Erste Fortsetzung

Bereits einige Jahre vor der Reise ist von einem solchen Vorhaben in den maßgebenden Kreisen die Rede gewesen. Aus dem von Alfred von Arneth vor wenigen Jahren herausgegebenen Briefwechsel zwischen Katharina II. und Joseph II. ist zu ersehen, dass bereits bei Gelegenheit der Zusammenkunft Beider im Jahre 1780 ein solches Vorhaben in Aussicht genommen worden war. Katharina erinnerte wiederholt den „Grafen Falkenstein" (Joseph) an das ihr damals gegebene Versprechen, einer Einladung nach Chersson zu folgen. Die Einzelheiten des Reiseentwurfs scheinen im Jahre 1784 festgestellt worden zu sein. In einer Instruktion des Fürsten Potemkin an den Brigadier Sinelnikow vom 13. Oktober 1784 finden sich die Vorschriften über die Anzahl der Pferde, welche für den Fall einer solchen Reise auf allen Stationen bereit gehalten werden sollten, über die Haltepunkte, an welchen die Reisenden ihre Mahlzeiten einzunehmen hätten, über die Paläste, welche nach einem dieser Instruktion beigefügten Plane aufgeführt werden sollten, über die für das Gefolge der Kaiserin in den verschiedenen Städten vorzubereitenden Wohnungen u. dgl. m.. Auch aus einem Briefe der Kaiserin an Zimmermann vom 1. Juli 1787 darf man schließen, dass sie sich bereits ein paar Jahre vor der Reise mit dem Gedanken an dieselbe beschäftigt habe. Sie schreibt nämlich, sie begreife nicht, warum so viel Gutes und Schlimmes von dieser Reise gesprochen werde: dieselbe sei schon vor drei Jahren zu dem Zwecke entworfen worden, einen Anfall von Hypochondrie zu heilen, doch sei der letztere durch die Lektüre von Zimmermanns Buch über die Einsamkeit, dessen zweite Ausgabe in jene Zeit fällt, völlig gehoben worden.

Im Juni 1784 starb der Günstling der Kaiserin, Lanskoi. In seine Stellung trat bald darauf Alexander Petrowitsch Jermolow. Er bekleidete dieselbe von Anfang 1785 bis Juli 1786, worauf er von dem Grafen A. M. Dmitrijew-Mamonow abgelöst wurde. Nun berichtet Helbig, der Verfasser der in Archenholtz' „Minerva" erschienenen Biographie des Fürsten Potemkin, Jermolow habe, um dem Fürsten Potemkin in der Meinung der Kaiserin zu schaden, die Kaiserin überredet, eine Reise in den Süden zu unternehmen und sich auf diese Weise persönlich über den Misserfolg der Verwaltung des Fürsten zu unterrichten. Ein anderer Zeitgenosse berichtet) Potemkin habe im Hinblick auf die bevorstehende Reise der Kaiserin im Jahre 1784 einen sehr tüchtigen Verwaltungsbeamten, Tutolmin, aus dem Süden, wo derselbe mit großem Erfolge tätig war, nach Archangelsk versetzt, um die Erkenntlichkeit der Kaiserin, wenn sie selbst kam und befriedigt erschien, mit Niemand teilen zu müssen.


Auch im Frühling des Jahres 1786 finden wir die Kaiserin mit Vorbereitungen für die Reise beschäftigt. Sie schrieb am 2. März an den Polizeimeister von Moskau, Archarow, von ihrem Vorhaben, zu Anfang des Jahres 1787 einige Gouvernements zu bereisen und teilte ihm die Einzelheiten der Reiseroute mit6. Am 13. März 1786 erließ der Senat einen Befehl an den Fürsten Potemkin, eine gehörige Anzahl Pferde für die Reise der Kaiserin bereit zu halten, die Orte, an welchen gerastet werden sollte, in Stand setzen zu lassen u. s. w. Im August 1786 benachrichtigte die Kaiserin den Kaiser Joseph von ihrem Vorhaben und lud ihn ein, mit ihr in Südrussland zusammenzutreffen. Im Oktober schrieb sie an Zimmermann, sie gedenke im Januar in die Krim zu reisen; im Dezember erwähnt sie in einem Brief an denselben, sie hoffe im Juni von ihrem Ausflug zurückgekehrt zu sein.

Es war begreiflich, wenn die Kaiserin den Wunsch fasste, sich durch den Augenschein von den Erfolgen der administrativen Tätigkeit Potemkins im Süden zu überzeugen. Die zahlreichen Gegner des Fürsten hatten viel Ungünstiges darüber berichtet und hervorgehoben, dass die ungeheuren Summen, welche Potemkins Verwaltung kostete, als weggeworfen zu betrachten seien. Man hatte der Kaiserin vorgestellt, dass selbst die Annexion der Krim so bedeutender Geldopfer nicht wert sei. Jetzt gedachte sie selbst über die Sachlage zu urteilen. In einer Unterredung mit dem französischen Gesandten, dem Grafen Ségur, bemerkte Katharina indessen, sie reise nicht zu dem Zwecke, um Städte und Provinzen zu sehen, welche ihr durch Pläne und Ansichten recht wohl bekannt seien, sondern um Menschen zu sehen und ihnen Gelegenheit zu geben, die Kaiserin zu sehen, sich ihr zu nähern, ihre Klagen vorzubringen; dadurch sollten dann viele Missstände, Ungerechtigkeiten und Mängel abgestellt werden. Sie meinte, allein das Gerücht von einer bevorstehenden derartigen Reise sei geeignet, eine Verbesserung der Lage herbeizuführen. Die Medaille, welche sie zur Erinnerung an diese Reise schlagen ließ und welche auf der Rückseite die Karte Russlands aufweist, trägt auf der Vorderseite die Inschrift „Reise zum Nutzen“. Die Kaiserin hoffte durch eine solche Reise ihrem Lande, ihren Untertanen zu nützen.

Potemkin seinerseits mochte diese Reise der Kaiserin lebhaft wünschen. Hier bot sich ihm eine willkommene Gelegenheit, über seine Feinde zu triumphieren, die Grundlosigkeit der über seine Administration verbreiteten ungünstigen Gerüchte zu beweisen. Er gedachte der Kaiserin den ganzen Süden, die neuerworbene Provinz im allergünstigsten Lichte zu zeigen. Der Reichtum und die Produktivität der Steppengegenden, die rasche Entwicklung der neuangelegten Städte, die große Menge der Kriegsvorräte, die Stärke der neugebauten Festungen, die ausgezeichnete Haltung der Truppen, die strategische Bedeutung der neuen Seehäfen, der Zauber der südlichen Natur der taiirischen Halbinsel — alles Dieses sollte das Staunen der Kaiserin erwecken, die Gegner Potemkins entwaffnen, die Bewunderung Europas erregen. Jetzt galt es, dem Westen zu zeigen, über welche Reichtumsquellen Russland verfügte, welche Machtmittel Potemkin zur Entfaltung gebracht habe. Der Fürst hoffte zugleich als genialer Administrator glänzen und der Pforte und deren Bundesgenossen gegenüber einen Trump ausspielen zu können. Erfuhr die Welt, was Ssewastopol bedeute, welche gewaltige Flotte russischerseits das Schwarze Meer zu beherrschen im Stande sei, wie bedeutende Truppenmassen im Süden jeden Augenblick schlagfertig daständen, so konnte damit den Feinden Russlands Furcht eingejagt werden. Europa sollte es wissen, dass es nicht so leicht sei, als bisweilen angenommen wurde, Russland die neuerworbenen Gebiete wieder zu entreißen. Mit der Vergnügungstour war eine politisch militärische Demonstration verbunden. Nicht bloß hoffte Potemkin bestehen zu können vor den prüfenden Blicken der Kaiserin; er hoffte zu siegen über seine Widersacher am Hofe, sich in Respekt zu setzen bei den Staatsmännern Europas.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die russische Regierung in jener Zeit an die Möglichkeit eines Krieges mit der Türkei dachte. Doch geht Ségur zu weit, wenn er glaubt, Potemkin habe die Reise benutzen wollen, um Katharina zum Bruch mit der Pforte zu veranlassen, sie wenigstens möglichst kriegslustig zu stimmen. Man darf nicht vergessen, dass der Gedanke an ein solches Unternehmen nicht von Potemkin ausgegangen war, Katharina selbst beabsichtigte nicht durch ihre Reise die Pforte zum Kriege zu reizen. Sie mochte einen Krieg für unvermeidlich halten, aber sie durfte nicht wünschen, dass ein solcher schon in der allernächsten Zeit zum Ausbruch gelangte. Es war genug, wenn die Reise ihr Gelegenheit bot, zu erfahren, über welche Streitkräfte sie gebot, falls es einmal wieder zu einem Konflikt mit den Türken käme. Hätte die Kaiserin einen zweiten türkischen Krieg in der allernächsten Zeit für wahrscheinlich gehalten, so hätte sie in ihren Briefen an Joseph mehr Gewicht gelegt auf diese Reise, welche mit dem bevorstehenden Kriege in so nahem Zusammenhang stehen sollte. Österreichs und Russlands Interessen der Pforte gegenüber waren durch den Vertrag vom Jahre 1781 innig verbunden. Legte die Kaiserin ihrer Reise eine so große politische Bedeutung bei, dass dieselbe etwa den Sultan zu einer Kriegserklärung veranlassen sollte, so hätte sie unfehlbar den Kaiser Joseph nicht erst dann von dem bevorstehenden Ausflug unterrichtet, es nicht in so beiläufiger, gelegentlicher Weise getan, als schon alle Maßregeln zu der Reise getroffen, der Zeitpunkt für dieselbe schon festgesetzt war. Erinnert man sich des Inhalts der Briefe, welche Katharina mit dem Kaiser seit 1780 in Betreff der Orientalischen Frage gewechselt hatte, so wird man bei der leicht hingeworfenen Weise, mit welcher sie den Kaiser nach Chersson einlud und welche ihn tief verstimmte, nicht daran zweifeln dürfen, dass sie mit der Reise kein bestimmt formuliertes Programm in der auswärtigen Politik verfolgte. Wenn wohl wiederholt in Geschichtswerken, welche diesen Gegenstand berühren, die Ansicht sich findet, dass die Reise den Abschluss eines Bündnisses zwischen Russland und Österreich zum Zwecke gehabt habe, so muss man sich erinnern, dass seit 1781 bereits ein solches Bündnis bestand, dass also der Abschluss eines solchen im Jahre 1787 einfach als überflüssig gelten konnte. Der Briefwechsel Josephs mit Katharina, dessen Herausgabe ein Verdienst Arneths ist, belehrt uns darüber, wie Beide in den Jahren 1781 bis 1783 sich lebhaft mit den türkischen Angelegenheiten beschäftigen, während gerade in den, vor der Reise geschriebenen, Briefen Beider die etwa zu erwartenden Verwicklungen im Orient in den Hintergrund treten.

Aus dem erwähnten, von Arneth herausgegebenen Briefwechsel ist zu ersehen, dass Katharina im Anfange der achtziger Jahre kriegslustiger war als Joseph. Als der Letztere ihr angedeutet hatte, dass er zur Vorsicht zu raten geneigt sei, um einen Konflikt zu vermeiden, bemerkte sie, Russland werde nötigenfalls auch ohne Österreichs Hilfe mit der Türkei fertig werden. Dennoch war es, als 1787 die türkische Kriegserklärung erfolgte, von der allergrößten Bedeutung für Russland, dass Joseph II. seinen im Jahre 1781 übernommenen Verpflichtungen nachkam und auch seinerseits der Pforte den Krieg erklärte. Hätte Katharina ihrer Reise für die Frage von Krieg und Frieden größere Bedeutung beigelegt, — sie hätte ihrem Bundesgenossen von einer solchen Unternehmung in viel ernsterer Weise geschrieben. Während der ersten Tage des Zusammenseins im Süden sprachen Joseph und Katharina so gut wie gar nicht von der Politik, und überhaupt scheinen alle Unterredungen, welche damals stattfanden, in der Meinung Josephs keine all zu große Bedeutung zu haben. Mehr im Scherz als im Ernst berührten Joseph, Katharina, Ségur, Ligne u. A. in ihrer Konversation die orientalische Frage. Es wurde nichts verabredet, was irgend einem neuen Vertrage oder Bündnisse ähnlich sehen konnte. Joseph reiste nach Wien zurück, ohne einen baldigen Ausbruch des Krieges für wahrscheinlich zu halten. Die in Chersson zwischen den, die Fürsten begleitenden Personen gepflogenen Unterhandlungen haben nicht eigentlich den Charakter eines politischen Kongresses. Wenn später der Konflikt eintrat, so ist die Veranlassung zu demselben nicht in der Reise der Kaiserin zu suchen, sondern in dem von Potemkin inspirierten Verfahren Bulgakows in Konstantinopel. Während man in Chersson sich geeinigt hatte, der Pforte gegenüber mit Mäßigung und Vorsicht zu handeln, trat Bulgakow sogleich nach seiner Rückkehr nach der türkischen Hauptstadt so herausfordernd auf, dass die Pforte sich zur Kriegserklärung genötigt sah. Die Haltung Bulgakows aber entspricht nicht den Absichten der Kaiserin bei Gelegenheit ihrer. Reise in den Süden. Bulgakow handelte — darüber kann wohl kaum ein Zweifel bestehen — nicht sowohl unter den Eingebungen Katharinas als vielmehr unter dem Einfluss Potemkins und letzterer kann nicht irgendwie als der eigentliche Urheber der Reise Katharinas bezeichnet werden.