Wie es dem bösen König Hatto und seinen Soldaten in dem Mainzer Kornhause so übel erging und wie er sich auf die Rheininsel bei Bingen flüchtete und dort mit seinen Mainzer Freimaurern den Mäuseturm erbaute.

Wie es dem bösen König Hatto und seinen Soldaten in dem Mainzer Kornhause so übel erging und wie er sich auf die Rheininsel bei Bingen flüchtete und dort mit seinen Mainzer Freimaurern den Mäuseturm erbaute.

Weißmäuschen lief nun so geschwind, daß es um sechs Uhr morgens schon wieder unter der leeren Wiege Ameleychens saß. Die Fischerin war eben aufgestanden und verrichtete unter Tränen und Seufzern ihr Morgengebet auf ihrem Betstuhl und sagte unter andern: „Ach gütiger Himmel! nun ist Weißmäuschen schon vier Tage fort; ach Gott! erhalte es und bewahre es vor Unglück und sende es mir bald mit Trost und Hülfe zurück.“


Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, sah sie, daß sich die Wiege Ameleychens hin und her bewegte, und erschrak nicht wenig darüber; sie sprang hin und glaubte, ihr liebes Kind läge vielleicht wieder drin. Aber die Wiege war noch leer wie zuvor, und sie sprach traurig zu der Wiege:

Schaukle nicht, du leere Wiege!
Als ob schlummernd das geliebte
Ameleychen in dir liege,
Das mich niemal nicht betrübte,
Das ich niemals wieder kriege,
Das ich also zärtlich liebte;
Schaukle nicht, du leere Wiege!

Wenn du schaukelst, leere Wiege!
Denk ich, daß nun in dem Rheine
Ameleychen schaukelnd liege,
Daß die Flut an harte Steine
Ihm sein blondes Haupt anschlüge,
Und ich weine, weine, weine:
Schaukle nicht, du leere Wiege!

Aber es war Weißmäuschen, das hatte an der Wiegenschnur gezupft, um die Fischerin aufmerksam zu machen, und es sprach zu der guten Frau:

Fischerin! Fischerin! ruhig nur,
Weine nicht, weine nicht, Hülfe naht,
Weißmäuschen zog an der Wiegenschnur,
Hülfe bringt es und Trost und Rat.

Nun hüpfte Weißmäuschen unter der Wiege hervor, der frommen Fischerin in den Schoß, die sich vor Freude gar nicht zu fassen wußte; und nachdem es der guten Frau tausend Fragen der Freude und des Wiedersehens beantwortet hatte, erzählte es ihr: daß heute einige tausend Mäuse gegen den bösen König in seinem eigenen Magazin erscheinen würden, daß auch morgen früh gewiß der König Mausohr von Trier mit seinem Freicorps in der Stadt sein würde, daß er Brot und Fleisch und Wein die Menge mitbringe. Es komme nun alles darauf an, daß man die ganze Stadt heimlich davon unterrichte, damit sie dem bösen König auf keine Weise Hülfe brächte; um zwölf Uhr würden die Bauern mit den Früchten da sein, und nach Tisch würde der Anfall auf den König losgehen. „Und nun“, sprach es, „kömmt es auf dich an, als auf eine kluge fromme Frau, diese Nachricht schnell und so zu verbreiten, daß sie hinreichend bekannt und doch den Soldaten und dem König verborgen bleibt.“ – „Gleich will ich mich aufmachen“, sprach die Fischerin, „und es in der Frühkirche den Leuten verkünden; es soll alles gut gehen; in einer halben Stunde bin ich wieder hier.“

Die Fischerin ging nun nach der Kirche, da machte soeben ihr Nachbar, der Barbier, Meister Schrabberling, seinen Laden auf und rief der guten Fischerin: „Einen guten Morgen, Frau Nachbarin! hat Sie wohl ein Stückchen Seife? Ich armer Mann habe gestern abend aus Hunger mein letztes Stückchen Seife gegessen, und nun kann ich heute niemand rasieren!“ – „Ich will Euch etwas vertrauen,“ sagte die Fischerin, „das wird den Leuten sanfter tun als Seife, und wenn Ihr es ihnen unter dem Rasieren erzählt, werden sie vor Freude lachen und weinen, wenn Ihr sie gleich mit stumpfen Messern trocken rasiert“ – und nun erzählte sie dem Barbierer, was ihr Weißmäuschen befohlen, und der Barbierer hüpfte vor Freude, sagte es allen seinen Gesellen, und machte sich sogleich mit ihnen auf, es allen Leuten beim Rasieren zu erzählen. Als nun die Fischerin ein paar Häuser weiter ging, machte gerade der Perückenmacher, Meister Rupferling, seinen Laden auf und grüßte sie: „Guten Morgen, Frau Fischerin! ach! kann Sie mir nicht eine Hand voll Mehl und einen Löffel Butter schenken? Ich habe gestern abend aus Hunger all meinen Puder und Pomade aufgegessen, und weiß nicht, wie ich heute die Leute frisieren soll.“ Da sprach die Frau: „Meister Rupferling! ich will Euch was erzählen, das wird den Leuten kühler tun als Puder und Pomade, wenn Ihr es Ihnen unter dem Frisieren wiedererzählt; und sie werden vor Freude lachen und weinen, wenn Ihr Ihnen auch die Haare ausrauft und ihnen die Haarnadeln in das Fleisch stecht“ – und nun erzählte sie dem Perückenmacher alles, was Weißmäuschen befohlen, und Meister Rupferling hüpfte vor Freude den Laden hinaus durchs Fenster und rief seinen Gesellen und sagte es ihnen wieder; und nun liefen sie mit ihren leeren Puderbeuteln, die Nachricht zu verbreiten. Noch erzählte sie es dem Meister Kneterling, dem Bäcker, der eben kleine Brote, so groß wie Pfeffernüsse, aus Kleien gebacken ans Fenster legte, und dann dem Meister Hackerling, dem Fleischer, welcher einige Würste heraushängte, die er aus alten ledernen Hosen und Schuhen zusammengehackt hatte; hierauf kam sie an den Laden des Schusters, Meister Kneiperling; er kaute an einem Stück von einem alten Schmierstiefel, so hungrig war er; dann kam sie zu Meister Meckerling, dem Schneider, er hatte gerade das letzte Horn seines alten Ziegenbocks, den er aus Hunger bereits aufgegessen, mit Wasser zum Feuer gesetzt, um eine Fleischbrühsuppe zu kochen; dem erzählte sie es auch, und so einem nach dem andern.

Da sie nun in die Kirche kam, worin es ganz dunkel war; denn das Öl in der Lampe und alle Wachslichter waren bereits aus Hunger von dem Pfarrer verzehrt, erzählte sie es einer Frau neben ihr und diese einer andern und immer so fort, bis es die ganze Kirche wußte.

Als sie nun wieder nach Haus ging, war die Geschichte schon so in der Stadt verbreitet, daß man es ihr wieder an allen Ecken erzählte; doch tat alles sehr heimlich, und merkte man es nur an den fröhlichen Gesichtern, mit denen sich die Leute grüßten, daß Gott den armen Leuten Hülfe bringe.

Endlich kam die Zeit, daß die Bauern mit den Früchten zum Schlosse einfuhren. Der König zankte und schimpfte, daß sie so spät gekommen; aber sie entschuldigten sich mit der Schwere ihrer Früchte. Der König freute sich darüber; denn er glaubte, sie seien schwer, weil sie besonders gut und reif wären. Ja wohl waren sie reif und voll lebendiger Kerne! – Nachdem sie alle richtig abgezählt und in das Magazin aufgehäuft waren, zogen die Bauern wieder nach Haus, und der König verschloß sich allein in sein Magazin, um alles nachzuzählen. Da er aber eine Melone essen wollte, wunderte er sich über ihren seltsamen schwarzen Stiel; denn es hing hinten ein Mäuseschwanz heraus. Er wollte ihn abreißen, aber sieh! da zog er die ganze Maus heraus, und die elf übrigen stürzten unter lautem Pfeifen nach. Als die andern dies Pfeifen hörten, stürzten sie haufenweise aus allen Melonen und Kürbissen, und es war recht entsetzlich, wie sie alle über den König herfielen und ihn zerbissen; zudem kugelten die bewegten Melonen und Kürbisse über ihn her, und er konnte sich gar nicht mehr helfen; er schrie und schlug und rief Hülfe; aber es regte sich kein Mensch. Endlich konnte er die Türe erreichen; aber die Mäuse stürzten ihm alle nach, und als er durch den Schloßhof lief, wo sich die Bürger versammelt hatten, erschraken sie fast vor ihm, so schwarz war er mit Mäusen bedeckt; aber kein Mensch wollte ihm helfen. Er eilte vor das Zimmer der Königin und schrie: sie solle ihm um Gotteswillen die Staatskatze ein wenig leihen; diese aber hatte sich eingeschlossen und rief zum Schlüsselloch heraus: „Nein, ich leihe sie dir nicht, du willst sie wie den Staatsvogel auffressen.“ Da kroch er aus Verzweiflung in einen großen leeren Adlerkäfig. Der Adler, welcher der Staatsvogel eines Landes gewesen, das er dem seinigen einverleibt hatte, und der hier das Gnadenbrot aß – denn hier hatte er einige Ruhe –, den hatte er gestern bereits zum großen Unwillen der Königin aufgezehrt, welche mehr auf Herkommen hielt. Das Gitter war sehr eng, und mußten sich erst die kleinsten Mäuse aussuchen, welche durch die Öffnungen des Drahtes konnten. Da dieser Käfig an einem offnen Fenster des Schlosses stand, konnten ihn alle Leute sehen; aber sie lachten ihn aus und gönnten ihm die Strafe seiner Grausamkeit. Er schrie laut nach seinen Soldaten, die um das Kornhaus herumstanden, wo die armen hungernden Bürger drin waren; sie kamen anmarschiert, aber hinten ihnen drein kamen auch schon die Gefangenen, die aus dem Kornhaus gebrochen waren, als es die Soldaten verließen. Die ganze Stadt war in Bewegung; ein Hagel von Steinen bedeckte die Soldaten von allen Seiten, und man ließ ihnen keinen andern Weg offen, als in das Kornhaus zurück, wo sie nun anstatt der armen Leute eingesperrt wurden, die jetzt von den übrigen umarmt und mit den Lebensmitteln erquickt wurden, die man in Menge aus dem offenen Kornhaus holte.

Der König aber kam von neuem in Not; denn nun waren die kleinsten Mäuse zusammengetreten und drangen in den Käfig ein, und als er seine Untertanen um Hülfe anflehte, riefen sie ihm zu: „Gedenke, wenn wir hungernd im Kornhause wimmerten, da sagtest du: Ei wie meine Kornmäuse pfeifen; jetzt versuche auch, wie die hungrigen Kornmäuse beißen.“ – Als aber der König so im Käfig sich gegen die kleinen Mäuse wehrte und um sich schlug, fiel der König vom Fenster in die Stube zurück, und er fing an, sich in dem Käfig herumzurollen, wodurch er ziemlich frei von seinen Feinden wurde, weil sie Gefahr liefen erdrückt zu werden; er rollte sich bis vor den Saal der Königin und flehte von neuem so wehmütig um die Staatskatze, daß sie sich endlich erbarmte und zur Türe heraustrat. Als sie ihren Gemahl von Mäusen umringt in dem Käfig liegen sah, sprach sie: „Ihro Majestät haben sich dies Elend durch Dero Treulosigkeit, Geiz und Grausamkeit selbst zugezogen, ich kann Ihnen aber mit der Staatskatze nicht dienen; es ist gegen alle Schicklichkeit, dieses Familientier nach seinem Naturstande zu gebrauchen.“ Der König bat sie um Gotteswillen, ihre Weisheit auf ein andermal zu sparen und ihm nur jetzt zu helfen; er begehrte von ihr, sie möchte ihn aufs Wasser bringen und mit ihm auf die Insel nach Bingen fahren, wo er, vom Rhein umgeben, gewiß von seinen Verfolgern frei sein würde. Sie rollte nun den Käfig in ihre Stube, in welche die Mäuse wegen der Staatskatze sich nicht hineingetrauten, und fragte aus dem Fenster das Volk, ob sie ihr und ihrem Gemahl freien Abzug nach der Binger Rheininsel gestatten wollten; so wollte er ihnen Freiheit und Ruhe und so viele Konstitutionen zugestehen, als sie Lust hätten zu verbrauchen. Aber es müßten einige Maurer mitfahren und ihm dort einen Turm bauen.

Das Volk, welches froh war, ihn loszuwerden, gestand ihm alles zu und ließ ihn hundert von den eingesperrten Freischützen als Maurer mitnehmen. Und daraus sind nachher die Freimaurer geworden.

Sie rüsteten sogleich ein Schiff aus, füllten es mit Lebensmitteln, und die Königin wälzte ihren Gemahl, während sie die Staatskatze trug, in dem Käfig die breiten steinernen Schloßtreppen herunter, daß der böse Schelm ach! und weh! schrie; und so wälzte sie ihn mit dem Fuße stoßend durch die ganze Stadt, mitten durch das Volk, welches ihm zurief: „Diese Bewegung ist dir gut zur Verdauung, denn du hast alles selbst gegessen und uns hungern lassen.“ Endlich kollerte er auf dem Landungsbrette zum Schiff hinauf und von da plumps noch einen bösen Fall ins Schiff hinunter, welches unter den Verwünschungen der ganzen Stadt mit ihm und seinen Freimaurern den Rhein hinuntersegelte.

Nun verteilten die Mainzer die gefundenen Vorräte untereinander, und jedes führte seinen armen gefangen gewesenen Gatten, Vater oder Bruder nach Haus, um ihn zu bewirten und zu pflegen; und da es Abend und dunkel wurde, zogen sich die Mäuse wieder zur Stadt hinaus, dem Rattenkönig entgegen, um ihm zu berichten, wie übel zugerichtet der böse König Hatto nach der Binger Rheininsel geschifft sei.

Der Rattenkönig erhob nun die Mäuse, die sich bei dieser Gelegenheit mit Ruhm bedeckt hatten, eine nach der andern in den Adelstand und gab der einen freie Erlaubnis, sich die Parmesanmaus zu nennen und künftig die Parmesankäse eines gewissen Krämers zu benagen; einer andern gab er den Namen Edamermaus, einer andern Limburger-, einer dritten Schweizermaus, Bisquitmaus, Marzipanmaus usw.; jeder auch die Anweisung auf irgend einen Ort, wo sie sich an den Speisen ihres Namens sattfressen könnte; und nun entließ er sie für diesmal, weil sie ihren Teil getan hatten.

Mit der übrigen Armee zog er nach Bingen auf den Rochusberg, um zu überlegen, wie man dem König auf der Insel beikommen sollte, weil man gegen die Staatskatze gewisse völker- und naturrechtliche Rücksichten zu beobachten hatte. Er sah die Freischützen des Königs die ganze Nacht schon beschäftigt, bei dem Schein der Fackeln Steine an dem Rüdesheimer Felsen zu brechen und zu sammeln, um den Turm für den König zu bauen, und dies ergrimmte ihn um so mehr, weil dort ehedem seine Wohnung gewesen; aber er wollte doch gegen die Staatskatze die Schicklichkeit nicht verletzen, damit sie allein den Vorwurf trage, einen falschen Schritt oder vielmehr Sprung in das Hochzeitschiff gegen ihn getan zu haben, was gegen alle herkömmliche Unverletzbarkeit gewesen, und so sah er denn ruhig zu, wie man den Turm gründete und baute.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rheinmaerchen