9. Fahrt von Tahiti nach Sidney.

Vorbei! – wonach ich mich die langen trostlosen Monate in Californien so heiß gesehnt – die rauschenden Palmen der Südsee sie lagen dahinten und noch inmitten des romantischen Lebens derselben, wo noch hie und da die dunklen Kuppen ihrer schönen Berge am Horizonte wie schmale düstere Streifen lagen, sprach doch schon der Theergeruch, das harte Stück nichtswürdigen Salzfleisches – das stete Schwanken und Schaukeln des Schiffs, wie ich, abgeschnitten von jedem andern Verkehr, auf's Neue an Bord irgend eines alten seemüden Kastens auf den Wogen, einem andern Welttheil entgegentrieb.

Und haben die Inseln all jene Erwartungen befriedigt, die ich von ihnen gehegt? – hab' ich in ihnen das Ideal gefunden, das ich zu finden glaubte – lag jener Zauber über ihnen, der seit ich als Knabe den Robinson Crusoe gelesen mich oft nicht schlafen ließ und mir das gewissermaßen zum Ziel meines Lebens stellte »unter Palmen zu wandeln?«


Ja und Nein! die reichste Phantasie kann sich das Land nicht schöner denken als es ist, die Menschen nicht lieber und gutmüthiger, den Himmel nicht reiner – aber möchte ich dort leben für immer – möchte ich dort meinen Wohnort aufschlagen, abgeschnitten von der übrigen Welt, mit nur dieser wundervollen Natur um mich her, und den, einfach in den Tag hinein lebenden Indianern? – Nein, ich konnte mich mit dem Gedanken nicht befreunden, und so schön und herrlich diese Palmen dastehen, so golden die saftigen Orangen aus dem dunklen Laub hernieder glühn – wie der Baum heute steht, so steht er das ganze Jahr, nicht Blatt nicht Farbe ändert er, oder wenn das geschieht, so unmerklich, wir selber sehen den Unterschied nicht, und das Auge verlangt zuletzt nach Ruhe – es will eine Pause haben zu bewundern – es will diese Schönheit wieder vergehen und dann auf's Neue erstehen sehen. – Wenigstens wir aus dem nordischen Lande, die wir nun einmal unseren deutschen Frühling als einen alten lieben Spielkameraden in unser Herz geschlossen haben, verlangen darnach, und diese Schönheit, die uns zuerst entzückt und mit Bewunderung füllt, übersättigt zuletzt das Herz, ja übt wohl gar die rückwirkende Kraft, uns wieder von dem Land hinweg zu sehnen, dem unsere Pulse noch vor so ganz kurzer Zeit mit heißer inniger Sehnsucht entgegenschlugen.

Es muß dieser ewige Sommer, das Bewußtseyn dieser stets grünen, nie wechselnden Natur gewesen seyn, das mich, vielleicht mit der Abgeschiedenheit von der ganzen übrigen Welt – aus der ich freilich jetzt so lange und ach umsonst Briefe aus der Heimath ersehnt – noch kurzen Aufenthalt schon so förmlich umwandelte in meinen Ansichten und Gefühlen. So viel aber ist gewiß, ich freute mich der wundervollen Scenerie die mich umgab, schwelgte in all den tropischen Genüssen, und hätte das Bewußtseyn, diesen herrlichen Boden zu betreten, nicht um Schätze hergeben mögen – aber ich schied auch von eben diesem Reichthum mit kaltem unberührten Herzen, und fühlte daß mich keine Faser desselben wieder hierher zurückzog.

Andere Leute betrachten aber die Sache auch vielleicht von einem andern Standpunkt, im Interesse der Auswanderung vielleicht, und denen will ich gern, was ich davon halte, in kurzen einfachen Worten sagen.

Das Klima ist allerdings sehr warm, aber gesund; die Eingeborenen wissen nur wenig von Krankheiten und die Fremden acclimatisiren sich ungemein schnell. Die einzige fatale Krankheit die hier unter den Indianern herrscht, ist die Elephantiasis an der besonders ältere Leute zu leiden scheinen. Selbst Europäer sind nicht frei von ihr, aber seltener damit behaftet. Diese Elephantiasis ist aber, wie sie hier vorkommt, keineswegs lebensgefährlich – wenn auch unheilbar – und wird, was ich davon sehen konnte, als eine Art Modekrankheit betrachtet. Es ist fast wie die Gicht bei uns zu Hause, nur nicht mit solchen Schmerzen verknüpft. Die Beine schwellen auf eine wahrhaft ungeheure Art manchmal an, und der Eigenthümer derselben wackelt nun, mit diesem allerdings ansehnlichen Gewicht am Körper, in der Welt umher, ganz mit dem Gedanken vertraut diese geschwollenen Glieder auf solche Art auch mit in sein Grab zu nehmen. Frauen, Kinder und jüngere Leute habe ich nie damit behaftet gesehen, obgleich man dagegen kaum einen Knaben oder ein Mädchen, bis zu erwachsenen Männern und Frauen hinauf, findet, die nicht Geschwüre am Schienbein oder Knie oder die Narben alter geheilter Geschwüre – und oft recht bösartige große Narben – haben.

Die Ursache der Elephantiasis hat noch Niemand ergründet. Einige glauben daß sie in dem häufigen und fast unausgesetzten Genuß der Brodfrucht läge; wahrscheinlicher ist es aber wohl, daß es von dem steten Barfußgehen und auf der feuchten Erde liegen, von der sie nur durch eine dünne Matte getrennt sind, seinen Ursprung haben könnte.

Der Boden ist auf vielen Inseln in drei, auf manchen nur in zwei Hauptklassen getheilt. Diese bestehen erstens aus dem Hügelland, dann aus den fruchtbaren Thälern, und drittens aus den Korallenriffen, auf denen ebenfalls eine Art, halb aus Korallensand halb aus verwesten vegetabilischen Stoffen bestehender Boden angeschwemmt aber weit weniger fruchtbar ist. Dieser trägt auch meistens nur Cocospalmen, die überall fortkommen, den Pandanus und einige andere Arten von Laubholz, zu denen die mit den eigenthümlichen, dem Schachtelhalm gleichenden Nadeln versehene Casuarine gehört.

In den Thälern und an den leichten Abhängen der Hügel herrscht der eigentliche vegetabilische Reichthum dieser Inseln, und Palmen, Brodfruchtbäume, Bananen, Orangen, Citronen, Ananas, Parapaias, Guiaven ec. stehen hier dicht gedrängt. Hier gedeihen auch, mit nur der geringsten Bearbeitung, süße Kartoffeln, Jams, Kürbisse, oder was man von südlichen Früchten dem Boden nur anvertrauen will. Auch die gewöhnliche Kartoffel wächst hier, das Klima scheint ihr aber nicht so zuträglich zu seyn, wie das der Sandwichinseln, denn sie sollen schon nach einigen Jahren ausarten und geschmacklos werden. Dieß hat aber nur Bezug auf das niedere Land, denn in Tahiti, z. B. ist oben in den Bergen von dem französischen Gouvernement ein Garten angelegt, in dem sie alle europäischen Früchte und Gartengewächse auf das vortrefflichste ziehen.

Mit einigem Fleiß ließe sich gerade hier viel Geld verdienen, denn jede Art von Vegetabilien verkauft sich, sobald nur auf den Markt gebracht, augenblicklich, die Eingeborenen sind aber zu läßig dazu, und den Europäern ist das Klima zu warm, große körperliche Anstrengungen zu unternehmen.

Die Viehzucht wäre schon ein besserer Erwerbszweig, und in den Bergen von Tahiti halten sich eine große Anzahl wilder Rinder, Schweine und Ziegen. Die Eingeborenen beschäftigen sich aber nur ausschließlich mit der Schweinezucht, da sie von den Ziegen gar nicht, und von den Rindern höchst selten das Fleisch verzehren. Die Schweinemast ist durch die in wirklich unglaublicher Quantität wachsende Guiave außerordentlich gut, und nur wenige Monate im Jahr, wo diese, zwei Ernten gebende Frucht nicht reif ist, füttern die Indianer ihre Schweine mit Cocosnüssen.

Milch wird in Papetee, aber nur an die Weißen, sehr gut verkauft, da sie die Indianer sehr selten trinken. Kaffee, Zucker gedeihen außerdem noch vorzüglich, und wirklich, das Pflanzen ausgenommen, fast ohne Arbeit; ich bin auch überzeugt daß die meisten Gewürze hier ebenfalls gezogen werden können, Vanille und Pfeffer habe ich selber in dem Garten des englischen Arztes, freilich erst noch nur zur Probe gezogen, gesehen, und ich zweifle gar nicht, daß sie, wenn ordentlich bestellt, eben so wie Indigo, den sie schon angefangen haben zu bauen, für spätere Zeiten recht gut zahlende Ausfuhrartikel werden könnten, fehlte es nur eben nicht so entsetzlich an Arbeitern. Die Indianer sind viel zu bequem sich selbst Fische, für ihren eigenen Gebrauch aus der Bai zu holen, viel weniger Land zu bestellen, und die bis jetzt hier hergezogenen Europäer treiben mehr Handel oder Gewerbe, oder halten Gasthäuser, anstatt sich mit mühseliger Arbeit zu befassen.

Es ist aber auch die Frage, ob sich der deutsche Landmann hier glücklich fühlen würde. Noch hat er allerdings nicht zu fürchten, Klima und Boden helfen ihm, und nur eine kleine Anstrengung seinerseits wird ihn vorwärts bringen, es ist aber auch dafür Alles anders, als er es zu Hause gewohnt war zu finden. Allerdings wird er sich rasch acclimatisiren, die Sprache ist leicht zu lernen, die Eingeborenen sind freundlich und gutmüthig und ich habe nicht den mindesten Zweifel daß irgend ein fleißiger, hierher auswandernder Landmann im Stande wäre seine Existenz zu sichern; dennoch, wenn ich ihm einen Platz anrathen sollte, würde ich ihm nicht diese Inseln empfehlen. Der Raum auf ihnen ist auch zu beschränkt, die Reise dorthin zu lang, der Platz zu abgelegen um ihm, wenn er sich unbehaglich fühlen sollte, ein Fortziehen leicht zu gestatten, und andere Welttheile bieten ihm, wenn auch nicht mit so weniger Arbeit als diese südlichen Inseln, doch fast eben so viele Garantie sein Fortkommen zu sichern.

Diese Plätze hat der liebe Gott als Wohnort für ein gemüthliches stilles Volk geschaffen, und sie taugen nicht für eine dorthin gewaltsam importirte Cultur. Soll diese aber dennoch Platz finden, und ich zweifle gar nicht daß es im Lauf der Zeiten geschieht, dann muß sie sich auch eben erst Platz machen. – Jene Palmen lassen sich in Reihen pflanzen, jene Menschen nicht, sie werden welken und untergehen, – und wenn Dampfmaschinen und Fabriken dort entstehen und gedeihen, wenn Weiße auf Weiße ihren Wohnort dort aufschlagen, Paläste errichten und jeden Fuß breit Landes mit solchen Sachen bebauen, die der in Luxus und Ueberfluß Auferzogene sein »tägliches Brod« nennt, dann legen sie die letzten jener Stämme, die dem ersten Europäer gastlich das Land öffneten und Brodfrucht und Cocosnüsse reichten, unter seine Palmen und die donnernde Brandung singt Todtenlieder über die Geschiedenen.

Vorbei, vorbei, unsere Segel blähen, und daß wir den Augenblick nicht vergessen über die Zukunft, dafür sorgt unser Supercargo. – Aber ich kann dem Leser nicht helfen – er hat mit mir die schönen Inseln durchflogen, er muß mich jetzt auch an Bord der Emma Prescott begleiten und wenn's ihm da nicht gefällt ist es eben nicht meine Schuld, sondern die des Supercargo's.

Unsere Fahrt begann gut genug, am 14. Febr. Morgens – an einem Freitag, wo Seeleute eigentlich nicht gern unter Segel gehen – liefen wir aus, ließen Imeo an Backbord und hätten von oben aus auch wohl Maiao müssen zu sehen bekommen, wäre unser Cours nicht plötzlich ganz südlich gelegt worden.

Tahiti liegt etwa auf 17 Grad Süder-Breite, gerade in dieser Zeit aber wüthen hier, als etwas gar nicht so seltenes, sehr heftige Typhoons oder Orkane, – die sich übrigens kaum oder nie dem Aequator auf mehr als zwölf Grad nähern und auch selten bis auf 28–30° kommen – und diesen aus dem Weg zu gehen, glaub' ich, denn wir lagen ungemein leicht in Ballast, hielt der Capitän nicht allein aus seinem geraden Cours, sondern begab sich auch dadurch des Vortheils der Passate, und wir geriethen, was wir nur zu bald empfinden sollten, zwischen die Passat- und veränderliche Wind-Region, wo Windstillen den Seefahrer oft zur Verzweiflung bringen.

Wie wir aber später fanden, hatte der Capitän allerdings volle Ursache jeder Gefahr, ja jedem Zufall, der ihn auf der Reise treffen konnte, auf das sorgfältigste aus dem Weg zu gehen, selbst wenn sich seine Reise dadurch um ein Bedeutendes verlängern sollte. Die Emma Prescott war nämlich eines jener zahllosen Fahrzeuge, die in den Vereinigten Staaten eben nur aufgetakelt, eine Quantität von Passagieren mit ihrer Ladung nach dem Goldlande zu bringen, dort von allem geplündert werden was niet- und nagellos ist, und irgend an Land Geld bringen kann, und dann um irgend einen Preis losgeschlagen wurden, weil man doch keine Mannschaft mehr daran wenden wollte, sie wieder fortzubringen, oder weil sie auch eben ihre Kosten und Procente eingetragen hatten. So war die Emma Prescott von einigen Engländern gekauft, mit dem Notwendigsten – aber wirklich nur mit dem Notwendigsten im strengen Sinne des Wortes – ausgestattet, und einem Capitän übergeben sie nach Sidney zu führen.

Der Mann wenigstens, der sich erst als den Eigenthümer ausgab, und Supercargo genannt wurde, schien nur zum Staat darauf zu sein, denn Ladung hatten wir – zwei Dutzend Cocosnüsse ausgenommen die in Tahiti eingelegt waren, gar keine an Bord.

Außer diesem Nothwendigsten fehlte Alles – keine Segel mehr wenn der Sturm diese zerriß – ein paar leichte Bramsegel und Clüver ausgenommen, keinen Barometer, kein Telescop, keine Glocke, keinen ordentlichen Eimer, keine hinreichenden Gefäße selbst zum Kochen, keine Nothraae oder Spiere, nicht Feuerholz, nicht Wasser genug, wie sich später auswies, und nur eben hinreichende Provisionen der erbärmlichsten Art, Mannschaft und Passagiere am Leben zu erhalten.

Dieser Supercargo, ein Mr. Fligg, hatte den Einkauf der Sachen zu besorgen gehabt, und jedenfalls den Nutzen in seine Tasche gesteckt; er wußte dabei recht gut, daß Passagiere schlechter oder unzureichender Provisionen wegen nur selten im Hafen angekommen, klagen, oder wenn sie klagen, doch nichts ausrichten, denn die Gesetze können von solchem Schuft immer leicht genug nach Bequemlichkeit umgangen werden.

Der Capitän des Fahrzeugs war ein braver ordentlicher Mann, hatte aber leider mit der Proviantirung nichts zu thun, und mußte selber darunter leiden.

Unter bewandten Umständen mit meiner Kasse hatte ich natürlich Deckpassage – oder wie es Mr. Fligg nannte, »zweite Cajüte« genommen. Unser Aufenthalt war auch darin sehr angenehm; ein kleines leichtes Haus – eine sogenannte »Hütte« stand mitten auf dem Verdeck, mehre Fenster dann ließen hinlänglich Licht und Luft herein, und wir konnten unsern Cojen frisch und reinlich halten, außerdem bekamen wir aber nicht einmal einen Teller, keine Löffel, kein Wasser, keine Gabel geliefert – die paar Menschen in der ersten Cajüte hatten nicht einmal Tassen und Theelöffelzeug – und da ich keine Ahnung von solchem Wesen gehabt, weder Supercargo noch Capitän mir auch nur ein Wort davon gesagt, so blieb mir weiter Nichts übrig, als eine meiner Cocosnüsse ordentlich auszuhöhlen und mir einen hölzernen Löffel zu schnitzen – eine Gabel machte ich mir, backwoods fashion, aus einem Stück Bambus, mein Messer gebrauchte ich so, und war denn endlich für die gute Emma Prescott eingerichtet.

Glücklicher Weise hatte ich Früchte genug mitgenommen eine Zeitlang auszuhalten, und ein wahres Labsal neben dem Salzfleisch waren die Cocosnüsse, so lange sie wenigstens hielten. Wir in Deutschland bekommen hier auch manchmal Cocosnüsse her, theils aus Brasilien, theils aus Westindien, aber diese sind mit den jung vom Baum genommenen gar nicht zu vergleichen, und haben nicht einmal Aehnlichkeit im Geschmack. Die Cocosnuß, wenn jung abgenommen, daß die sogenannte Milch im Innern, ein kühles, dem Zuckerwasser nicht unähnliches Getränk, noch ihre volle Güte hat, muß in der äußeren Schale noch grün, und so weich seyn, daß man mit einem starken spitzen Messer leicht ins Innere stoßen, und aus dem oberen Theil ein Stück herausschneiden kann. Die Nuß selber enthält dann noch fast weiter Nichts als dieß Wasser, das ordentlich hineingepreßt scheint, denn sobald man mit dem Messer einsticht, spritzt es oft fünf, sechs Fuß weit hinaus. Das innere Fleisch ist dabei so weich, daß es sich in etwa viertel Zoll dicker Masse an die Schale nur angelegt zu haben scheint, und man es mit einem Löffel leicht herausschaben kann. Es ist eine so erfrischende wie nahrhafte Frucht, und schade nur, daß man sie bloß so sehr kurze Zeit auf Seereisen halten kann.

Im Anfang war unsere Reise glücklich genug. Montag den 17. erreichten wir schon Raritao, gingen einen halben Strich mehr nach Osten, die Insel am Starbordbug zu lassen, so ängstlich war unser Capitän, sich Nichts von seinem Südcours zu vergeben, und die Brise zeigte sich in der That so frisch, daß einige unserer Passagiere – und wir hatten deren noch drei außer mir in »zweiter Cajüte« und einen alten Mann in erster – von kühnen Hoffnungen bewegt, Wetten anboten, wir würden in drei Wochen in Sidney seyn. Ich wettete mit allen Dreien, mit Jedem um eine Flasche Wein, mit dem ersten wir würden nicht in drei, mit dem zweiten nicht in vier und mit dem dritten noch nicht in fünf Wochen selbst an Ort und Stelle seyn, und gewann sie leider alle drei. Die nun bald eintretenden Windstillen, die uns schon fast, mit dem 26. Grad erreichten, auf dem wir uns jetzt, ziemlich außer dem Bereich der Typhoons und nach Osten laufend, hielten, übten aber auch richtig ihre Wirkung auf meine Mitpassagiere aus, die bald genug anfingen in Unfrieden zu gerathen. Die Passagiere waren zwei Irländer und ein junger Bursche aus Sidney – der eine Irländer Zimmermann, der andere Kaufmann, beide aber mäßige und brave Leute, der erstere jedoch etwas roh und der junge Bursch aus Sidney überschwenglich und versemachend, sonst aber ein so faules schmutziges Stück Menschenkind, als je Schuhleder zertreten oder seine Eltern geärgert hatte. Diese drei neckten sich häufig unter einander, und der Sidneyer versuchte sich über den Zimmermann lustig zu machen, was dieser aber, der keineswegs so dumm war wie ihn jener zu halten schien, ziemlich gutmüthig geschehen ließ, bis sie einmal unglücklicher Weise auf Religion zu sprechen kamen, und damit dem Faß den Boden ausstießen. Den beiden jungen Leuten, Protestanten, fiel es unkluger Weise ein, sich über katholische Priester im Allgemeinen lustig zu machen, das wäre ihnen aber beinah übel bekommen. Der Irländer, ein großer breitschultriger Gesell sprang auf, erklärte sie Beide für nichtsnutzige Lügner und versprach ihnen, wenn sie noch eine einzige solche Aeußerung wagten, »ächt irische Behandlung.« Der kleine dicke Sidneyer wollte jetzt die Sache auf den Boden des Arguments hinüber führen, und meinte, der Zimmermann würde ganz andere Begriffe über die katholische Geistlichkeit haben, wenn er – den Aristoteles gelesen hätte – jedenfalls eine eigenthümliche Folgerung – der Zimmermann behandelte aber selbst diesen mit gründlicher Verachtung, schwur, Aristoteles solle verdammt seyn, und er selber wolle es mit ihnen Beiden und Aristoteles dazu aufnehmen. Es blieb den andern Beiden nichts übrig, als die katholische Geistlichkeit von da an – in Gegenwart des Iren wenigstens – unangefochten zu lassen. Es hatte in dem Vulkan nun aber einmal gekocht, und sollte auch zum Ausbruch kommen, denn nur zwei Tage später lag ich nach Tisch – d. h. in der Tageszeit, die man bei uns Tischzeit nennt, denn wir hatten weder einen Tisch, noch etwas zu essen – in meiner Coje, ein kleines Nachmittagsschläfchen zu halten, als ich plötzlich durch einen ungewöhnlichen Lärm aufgestört wurde. Wie ich die Augen öffnete, sah ich den langen Irländer, der seinen Landsmann in der rechten, und den Sydneyer in der linken Ecke unserer »Hütte« hatte, und Beide mit den Fäusten bearbeitete. Der Capitän kam gleich darauf dazu, und stellte den status quo, wie sie bei uns sagen, wieder her. Die Ursache sollte dießmal die gewesen seyn, daß die beiden ihm das frische Wasser ausgetrunken hatten.

Nachmittags am 11. März überschritten wir den 180. Längegrad; dadurch übersprangen wir, indem wir von westlicher nach östlicher Länge hinüberwechselten, den 12. März und verloren den Tag. Und was thats? – Die Astronomen hätten aus dieser Zeit meinetwegen eine ganze Woche bekommen können.

Am 20. kein Holz und keine Kohlen mehr. Der Koch mußte alte Raaen zerhacken und als Feuerholz gebrauchen; es wurde wahrlich Zeit daß wir Wind bekamen. Aber das Schiff lag wieder auf spiegelglatter Fluth, und machte keine Meile den ganzen Tag.

Den 21. endlich, Morgens um 10 Uhr, setzte ein frischer Ostwind ein; wir liefen zum ersten Mal wieder, seit langen langen Wochen, etwa sechs Meilen durchs Wasser, und die Wolken sahen aus als ob mehr Wind dahinter wäre. Es giebt wahrlich nichts Entsetzlichers auf See, als Windstille, und gerade in dem Maße, wie sich ein Seekranker nach einem solchen Zustand der Ruhe sehnt, so verhaßt und widerwärtig wird er zuletzt dem Gesunden, besonders in den Tropen, wo die Fluth wie geschmolzenes Blei das Schiff umgiebt, und die Sonne am Himmel manchmal wie festgenagelt steht.

Dießmal aber hielt der Wind – den 22. liefen wir mit Tagesgrauen Norfolk island an, ließen es aber zu weit in Lee, viel mehr als die Umrisse der kleinen Insel, wie den stattlichen Baumwuchs darauf, erkennen zu können.

Es ist dieß gegenwärtig die schärfste Strafcolonie Großbritanniens, und ich hätte sie gern besucht, wir segelten aber scharf vorüber, und Nachmittags war sie lange am Horizont verschwunden.

Ein eigenthümlicher und wunderschöner Baum dieser Insel ist die Norfolkfichte ( Eutassa excelsa), deren Schößlinge jetzt in alle Welt ausgeführt werden, und besonders in Sydney einen bedeutenden Zierrath der Gärten und Häuser bilden. In Valparaiso werden Bäume davon mit 6 und 8 Unzen bezahlt, und selbst nach Deutschland sind schon einzelne Exemplare ausgeführt worden.

Am 25. artete die Brise in einen förmlichen Sturm aus, und wir lenssten vor gereeften Marssegeln, daß es eine Lust war. Die Emma Prescott blieb aber trotzdem ein erbärmlicher Segler, und es mußte wirklich ein fliegender Sturm kommen, einmal acht Meilen aus ihr herauszutreiben. Die Matrosen meinten sie machte nicht mehr, und wenn sie sich »vorn in Brand liefe.«

Der Sturm legte sich übrigens bald wieder – wir bekamen den alten Wind der uns rasch unserem Ziel entgegentrug.

Den 27. waren wir bei der Mittagsobservation nur noch zwei Grad Länge von Port Jackson – der Hafen an dem Sydney liegt – entfernt, und schon um 9 Uhr Abends bekamen wir das Licht des allerdings sehr hochstehenden Leuchtturms in Sicht. So war denn doch nun ein Ende dieser wirklich für mich entsetzlichen Reise zu erhoffen, und wahrlich hatte ich mich noch nie im Leben vom Bord eines Schiffes so fortgesehnt, als von dieser traurigen Emma Prescott. Keiner von uns ging jetzt mehr von Deck, und das höher und deutlicher aufsteigende Licht wurde wirklich mit einem Gefühl frommer Verehrung betrachtet.

Die Frage war jetzt nur, ob wir es würden wagen können in der Nacht einzulaufen, oder ob wir überhaupt würden einen Lootsen vor Tag an Bord bekommen. Die Brise war aber so günstig, und die Einfahrt in Port Jackson sollte so sicher seyn, daß wir bis dicht hinankommen konnten. Mit der Laterne wurde ein Signal gegeben, und gleich darauf dicht bei uns von einem Boot aus, das wir bis dahin gar nicht bemerkt hatten, beantwortet, und eine halbe Stunde später liefen wir durch das Felsenthor Port Jacksons – das mir eine unheimliche Aehnlichkeit im Dunkeln mit dem goldenen Thor San Franciscos hatte, ein. – Wir konnten doch nicht gut aus Versehen Californien wieder anstatt Australien erreicht haben? – aber nein, die flachen Küsten ließen sich selbst bei Sternenlicht erkennen, wir waren richtig in Australien, und ich freute mich jetzt nur über mein entschiednes Unglück, jeden Hafen fast im Dunklen anzulaufen. Seit ich Deutschland wieder verlassen, war dieß richtig der fünfte Port, in dem ich im Stockdunklen angekommen. Meine Wetten hatte ich übrigens alle gewonnen – wir waren sechs volle Wochen gefahren.

Den 28. Morgens stand ich mit Tagesgrauen an Deck, wenigstens sobald als möglich einen Ueberblick zu bekommen, und ich muß gestehen, daß ich ihn schöner, weit schöner fand, als ich ihn erwartet hatte. Es ist jedenfalls eine der sichersten Häfen, die existiren, und auch in Scenerie hab' ich wenige gesehen, die ihn übertreffen, obgleich ihm die niederen Hügelrücken eben keinen großartigen Anstrich geben können. Nichtsdestoweniger sehen gerade diese niedern scharfabgerissenen felsigen Ufer mit den, im dunkelgrünen Laub halb versteckten wohnlichen Häusern, freundlich genug aus, und selbst der Baumwuchs hat etwas eigenthümliches, das ihn von jedem andern Welttheil scharf abzeichnet und unterscheidet. Die Bäume und Büsche haben unten wenig oder gar kein Laub, sondern steigen glatt empor und laufen oben fast wagrecht in eine dichte buschige Krone aus. Die Norfolktannen hie und da dazwischen, machen das Ganze noch charakteristischer, und ganz angenehm stach auf dem rechten Ufer die Stadt mit ihren soliden Häusermassen, wie das in altritterlicher Art errichtete Gouvernementsgebäude und das Fort dagegen ab.

Schiffe lagen nicht viel im Hafen – unter den wenigen ein spanisches Kriegsschiff, aber von den verschiedenen abzweigenden Armen der Bai ragten noch hie und da Masten empor, über die im glühenden Sonnenlicht blitzende Wasserfläche schossen einzelne scharfgebaute Boote und neigten ihre weißen Segel der frischen Brise – an dem nahen Landungsplatz, den ein Wall von hellen, glattbehauenen Steinen bildete, regten sich lebendige bunte Gruppen von Menschen, und das ganze Bild, in seiner frischen, fröhlichen Färbung, machte einen unendlich wohlthuenden Eindruck auf mich.

Um acht Uhr kam endlich die Sanitätscommitee an Bord, es war das aber mehr eine vom Gesetz vorgeschriebene Form, als daß sie es wirklich für nöthig gehalten hätten, mehr als nach unserm Befinden zu fragen, eine halbe Stunde später sprang ich in eins der im Wasser zu uns herausgekommenen Boote und betrat gleich darauf australischen Boden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 3. Band - Die Südsee-Inseln