DES GRAFEN FORTUNATO MARTINENGO LUSTFAHRT

In dem blauen Reich des Gardasees Erholung vom Studium und Stadtleben zu suchen, fand sich im August des Jahres 1552 eine Gesellschaft von jüngeren und älteren Männern zusammen. Bei einem Festmahle, welches der junge in Padua studierende Graf Fortunato Martinengo, ein Spross der vornehmsten Familie von Brescia, einigen Kommilitonen und Freunden gab, hatte er den Gedanken eines Ausfluges, wie ihn schon hundert Jahre früher der eifrige Paduaner Inschriftensammler Felice Feliciano in Begleitung des großen Malers Andrea Mantegna und anderer für die Antike Begeisterter unternommen, angeregt und ihn, die Genossen als Gäste einladend, sogleich darauf, noch ehe die Ferien der Universität begonnen hatten und die neuen Rektoren gewählt waren, zu verwirklichen beschlossen. Die Fakultäten der Philosophie, der Rechtsgelehrsamkeit und der Medizin waren durch lebhafte und heitere Geister in dem Wanderverein vertreten, in welchen außerdem noch einige durch edle Bildung ausgezeichnete Kaufleute und ein Edelmann vom Hofe des Fürsten von Salerno aufgenommen wurden. In Salò, der gewerbreichen, lebendigen Stadt, die „von der Königin Salonina“ gegründet wurde, trifft man die Vorbereitungen. Festlich schmückt man eine große Barke, in welche außer Lebensmitteln auch ein „arpicordo“ und viele andere Musikinstrumente, Schachspiele und Spielkarten, lateinische und italienische Bücher und Notenhefte gebracht werden, aus und beginnt in der alle Freuden einer paradiesischen Existenz erweckenden Bucht von Salò, dort wo im Westen die schimmernden Wellen das Brescianer Gebiet bespülen, die Fahrt, die uns von einem Teilnehmer, Silvan Gattaneo von Salò, in seinen „Dodici Giornate“ 1553 geschildert worden ist. An den Ortschaften, welche, im Sonnenlicht gebadet und im Schmucke ihrer Limonen-, Zitronen- und Orangengärten erglänzend, am Fuße steil aufragender Berge sich friedlich hinziehen, vorbei gleitet das Boot. Der sanfte Hauch des Südwindes vermag den Düften, die vom Ufer herüberwallen, nicht zu wehren. Hell lichtet sich die tiefstrahlende Flut, wo von den Höhen herabrauschende klare Bäche sich in sie verlieren. Bald versenkt sich der Blick in die unergründlichen Wassertiefen, bald streift er über die sanft die Bergesabhänge verhüllenden Olivenwaldungen hin, aus deren samtenem Silbergrün goldener Lorbeer und dunkle Zypressen emportauchen. Ein nimmer getrübter Friede, welcher über diesen lächelnden Gestaden schwebt, erfüllt die Seele mit wonnigem Genügen.

So geht die Fahrt mit längerem Verweilen an allen Orten, welche durch Reize der Natur oder geschichtliche Erinnerungen hierzu einladen, längs des Ufers hin. In Maderno und Toscolano, wo der See sich nach Norden zu verengt, werden die Reste der alten römischen hier angenommenen Stadt Benacum, die dann und wann noch das Auge des Schiffers tief unten auf dem Grunde des Sees zu gewahren glaubt, aufgesucht und studiert. Man begleitet die Fischer zum Fang des Carpione und der Trotta, der beiden forellenartigen, dem See eigentümlichen, vielgepriesenen Fische, auf das Wasser hinaus, verbringt eine Nacht in der Felsenwohnung eines Eremiten. Die Mittagsmahlzeiten genießt man unter schattigen Myrthen und Lorbeeren in kühlen Schluchten, die Abendkost unter Limonengebüschen am Ufer angesichts der in Sonnenabendglut leuchtenden Gipfel des Monte Baldo, dessen ungeheure, steil abfallende Masse im Osten den See begrenzt. Noch einmal nimmt die südliche Fülle der Vegetation in Gargnano alle Sinne ein, dann treten an Stelle der heiteren Gelände die nackten, senkrecht in die Flut abfallenden Felsenwände, von deren Höhen Ortschaften und Kirchlein, scheinbar von aller Beziehung zur Welt geschieden, herabschauen. Wie eine Oase nimmt das kleine Limone, dessen geborgene Lage eine reiche Zitronenkultur gestattet, die Wandernden auf; in Campione erkennen sie den Ort, auf den Dante mit den bekannten Versen anspielt, staunen über den brausenden Ponalfall und die kühn an ihm emporgebaute Straße, die ins Val di Ledro führt, und erreichen endlich das stattliche Riva, das, zwischen dräuenden Bergmassen in pfirsichreichem Tale gebettet, der Jurisdiktion des Bischofs von Trient angehört. In dessen schöner, stark befestigter Rocca genießen sie die Gastfreundschaft des Kastellans.


Alle Eindrücke aber von Kultur und Leben, welche die Freunde erhalten, werden der Anlass zu Gesprächen. Ernste Diskussionen über Philosophie, Religion, Geschichte, antike und moderne Sitten, Kunst, Literatur und Sprachen wechseln mit heiteren, an örtliche Erinnerungen anknüpfenden oder frei erfundenen Erzählungen und Schwänken ab, und Graf Fortunato, welchem Herrscherrecht zuerkannt ist, weiß allezeit den Augenblick zu treffen, wenn es genug der „burle“, genug des Dozierens ist, zu welchem sich namentlich die Jünglinge, stolz auf ihre frisch erworbenen antiquarischen Kenntnisse, gerne verführen lassen. Dann greift der eine oder andere auf den Wink des Führers zur Laute oder Viola und zeigt in Sonetten und Kanzonen, dass er, so gut wie jeder wahrhaft Gebildete der Zeit, von Liebe und Schönheit in Petrarcaschen Formen und Bildern zu singen weiß.

Von Riva aus wird die Fahrt an der östlichen Küste längs der steilen Abhänge des Monte Baldo, der „zu den sieben berühmtesten Bergen der Welt gehört“, wieder südwärts fortgesetzt: von Torbole nach Malcesine, dessen altes Kastell die Bewunderung erregt, über Casteletto und Torri nach dem Kap S. Vigilio, in welchem der allmählich absteigende gewaltige Berg, dort wo der See sich meerartig auszubreiten beginnt, südlich im Wasser endet. Der Gapitano von Torri forderte die Gesellschaft auf, bei ihm zu übernachten, aber „der Graf sagte, dass er mit allen seinen Freunden in S. Vigilio von seinem teuersten Freunde, einem Veronesischen Edelmann, einem berühmten und sehr gastfreien Dottore der Rechte erwartet werde, welcher nur, um ihn zu empfangen, nach S. Vigilio gekommen sei, wie er es seinen Freunden gegenüber zu tun pflege.“

„Am Abend trafen wir ein. Mit fröhlichem Antlitz und in der gütigsten Weise vom Doktor und seiner Gesellschaft empfangen, stiegen wir in dem unmittelbar am See gelegenen Gasthof ab und gelangten auf einem schönen und breiten Wege zwischen Lorbeeren und Myrthen und durch viele anmutige und verzierte Gärten von Zitronen, Orangen und Limonen nach seinem höchst vornehmen Palast, welcher auf einem hohen und vortretenden, einen Vorsprung des Monte Baldo bildenden Fels, einer herrlichsten Aussichtswarte gleichsam, von der man fast den ganzen Gardasee überblickt, erbaut ist. Wir traten mit dem Grafen alle in den Palast ein, und der Doktor führte uns, nachdem wir alle Zimmer gesehen, in eine ansehnliche Loggia, in welcher wir lustwandelnd im Paradiese zu sein glaubten, so lieblich war die Luft, so erfrischend die dort immer herrschende Kühle, so bezaubernd der Blick auf die klaren Wasser des ruhigen Sees, als dessen Herrin und Königin jene heitere Loggia erscheint. Und da es schon spät war, setzten wir uns sogleich auf Wunsch des Doktors zur Tafel, die auf das glänzendste zu unseren Ehren hergerichtet war, und man kann nicht fröhlicher sein, als wir es waren.« Vermutlich musste auf Wunsch der Gefährten Messer Federigo die ergötzlichen, auf der Fahrt hierher erzählten Geschichten von dem deutschen Baron, der etwa vierzig Jahre früher auf dem Kastell von Malcesine nicht minder liberale, aber etwas anders geartete Gastfreundschaft gepflegt, wiederholen.

„Zur Zeit als sich gegen unsere Herren fast alle Fürsten Europas verschworen hatten und Venedig seines Besitzes auf dem festen Lande beraubten, den dann freilich schnell genug die Venezianer, die Überlegenheit ihrer Weisheit über unvernünftige, ungestüme und barbarische Kraft bewährend, wieder eroberten, herrschte während kurzer Zeit über dieses unser Land der Kaiser Maximilian von Österreich und gab, da er ein sehr freigebiger Fürst, dieses Kastell zugleich mit dem Territorium von Malcesine und einigen umliegenden Ortschaften einem seiner Barone. Und obgleich dieser, dessen Namen mir nicht mehr einfällt, ein großer Herr in Deutschland war, gefiel es ihm doch, von dem Rufe dieses unseres anmutigsten Sees bewogen, mit seiner Gattin und seiner Familie für einige Zeit sich hier niederzulassen. Und so in glänzender Weise und mit einer großen Zahl von Dienern eintreffend, reichlich mit Silber und Gold versehen, richtete er sich in dieser schönen Burg ein und führte ein seigneuriales und prächtiges Leben, indem er von früh bis abends sich ergötzte, sei es mit Jagd in den Wäldern oder mit Fischfang in des Benacus schönen Fluthen. Und zu diesem Zwecke hielt er an seinem Hofe Hunde und Pferde und Fischer. Es war dieser Herr ein Jüngling von dreißig Jahren, groß und dick, mit rotem Gesicht, rotem Haar und Bart, so dass überall Feuer aus ihm zu lodern schien; er trug im Sommer eine Mütze aus Bärenfell und einen runden Mantel, im Winter Wolfsfelle, was der Wildheit seines Antlitzes, seiner Reden und seiner Sitten ganz entsprach, war aber bei alledem der beste Brigant und der freigebigste und prächtigste Mensch von der Welt. Immer, wenn nur möglich, wollte er zur Tafel Gesellschaft von Edelleuten haben, und war das nicht möglich, so befahl er seinen Untergebenen, denen er eben noch kommandiert hatte, wenigstens an den Festtagen zu ihm auf die Burg zu kommen. Nachdem er mit ihnen die Messe gehört, behielt er sie zu Tische, trieb scherzend und lachend Schwänke mit ihnen, als seien sie seine Gefährten und Brüder; und seine ganze Wonne und Vergnügen war, mit ihnen anzustoßen, und waren fremde Gäste zugegen, so ließ er sie aus einem silbernen Becher trinken, der nur hierfür bestimmt war. Er war verschwenderisch und sehr liebreich, namentlich gegen die Armen, kurz im Besitze vieler tugendhaften Eigenschaften, die ihm die leidenschaftliche Verehrung und Liebe aller seiner Untertanen verschafften, zugleich aber auch ihn fürchten machten, denn er war von Natur so wild und jähzornig, dass er seine Befehle unverzüglich befolgt haben wollte, und wehe denen, die anders gehandelt hätten.“

„Dieser Herr, indem er alle kirchlichen Einkünfte, die unter seiner Jurisdiktion waren, an zehn oder zwölf Priester in Malcesine und den seiner Herrschaft zugehörigen Ortschaften verteilte, beraubte hierdurch einige Kanoniker und andere Edelleute von Verona, die Patrone dieser Benefizien waren, und sie gingen zum Kardinal Gurgense, der damals kaiserlicher Kommissar und Gouverneur in dieser Stadt war, und beklagten sich. Daraufhin sandte der Kardinal einen seiner Haushofmeister zu dem Baron, um mit ihm zu sprechen und ihn zu ermahnen, von solchen Tollheiten abzustehen und sich nur um das, was ihn anginge, nämlich das Weltliche, nicht das Geistliche, zu kümmern. Unverzüglich eilte der Haushofmeister zu ihm und richtete ihm die Botschaft des Kardinals aus; jener aber antwortete ihm, der Kaiser habe ihn an diesem Orte zum absoluten Herrn gemacht und weder der Kardinal noch irgend ein anderer, außer dem Kaiser, könne ihm befehlen, und dabei blieb er bis zur Ankunft des Kaisers, die vier Monate später stattfand.“

„Nicht nur aber, dass er kirchliche Benefizien, an wen es ihm gefiel, übertrug und vergab, er schied auch Ehen, und welcher Ehemann oder Ehefrau nur immer vor ihm erschienen und sich übereinander beklagten, waren sie nur beide darüber unter sich einig, die schied er, ließ der Frau die Mitgift zurückgeben und bestimmte, dass die Kinder, wenn solche da waren, vom Vater zu sich genommen und auf seine Kosten erhalten würden. Wahr aber ist es, dass er zuerst immer die Gründe der beiden Parteien hören wollte, und schienen die ihm einigermaßen überzeugend und vernünftig, dann machte er keinen weiteren Prozess, sondern führte sie in die Kirche und, sobald er angehört, was sie zu ihren Gunsten und zu ihrer Verteidigung zu sagen hatten, schied er sie unverzüglich, indem er sie, den Mann aus der einen Türe der Kirche, die Frau aus einer anderen hinausgehen hieß. In seiner Gegenwart aber musste die Mitgift der Frau wiedererstattet werden. Schon hatte er mehr als dreißig Ehen geschieden, da kam dies dem Kaiser, der in Verona war, zu Ohren und er ließ ihn zu sich befehlen. In Gegenwart vieler Fürsten und Herren des Hofes, auch vieler Edelleute aus der Stadt, die solche Neuigkeiten zu hören zusammengekommen waren, frug Seine Majestät ihn nach dem Grunde solcher Tollheiten und ungläubiger, diabolischer Anmaßungen und fuhr ihn dann, als die Rede auf die Ehescheidungen kam, in Latein, wie es des Kaisers Gewohnheit war, an: Kennst du, leichtfertiger Mensch, denn nicht jenes heiligste Gebot, welches sagt: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden? Da antwortete, keineswegs bestürzt, sondern beherzt auf Latein jener Burgherr: Geweihtester Kaiser! die ich geschieden, die hatte nicht Gott, sondern der Teufel zusammengefügt. Als der Kaiser, der ein sehr launiger Herr war, diese Antwort hörte, konnte er, obgleich erregt, das Lachen nicht an sich halten, so wenig wie alle seine Fürsten und Barone, und ließ ihn für diesmal frei ausgehen, befahl ihm aber, so lieb ihm seine Gnade wäre, solle er in Zukunft sich in geistliche und heilige Dinge nicht mehr mischen.“

„Oft, wenn er in seinem Saale, einem hohen Fenster, das auf den See hinausging, gegenüber, an der Tafel saß, erhob er sich, sobald er ein Boot vorbeifahren sah, und lud, seinen großen Silberbecher in der Hand, mit einer furchtbaren, schallenden Stimme die darin Sitzenden mit ihm zu trinken ein, und oft folgten diese dem Rufe und gingen ans Land und tranken und aßen, gern und liebevoll willkommen geheißen, mit ihm.“

Mit solchen und gar manchen anderen Gesprächen ward das Mahl bei dem Wirte von S. Vigilio, „dem besten Gesellschafter von der Welt“, gewürzt. Dann, als alle Diener verschwunden waren, sangen während einer guten Weile der Herr von Gapua zur Leier und Messer Federigo zur Laute einige von ihren Liebesgedichten.

Hierauf wandte sich, zur Lyra singend, der Signor Capoano mit folgenden Versen dem Monte Baldo zu:

Der Berge König, stolz in Höhen ragend,
Der über Alpen du und Taurus siegst
Und nicht in einem Quell den heil’gen Fuß
Dir badest, nein, in inselreichem See,
Wie gerne schau’ ich auf zu deinem Antlitz,
Zur grünen Seite, die sich sanft dir rundet!
Zu preisen dich, wohl müht sich mein Verlangen,
Doch ach! was ich auch sage, wie genügt es?

Wohl darfst, berühmter Berg, du stolz dich recken,
Denn an dem schönsten Fleck Italiens herrschst du
Und überschaust nicht nur die Adria
Und das Tirrhen’sche Meer, nein, auch die Ebnen,
Die sich vom schatt’gen Apennin bis Frankreich
Hinziehen und zur kriegerischen Schweiz,
Und zwischen Deutschland und Italien stehst du,
Wie Jupiter Halbgötter überragt.

In deinem Busen birgst du reiche Schätze:
Kastelle, Dörfer, Waldungen und Hügel,
Und übertriffst an Triften und Oliven
Die früchtereichen Fluren selbst Toskanas;
In Fülle Flüsse, Wiesen, reine Quellen
Besitzst du, und ich nenne blöd die Augen,
Die deiner Sonne helles Licht nicht sehn,
Dem ich die dir geweihten Worte danke.

Und unter all’ den teuren, schönen Schätzen,
Die Schönen dich in Stolz sich brüsten machen,
Ist, was am meisten dich erhebt und ehrt,
Doch deine Tochter, würdig hoher Herrschaft
Mit dem Benacus, ihrem Bruder, beide
Belasten dich mit Ruhm und wahrem Werte,
Denn heitrer gibt es keine Stadt noch See
Auf Erden als Verona und Benacus.

Von ihnen stammen so viel helle Leuchten,

Durch Waffen und durch Schriften ruhmeswürdig
Und durch der Rede nie versiegten Strom,
Dass von der Welt sie nicht allein bewundert,
Nein, Göttern und Idolen gleich, verehrt,
Was Wenigen der Himmel und das Schicksal gönnt
Wohl darf des Dichters Wort es kühn verkünden:
Auch sie sind deine Söhne, Monte Baldo!

„Von Allen wurde der Signor Capoano gelobt und sehr bedankt, sonderlich von dem Doktor, dass er so schön und würdig seinen Monte Baldo gepriesen, über welchen unsere Gesellschaft noch eine Weile zu seinen Ehren sich ausließ. Da aber ein guter Teil der Nacht schon vergangen, ohne dass man es bemerkt, obgleich die Diener bereits vor geraumer Zeit viele Lichter herbeigebracht und in der schönen Loggia, deren stolze Wirkung erhöhend, an verschiedenen Stellen befestigt hatten, so nahmen wir von dem Dottore Abschied, begleiteten, von unseren die Lichter haltenden Dienern geführt, den Graf zu seinem Zimmer und gingen alle heiter zur Ruhe.“

„Am Abend hatte der Graf dem Barcarolo befohlen, schon ganz früh am Morgen uns zu wecken, da wir unter uns abgemacht hatten, in Peschiera zu frühstücken und den Tag dann in Sirmione zu verbringen, wo wir von einem uns befreundeten Fischer, der von uns bereits benachrichtigt und mit dem Nötigen versehen war, zum Abendessen erwartet wurden! Um nun seine Schuldigkeit nicht zu versäumen, weckte uns dieser Schiffer beim Morgengrauen vom Hofe des Palastes aus mit so aufdringlichem und entsetzlichem Geschrei, dass alle, welche die Ursache des bestialischen Geheules nicht wussten und dazu alle noch halb schlaftrunken waren, des festen Glaubens waren, es sei unversehens Feuer im Hause ausgebrochen oder man riefe ihnen zu, wegen irgend eines anderen plötzlichen Unglücksereignisses zu fliehen. Der Dottore und viele andere stürzten erschreckt im Hemde auf .den Hof, um die Ursache des Geschreies dieses Besessenen zu erfahren, und auch der Graf und einige von uns, selbst durch das plötzliche Aufgeschrecktwerden aus dem Schlaf einigermaßen bestürzt, obgleich wir darum wussten, eilten, nur halb angezogen, von der Treppe herab. Und da fanden wir den Dottore mitten im Hof und einige, die über den heiteren Ausgang des Schreckes laut lachten, und so war das ganze Kollegium beisammen. Noch lange lachten und unterhielten wir uns über den Vorfall.“

„Indessen nun aber der Barcarolo die Barke in Stand setzte und die Diener unsere Sachen in sie trugen, führte uns der Dottore in einen schönen, kleinen Zitronengarten, welcher ganz in Laubgänge dieser göttlichen Bäume eingeteilt war. Hier zogen wir, lustwandelnd, unsere Kleider vollends an und wollten, gekleidet und gewaschen, vom Dottore Abschied nehmen, um abzufahren, als dieser sich sehr bei dem Grafen und dann auch bei jedem von uns über unsere so schnelle und plötzliche Abreise beklagte. Er sagte, er habe eine schöne Jagdpartie, nur wenig entfernt, auf dem Berge angeordnet; dort hätten seine Arbeiter vor wenigen Tagen einige Böcke gesehen, die wir ohne Zweifel, zu unserem größten Vergnügen, erbeuten würden. Und wenn uns dies nicht behagt hätte, so würde er uns, falls es uns gefiele, wenigstens jenen Tag noch bei ihm zu verweilen, entweder zum Fischfang geführt haben oder zu Pferde — deren er sehr gute in seinem Stalle hatte — nach dem schönen Gestade, das sich sechs oder sieben Miglien weit von S. Vigilio nach Lazise erstreckt. Dort, sagte er, würden wir mit mehr Bequemlichkeit, als im Boote, Garda, Bardolino, Cisano und Lazise sehen, alle am Ufer des Sees gelegen und voneinander gleich weit entfernt, geschmückt mit vielen vornehmen Palästen veronesischer Edelleute und anderer Freunde von ihm; und Gärten, Fischmärkte, weite, ansehnliche Wiesen mit üppiger Fülle fruchtreicher Bäume und frischester Brunnen. Auch fügte dieser gastfreundliche Edelmann hinzu, dass, falls es uns gefiele, zu unserer Belustigung jene anmutigen Hügel und in Oliven versteckten Villen oberhalb Gardas und Bardolinos zu besuchen, er uns in liebenswürdigster Weise Gesellschaft leisten und uns dort so viele Feigenbäume und Weinstöcke, aus deren schmackhaften Trauben die Bauern den Vernaccia bereiten, zeigen wolle, dass wir selbst gestehen würden, nirgendwo jemals eine solche Fülle und Glückseligkeit von Bäumen und Früchten gesehen zu haben. Für diese liebevollen Anerbietungen dankten der Graf und jeder von uns, mit unserer Pflicht, möglichst schnell zu unseren im Stich gelassenen Studien zurückzukehren, uns entschuldigend so sehr, wie nur immer herzliche Worte es vermögen. Da er unseren Entschluss sah, begleitete er uns hierauf zur Barke und nach einem nochmaligen Lebewohl richteten wir unsere Fahrt auf Lazise zu.“

Sie kommen an Garda vorbei und sehen auf der Bergesspitze darüber die alte Burg, „in der, wie es heißt, eine Königin lange gefangen gehalten wurde.“ Dass diese Königin Lothars Witwe, die spätere Gemahlin Ottos I., Adelheid, die in die Gewalt Berengars II. gekommen, gewesen, wussten sie nicht. Auch wussten sie nichts von der älteren Mär: von der Heidin, die König Ortnit, der Lamparter, gefreit und nach „Garten“ gebracht, und die dort oben, nachdem der Wurm den Helden getötet, der Freiheit beraubt ward:

noch lebt auf Garte in Jammer die arme Kunigein.

Auch nichts vom Wolfdietrich, wie er zum Turm kam und sie klagen hörte:

Sy klaget jämmerlichen, ir clage die was gros:
nun bin ich hie zu Garte vil maniger Freuden plos!
hymelischer Kayser, was hat ich dir getan?
daz du mich hast geschaiden von meinem lieben man.

Der gewan mich mit noeten verre in der hayden land;
alle meine mage sint mir vil unbekant;
ich was ein haydeninne, und er ein Cristenman,
wan ich durch seinen willen den rainen tauft gewan.

Nu mus ich mich sein anen, das vil ich klagen Crist,
der ob aller weite vil gar gewaltig ist.

Und wie Wolfdietrich den Wurm erschlagen und die Königin gefreit.
Dann erscheint Peschiera mit seiner starken Festung, wo die
Gesellschaft sich der Verse Dantes (Inf. 20, 70—78) erinnert

Siede Peschiera bello e forte arnese
Da fronteggiar Bresciani e Bergamaschi,
Onde la riva intorno più discese.
Ivi convien, che tutto quanto caschi
Giò, che ’n grembo a Benaco star non può
E fassi fiume giù pe’ verdi paschi:
Tosto, che l’acqua a correr mette co’
non più Benaco, ma Mincio si chiama
Fin a Governo, dove cade in Pò.

Auf deutsch:

Ein schönes, starkes Bollwerk, droht Peschiera
Mit seiner Stirn so Bergamo wie Brescia,
Dort wo des Sees Gestade eben wird.
Hier sammelt sich zum Ausfluss alles Wasser,
Was des Benacus Schoß nicht in sich fasst,
Und wird zum Fluss, durch grüne Auen ziehend:
Kaum aber hat zu laufen es begonnen,
Heißt’s nicht Benacus mehr, nein Mincio nun
Bis zu Governo, wo im Po es mündet.

Von dort fährt man nach Sirmione hinüber.

Hier wird in den alten Ruinen, den „Grotten“, das Andenken des Catullus gefeiert. „Einige meinen, ein römischer Kaiser habe dieses große und prunkhafte Gebäude errichtet; andere wollen wissen, dass Catull, der berühmte und hochedle Dichter, hier geboren und auferzogen, es gewesen sei, der zu seiner Bequemlichkeit und zugleich zur Verherrlichung und zum Gedächtnis der Liebe und Verehrung für seine süße Heimat nach einer seiner langen Reisen diesen stolzesten Palast erbaut und dass er es gekonnt, da er sehr reich war und bei Cäsar Augustus hochangesehen, der ihn als einen so würdigen und ausgezeichneten Dichter liebte und beständig beschenkte. Und dass dies wahr sei, zeigt, sagen jene, die Ode, welche beginnt: „o fundeo noster Tiburs“ und Sabino sowie zwei seiner Villen in den besten und fruchtbarsten Gegenden bei Rom erwähnt. Weshalb also hätte er nicht auch diese noch mit größeren Kosten erbauen können? Er, der zwei vortreffliche Villen und einen Palast in Rom besaß und was noch mehr bedeutet, die Huld eines so großen Kaisers, der ihm auch die Halbinsel Sirmio schenkte!“

Und „die göttlichste der Canzonen Catulls“ erklingt:

O Sirmio, Augenstern du unter den Inseln
Und Halbinseln, so viel deren heget Neptun
In Ost und West, in klaren Seen und im Meere,
Wie freudig dich zu schauen, kehre zurück ich!
Kaum kann ichs glauben, dass, Bithynien entronnen,
Wie auch der Thynier Land, ich heil dich begrüße.
O was ist sel’ger als, von Sorgen befreiet,
Wenn unser Geist die Bürde fremder Verpflichtung
Von sich getan, zum eignen Herd zu gelangen,
Auf lang ersehntem Lager Ruhe zu finden —
Nur dieses ist’s, was so viel Mühen belohnet.
Heil Sirmio holde dir! erfreu’ dich des Herren,
Freut euch auch ihr, des Sees nie rastende Wellen,
Und all’ ihr Scherze meines Hauses, lachet, o lachet!

Der Herr von Capua weiß hinzuzufügen, dass ihm in Neapel ein Edelmann erzählte, er habe in einer Zeichnung von der Hand des großen Architekten Bramante eine vollständige Rekonstruktion dieser Ruinen gesehen, den großartigsten Bau, von dem er jemals gehört. Messer Federigo aber erinnert sich eines phantastischen Epigrammes, dessen Inhalt er kurz folgendermaßen angibt: Catull war gewohnt auf einer hohen Loggia dieses Palastes seine göttlichen Verse zu schreiben, und wenn ihm einige nicht gefielen, so zerriss er sie in viele Stücke und warf sie in den See. Da sie aber von leichtem Papier waren und in kleine Theile zerstückelt, so trug sie der Wind verstreut hierhin und dorthin, und Apollo, der dies sah, verwandelte sie aus Bedauern über den Verlust so edler und göttlicher Konzeptionen in Fische: die Epigramme in Carpioni, die Oden in Trotte, die Elegien in Sardellen, Aale, Schleien und dergleichen und die Distichen, Tetrastichen und ähnliche kurze Gedichte in andere kleine Fische. Ein Einfall, würdig des launigen Mantuaner Mönches und Dichters Teofilo Folengo, genannt Merlinus Goccajus, der, den Freunden wohlbekannt, in seinen Macaroneen der Erfinder der drolligen Mischsprache von Latein und Italienisch ward und auf der Halbinsel von Sirmione nach einem guten Mahle an eine seiner Phantasiefiguren, den Betrüger und Dieb Cingar, folgendes Epigramm richtete:

Quam bene disposuit cunctis natura facendis
Cingar, vin causam? disce, quod ipse feram.
Est laccus Italiae Benaccum Brixia clamat,
Utilior reliquis, fertiliorque lacis.
Avantazati pisces mangiantur ab illo,
Sardenae, Anguillae, Carpio, Tenca, Truttae.
Sed quid palladio piscis valet absque liquore?
Ex oleo pisces nonne padella coquit?
Ergo per intornum ripae densantur olivis,
Insulaque in mediis Sirmio possat aquis.
Nascitur hic oleum, piscis, piscator, et ipsas
Padellas ferro Briscia dives habet.

(Opus Merlini Cocaji Macaronicorum. Amsterdam 1692. S. 419.)

Auf deutsch:

Willst du wissen, o Cingar, wie gut es in allen Dingen
Angeordnet Natur? Lern’ es, ich will es dir sagen.
Siehe! Es gibt einen See, den Brescia Benacus nennet,
Nutzen und Früchte er trägt, mehr als die anderen Seen.
Fische isst man aus ihm von ganz besonderem Werte:
Aale, Sardinen, Carpioni und Trotte und Schleien.
Aber was taugt wohl ein Fisch, der des Saftes der Pallas ermangelt?
Kocht in der Pfanne man nicht Fische im reinlichen Öl?
Siehe! Deshalb sind die Ufer ringsum von Oliven bewaldet,
Strebt in das Wasser hinein Sirmios Inselgebild.

Alles wächst hier zugleich: das Öl und der Fisch und der Fischer, Und die Pfannen erzeugt Brescia, an Eisen gesegnet.

Von Sirmione fahren die heiteren Genossen hinüber zum westlichen Gestade des Sees. Sie besuchen den schroff ragenden Fels von Manerba im Gedenken eines einst hier befindlichen Minervatempels, das in der Nähe liegende Landhaus des Silvan Cattaneo, Belgiojoso, und die Insel Lecchi, wo sie von den Franziskanermönchen freundlich aufgenommen werden. Noch einmal atmet der Blick und die Seele von hier aus die ganze Schönheit des Sees ein, dann geht es hinüber nach Salò, wo die glückselige Fahrt beschlossen wird.

Aus dem Reiche der Gardaträume kehrten der Graf Fortunato Martinengo und seine Freunde wieder zu ihren Studien nach Padua zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches SOMNII EXPLANATIO. Traumbilder vom Gardasee
00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas (Cover)

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas (Cover)

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas

00 Der Genius des Gardasees - Nach einem Steindruck von Hans Thomas

01 Daniel, der prophetische Träumer

01 Daniel, der prophetische Träumer

02 S. Vigilio

02 S. Vigilio

03 Die Villa von S. Vigilio

03 Die Villa von S. Vigilio

04 Der Zypressenhügel in S. Vigilio

04 Der Zypressenhügel in S. Vigilio

05 Relief aus dem Garten des Apollo

05 Relief aus dem Garten des Apollo

06 Im Garten der Venus

06 Im Garten der Venus

07 Blick auf den Monte Baldo. Gemälde von Hans Thoma

07 Blick auf den Monte Baldo. Gemälde von Hans Thoma

08 Blick auf den Gardasee. Gemälde von Hans Thoma

08 Blick auf den Gardasee. Gemälde von Hans Thoma

09 Flavia Rusilla. Gemälde von Palma vecchio in Wien

09 Flavia Rusilla. Gemälde von Palma vecchio in Wien

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