Von der guten Frau Marzibille und ihrem lieben Ameleychen, von dem Weißmäuschen und dem Goldfischchen.

Von der guten Frau Marzibille und ihrem lieben Ameleychen, von dem Weißmäuschen und dem Goldfischchen.

Unter den Armen war auch eine gute Frau, die Marzibille hieß; ihr Mann war ein armer Fischer, der auch mit im Kornhaus eingesperrt war, und hatte sie ein sehr schönes Töchterchen gehabt, das Ameleychen hieß und mit den andern Kindern ertrunken war, gerade dasselbe Kind, welches Prinzessin Ameley ihr aus der Taufe gehoben hatte, und welches dieselbe am Rhein zurückhalten wollte, als sie auch versank.


Die arme Marzibille kam traurig nach Haus, steckte ihre Lampe an, kniete an ihren kleinen Hausaltar und flehte unter heftigen Tränen zu Gott um Barmherzigkeit für das Elend der ganzen Stadt und für das ihrige.

Als sie so eine zeitlang geweint und gebetet hatte, hörte sie etwas neben sich pfeifen, und da sie sich umsah, saß ein kleines weißes Mäuschen neben ihr, das sie gar wohl kannte; es war zahm, und ihr kleines Ameleychen, als es noch lebte, hatte immer mit ihm gespielt; seit dem Tod des Kindes aber hatte sie in ihrem Schmerz nicht mehr auf das Tierchen geachtet. – Kaum hatte sie das Mäuschen angesehen, als auch ein kleines Goldfischchen lebhaft in dem Wasserglase schnalzte, in welches Ameleychen es gesetzt hatte, dem es von selbst, als es einst am Rhein spielte, in den Schoß gesprungen war.

„Ach Gott! ach Gott!“ sagte Marzibille, „ihr lieben kleinen Spielkameraden meines armen Ameleychens, ihr habt wohl rechten Hunger; ach! mein Kindchen ist nicht mehr da, das euch immer fütterte, mein Mann sitzt im Kornhause und ist vielleicht auch schon verhungert, und ich selbst habe nichts mehr als diese harte Brotrinde; denn das Fischen hilft nichts mehr, die Leute wollen keine Fische mehr essen, seit die Kinder alle ertrunken sind; ich kann es ihnen auch nicht verdenken, denn ich könnte keinen Fisch mehr essen, wenn ich auch verhungern müßte, aus Angst, ich möchte ein Fingerchen in dem Fische finden, das er vielleicht meinem armen Kinde abgebissen hätte; aber wartet, ich will meine Brotkruste mit euch teilen; solange ich nicht Hungers sterbe, sollt ihr es auch nicht, weil ihr so schön mit meinem seligen Ameleychen gespielt habt.“ Da sie aber die harte Brotrinde eben zerbrechen wollte, richtete sich die kleine Maus sachte in die Höhe und sagte: „Frau Marzibille! hör Sie mich an“ – und das Fischlein steckte den Kopf aus dem Wasser und sagte auch: „Frau Marzibille! hör Sie mich an“ – da war die gute Frau sehr erschrocken, erholte sich aber endlich und sprach:

„Weißmäuschen! sprich du zuerst, weil du mich zuerst angepfiffen“ – und das Weißmäuschen sagte:

Gute Werke, guter Lohn;
Gott im hohen Himmelsthron,
Der den Menschen schuf aus Erden,
Ließ die kleine Maus auch werden.

Wer in allgemeiner Not
Mit den Tieren teilt sein Brot,
Wer mitleidig und geduldig,
Dem sind Dank die Tiere schuldig.

Suche nach in meinem Loch,
Vielen Weizen hab ich noch;
Weil ich mir für harte Jahre
Immer reichlich etwas spare.

Ameleychen gab mir Brot,
Ameleychen ist nun tot,
Und du teilst die harte Rinde,
Weinst mit mir ob deinem Kinde.

Lasse, Mutter, nun mich frei,
Führ ich Glück der Stadt herbei;
Gib mich frei, Frau Marzibille,
Dir zu lohnen ist mein Wille.

Also sprach die kleine Maus recht schön deutlich und stammelte nicht einmal, und Frau Marzibille konnte sich der Tränen nicht enthalten, als das Mäuschen so artig von ihrem lieben ertrunkenen Töchterchen sprach. „Mein liebes Weißmäuschen!“ sprach sie, „herzlichen Dank für deine Dankbarkeit; ich will deinen Weizen annehmen und kleine Kuchen daraus backen und, wo die Not am größten ist, auch andern davon geben; deine Freiheit kannst du nehmen, wenn du willst; du bist bei mir ein liebwerter Gast gewesen, und wenn du mich wieder besuchen willst, und ich lebe noch, so will ich dir alles Liebe antun, was ich kann; aber ich möchte dir noch etwas auf die Reise mitgeben, wenn ich nur was hätte!“ Da suchte die gute Marzibille überall herum, endlich fand sie an dem Weihnachtsbaume Ameleychens eine kleine Zuckerbrezel hängen, die gab sie dem weißen Mäuschen, und aus vier Haselnußschalen machte sie ihm vier kleine Schuhe unter seine Pfötchen, und so lief die Maus klipper klapper ab.

Nun wendete sich Frau Marzibille zu dem Goldfischchen in dem Glase und sprach: „Was hast du, kleines Fischchen! der armen Marzibille denn zu sagen? Ach! ich weiß es wohl, Ameleychen hat dich ganz besonders lieb gehabt, weil du ihm einstens am Rhein freiwillig in den Schoß gesprungen bist.“ Da sprach das Goldfischlein also:

Ich bin aus dem Rhein gesprungen
Deinem Kinde in den Schoß,
Als es süß ein Lied gesungen,
Ward zu ihm mein Wunsch so groß:

Daß ich aus den blauen Wellen
Zu dem blonden Engel sprang,
Und wir wurden Spielgesellen,
Zeit und Weil war mir nicht lang.

Aber jetzt die Stunden schleichen,
Und ich sehne mich zur Flut,
Wo dein liebes Ameleychen
Mit den andern Kindern ruht.

Sieh, ihm fehlen dort Bekannte,
Und es wird gar blöde sein;
Aber ich hab viel Verwandte
In dem alten grünen Rhein.

Ameleychen will ich lehren,
Wie es sich verhalten muß;
Lasse drum mich wiederkehren
Zu dem Kinde in den Fluß.

Wenn ich Ameleychen finde
Und es ist gesund und rot,
Komm ich wieder her geschwinde,
Bringe Trost dir in der Not.

Wenn ich es gestorben finde,
Leg ichs in ein Marmorgrab;
Halt von deinem blonden Kinde
Alle bösen Hechte ab.

Sonntag früh komm du gegangen
Auf die Stelle an den Rhein,
Wo das Kind mich hat gefangen,
Rufe nur dem Goldfischlein.

Und sogleich ich zu dir schwimme
Durch die grüne Flut geschwind,
Und dir saget meine Stimme
Von dem blonden lieben Kind.

„Ach Goldfischchen! Goldfischchen!“ sagte Marzibille, „du bist doch gar zu treu und gut; gleich will ich dich in den Rhein tragen; ach! wenn es möglich wäre, daß Ameleychen noch lebte, daß ich es jemals wiedersähe, – aber ich möchte ihm doch etwas mitschicken: ein weiß Hemdchen, Halstuch und Strümpfe und sein Sonntagsröckchen; kannst du ihm das wohl bringen?“ – „O ja,“ sagte der Goldfisch:

Leg nur einen Stein hinein,
Wirf es nach mir in den Rhein.

Und nun packte die gute Marzibille ein schön Hemd, Strümpfe und das Sonntagsröckchen und ein Paar schöne neue rote Schuhe zusammen und legte ein Zettelchen dazu, darauf stand:

Lebst du noch,
So bete fromm;
Bist du tot,
In Himmel komm;
Bitt die lieben Engelein,
Daß auch ich bald komm hinein;
Dieses ist der einzge Wille
Deiner treuen Marzibille.

Und nun trug sie schnell das Fischlein mit dem Glas an den Rhein, warf es mit einem Lebewohl hinein und dann das Bündelchen, und rief ihm noch tausend Grüße hintennach an das blonde Ameleychen und ging hoffnungsvoll nach Haus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rheinmaerchen