Die Reise Katharinas II. nach Südrussland im Jahre 1787.

Zweimal hat während der Regierung der Kaiserin Katharina die orientalische Frage, vorzugsweise von Russland auf dem Wege der Eroberungspolitik angeregt, Europa beschäftigt. In zwei Kriegen haben die Pforte und Russland mit einander gerungen und beide endeten mit nicht unbeträchtlichen Erfolgen für Russland. Hatte schon der Frieden von Kutschuk-Kainardschi der letzteren Macht bedeutende Vorteile geboten, so erfolgte einige Jahre später, mitten im Frieden, die Annexion der Krim, welche sowohl die Türkei als auch Europa über die ferneren Absichten Russlands wohl kaum in Zweifel lassen konnte. Es war wie ein permanenter Kriegszustand. Wenn der Türkei nicht noch fernere Verluste an Gebietsteilen bevorstehen sollten, so musste sie sich zu einem Kriege gegen Russland aufraffen.

Ein Blick auf die Karte zeigt, wie systematisch Russland vorgedrungen war. Unter der Kaiserin Anna wurde im Jahre 1739 die Schleifung der türkischen Festung Asow und die Erwerbung eines Gebiets zwischen dem Bug und dem Donez erlangt. Unter der Kaiserin Elisabeth schreitet die Kolonisation Neurusslands vor, das zum Teil den Namen Neu-Serbien erhält, von den dorthin übergesiedelten Serben. Im Frieden von Kutschuk-Kainardschi (1774) wurden die Tataren der Krim, der Budshak-Tatarei und im Kuban unabhängig; Russland erwarb Asow, Kertsch, Jenikale, Kinburn, das Recht der freien Schifffahrt durch die Dardanellen, das Recht der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Pforte zu Gunsten der rechtgläubigen Untertanen des Sultans. Das griechische Projekt tauchte auf: Russland hoffte die Balkanhalbinsel in eine Secundogenitur für den Großfürsten Konstantin verwandeln zu können. Russlands hochfliegende Entwürfe wurden immer drohender; die Krim wurde erworben: der Hafen von Ssewastopol bedrohte die türkische Hauptstadt; eine russische Flotte erschien auf dem Schwarzen Meere.


*) Der Verfasser behandelte denselben Gegenstand in russischer Sprache im Juliheft (1872) des „Journal des Ministeriums der Volksaufklärung."

Weder die Pforte noch das westliche Europa konnten geneigt sein, ein so erfolgreiches Fortschreiten der russischen Politik gleichgültig anzusehen. Es war natürlich, wenn die Türkei, von ihren westmächtlichen Bundesgenossen und Ratgebern angefeuert, sich zu einem Kriege gegen Russland entschloss. Es galt, die Krim wiederzuerobern. Russlands Demonstrationen und unzweideutige Entwürfe konnten jede Übereinkunft, jeden Friedensschluss, jede Grenzregulierung nur als ein Provisorium erscheinen lassen. So schlimm es in der Türkei selbst aussah, so gering auch die Mittel waren, über welche sie verfügte, so vielen Schwankungen, selbst die Freundschaft und Unterstützung der Westmächte unterworfen sein mochten — im Jahre 1787 wagte der Sultan es doch wieder einmal, der großen Kaiserin den Fehdehandschuh hinzuwerfen, den russischen Gesandten in die Sieben Türme einsperren zu lassen, mit Heer und Flotte zu dem ungleichen Kampfe auszurücken.

Gerade in die Zeit, als derartige Entschließungen in Konstantinopel reiften, fällt jene vielbesprochene Reise der Kaiserin Katharina in den Süden, welche, als politische Demonstration, den Ausbruch des Krieges wesentlich entscheiden half. — Die Kaiserin unternahm mit ihrem Hofstaat, mit ihren Ministern, mit den Gesandten der auswärtigen Mächte, Englands, Frankreichs, Österreichs eine Vergnügungsfahrt nach Chersson, welches damals einen gewaltigen Kriegshafen vorstellte, in die Krim, wo Baghtschissarai, die ehemalige Hauptstadt der Tatarchane, der Kaiserin zu Füßen lag, wo Ssewastopol, der schönste Hafen der Welt, als ein Brückenkopf erschien, um hinüberzuschreiten nach Byzanz, — zum Schwarzen Meere, auf dessen Wogen bereits eine ansehnliche Kriegsflotte bereit war, die Feuerprobe zu bestehen im Kampfe mit den Türken. Die Reise war eine politische Aktion und zugleich eine Lustpartie von Fürsten und Staatsmännern, ein diplomatischer Kongress von Schöngeistern und Salonmenschen, Scherz und Ernst vereinigend, ein Feuerwerk zur Erheiterung und zugleich eine Gewitterwolke, die den nahenden Sturm verkündete, der launige Einfall einer geistreichen und liebenswürdigen Fürstin und zugleich der gewaltige Ausdruck jener eroberungssüchtigen, stolzen Politik, welche Russland und insbesondere die Regierung Katharinas auszeichnete und so oft schon den Westen in Bestürzung versetzt hatte.

Der Darstellung dieser Reise sind die folgenden Blätter gewidmet. Es sind zu derselben zu einem großen Teile Briefe und Aktenstücke verwandt worden, welche erst in der letzten Zeit bekannt geworden sind. Das von dem Geheimschreiber der Kaiserin, Chrapowitzki, für die Veröffentlichung in den offiziellen Tagesblättern jener Zeit bestimmte Reisetagebuch ist bereits im Anfang des laufenden Jahrhunderts von den Biographen Katharinas, Kolotow und Lefort, ihrer Darstellung dieser Reise zu Grunde gelegt worden und enthält nur mehr ein trockenes Referat über die Empfangsfeierlichkeiten und Lustbarkeiten während der Reise, über die während derselben von der Kaiserin erteilten Audienzen, bewilligten Belohnungen und gespendeten Wohltaten. — Von unvergleichlich größerem Interesse sind die bereits in der von Smirdin herausgegebenen Sammlung der Schriften Katharinas enthaltenen, so wie in neuerer Zeit in den Editionen der Moskauer Gesellschaft für Geschichte und Altertümer Russlands, in den historischen Zeitschriften „Russisches Archiv" und „Russlands Vorzeit" abgedruckten Briefe der Kaiserin und anderer Mitreisenden. — Sehr lehrreich sind die von Alfred von Ameth herausgegebenen Briefe Josephs II., unter denen namentlich die an den Feldmarschall Lacy gerichteten höchst interessante Angaben über die Reise und die russischen Zustände in der Krim enthalten. — Von Witz und Laune sprudelnd sind die Briefe des Fürsten von Ligne, welcher ja ebenfalls zu der Gruppe dieser weltberühmten Touristen gehörte. — Einige nicht unwichtige Bemerkungen finden sich in den vor mehreren Jahren herausgegebenen privaten tagebuchartigen Aufzeichnungen des oben erwähnten Sekretärs der Kaiserin, Chrapowitzki. — Eine sehr ansprechende Schilderung der Reise findet sich bekanntlich in den Memoiren des französischen Gesandten, Grafen Ségur. Von dem unmittelbarsten Einfluss auf die in der historischen Literatur über diese Reise herrschenden Vorstellungen war die in Archenholtz' „Minerva" bereits im vergangenen Jahrhundert erschienene, von dem Legationssekretär der sächsischen Gesandtschaft, Helbig, herrührende Biographie Potemkins, welche als fast alleinige Quelle für die Darstellung dieser Vorgänge von Schlosser, Herrmann, Blum benutzt worden. — Wir sind im Stande, auf Grund mancher minder bekannten und neuerdings in russischen Zeitschriften enthaltenen historischen Materialien jene früheren Darstellungen zu ergänzen und hier und da zu berichtigen.
Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Reiterstandbild Peter I.

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Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

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Russischer Geistlicher

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Zar Peter der Grosse

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Armenisches Büffelgespann

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Tarantaß - Russlands Postkutsche

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