55. Die Unterirdischen auf Rügen.

Die Unterirdischen auf Rügen teilten sich ehemals in vier Stämme: die weißen, die grünen, die braunen und die schwarzen. Die weißen Zwerge bildeten den Königsstamm. Sie waren zierlich gebaut, etwas neckisch, sonst aber gute Christen und hausten in den Ralswieker Bergen. Dann kam der Stamm der grünen Zwerge, ein gutmütiges Völkchen, sie waren fast ebenso zierlich gebaut wie die weißen, gleichfalls gute Christen und hielten sich in der Gegend von Zirkow auf. Die Stämme der braunen und schwarzen Zwerge aber führten ihren Namen mit Recht: denn sie waren kleine ungestaltete Figuren mit übergroßen Köpfen, dabei höchst schabernacksch und bösartig; sie hatten keine Religion und suchten die Menschen auf alle Weise zu quälen. Die braunen hausten im Rugard und in einigen anderen Bergen, die schwarzen im Burgwall bei Garz.

Jeder Stamm hatte seinen eigenen König; die weißen hatten dazu einen als Kind geraubten Menschen gewählt. Den weißen aber waren die drei übrigen Stämme untertänig.


Das Leben der Unterirdischen dauerte viel länger als ein Menschenleben; ein Leben nach dem Tode ward ihnen nur dann zuteil, wenn sie ihr Blut mit dem der Menschen vermischten. Ein solches Glück konnten jedoch nur die beiden ersten Stämme erlangen, und deshalb wurden auch öfter Kinder von ihnen geraubt, in den Bergen erzogen und dann mit Zwergkindern vermählt. Wenn aber die braunen und schwarzen Zwerge Menschenkinder raubten, so geschah das nur, damit sie sich an dem Schmerz der Eltern weideten, oder auch um die geraubten Kinder dem Stamm der weißen als Tribut zu geben.

In späterer Zeit wanderten die beiden vornehmsten Stämme aus und zogen in ein fernes Land; nur einige wenige von ihnen, welche bis dahin zerstreut gewohnt hatten, blieben auf der Insel zurück, z. B. in der Granitz, auf Mönchgut und in der Zirkowschen Gegend. Die braunen und die schwarzen Zwerge aber verlegten zu derselben Zeit ihren Wohnsitz nach Hiddensee, woselbst noch ein von ihren Voreltern verlassener alter Bau in den Bergen erhalten war. Diese beiden Stämme, welche sich einen König aus ihrer Mitte gewählt hatten, hausten auffallend böse auf Hiddensee. Sie hatten sich unter dem Wasser einen Weg nach Pommern gebahnt und wurden der Schrecken und die Plage der dortigen Bewohner. Bei einem starken Orkan aber, welcher das Wasser tief in das Land hinein. trieb, gingen sie sämtlich zu Grunde, und seitdem hat man nie wieder etwas von ihnen gehört.

Sundine 1842, S. 94 ff.