Rieseneidechsen unserer Tage - Warane

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 22. 1927
Autor: Dr. Johannes Bergner, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Riesenechsen, Warane, Eidechsen, Krokodile, Nilwarane, Komodowarane,
Wohl sind die jetzt lebenden Eidechsen nur Zwerge, verglichen mit den urweltlichen Vorfahren, unter deren Tritt die Erde bebte, wenn diese Fleischkolosse von zwanzig, ja selbst vierzig Meter Länge sich in Bewegung setzten, und dennoch gibt es noch ansehnliche Gestalten unter ihnen. Die Riesen unserer Tage sind die Warane, die in etwa dreißig Arten in allen heißen Ländern der Alten Welt und in Australien sich finden. Es sind wehrhafte Recken, die sich mit ihren spitzen Zähnen, den scharfbekrallten Raubtiertatzen und den kraftvollen Hieben ihres muskelstarken Schwanzes Achtung zu schaffen wissen. So brachte der etwa anderthalb Meter lange Wüstenwaran, das Landkrokodil Herodots, schon manche Karawane in Verwirrung, indem er sich an Brust und Bauch der Pferde und Kamele festbiss. Sogar den Menschen fällt das gereizte Vieh mit zornig aufgeblähtem Kehlsack im jähen Sprunge an und bringt ihm bösartige Wunden bei.

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Die Eingeborenen fürchten das tollkühne Tier umso mehr, als sie es wegen der gespaltenen Schlangenzunge für äußerst giftig halten. Aus diesem Aberglauben ziehen denn auch die Gaukler Nutzen, indem sie solche Wüstenechsen mit ausgebrochenen Zähnen für ihre Kunststücke benützen und dabei grausige Märchen über sie zum besten geben. Der hellbraune, gelbgrüngefleckte Wüstenwaran bewohnt die sonnendurchglühten Wüsten Nordafrikas und Südwestasiens und ist somit ein echtes Landtier, während der fast zwei Meter lange Nilwaran sich stets am Fluss aufhält. Er schwimmt und taucht vorzüglich und kann eine Viertelstunde unter Wasser bleiben, da lufterfüllte Hohlräume im oberen Teil der Schnauze das ermöglichen. Im Pharaonenreich war er ein heiliges Tier, das als ein Wohltäter des Landes auf Denkmalen oft abgebildet und nach dem Tode einbalsamiert und in Grabkammern beigesetzt wurde. Bei seiner Vorliebe für Eier, die es mit allen anderen Waranen teilt, vertilgte es nämlich auch unzählige Krokodileier, die es behende aus dem Sande scharrte, und fraß auch manches junge Krokodil, die damals eine rechte Plage waren. Heute sind sie im Unterlauf des Nils ausgerottet. Doch der Waran ist nach wie vor noch häufig und überall zu Hause, wo Wassergeflügel, Frösche, Fische und Insekten sich in Menge finden. Unheimliche Gefräßigkeit ist nämlich ein Kennzeichen der Warane, die Beute suchend ein Zigeunerleben führen. Dank ihres ausdehnungsfähigen Halses und des nimmersatten Bauches würgen sie größere Tiere, etwa Vögel von Rabengröße, nach Schlangenart herunter, indem sie ihre Zähne, die mehr zum Festhalten des Opfers als zum Zerkleinern dienen, förmlich darüber hinwegziehen. Mäuse und Ratten aber sind im Nu verschlungen. Auch unter jungem Hausgeflügel räumen diese Fresssäcke gründlich auf, wenn sie in deren Ställe dringen, wobei es ihnen auf ein Dutzend Eier gar nicht ankommt, die sie geschickt im Maul zerdrücken. Die gelegentlichen Räubereien werden aber dadurch wieder ausgeglichen, dass ihre eigenen pergamentschaligen Eier rechte Leckerbissen für die Menschen sind, obwohl ihr Eiweiß beim Kochen nicht gerinnt. Sie sind denn auch viel teurer als die Hühnereier, außerdem liefert solch eine bis sechzig Pfund schwere Riesenechse noch einen zarten, köstlich schmeckenden Braten. Man stellt deshalb auch diesen Warneidechsen, wie man sie in Verkennung der arabischen Bezeichnung „Waran“ nennt, die nichts als Eidechse bedeutet und keineswegs besagt, dass sie den Menschen vor den Krokodilen warne, eifrig nach. Vor allem jagt man sie mit Hunden, die das im Laubwerk kaum sichtbare Tier verbellen oder auf dem Boden überraschen. Die Riesen unter ihnen nehmen es freilich mit dem größten Hund erfolgreich auf; sobald sie aber dem Jäger unterlegen sind, ergeben sie sich in ihr Schicksal, lassen sich ohne Gegenwehr fesseln und das Maul verbinden. So werden sie denn auf den Markt gebracht, wo sie stets willige Käufer finden, die diese lebenszähen Recken oft wochenlang noch aufbewahren, bis sie zum Schlachten in die Küche wandern.

Besonders machtvolle Gestalten sind die bis zweieinhalb Meter langen Bindenwarane, wie diese schwarzen, grüngelbgefleckten Riesen nach ihrer hellen Binde längs des Halses und einem dunklen Saume an den Schläfen heißen. Sie sind am häufigsten im Malaienarchipel auf den Sundainseln, wo sie sich stets am Wasser aufhalten, in das sie von den Bäumen springen, wenn etwas sie erschreckt. Auf einer Sundainsel, und zwar auf dem infolge starker Meeresströmung schwer zugänglichen Felseiland Komodo, zwischen den Inseln Flores und Sumbava, leben auch die vor fünfzehn Jahren von dem Holländer Ouwens entdeckten Komodowarane, die Könige ihres Geschlechtes, über die schon lange die abenteuerlichsten Gerüchte gingen. Wie sensationslüsterne Reisende berichteten, sollten es an fünfzehn Meter große, blutdürstige Ungeheuer mit fast meterlanger gelber Zunge sein, die blitzschnell sich aus ihren Höhlen auf den Menschen stürzen, um ihn durch Schläge ihres Schwanzes umzubringen, wirkliche Urdrachen der Kreidezeit, deren Vorfahren dem Untergange einst entronnen seien und sich in ihren Nachkommen bis in die Gegenwart erhalten hätten.

Solche riesigen Warane hat es nun zwar gegeben, besaß doch der wohl fünfzehn Meter lange Urwaran von Queensland den doppelten Umfang unseres größten Krokodils. Doch wie es meist der Fall, all diese übertriebenen Gerüchte hielten der Nachprüfung nicht stand. Der Tiergarten von Soerabaya auf Java erhielt kürzlich die ersten dieser bisher in keinem zoologischen Garten vorhandenen Rieseneidechsen, die solches Aufsehen erregten, dass die indische Regierung die angeblich bis sieben Meter lang werdenden Reptilien unter ihren besonderen Schutz stellte und die Tötung der ebenso seltsamen wie seltenen Geschöpfe streng verbot. Im vorigen Jahre glückte es auch einem amerikanischen Forschungsunternehmen, zwei dieser Riesenechsen, die aber nur zweiundeinhalb Meter maßen, lebend nach Neu York zu bringen. Unsere Bilder zeigen ein noch größeres, drei Meter langes Tier, das den Stolz des Zoologischen Gartens von Amsterdam bildet, weil diese Rieseneidechse in ganz Europa ihresgleichen nicht mehr hat.


Foto: Eine Rieseneidechse unserer Tage. Das erste in Europa eingetroffene lebende Exemplar der Wassereidechse, das im Amsterdamer Zoologischen Garten gezeigt wird. Diese etwa 3 Meter langen Tiere sind nach den Krokodilen die größten lebenden Saurier der Jetztzeit

Eine Rieseneidechse unserer Tage

Eine Rieseneidechse unserer Tage