Rubens. Eine Skizze seines Lebens und Wirkens

Autor: Bergner, Heinrich (1865-1918) evangelischer Pfarrer und Kunsthistoriker, Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Malerei, Maler, Peter Paul Rubens, Bildnismalerei, Landschaftsmalerei, Schlachtenmalerei
Als Künstler wie als Mensch war Rubens für das damalige Europa eine große, sieghafte Erscheinung. Nicht durch einsam trotzige Kraftfülle wie Rembrandt oder Michelangelo, sondern durch gelehrige und feinfühlige Aufnahmefähigkeit, Anpassung und Verarbeitung aller damals lebendigen Kunstelemente. Das Fremde und Eigene, das Übernommene und Selbstgeschaffene halten sich in seinem Lebenswerke ungefähr die Wage. Mit einem Fuß im Vaterland, mit dem andern im Süden steht er als Mittler zwischen den Völkern und alle, Italiener, Spanier, Franzosen, Engländer und Deutsche nahmen seine Kunst freudig auf. Rubens erfüllt die fast undenkbare Doppel-Sendung, die altberühmte Malerei seiner flämischen Heimat vor völliger Verwelschung zu retten und die barocken Ansätze der Italiener zur Vollendung zu bringen. Obwohl Flame und Protestant von Geburt, hat er es fertig gebracht, Inhalt und Ziel der Malerei von Mantegna bis Caravaggio besser zu begreifen als irgend ein Italiener und der eigenartigen katholischen Zeitstimmung, jener Mischung von christlicher Askese und antiker Sinnlichkeit zum Sieg über Westeuropa, mit Ausnahme des kleinen Holland, zu verhelfen. Aber neben dieser Sammlung und Vermählung entwickelte er aus Eigenem malerische Qualitäten, die weit in die Zukunft wirkten. Auf seinen Schultern stehen die französischen Rokokomaler des 18. Jahrhunderts, einem Seitentrieb entsprossen die Engländer um Gainsborough und Reynolds, und Delacroix erweckt den mächtigen Flamen zum Schutzherrn und Führer der gesamten neueren Malerei.

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Rubens war kein frühreifes Talent. Er hat lange und viel gelernt. Aber nach seiner Rückkehr aus Italien ist er fast mit einem Schlage als erster Maler anerkannt und organisiert seinen Betrieb wie der Direktor einer Fabrik. Man schätzt, dass wöchentlich ein Bild aus seiner Werkstatt ging, im ganzen gegen 3.000 Stück. Seine Schüler und Gehilfen wusste er so zu drillen, dass sie nach flüchtigen Kreideskizzen die Handschrift des Meisters bis zur nahen Vollendung trafen. Dabei hat er nie die Lust an großer, eigenhändiger Arbeit verloren und bis ans Ende seine Technik vervollkommnet. Umfassend wie seine Bildung war sein Stoffkreis. Alles was vor ihm galt, biblische und profane Geschichte, Heiligenleben, Mythologie und Bildnis, Allegorie und Stilleben, hat er gepflegt und oft durch neue Erfindungen bereichert, im Sittenbild, im Tierstück und in der Landschaft neue Bahnen eröffnet. Die feine antike und romanische Empfindung für Größe des Stils, für Bau und Symmetrie des Bildganzen, für Majestät und Fülle menschlicher Erscheinung hat keiner vor und nach ihm so sicher und so frei gehandhabt. Und es ist ein Genuss im scheinbar lockeren und zufälligen Gefüge seiner Bilder die bauende Meisterhand zu spüren, die das Einzelne zum Ganzen und Geschlossenen fügt. Was ihn aber vor allen Vorgängern und Zeitgenossen auszeichnet, ist die dramatische Begabung. Vor Seinem Auge wird alles Bewegung, rauschendes Leben, stürmische Leidenschaft und am wohlsten fühlt er sich bei ganz großen Kraftproben und Katastrophen, bei Wundertaten, Marterszenen, Tierhetzen, Reiterschlachten, Weltgerichten und unbändigen Liebestrieben. Was zarte Gemüter hierbei am ehesten ärgert, die kolossale Fleischmalerei, zumal die üppige Schaustellung des Weibes, das muss man aus der Zeit und Lebensanschauung des Künstlers verstehen lernen. Die Bußzeit der alten Kirche war überstanden. Die unterdrückte Lebensfreude begann wieder zu schäumen. Auf dem Gebiet Künste wurde sie mit Absicht auf einen neutralen Boden, die antike Mythologie gedrängt. Die Malereien der Carracci in der Galerie des Kardinals Farnese in Rom gaben den Ton an, der dann am lautesten in Berninis[/ib] Plastik und in Rubens’ Bildern fortklingt. Hier nicht mehr verdeckt und bemäntelt, sondern offen und froh, denn Rubens war von Natur ein starker Lebensbejaher. Persönlich ganz und gar kein Lebemann, sondern nüchtern, enthaltsam, ein zärtlicher Gatte, ein neidloser Freund, ein liebenswürdiger, vornehmer Hofmann, dem jede Ausschweifung verhasst war. Aber in dieser gesunden Daseinsfreude schuf er sich ein Heldengeschlecht und jubelte im Übermaß der Leiber sein Künstlerbekenntnis in die Welt, dass die Schöpfung Gottes schön und die Krone der Schönheit das Weib ist. Hierzu stimmt auch seine Farbenkunst. In einer Zeit, wo das Helldunkel den Reiz der Neuheit hatte, wo die meisten in freudloser Braun- und Schwarzmalerei versanken, hat Rubens seine Palette zu blumiger Helligkeit aufgelichtet und der Mit- und Nachwelt den Glauben an sonniges Licht und freudige Farbenklänge erhalten.

Peter Paul Rubens war am 28. Juni 1577 im damals nassauischen Städtchen Siegen geboren. Sein Vater, der Rechtsgelehrte Jan, war mit seiner jungen Frau [b]Maria Pypelinex
1568 vor spanischem Glaubensdruck nach Köln geflohen, war als Sachverwalter der Herzogin Anna von Sachsen, der Gemahlin Wilhelm des Schweigers, in deren Netze geraten und vom Bruder des Oraniers in Siegen gefangen gesetzt worden. Nur die äußersten Anstrengungen und Opfer seiner Frau retteten ihn von der Todesstrafe. Als er nach kurzer Freiheit in Köln 1587 starb, kehrte die Mutter nach Antwerpen und in den Schoß der alten Kirche zurück. In der Lateinschule eines Humanisten legte Rubens den Grund zu seiner gelehrten Bildung, die er später zu erweitern nicht müde ward, trat kurze Zeit als Page in die Dienste der Gräfin Margarete Lalaing, folgte aber bald der inneren Stimme, die ihn zur Malerei rief. Vier Jahre lernte er bei einem rohen Trunkenbold Adam van Noort, vier weitere Jahre bei dem feingebildeten Manieristen Otto van Veen. Am 6. Mai 1600 machte er sich nach Italien auf und stürzte sich in Venedig mit Feuereifer in das Studium Tizians, Paul Veroneses und Tintorettos, deren Form und Farben dauernd auf Seine Kunstrichtung wirkten. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass er schon im Juli in den Dienst des Herzogs Vincenzo Gonzaga angenommen wurde und in Mantua Mantegna, Correggio und Giulio Romano studieren konnte. Ein höheres Glück führte ihn Ihn mit dem Auftrag eines Altarbildes nach Rom, wo gleichmäßig die antiken Denkmäler, die Groß-Meister der Renaissance und die Zeitgenossen Annibale Carracci und Caravaggio auf seine Bildung wirkten. Im Auftrag seines Herrn reiste Rubens 1603 nach Valladolid, um dem spanischen Hof unter anderen Geschenken Gemälde zu überbringen, und hier gelang es ihm, mit eigenen Arbeiten (die zwei Philosophen, eine Apostelreihe, zwei Reiterbilder) Anerkennung zu finden. Nach seiner Rückkehr und kurzem Aufenthalt in Mantua finden wir ihn wieder eineindrittel Jahrr in Rom, wo er seinen älteren Bruder Philipp traf, und die hier entstandenen Bilder (der sterbende Seneca, der trunkene Herkules, die Krönung des Helden) zeigen bereits seinen Stil gereift, eine durch Schönheit und Kraft gesteigerte Lebensfreue. Ein kurzer Aufenthalt mit seinem Herzog in Genua (1607) ist besonders dadurch merkwürdig, dass Rubens Zeit fand, Aufnahmen dortiger Paläste zu sammeln, die er 1622 in einem Kupferwerk herausgab. Dann fesselte ihn ein Altargemälde für die Chiesa nuova aufs neue an Rom, zumal ihm die erste nach unserem Gefühl bessere Ausführung nicht genügte. Er nahm sie mit sich nach Antwerpen als Beweis, dass er auch auf dem Gebiet des kirchlichen Repräsentationsbildes die Meisterschaft erlangt hatte.

Ganz plötzlich, im Oktober 1608, rief ihn die Nachricht einer tödlichen Erkrankung der teuren Mutter in die Heimat. Er fand sie nicht mehr am Leben. Aber bald fesselten stärkere Bande den Künstler an die Vaterstadt. Das kunstliebende Statthalterpaar, Erzherzog Albert und Isabella, bot ihm die Stellung eines Hofmalers mit 1.500 Gulden Gehalt an. Und im nächsten Jahr (1609) gründete er sich sein eheliches Glück mit der Tochter des Stadtschreibers Jan Brant, Isabella. Das Braut- oder Hochzeitsbild zeigt uns das junge Paar in der Geisblattlaube. Es ist sehr bezeichnend ebenso für das reiche, vornehme Dasein des Künstlers wie für seine damalige Malweise mit den scharfen Linien, der peinlichen Stoff- und Spitzenbehandlung und dem dunklen Gesamtton. Kaum hatte Rubens eine eigene Werkstatt eröffnet, so sah er sich mit Aufträgen überhäuft und von Schülern überlaufen, unter denen der junge Van Dyck von 1615-1621 die erste Stelle einnahm. Er kaufte 1611 ein großes Hans, das er fürstlich ausstatten konnte und durch Ziergärten, Park, Pavillon und Marstall zum Palast erweiterte. Seine Rassepferde waren ebenso berühmt wie seine Kunstsammlung. Durch eisernen Fleiß und klugen Geschäftssinn wusste er Ruhm und Gewinn zu mehren. Durchreisende Herren fanden stets eine Auswahl fertiger Gemälde in seinem Atelier und die größten Aufträge setzten ihn nicht in Verlegenheit. Einer seiner ersten Gönner war der Pfalzgraf Wolfgang von Neuburg-Zweibrücken, der in Düsseldorf allmählich eine ganze Rubensgalerie zusammenbrachte, jetzt der Stolz der Alten Pinakothek in München. Die Jesuiten übertrugen ihm 1620 die Ausstattung ihrer neuerbauten Kirche mit Altären und Deckenbildern, die leider 1718 großenteils verbrannten. Die folgenreichste Aufgabe stellte ihm 1622 die Königin-Mutter Maria v. Medici von Frankreich, indem sie für ihr neues Luxembourg in Paris ihr eigenes Leben zu malen befahl. Als Rubens 1625 wiederum nach Paris kam, um den großen allegorisch-historischen Zyklus selbst aufzustellen, fand er dank seiner hofmännischen Gewandtheit vertraute Beziehungen zur diplomatischen Welt, namentlich zum englischen Minister Herzog von Buckingham. Und dies benutzte die Statthalterin, um durch Rubens den Friedensschluss zwischen Spanien, England und Holland anzubahnen. Rubens ging um so leichter an diese Sendung, als 1626 seine Isabella an Auszehrung gestorben war. Wir sehen auf den Bildern ihr liebes Gesicht immer schmaler und blasser werden. Sie hatte ihn mit zwei Söhnen beschenkt, die er wohl kurz nach ihrem Tode vornehm wie Prinzen malte (Wien, Liechtenstein). 1628 brach er nach Madrid auf. Durch den Zauber seines Wesens besiegte er schnell das stolze spanische Vorurteil. Er wurde vom König geadelt und im nächsten Jahr mit allen Vollmachten nach London gesandt. Den Madrider Aufenthalt benutzte er, sich noch ernster als früher in die Bilder Tizians zu vertiefen. In London wurde er vom Hofe glänzend aufgenommen, zum Ritter geschlagen und 1630 nach glücklich erfolgtem Friedensschluss mit Geschenken und Ehren überhäuft in die Heimat entlassen.

Der Glückliche fand nun sein höchstes Glück, eine zweite Gemahlin, von der man nicht zu sagen wagt, ob er sie in seiner bisherigen Malerei vorausgeahnt oder ob sie unbewusst seinem Ideal entgegengereift. Helene Fourment, die schönste von sieben schönen Schwestern, die ,,Schönste von allen Damen Antwerpens“, wie ein Unparteiischer urteilt. Er hatte sie in der befreundeten Familie von Jugend auf gekannt. Sie war bei der Vermählung 1630 erst sechzehn Jahre alt, aber sie beschenkte den Gatten in zehnjähriger Ehe noch mit fünf Kindern und ward dem alternden Künstler zu einem Jugendbrunnen fruchtbarster Malerei. Er hat sie als Braut, als junge Frau, als Mutter, als Schlossherrin, als heilige Cäcilie reich und köstlich gemalt, und nur für seine Augen in dem ganz intimen Gang zum Bad (Het Pelzken). Aber es war in Antwerpen kein Geheimnis, dass die unverhüllten Frauen seiner letzten Bilder, Susanna, Magdalena, Andromeda, Diana, Venus, Dido, Angelica, niemand anders darstellten, als Helene Fourment. Ein quälendes Gichtleiden trübte freilich den Lebensabend des Glücklichen und bestimmte ihn, 1635 ein altes Feudalschloss Steen anzukaufen, wo er noch fünf ruhige Sommer verlebte und aus der Umgebung eine ganz neue Verehrung der üppigen flämischen Landschaft schöpfte. Zwei größere Aufgaben fallen noch in die letzten Jahre. Als 1635 der neue Statthalter Ferdinand in Antwerpen einzog, entwarf Rubens den ganzen Straßenschmuck mit Triumphbogen und Allegorien. Und 1636 bestellte Philipp IV. von Spanien die malerische Ausstattung eines Jagdschlosses, die 1638 mit der Übersendung von 112 Bildern erledigt ward. An einem der nachbestellten 12 Bilder, dem Parisurteil im Prado, hat Rubens die äußerste, ganz ungeschwächte Kraft seiner Hand offenbart. Das Ende überkam den Starken unerwartet, am 30. Mai 1640. Fürstengleich, wie er gelebt, ward er von der Bürger- und Künstlerschaft Antwerpens im Tode geehrt und beigesetzt.

In Rubens Lebenswerk nehmen die religiösen Sachen einen breiten Raum ein, nicht nur, weil dies verlangt und bestellt wurde, sondern auch, weil das barocke Kirchenbild, wie es die Italiener entwickelt hatten, seiner Begabung völlig entgegenkam. Die große Aufmachung, der prächtige Rahmen, die rauschende Bewegung, statt des Heiligen seine Wunder- und Martergeschichte, statt des ruhigen Daseins eine erregte Masse - das waren Forderungen, die keiner besser als Rubens erfüllen konnte, und meist hat er seine Vorbilder übertroffen. Es lag in seiner Natur, dass er geistiges Leben nur in den Formen starker Leiblichkeit denken konnte. Die Frommen und Heiligen, die Büßer und Dulder sind muskelstarke und vollblütige Recken, gewaltig und heldenhaft spielen sich ihre Kämpfe und Leiden ab. Aus Blut- und Leichenszenen leuchten immer tröstlich einige weiße Arme, Nacken und rauschende Seidenkleider. Das Irdische steigt wallend zum Himmel empor und von oben schweben kleine dicke Engel ins Zeitliche herab. Wie er hergebrachte feierliche Themen in dramatische Handlung umsetzt, sehen wir aus Frühwerken wie der Anfechtung des Kreuzes (Antwerpen, Kathedrale um 1610), wo neun Riesen sich mit der Last abmühen, an der Kreuzabnahme ebenda um 1612, wo fünf Männer und drei Frauen den Leichnam auffangen, an der Bekehrung Pauli (München um 1614), die wie ein Reitergefecht wirkt, an den Heiligen drei Königen, die er wie eine exotische Völkerwanderung behandelt, bald nach links (Madrid um 1609), bald nach rechts (Lyon 1618) lenkt, bis er die packendste Wendung, den Marsch des Zugs aus der Tiefe vorwärts in die enge Hütte herausbringt (Antwerpen 1624). Ähnlich die Begegnung Esaus mit Jakob (München um 1617). Wie er den neuerwachten Wunderglauben der Jesuiten gläubig und pomphaft erzählt, dafür zeugen die großen Altarblätter aus ihrer Kirche (1619, in Wien), der heilige Ignatius, der hl. Franz Xaver und der hl. Franz von Paula in Dresden, wozu als Vorarbeit die Bekehrung des hl. Bavo (1612, aus Gent in London) gelten darf. Wir meinen einen Widerhall des deutschen Glaubenskriegs zu spüren, wenn Rubens in seinen ruhigen letzten fünf Jahren solche Blut- und Marterstücke hervorbringt wie den Kindermord (in München), die Krenztragung (in Amsterdam und Brüssel), die Schleifung des hl. Livin (Brüssel), die Enthauptung des hl. Justus (in Bordeaux), die Kreuzigung Petri (Köln, Peterskirche) und des hl. Andreas (Prado). Mehrfach hat er sich mit italienischen Bravourstücken gemessen. Tizians Assunta klingt in sechs Bildern der Himmelfahrt Mariä nach, und wenigstens zweimal (in Wien um 1620), in der Kathedrale von Antwerpen 1626) hat er durch reichere Bewegung den Venezianer übertroffen. Michelangelos Jüngstes Gericht hatte ihn schon in Italien zu einer Skizze, der Auferstehung der Gerechten, angeregt. Diese Erinnerung suchte er hervor, als er 1611 das Altarblatt für Neuburg begann. Er entwarf zunächst die andere Seite, den Höllensturz, dann das Ganze, das sog. große jüngste Gericht, einen gewaltigen Kranz von Riesenleibern, und noch einmal freier und räumiger die rechte Seite, das sog. Kleine jüngste Gericht (sämtlich in München), und man muss sagen, dass er die Massenbewegung, die einheitliche Flutung der Menschenströme vor Michelangelo voraus hat. Von Mantegna stammt der kühn verkürzte Leichnam Christi, von Frauen beweint (in Wien und Antwerpen um 1614), der dann als Grablegung oder als Pieta weiter abgewandelt wird. Correggios und Tintorettos kühne Untersichten tauchen in den Skizzen zu den Deckenbildern der Jesuitenkirche in Antwerpen auf. Ein allgemeiner Nachhall ist endlich die zärtliche Madonna mit dem schönen Kinde, doch persönlich mit Gatten- und Vaterfreude erwärmt, bald als Bruststück von Blumen oder von Putten oder von beiden eingerahmt (das leuchtende Prachtstück um 1617 in München, die Blumen von Breughel), bald zur hl. Familie erweitert (mit Papagei 1612 in Antwerpen), in süßem Glück mit der Johannisfamilie unter dem Apfelbaum gelagert (um 1630 in Wien), ganz lachende Liebe (in Köln um 1638), ganz Naturfreude (im Prado). Oder auch zur pompösen Feierlichkeit der Himmelskönigin über Heiligenscharen gesteigert (Antwerpen, Augustinerkirche 1628). Die heiligen Kinder, mit Engelchen und einem Lamm spielend, hat er um 1615 besonders gemalt (in Wien) und von da zweigen sich die profanen dicken Kerlchen ab, die einen Früchtekranz schleppen (in München) oder das Bild der Ceres bekränzen (Petersburg). Was Rubens aus dem Alten Testament bringt, beschränkt sich fast auf die Geschichte der schönen Frauen (Loth und seine Töchter, Paris, Bathseba 1614 Stockholm, um 1635 Dresden, Susanna um 1637 München, Judith um 1633 Braunschweig), wozu man auch die büßende Magdalena rechnen kann (händeringend im Seidenkleid um1620 in Wien, in übermäßiger Form um 1637 in Sanssouci). Und ebenso beschränkt sich sein Interesse an der Erscheinung Jesu auf die Passion, deren schon genannte Hauptstücke durch die etwas gewaltsame Kreuzigung (der Lanzenstich 1620 Antwerpen) und die heroischen Kruzifixe (in München 1612 und Antwerpen) ergänzt werden. Ein klein wenig persönliches Gefühl und frommen Sinn meinen wir in den wenigen Bildern der mittleren Zeit zu spüren, wo Christus schön, stark und gesund als Helfer und Tröster auftritt, vor dem ungläubigen Thomas im Hakoxaltar (um 1613 Antwerpen), vor den reuigen Sündern (um 1615 München), bei der Auferweckung des Lazarus (1624 Berlin). Aber wie er die reuigen Sünder später und gewiss überzeugter vor die Maria bringt (1624 Kassel), so malte er als Trostbild für seine eigene Grabkapelle eine feierliche Madonna mit einem Kranz starker Fürbitter. Das ist die typische neukatholische Frömmigkeit. Ihr abgeklärter Niederschlag ist der Ildefonsoaltar, den Rubens 1632 für seine Gönnerin Isabella schuf. Das Wunder, wie die Madonna, von ihren Frauen umgeben, dem Heiligen eine Kasel überreicht, ist mit lieblicher Natürlichkeit vorgetragen, und so in ruhiger Andacht schaut das Stifterpaar darauf hin.

Ganz anders bewegt sich Rubens auf seinem zweiten Arbeitsfeld, der Mythologie. Kein Zweifel, die Schönheit war sein Evangelium und Ovid seine Bibel. Und hier, wo die Vorbilder und die Besteller nicht so auf ihn drückten, wo er frei aus dem Herzen schaffen konnte, trifft er oft eine Naturnähe, die noch heut ergreift. Allerdings ist seine Natur auch künstlerisch gesteigert, zurückverlegt in ein fernes goldnes Zeitalter, wo Götter, Helden, Menschen und Fabelwesen ungezügelt ihren Trieben folgen. Tizian, Correggio und die andern hatten hier ebenfalls vorgearbeitet. Aber bei Rubens wird die Leidenschaft brünstiger. Die ,,ruhende Venus“ wacht auf, die zarte schlaue Schönheit verwandelt sich in ein strotzendes Weib, das sich mit jauchzender Lust beschauen, jagen, fangen, herumschwenken und vergewaltigen lässt. Alle Stellungen kostet er aus und alle Farbenkontraste bringt er mit dem leuchtenden blonden Weibe zusammen. Wir haben zuerst einen Bilderkreis um die Liebesgöttin selbst: die Geburt der Venus, die frierende Venus, Venus mit Adonis, mit Bacchus und Ceres, mit Mars und Amor, Venus vor dem Spiegel, in der Schmiede des Vulkan, sämtlich bis 1621 entstanden, dann das Venusfest von 1630 (nach Tizian, in Wien), wo es toll hergeht, und das Parisurteil, wo er die Schönheit zugleich von drei Seiten beleuchtet, in drei Ausführungen, die letzte, ganz eigenhändige von 1639 mit Helene Fourment (im Prado). Demselben Zweck dienen die drei Grazien (in Stockholm, Wien und im Prado). - Ein anderer Kreis umfasst Diana und ihre Nymphen und gibt Gelegenheit, starke Mädchen im Wald und beim Wild, im Schlaf, im Bad und bei Überfällen wilder Satyrn zu schildern. Ganz zügellos ist der dritte Haufen um den alten Weinschwelg Silen, der mit halbtierischen Faunen und Fauninnen in Trunkenheit unter rohem Gesang umherzieht. Solche „Bacchanale“ und Satyrzüge trifft man in allen Galerien. Natürlich fehlen auch die im Barock so beliebten „Raptusgrnppen“ nicht, wie Boreas und Oreithyia, Nessus und Dejanira, der Raub der Proserpina, der Raub der Leukippiden, wo je zwei Männer, Frauen und Pferde zu einer wundervollen Linien- und Farbengruppe verschmolzen sind. Man kann hierher auch Perseuss und Andromeda rechnen, ein Stück, das den Meister immer wieder, auch als bloßer Akt anzog. Fast nur durch den Namen unterscheiden sich die Allegorien, Wasser und Erde, Neptun und Amphitrite, die vier Erdteile, wo schöne Bestien als Farbenträger mitspielen. Reichlich lässt er allegorische Wesen im Medicizyklus los, um das nichtige Heldenlied einigermaßen schmackhaft zu machen. Und zur Zeit seiner diplomatischen Friedensarbeit hat er mehrfach das Thema „Krieg und Frieden“ bearbeitet, wobei sein Herz freilich mehr auf Seite des Heldentums stand. Denn fast nebenbei hat er sich auch als erster Schlachtenmaler bewährt. Die Amazonenschlacht (1615 in München) ist so leidenschaftlich empfunden, so meisterhaft in den schwierigen Kampfplatz hineingebaut, dass sie der“Alexanderschlacht“ ebenbürtig erscheine. Die Niederlage Sanheribs (1614 München) und die Eroberung von Tunis durch Karl V. (um 1620 Berlin) bieten das gleiche betäubende Kampfgewühl.

Man muss hier gleich seiner Tierkämpfe gedenken, worin er bahnbrechende und bis heut unübertroffene Meisterwerke geliefert hat. In den großen Bestien mochte er etwas Wahlverwandtes spüren. Eine säugende Tigerin (um 1617 in Wien)bezeugt sein eindringliches Naturstudium. Aber welche Vorstellungskraft offenbart sich in dem gewaltigen Ringen zwischen Mensch und Tier, wie es in der Löwenjagd (um 1615 München), in der Eberjagd (um 1620 Dresden) und öfter aus dem gespanntesten Augenblick erfasst ist.

Die Landschaften ließ Rubens in früher Zeit meist von Schülern malen. Aber einzelne eigenhändige Sachen, wie „Der Sommer“ von 1615 in Windsor, der Schiffbruch des Äneas von 1620 in Berlin lassen ahnen, dass er der Welt auch hierin etwas Besonderes zu sagen hat,
und seit 1635 auf seinem Sommersitz fand er dazu die Ruhe und Stimmung. Es sind Heimatklänge, ganz schlicht und einfach; die fette flämische Landschaft mit den saftigen Wiesen, den wogenden Feldern, den schattigen Hainen, den duftigen Fernblicken, belebt durch Hirten und glänzendes Weidevieh, durch Schnitter und Gespanne, durch Luftspiele, Regenbogen und Gewitterwolken. Und dies alles groß und frei, mit flüssigem Pinsel hingestrichen, damit hat er allen künftigen Landschaftern auf den Weg geholfen. Von da zu seinen Sittenbildern, die ebenfalls in seine letzten fünf Jahre fallen, ist nur ein kleiner Schritt. Denn auch sie spielen in der heimatlichen Natur. „Der Schlosspark“ (in Wien) ist sogar sein eigener Besitz Steen, worin er sich mit seiner Gattin beim Spaziergang zeigt, und nach glaubhafter Überlieferung ist der „Liebesgarten“ (Paris, Rothschild und im Prado) seine eigene Familie und Schwägerschaft vor seinem Gartenpavillon in zärtlicher Festfreude. Und als Gegenstück zu der feineren Geselligkeit noch ein geniales Kraftstück, die Kirmes (Paris), wo er seine Satyrn und Fauninnen in Bauernkittel verkleidet und in kannibalischem Vergnügen durcheinander wirbelt. Nur ein Ausschnitt daraus ist der Bauerntanz im Prado und der Schäfer und sein Weib in München mit römischem Hintergrund. Er konnte nicht ahnen, dass er mit diesen paar Stücken dem „zärtlichen Jahrhundert“ der Franzosen das Brot vorschnitt, von dem sie in kleinen verzuckerten Bissen bis zur großen Schicksalswende lebten.

Als Bildnismaler ist Rubens ungemein fruchtbar gewesen. Viele Männer und Frauen, die seinen Weg kreuzten, hat er treu und wahr aufgenommen, ohne gemachtes Pathos, aber auch ohne seelische Vertiefung. Am liebevollsten die eigene Familie, seine Frauen und Kinder in der reichen Pracht und Umgebung, wie er sie zu sehen liebte - einige mal sich selbst mit Helene am Arm durch den Garten oder den Saal schreitend. Als Edelmann, auf ein großes Schwert gestützt, hat er sich kurz vor seinem Tode gemalt. Die Züge des Alters und des Leidens sind auf seinem Gesicht unverkennbar, aber auch der Seelenadel und die ruhige Herzensgüte, die ihm von allen Zeitgenossen zuerkannt wurde. H. Bergner.

Der Künstler und seine erste Frau Isabella Brant. 1609. München, Alte Pinakothek

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Des Künstlers zweite Frau Helene Fourment. Um 1631. Petersburg, Eremitage

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Fourment, Helene (1614-1673) zweite Frau von Peter Paul Rubens

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