laura zu sehen, wie wäre das möglich? Und in welcher Beziehung stehen der Einsiedler und der Jüngling zu Apollo? Wieder haben wir es in der Hauptfigur mit einer den Stil des ausgehenden Quattrocento zeigenden späteren Arbeit zu tun, wieder werden wir an Statuen von Antonio Rizzo und Pietro Lombardo und zwar besonders an die Wache haltenden Krieger der venezianischen Grabdenkmäler erinnert, wieder aber weisen einzelne stilistische Eigentümlichkeiten, wie namentlich die Gewandung der Frau, auf die Zeit etwa um 1520 — 1530 hin. „Absichtlich altertümlich“, so lautet auch hier das Urteil, ja die leise Vermutung stellt sich ein, dass auch die Risse, wenn nicht gar die Verstümmelung der Lanze und der Hand, künstlich hervorgebracht sind, um das Werk als eine Arbeit des 15. Jahrhunderts erscheinen zu lassen. Ist dem aber so, dann brauchen wir uns den Kopf über die Darstellung sowohl des Apollo-, als des Adamreliefs nicht zu zerbrechen — der Besteller dieser Kunstwerke hat eine Mystifikation beabsichtigt oder aber auch hier ein Aenigma, ein Rätsel, geben wollen, dessen Lösung ohne eine von ihm selbst erhaltene Mittheilung undenkbar ist.

Relief aus dem Garten des Apollo

Dicht neben dem Apollobrunnen führt eine Treppe in einen abgeschlossenen Limonengarten hinab, welcher von der früher erwähnten Hafenstraße durch eine Mauer geschieden ist. Inmitten der goldene Früchte tragenden Bäume, die nach dem alten am Gardasee herrschenden Gebrauche reihenweise zwischen Pfeilern gepflanzt sind, steht auf einem Postament eine Statue der Venus, mit einem nur im Rücken von den Schultern herabfallenden Gewandstück bekleidet, die Linke an die Seite stemmend, die Rechte an die rechte Hüfte gelegt. Sie schaut nach oben; neben ihr ist ein Delphin angebracht. Die Figur lässt die sorgfältige Ausführung des Reliefs vermissen und ist mehr auf eine allgemeine dekorative Wirkung hin in ganz freier Nachahmung der Antike gearbeitet.

Links an der Mauer in einer Nische ist eine zweite, ganz nackte Venus, mehr, aber auch nicht treu, dem antiken Typus nachgebildet, aufgestellt, welche das Haupt etwas zur Seite neigt. Das Haar, von dem zwei Locken auf die Schultern herabfallen, ist nach Art der kapitolinischen Statue aufgebunden. Die nach unten gesenkten Arme sind über dem Ellenbogen abgebrochen. Die künstlerische Behandlung wirkt glatt und streng und lässt es als denkbar erscheinen, dass der Künstler des Reliefs auch dieses Werk verfertigt hat. Auf einer Inschriftentafel darunter ist zu lesen:

Dum rides mihi basium negasti
Dum ploras mihi basium dedisti
Nata est de lachrymis mihi voluptas
De risu dolor o miselli amantes
Sperate simul omnia et timete.

Auf deutsch:

Lachend hast den Kuss du mir verweigert,
Weinend hast den Kuss du mir gegeben:
Wonne so erwuchs aus Tränen mir,
Schmerz aus Lachen — arme Liebende!
Alles hoffet und fürchtet zugleich.

Nicht der eigenen dichterischen Phantasie des Schöpfers dieser Gärten sind diese Verse entsprungen. Er hat sich hier an Pontano gehalten, dessen Gedicht auch der Herr von Capua der Martinengo’schen Reisegesellschaft zur Laute vortrug:

Quando tu ridi, m’hai negato il bacio,
E quando piangi, già me l’hai donato,
Onde col riso mi ti fai crudele,
E piangendo mi sei benigna e pia.
Sorte contraria e ria!
Vienmi ’l piacer dal pianto, e ’l duol dal riso:
O tristi amanti, e miseri che siete,
Sperate ’l tutto, e ’l tutto ancor temete.

Etwas tiefer stehen unter jener Inschrift die Worte:

mortuus obliviscar Flaviae

Nur tot werde ich Flavias vergessen.

Auf zwei Postamenten vor der Nische sitzt je ein Trauben haltender Putto, des Kopfes, des einen Armes und der Füße beraubt. Die symmetrische Analogie der abgebrochenen Theile legt auch hier den Gedanken einer absichtlichen Verstümmelung nahe.

Begeben wir uns von dem Zitronengarten auf die Straße hinaus, so verraten einzelne scheinbar zugemauerte gotische Fensterrahmen, dass der Liebhaber des Altertümlichen, welcher diesen Besitz anlegte, auch das Mittelalterliche nicht vergaß, wovon ja schon die gotische Säule auf dem Zypressenhügel zeugte.

In wunderlichem Widerspruch hierzu sind drei in die Gärten führende Portale in dem wuchtigen Rusticasteinquadernstil der Hochrenaissance gehalten. In die Steinblöcke des ersten Thores, welches in den eben besprochenen Limonenhain führt, ist eine Tafel mit folgendem Tetrastichon eingelassen:

Has myrtos citrosque Venus consuevit olentes
Has juvenum lachrymis ipse rigavit Amor.
Dulcia amara simul, gelida atque ardentia poma
Crescunt: sic nostro pectore crescit Amor.

Auf deutsch:

Diese duftenden Myrthen und Zitren hat Venus gepflanzet,
Mit der Jünglinge Thränen Amor begoß sie selbst.
Süß und bitter zugleich, von eisiger Kälte und glühend
Wachsen die Früchte: so wächst Liebe in unserer Brust.

Der Venus also ist dieser Zitronengarten geweiht gewesen. Johannes Iovianus Pontanus muss der Lieblingspoet des Herrn von San Vigilio gewesen sein, denn auf dessen Gedicht: „De hortis Hesperidum“ (Ausgabe der Carmina, Basel 1531) ist der Gedanke zurückzuführen. Der gefeierte Sänger und Geschichtsschreiber Ferdinands I. von Arragonien hat in diesem Werke, das er Francesco Gonzaga von Mantua widmete, seinen lehrhaften, die Kultur der Zitronen behandelnden Stoff durch poetische Erfindung und Erzählung von Mythen in spielender Weise zu beleben gesucht, indem er ihm die Fabel zugrunde legte, Venus habe, der Peneischen Daphne gedenkend, ihren gestorbenen Liebling Adonis in einen Zitronenbaum verwandelt. Als sie ihn tot zu ihren Füßen liegen sah:

Unserer Liebe ein Zeugnis, so rief sie, auch werde ein Baum — Unserm Leiden so werde ein ewiges dauerndes Denkmal.

Mit meinen Tränen gepflanzt wirst nimmer des Laubs du entbehren, Immer erblühend aufs neue und immer mit Früchten geschmücket, Herrlich als Zierde des Hains und der Gärten, zur Siedlung verlockend.

Süße und bittere Früchte verleiht die Göttin dem Baum, süße zur Erinnerung an des Adonis Liebesglut, bittere zum Gedächtnis ihres Jammers und ihrer Tränen.

Nicht ward kurz nur dauernd des Lebens Frist ihm beschieden,
Sondern ewig währt seine Art, unsterblichen Ursprungs,
Ewig sogar der einzelne Baum, denn lange verharret,
Über Jahrhunderte siegend, die Wurzel, das eine Jahrhundert
Einend dem andern: sieh! aus ersterbendem Stamme erhebt sich
Immer siegend ein neuer und dauernd die Kräfte bewahrend.
Venus gefiel es so und es gewährten die Satzung die Parzen,
Welche der Dinge Lauf und des Schicksals Geheimnisse lenken.

Herkules brachte die Hesperidenfrüchte nach Italien, aber Juno verhängte Untergang über sie. Venus selbst musste sie durch der Aeneaden Geschlecht dem Lande von neuem schenken. Nicht überall aber sollten sie gedeihen, nur beglückten Gefilden waren sie bestimmt. Am Gestade des Golfes von Neapel gedenkt der Dichter seiner Heimat am Mincio, welcher aus dem von südlich üppigen Ufern gesäumten Gardasee entspringt. Die Stelle lautet auf deutsch:

An des Benacus Gestade jedoch, in den Buchten der Charis
Heiter erglänzt des Adonis Baum in Fülle der Äste.
Du gewährtest die Gunst, Cytherea, als staunend du hörtest,
Was unter grünenden Weiden Salòs der herrliche Seher
Hellertönend sang von der süßen, heimlichen Liebe,
Zarten Umschlingungen auch und von feuriger Glut des Adonis —
Er, dem Verona gejauchzt und die Stimme der Etsch sich vereinet.
Was er den Vögeln gesungen, der Wald gibt „Adonis“ ihm wieder,
Und der Dione Nymphen, sie schlingen zum Sange den Reihen.
Du auch erneuerst die Spiele, erneuerst die Hochzeitlieder,
Lieblich erschallt es: „Adonis“ hin durch Wälder und Felsen,
„Schöner Adonis“ so klingen die Grotten und Täler es wieder,
„Hierher komm, Adonis, mein süßer Adonis ach! komme.“

Seufzer gesellst du dem sehnenden Ruf und es seufzen mit dir auch
Rings erzitternd die Weiden, mit dir auch die Flüsse und siehe:
Während der Weiden Zweige sich beugen, die Wellen sich wenden,
Wächst Hesperidisches Laub, Hesperidische Frucht auf den Weiden,
Wie du es, dankbar dich ihnen bezeigend, gebietest, o Göttin.
Rings auch die Flüsse sich freuen, von Cyrenäischem Haine
Sich umschattet zu sehn und an neuer Zierde des Hauptes.
Seines Catulls erfreuet sich auch das geschmückte Verona,
Echo jubelt ihm zu in der Berge helltönendem Rückhall,
Und das Gefilde Sirmiones leuchtet von goldenen Birnen.

Auch ein anderer, aber minder inspirierter Poet, der den Gardasee in einem längeren Gedichte gefeiert hat, Georgius Jodocus, wurde durch die Zitronen zur Erfindung eines Mythus aufgefordert. (Georgii Jodoci Benacus, Verona 1546.) Der Gott Benacus begegnet am Gestade der jugendlichen Phyllis, die Rosen und Hyazinthen pflückt. In Liebe entflammt, wirbt er um ihre Gunst und gewinnt sie. Zwei Söhne entstammen dem Bunde, Limone und Grineo. Dem ersten wird vom Vater der Landbau, dem zweiten der Fischfang bestimmt. Die Jünglinge ziehen es aber vor, auf den Bergen die Bären und Wildschweine und Hirsche zu jagen. Limone wird von einem rasenden Eber getötet. Grineo, von Wut entflammt, rächt den Bruder an diesem und ruft klagend die Mutter herbei. Auf deren verzweifeltes Flehen bringt Benacus, obgleich über den Ungehorsam der Söhne entzürnt, durch Kräuter vom Monte Baldo, welche Phyllis gepflückt, Limone wieder zum Leben. Nun folgt Limone dem Gebot und lässt sich vom Vater die Zitronenzucht lehren.

Nicht der Phyllis, sondern der Aphrodite wurde der Hain mit goldenen Früchten in San Vigilio geweiht, und Pontanus musste, wie wir gesehen, den hier sich befreienden Liebesseufzern die Worte verleihen. Wem aber galten diese?

„Nur tot werde ich Flavias vergessen“, lautet die Antwort.

Wenige Schritte führen uns nordwärts zu dem zweiten Portal. Die Inschrift hier geleitet uns wieder ins Paradies:

„En hortius beatior! Huc enim recepti sumus, unde prius ejecti, et pomis iis libere vescimur, quorum morsu dentes obstupuerunt. Hic demum vita, ubi mors. Quid miraris hospes? Fallac tune serpens, fatalis nunc Genius.“

„Siehe den glücklicheren Garten! Denn in ihn, aus dem wir früher vertrieben wurden, sind wir aufgenommen worden, und frei genießen wir die Äpfel, die einst die Zähne beim Biss erstarren machten. Jetzt erst ist Leben, wo einst Tod war. Was staunst du, Gastfreund? Damals herrschte ränkevoll die Schlange, jetzt bestimmt der Genius das Geschick.“

Hier war demnach der Eingang zu einem Garten mit Paradiesapfelbäumen und in diesem Garten, welcher, hinter der nördlichen Mauer des Limonenhaines angelegt, nur noch die alte abgeschlossene Form, aber nicht mehr die Pflanzung zeigt, befand sich ursprünglich das Adamrelief, sowie die Brunneninschrift des Zypressenhügels. Glücklicher Herrscher von San Vigilio! Staunend frägt dein Gast dich, wie es dir gelungen, das Paradies und die Gärten der Hesperiden in deinem Reich zu vereinigen?

Aber gelang dir nicht noch mehr? gewannst du auch den Parnaß für dich? Gegenüber der Paradiesespforte auf der anderen Seite der Straße befindet sich das dritte Portal, welches folgendermaßen spricht:

In Apolline.

Non hic Luculli triclinium; sed Apollo Daphne ac Laura ille salubritate hec virtute locum illustrat illa Jovis avertens fulmina tutum reddit.

Auf Apollo.

Nicht gewahrst du hier des Lucullus Triclinium, sondern Apollo Daphne und Laura. Jener verherrlicht den Ort durch Gesundheit, diese durch Tugend, aber die zweite macht ihn sicher, die Blitze Jupiters ablenkend.

Vergebens sucht man heute hinter dem Tore einen Garten; an dessen Stelle breitet sich Feld mit Olivenbäumen aus. Einst aber wuchsen Lorbeerbäume hier: des Gottes in den Baum verwandelte Geliebte und die Geliebte des von Gott begeisterten Dichters genießen hier gleiche Ehren. Laurus und Laura — das seit Petrarcas Sange von Mund zu Mund fortlebende Wortspiel drängte sich auch dem Herrn dieses Gartens auf. Jener größeren Inschrift fugte er die andere darunter hinzu:

Si Daphnen Lauramque simul vidisset Apollo
Non Daphne Laurus Laura sed ipsa foret.

Auf deutsch:

Hätte Apollo zugleich Daphne und Laura gesehen,
Daphne zum Laurus dann nicht, zur Laura wär’ sie geworden.

Auch jenes früher besprochene Apollorelief befindet sich demnach nicht mehr an seiner alten Stelle, sondern wurde aus diesem Garten an seinen jetzigen Standort gebracht.

Noch heute ist der Lorbeer die besondere Zierde des Sees, wie damals, als die Freunde Martinengos in Entzücken über ihn ausbrachen und sich vom Signor Gapoano erzählen ließen, was es mit diesem Baume doch für eine geheime Bewandtnis habe. Mit folgenden Worten hatte er es dargelegt:

„Wahrlich, meine Herren, dieser göttliche Lorbeer ist so ausgezeichnet und gepriesen, dass es offenkundig ist, er sei von viel edlerer Natur, als alle die anderen Pflanzen. Scheint es doch, dass sein bloßer Anblick die menschlichen Geister entflammt und entzündet, jene Dinge auszusprechen, die ein einfältiger und niedriger Mensch niemals nicht nur nicht zu sagen, sondern nicht einmal sich einzubilden wagen würde. Daher denn die Dichter, die diese übernatürliche Gabe kennen, niemals von seinem schicksalbegünstigten und glückbringenden Schatten sich zu trennen imstande sind, vielmehr wollen sie, damit nicht zufrieden, ihn auch immer in der Hand und um die Stirne geschlungen tragen. So geliebt und begünstigt vom Himmel ist der Lorbeer, dass man niemals davon sagen hörte, ein Blitzstrahl könne ihn treffen oder gar ihn verbrennen, was keinem Baume sonst vergönnt ist. Daher auch der Kaiser Tiberius, weil ihm von den Wahrsagern geraten worden war, er solle sich vor den Blitzen hüten, die ihm nach seines Schicksals Einfluss den Tod drohten, sich, keinen anderen Schutz wissend, einen großen Kranz auf das Haupt setzte, sobald er den Himmel donnern oder grollen hörte, und sich dann ganz sicher wähnte. Einige griechische Autoren schreiben, der Lorbeer besitze eine so besondere und seltene Kraft: wenn man einen Zweig von ihm in der Hand trage, bewirke er, dass, wer ihn hält, gefeit sei gegen nächtliche Angriffe, Giftmischer, Gift und, wie Plinius sagt, auch gegen die Pest, Schlangen und unzählige andere Gefahren; daher die Alten sprichwörtlich zu sagen pflegten: ich trage einen Lorbeerzweig in den Händen, um damit auszudrücken: ich halte mich für gesichert vor jeder Gefahr. Und in solcher Verehrung hält man ihn, dass es nicht erlaubt erschien, mit anderen Blättern die Tempel und die Altäre, namentlich wenn geopfert wurde, zu schmücken, und überall an den ältesten und berühmtesten Tempeln, wie in Delos, in Delphi, auf Zypern, auf dem Berge Helicon und sonst, sah man große laubreiche, herrlich schöne Lorbeeren, deren bloßer Anblick zu wunderbarer Andacht stimmte.“

Im Garten der Venus

Wir setzen unsere Wanderung fort.

Einige andere Inschriften finden wir weiter südlich in die Außenseite der Gartenmauer eingelassen, dort, wo sie sich einem Kirchlein nähert. Die eine feiert Catull, dessen Bildnis uns die Büste eines bartlosen, lorbeerbekränzten Jünglings, die in einer Nische darüber angebracht ist, zeigen soll:

Luxere hic Veneres Cupidinesque
Amissam lepidi Lyram Catulli
Hoc Musae statuere Gratiaeque
Et Nymphae lachrymis piis sacellum.

Auf deutsch:

Venus trauerte hier, mit ihr Cupido,
Dass verstummt des Catull liebliche Leier;
Musen stifteten ihm, Grazien und Nymphen
Dieses Tempelchen hier, fromm ihn beweinend.

Virgil gilt die zweite Gedenktafel, welche auf den Tod des Dichters in Brundusium und den h. Vigilius anspielt:

Mantua me genuit Galabri rapuere tenet nunc
Vigilius cecini pascua rura duces.

Auf deutsch:

Mantua zeugte, es tötet Calabria mich und statt meiner
Herrscht nun Vigil, ich besang Weiden und Land und den Krieg.

Die dritte Inschrift lautet:

Esculapii ac Platonis sepulchrum.
hic animis adhuc medetur ille corporibus jam diu.

Auf deutsch:

Grabmal des Äskulap und des Platon.
Dieser heilet noch immer die Seelen, Leiber heilete jener dereinst.

Worte, deren Cattaneo sich erinnerte, als er jenen Grafen Martinengo, im Begriff, die Freunde zur Fahrt auf dem Gardasee zu ermuntern, ausrufen lässt: „nicht glaube ich, dass Plato oder Äskulap, die, nach der Meinung der Alten, beide Söhne Apollos, von diesem den Sterblichen gesendet waren, auf dass sie, der eine die Leidenschaften der Seele, der andere die Krankheiten des Leibes heilten, uns bessere und wirksamere Heilmittel als die solcher Fahrt geben könnten, für alle Affekte und Störungen, wie sie zu gleicher Zeit und ohne Unterlass unseren Geist und Körper quälen.“

Zu dem Kirchlein, das unmittelbar südlich unter dem Garten gelegen ist, führen von diesem aus zwei Treppen, die eine zum Turmstübchen, die andere zum Chore. Es ist einschiffig, der viereckige Chor mit einem Kreuzgewölbe bedeckt. Die schlichte von zwei korinthischen Pilastern flankierte einfache Fassade ist durch einen Spitzgiebel mit Rundbogenfries abgeschlossen; sie öffnet sich in einer absichtlich altertümlich gebildeten Türe und in einem Rundfenster. Über dem letzteren ist ein kleines Relief, Christus im Grabe, in Nachahmung einer mittelalterlichen Skulptur, darstellend, angebracht, über der Tür die Inschrift:

Huc ades o supplex Christi qui lumine primus
Hasce luit ripas Vigilius colitur.

Auf deutsch:

Komme hierher, der zu Christus du flehst, hier verehrt man Vigilius,
Der Lichtbringend zuerst reinwusch dies Gestade von Sünden.

Die Kapelle hat dem Vorgebirge seinen Namen gegeben. Ihr Stifter wollte dem See die Erinnerung wahren an den ersten Apostel, den Bischof von Trient, der diesen Gegenden das Christentum um 400 gebracht und im Val Rendena, als er eine Statue des Saturn in die Sarca geworfen, von dem empörten Volke gesteinigt worden war.

Nicht sein Bildnis aber, sondern jene Statue des leicht bewegten, schlanken Daniel, der ein Buch und den Zettel: En Somnii explanatio hält, finden wir im Innern des Kirchleins. Ein altes Weihwasserbecken auf einem Säulenstummel spricht auch hier von den antiquarischen Neigungen des Dottore.

Wollen wir den Schutzpatron selbst der Stätte gewahren, müssen wir zu dem Hafen hinabsteigen, an den wir durch ein Thor, das, mit dem Wappen geschmückt, zwischen zwei Gebäuden hindurchführt, gelangen. An dem Hause links ist, außer einem im Giebel angebrachten Frauenkopf, ein größeres Relief im Stile der Adam- und Apollodarstellung gehalten und oben künstlich abgebrochen, in die Wand eingelassen. Wir sehen auf ihm, wie im Beisein des bärtigen Bischof der h. Markus einem Jüngling in einfachem gegürteten Gewand, — es ist die Personifikation des Sees, Benacus — ihn umfangend einen Ring ansteckt. Die Inschrift belehrt uns darüber, dass, wie im Sposalizio del Mare Venedig durch den goldenen Ring mit dem Meere, so hier durch einen silbernen mit dem Gardasee sich vermählt:

Auspicio, Vigil alme, tuo en argentea Marci
Pignora Benaco dantur velut aurea ponto.

Auf deutsch:

Gleichwie dem Meere des Markus goldenes Pfand, o Vigilius,
Wird auf dein güt’ges Geheiß dem Benacus das silberne hier.

Vor dem Gebäude rechts befindet sich ein Postament für eine Statue des Neptunus, von der nur die Beine noch zu sehen sind. Man liest auf ihm die Verse:

Munera durn ferrent Neptuno numina aquarum,
A patre Benaco Carpio missus erat.
Tum dedit allectus dono Deus iste vicissim,
Ut fluctu ac fremitu surgeret aequoreo.

Auf deutsch:

Als dem Neptun darbrachten Geschenke die Götter des Wassers,
Ward ein Carpion ihm gesandt als Gabe vom Vater Benacus.
Durch sie gewonnen, gewährt ihm erwidernd der Gott die Vergünst’gung,
Dass wie mit Wogen des Meers flute und rausche der See.

Der meergleiche See! Des Virgilius Vers:

Fluctibus et fremitu assurgens Benace marino,

klingt wieder. Dachte der Dichter von S. Vigilio aber vielleicht auch an jene älteste uns bekannte kurze Schilderung des Gardasees, welche sich in dem berühmten Briefe Petrarcas an den Papst Urban V. findet? (Epist. Sen. Lib. VII.) Diesen zur Rückkehr nach Italien auffordernd, führt Petrarca zum Beweise, dass selbst Fremde ihre Vorurteile gegen dieses Land abgelegt, wenn sie es gesehen, den Kardinal Guido Portuensis an. „Als wir zum venezianischen See Benacus gelangt und der Kardinal, von einer Schaar nicht nur der Seinigen, sondern italienischer Edler und Ritter umgeben, auf einem kräuterreichen Hügel Halt gemacht hatte und zur Rechten die mitten im Sommer schneebedeckten Alpen und die dem Meere gleiche Flut des sehr tiefen Sees, vor und hinter sich die kleinen Hügel, zur Linken aber die fruchtbare heitere Ebene lange mit den Blicken durchmessen, rief er mich endlich, lebhaften Geistes, beredt und liebenswürdig, wie er ist, bei Namen und sagte, allen vernehmlich: wahrlich, ich muss gestehen, ihr habt ein bei weitem schöneres und besseres Vaterland, als wir!“

Als der Kardinal Guido den träumerisch sinnenden Blick, mit dem er den Zauber des schönen Landes in sich aufnahm, auf den italienischen Dichter und Patrioten zu seiner Seite richtete, da gedachte er des berauschenden Traumes vom Weltherrschertum, von dem befangen die nordischen Könige über jene schneebedeckten Berge in diese lachenden Gefilde herabgezogen waren, und wie er gleich himmelhoch sich türmenden schimmernden Wolken doch in Nichts zerronnen. Er gedachte der Visionen römischer Geistesmacht, welche, kaum dass sie die weltliche Imperatorenidee vernichtet, verweht auch sie, dem Gedächtnis der nach Avignon verschlagenen Päpste entschwunden waren. Nicht aber wusste er, dass dieses Jahrhundert Dantes das Zeitalter der großen italienischen Träumer war und dass ein solcher vor ihm stand, nicht, dass wenigstens einem dieser Gesichte, mochte auch der politische Glaube sich als ein Wahn erweisen, die Zukunft gehörte: dem Gesicht einer künstlerischen Kultur. Nicht konnte er ahnen, dass dieses schöne Land von neuem die Schönheit gestalten sollte, deren verklärendes Licht das Leben jedes Einzelnen durchleuchtete bis in die Träume hinein — seien es auch so wunderliche, wie die des Humanisten von S. Vigiliol
Dieses Kapitel ist Teil des Buches SOMNII EXPLANATIO. Traumbilder vom Gardasee
00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas (Cover)

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas (Cover)

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas

01 Daniel, der prophetische Träumer

01 Daniel, der prophetische Träumer

02 S. Vigilio

02 S. Vigilio

03 Die Villa von S. Vigilio

03 Die Villa von S. Vigilio

04 Der Zypressenhügel in S. Vigilio

04 Der Zypressenhügel in S. Vigilio

05 Relief aus dem Garten des Apollo

05 Relief aus dem Garten des Apollo

06 Im Garten der Venus

06 Im Garten der Venus

07 Blick auf den Monte Baldo. Gemälde von Hans Thoma

07 Blick auf den Monte Baldo. Gemälde von Hans Thoma

08 Blick auf den Gardasee. Gemälde von Hans Thoma

08 Blick auf den Gardasee. Gemälde von Hans Thoma

09 Flavia Rusilla. Gemälde von Palma vecchio in Wien

09 Flavia Rusilla. Gemälde von Palma vecchio in Wien

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