9. Valparaiso und Chile.

Mein erster Abend in Valparaiso versprach nichts weniger als angenehm zu werden. Die kleine Pulperia in der wir unser Nachtquartier genommen, lag ziemlich am östlichsten Ende der Stadt, und mußte der ärmlichsten Art dieser Klasse von Häusern angehören, denn ärmlich genug sah es wahrlich darin aus. Ich war aber auf meiner letzten Reise, weder durch die Pampas noch über die Berge, sehr verwöhnt worden, warf meinen Sattel deßhalb in eine Ecke und mich mit der Decke oben drauf und wartete ruhig bis »Donna Beatriz« – die ich mir beiläufig anders gedacht hatte – uns eine Mahlzeit bereitet haben würde, die hungrigen Mägen zu befriedigen. Vor allen Dingen ließ ich mir ein Glas Wein geben, bekam aber wieder diesen entsetzlichen sauren Most und gab es in Verzweiflung auf.

Die Pulperia war eine kleine Art Kramladen, wo die Nachbarn Talglichter und Zucker, Eier und Seife, Dochte und Kohlen in kleinster Quantität bekommen konnten; vorn stand aber auch ein Tisch mit einigen Bänken, und eine Reihe mit Flaschen, die das unterste und bequemste Real zierten, verkündeten mit ihren angeklebten Zetteln die verschiedensten Gattungen von aqua ardiente.


Woran mir übrigens jetzt, fast noch vor dem Essen, lag, war herauszubekommen ob der Talisman schon gesegelt sey, und meine erste Frage lautete nach einer Zeitung – leider schien keine im Haus zu seyn und zu solcher »nachtschlafender« Zeit konnte man die Nachbarn auch nicht wecken. – Ich richtete jetzt meine Fragen an den Hausherrn wie an mehre Gäste, keiner wußte mir aber Bescheid zu geben, und nur Einer meinte, den Namen hätte er gehört und das Schiff müsse im Hafen liegen, das war aber auch Alles.

Donna Beatriz wirthschaftete indessen am Kamin herum, und brachte erst eine ganze Portion Eier und dann eine Bratpfanne zum Vorschein und hielt die letztere dann gegen das Licht, zu sehen, in welchem Zustand sie sich eigentlich befände. Was ich davon erkennen konnte, so war dieß ein sehr trauriger, Donna Beatriz ließ aber den Lappen, mit dem sie wahrscheinlich im Anfang beabsichtigt hatte sie auszuwischen, wieder fallen und sagte, »das wäre schade – es ist noch Fett d'rin« – und schlug ruhig die für uns bestimmten Eier oben auf diese vorsündfluthliche Fettschicht in löblicher Sparsamkeit.

»Das ist mir aber lieb« dacht ich, doch hatt' ich einen Bärenhunger und nebenbei den festen Entschluß gefaßt, mich durch nichts mehr abschrecken zu lassen und hineinzuessen was mir vorgesetzt werden würde. Schlimmer wie die Kuhhornsuppe meines früheren Argentiners konnte es doch nicht seyn.

Am nächsten Morgen war ich noch vor Tag auf, und am Hafen – es lagen viele Schiffe dort, und keines hatte die Segel auf – außerdem rührte sich auch kein Luftzug, und befand sich der Talisman jetzt noch unter ihnen so konnte er mir nicht mehr entgehen. Es war aber noch zu früh am Tag und noch dazu an einem Sonntag Morgen, irgend einen Menschen zu treffen der mir hätte genauen Bescheid geben können, deßhalb blieb mir nichts übrig als indessen am Landungsplatz ein wenig auf- und abzugehen.

Wie mir zu Muthe dabei war wird sich der Leser unmöglich denken können, ich müßte ihm denn eine ganz genaue Beschreibung meines eigenen äußerlichen Selbst liefern, und sogar das kann ich nicht, denn ihnen nur einen deutlichen Begriff meiner unteren Kleidungsstücke zu geben wäre unanständig – ich darf ihn nur, wie es die Redaktionen der politischen Zeitschriften mit Rußland, Oestreich und Preußen machen, ihren Zustand ahnen lassen.

Der Leser mag übrigens bedenken daß ich fast einen vollen Monat im Sattel gehangen hatte, daß selbst meine langen Wasserstiefeln, von dem ewigen Galoppiren, an der Seite durchgeritten, und fertige Kleidungsstücke unterwegs nicht zu bekommen waren, ich auch nichts weiter, Wäsche ausgenommen, mitgeführt hatte, als was ich am Körper trug – mit einer einfachen Kettenrechnung läßt sich da leicht ein Facit herausbekommen. Ein ziemlich langer argentinischer Poncho, mit sehr vorherrschender rother Farbe verdeckte übrigens meine meisten Mängel, aber auch der sah wild genug aus. Das rothe Tuch dabei um den Hals, wie's die Argentiner tragen, den Staub abzuhalten – den alten breitrandigen, verwitterten Filzhut dessen Krempe vom fortwährenden Auf- und Niederschlagen an einigen Stellen nur scheinbar noch aus besonderer Gefälligkeit für mich zusammenhielt, das sonnverbrannte Gesicht und Bart und Haar natürlich auch seit geraumer Zeit keinen Friseur gesehen – was Wunder da, daß die wenigen Leute, die sich nach und nach auf der Straße blicken ließen, etwas überrascht die wunderliche abenteuerliche Gestalt anschauten, die sich an dem anbrechenden freundlichen Sonntagmorgen bestaubt und übernächtig auf der Straße blicken ließ.

Da ich aber glücklicher Weise nicht selber hinter mir hergehen konnte, vergaß ich auch bald mein eigenes Aussehen in dem Drang Näheres über »mein Schiff« zu hören. Im Anfang konnte ich jedoch von keinem der Vorbeipassirenden etwas genaueres erfahren; einige sagten, er sey da, andere sie hätten ihn noch gar nicht gesehen – Einer meinte, er wäre gestern Abend fort – was wußte der Mann mit dem blauen Rock vom Talisman. Endlich traf ich zufällig den Wirth des »Star Hotel« in dem die meisten der Talismanpassagiere gewohnt hatten – »und wann ist er fort?« frug ich den Mann gespannt.

»Gestern Nachmittag um 5 Uhr hätten Sie noch an Bord kommen können,« lautete die Antwort und der Mann betrachtete mich dabei von Kopf zu Füßen, während es ihm ordentlich auf der Zunge lag – »aber wo um Gotteswillen kommst Du denn eigentlich her?«

Also fort – aber das ließ sich nicht ändern – und nur um wenige Stunden bei einer solchen Reise von Monaten verfehlt – eigentlich hätt' ich mich ärgern müssen – und ordentlich geahnt hatt' ich's in den letzten Tagen, in meiner inneren Unruhe die Reise zu beenden. Das sollte dabei noch ein Trost seyn, daß ich zu gleicher Zeit erfuhr, beinah hätt' er noch einmal Anker geworfen, denn er habe sich, bis 5 Uhr Nachmittags eben, gegen einen leichten Nordwind abquälen und fortwährend dagegen ankreuzen müssen, aus dem Hafen zu kommen.

Aber was schadete es? – dagegen thun ließ sich doch nichts und es blieb mir jetzt nur das Einzige übrig, augenblicklich meine Sachen abzuholen.

Hier aber lag eine andere Schwierigkeit – es war Sonntag Morgen – es gibt wirklich nichts Verzweifelteres in der Welt, als an einem Sonntag Morgen in einer fremden Stadt anzukommen – kein Geschäft eröffnet, kein Mensch zu finden, die Leute alle nur in ihrem Sonntagsputz auf den Straßen, und Alle vollkommen müßig den Fremden Viertelstunden lang anzustieren – und dabei ein Hunger – das etwa waren meine Gedanken.

Die Herren des Firma, bei der meine Sachen niedergesetzt waren, mußte ich also jetzt in ihrer eigenen Wohnung aufsuchen, und konnte ich so hingehen wie ich da ging und stand? – nun konnte ich etwa anders hingehen?

Als ich in einem solchen geringen Anfall von Verzweiflung in der Straße stand, und eben, mit Hülfe einiger gefälligen Vorübergehenden eine Anzahl von dort in Massen herumlaufenden Hunden abgewehrt hatte, denen wahrscheinlich das viele roth an mir aufgefallen war, denn einer hatte mich zuerst angebellt, und damit ein halbes Dutzend anderer Kameraden herbeigerufen, fiel mein Auge zufällig auf ein kleines Schild das über einer, eben halb geöffneten Thüre hing, und auf dem, unter den spanischen Eigenschaftsnamen mit deutschen Buchstaben ein unverkennbares »Deutscher Schuhmacher« prangte.

Das war ein Lichtblick, denn um diese frühe Tageszeit konnte ich noch keine Visite machen und der deutsche Schuster wußte hier jedenfalls genug Bescheid, mir erstlich die Adresse des Lampe, Müller und Fehrmann'schen Geschäfts und vorher einem Ort zuzuweisen, wo ich eine menschliche Mahlzeit bekommen konnte.

Mein kleiner Schuhmacher, der eben keine Schuhe aber wohl seine Toilette zu dem heutigen Festtag machte, war auch wirklich gleich zum guten Anfang ein kleines Original, empfing mich aber, wenn auch erst mit einem etwas mißtrauischen Blick über meinen ganzen äußeren Menschen, vorzüglich aber über mein Schuhwerk, freundlich, bot mir sein Dreibein zum Sitz an, und band sich, während ich mich darauf, mir zugleich den Rücken deckend, niederließ, oder schnürte sich vielmehr, denn er kriegte einen ganz dicken rothen Kopf dabei, seine Cravatte vor dem kleinen Spiegel um, der die eine Ecke seiner »Werkstatt« zierte. Ich mußte ihm dabei meine Geschichte erzählen, und er sprang mit beiden Beinen zugleich herum, als er hörte daß ich direkt über die Cordilleren käme. Ich gewann dadurch sein Herz und er bedauerte nur, indem er meine Stiefel noch einmal eines genaueren Blickes würdigte, daß er wahrscheinlich kein passendes Schuhzeug fertig für mich haben würde.

»Wenn Sie nur erst ein paar anständige Stiefeln an den Füßen haben,« sagte er dabei beruhigend, »auf das andere kommt es weniger an – die sehen aber bös aus –« das andere hatte er nämlich noch nicht gesehen.

Ich sah ihn im Anfang erstaunt an, denn bis dahin hatte ich viel zu viel Zartgefühl gezeigt, meine Garderobe auch nur mit einem Wort zu erwähnen, aber ich vergaß daß heute Sonntag war, und mein kleiner Schuster, wenn er mit mir zum Frühstück über die Straße gehen mußte, sich wahrscheinlich schämte, in solcher Gesellschaft gesehen zu werden. Hatte er mich aber in gutem Schuhwerk, so ging ihn das andere nichts weiter an.

Mein neugewonnener Freund erzählte mir jetzt nun auch seine Lebensgeschichte – denn nach seiner kleinen, dicken, silbernen Uhr hatten wir noch wenigstens eine halbe Stunde Zeit, ehe wir zu essen bekamen. – Er war vor einigen Jahren schon nach Chile gekommen und befand sich hier vortrefflich – bis dahin hatte er immer nicht gewußt, weßhalb die Stadt Valparaiso – »paradiesisches Thal« genannt werde – denn das Paradies hätte er sich eigentlich anders gedacht, nun aber wisse er es, denn für die Schuhmacher sey es ein wirkliches Valparaiso. Er, der als armer Schuhmachergeselle hierherkam, wurde augenblicklich Meister, ohne ein Meisterstück machen zu dürfen, und lieferte nicht allein vortreffliche Arbeit, sondern hielt sich auch noch, er der arme Schustergeselle, einen »Wichsier«, einen ächten Spanier, der ihm dabei nicht allein das Flickwerk besorgte, sondern sogar bestellte und für ihn zugeschnittene Arbeit recht leidlich ausführte. Das war aber das wenigste – außerdem konnte er arbeiten, wenn er gerade Lust hätte, Feierabend ebenso machen wie er wollte, und Sonntags hatte er nicht etwa seine gewöhnlichen »paar Groschen,« sondern eine Handvoll spanischer Dollar in der Tasche und trug sich »so fein wie nur irgend ein anderer Señor.«

Ich beneidete ihn in dem Augenblick wirklich um ein Kleidungsstück, er fuhr aber fort mir zu erzählen, wie er sich einmal habe verleiten lassen – denn der Mensch verlange es immer besser zu kriegen auf der Welt, so lange er lebe – von Valparaiso fort und nach Valdivia zu gehen, um »Landwirthschaft« zu treiben – »ich und Landwirthschaft« setzte er dabei verächtlich hinzu, dazu passen nur rohe Naturen, die zu nichts weiter gemacht sind, als unvernünftig dicke Bäume zu fällen und Erdboden aufzukratzen – es ist ebenso mit dem Vieh – sie liefern die Rohprodukte, und wir müssens dann verarbeiten.«

In Valdivia schien es ihm bitterbös gefallen zu haben – Sonntags keine Vergnügungen, kein baar Geld zu verdienen, denn wie er wirklich angefangen hatte, in seinem Handwerk zu arbeiten, konnten ihm die Leute kein baar Geld dafür geben, sondern er sollte Leder, noch im Urzustand nehmen, und da hörte doch wahrhaftig Alles auf.

Unter diesen Gesprächen war er endlich fertig geworden, die Zeit des Frühstücks rückte auch heran, und wir gingen dann zusammen in ein amerikanisches »Boardinghouse,« wo man für einen mäßigen Preis ein recht gutes Frühstück bekam. Mir wenigstens, der ich so etwas lange nicht gekostet, schien es ein lukullisches Mahl und die einzige Fatalität dabei war, daß ich erstlich meinen Poncho nicht ablegen durfte, und mich zweitens noch, nicht so recht daran gewöhnen konnte, mit Messer und Gabeln, besonders mit den letzteren, zu essen. Fast unwillkürlich kamen mir noch immer die Finger der linken Hand dazwischen, und mein Schuster schüttelte mehrmals sehr bedenklich mit dem Kopf.

Nach dem Essen war es nun auch spät genug geworden Herrn Fehrmann, dessen Wohnung mein kleiner Schuster nämlich wußte, und zu dem er sich sehr freundlich erbot mich hinzuführen, aufzusuchen.

Glücklicherweise war er noch zu Hause, denn ich fand ihn eben im Begriff auszugehen, und so erstaunt er mich im Anfang betrachtete – denn er hatte bei meinem ersten in Sicht kommen wohl kaum geglaubt, daß ich ihn deutsch anreden würde, so erstaunt blieb er, als ich ihm von meinem Koffer sagte, der hier für mich stehen solle. Er rief augenblicklich einen seiner jungen Leute, ob der »Talisman« irgend etwas für einen der Passagiere im Geschäft oder Zollhaus zurückgelassen. Keiner wußte von etwas, und im Augenblick war mir klar, daß der Talisman – gegen die mit Capitän und Cargadeur getroffene Abrede – meine sämmtlichen Sachen mitgenommen habe; Wäsche, Kleider, Bett, Bücher, kurz alles, was ich überhaupt jetzt auf der Welt mein nannte und nothwendig brauchte, nicht allein um in Valparaiso anständig zu erscheinen, sondern auch eine weitere Seereise, mit den dringendsten Bequemlichkeiten versehen fortsetzen zu können, befand sich auf dem Weg nach Californien und ich saß hier so blank und schön auf der wohlriechenden Haide, wie es sich ein Mensch nur wünschen konnte.

Allerdings war die Sache, für mich wenigstens, auch nichts weniger als spaßhaft, dennoch mußte ich im ersten Moment laut auflachen. Niemand kannte meine »inneren« wie »äußeren« Verhältnisse besser, als ich selber, und so plötzlich und total in einer wirklichen Urpatsche zu sitzen, hatte jedenfalls etwas poetisch-komisches.

Herr Fehrmann, dem ich meinen Namen nannte und mit ein paar Worten die Umrisse meines Unfalls gab, während er durch den Cargadeur schon von meiner beabsichtigten Fahrt unterrichtet war, lachte im ersten Augenblick allerdings mit über meine Lage – und der Henker hätte da ernsthaft bleiben mögen, bot mir aber zu gleicher Zeit mit der größten Gastfreundschaft sein Haus zum Aufenthaltsort an, bis das nächste Schiff desselben Rheders, die »Reform,« das täglich erwartet wurde, eintreffen sollte. Ich nahm das Anerbieten so gern an, wie es mir geboten wurde, und fand mich bald darauf nicht allein in das Haus, sondern selbst in die Familie des Herrn Fehrmann mit einer Herzlichkeit aufgenommen, die ich den guten Menschen nie vergessen werde.

So abgerissen war ich übrigens, daß ich mir sogar Kleider borgen mußte, um nur in der Stadt herumgehen und neue einkaufen zu können; das aber, was mir im Anfang ein Mißgeschick geschienen, wurde jetzt für mich zum Glück. Unter den freundlichsten Verhältnissen war ich nicht allein im Stande, mich von wirklich fast zu harten Strapazen und Mühseligkeiten auszuruhen, sondern auch Valparaiso selbst, das ich doch im anderen Falle nur zu flüchtig hätte sehen, und ganz und gar nicht näher kennen lernen können, länger zu durchstreifen und auch mehr über das Land selber zu hören.

Valparaiso, einer der bedeutendsten Handelsplätze der Westküste Amerika's, ist wohl schon oft genug geschildert worden, und ich will mich deßhalb auch auf keine lange, den Leser vielleicht ermüdende Beschreibung des Ortes einlassen, sondern ihm nur kurz den Eindruck geben, den die Stadt beim ersten Betreten und bei einem mehrwöchentlichen Aufenthalt auf mich machte.

Valparaiso gleicht keineswegs den übrigen südamerikanischen, im altspanischen Geschmack gebauten Städten, sondern mehr als selbst Rio Janeiro und Buenos Ayres, einem europäischen Handelsplatz. Daran tragen aber nicht allein die jetzigen Bewohner, sondern auch ein früheres Erdbeben und eine spätere, sehr starke Feuersbrunst die Schuld, denn die zerstörten Stadttheile wurden alle im neueren Geschmack errichtet, ja die an der Bay hinlaufende Hauptstraße besteht sogar, in gänzlicher Verachtung kommender Erdbeben, aus großentheils zweistöckigen Häusern, und diese, wie die kleineren an dem der Bai zugewandten Hang der Küstenhügel stehenden Gebäude, haben alle hohe und nicht flache spanische Dächer.

Der Hafen ist geräumig und sicher und nur den Nordwinden preisgegeben, die allerdings hier nur sehr selten wehen, aber wenn sie kommen, gewöhnlich stark und furchtbar einsetzen und großen Schaden unter den Schiffen anrichten. Befestigt ist der Hafen sonst fast gar nicht, denn die paar Kanonen, die hie und da hinter nur unbedeutenden niederen Mauern stehen, können sicher nicht als Vertheidigungswerke gelten. Chile lebt aber mit den übrigen Nationen in Frieden, deren eigener Nutzen schon sie nöthigt, Handel und Hafen der blühenden Republik eher zu schützen als anzugreifen.

Chile ist jedenfalls ein blühendes herrliches Land, obgleich erst in seiner Entwicklungsperiode; seinem Berg- wie Ackerbau, besonders dem ersteren, kann man wohl eine glänzende Zukunft prophezeien. Die Silber- und Kupferminen sind unglaublich reich, und die Regierung begünstigt vorzüglich den Bergbau, zu dessen Schutz die umfassendsten Gesetze gegeben sind und mit eiserner Strenge gehandhabt werden.

So wird zum Beispiel dem Entdecker einer Mine, sie mag sich befinden auf wessen Land sie will, das Eigenthumsrecht derselben unbedingt zugesprochen. Der Eigenthümer des Landes aber ist nicht allein verpflichtet, ihm den Grund und Boden zu einem von der Regierung festgesetzten und nicht nach dem Werth der Mine, sondern nach dem Werth des Bodens bestimmten Preis abzulassen, sondern muß ihm auch noch Holz und Wasser, was er zu der Bebauung seiner Mine bedarf, ebenfalls zu einem von der Regierung zu bestimmenden und sich den örtlichen Verhältnissen anpassenden Preis herbeischaffen.

Getreide, wie alle Arten von Früchten, bringt das Land in großer Menge und Güte hervor; nur an Händen fehlt es noch, den Boden zu bearbeiten, und da dieß die Regierung recht gut einsteht, so thut sie auch alles Mögliche die Einwanderung fleißiger Arbeiter, besonders deutscher, zu befördern. Sowohl in Valdivia wie Concepcion beginnen Ansiedlungen, die später die erfreulichsten Früchte tragen können.

In Concepcion besitzt der Präsident selber bedeutende Strecken Land als Privateigenthum, und bot schon damals deutschen Einwanderern, die sich dorthin ziehen wollten, vortreffliche Bedingungen, und Valdivia, die südlichste Provinz des Landes, scheint von Deutschen stark besiedelt werden zu wollen.

Die deutsche Einwanderung wird auch natürlich auf das eifrigste von den deutschen Kaufleuten Valparaisos unterstützt, die ganz richtig schließen, daß durch eine bedeutende Anzahl von deutschen Ackerbauern und Handwerkern in Chile, deutsche Bedürfnisse auch ihre eigenen Geschäfte soviel mehr beleben müssen und der deutsche Einwanderer kann sich ziemlich fest darauf verlassen, daß er in Valparaiso selber jeden nur möglichen und billiger Weise zu erwartenden Vorschub genießen wird.

So lagen gerade, als ich mich in Valparaiso befand, mehrere deutsche Familien hier, die nach Valdivia auszuwandern beabsichtigten und keine Gelegenheit dorthin finden konnten. Herr Fehrmann reichte endlich ein Gesuch an die Regierung ein, den Leuten womöglich an den Ort ihrer Bestimmung zu helfen, und ungesäumt wurde das kleine Kriegsschiff Condor, was gerade segelfertig im Hafen lag, angewiesen, sie passagefrei nach Valdivia zu führen. Nur ihre Provisionen hatten sie sich selber zu stellen.

Unter diesen befand sich eine Frankfurter Familie, die ich kennen und achten lernte, und der alte Herr, der schon mit greisen Haaren, aber noch jungem Muth und erwachsenen Söhnen und Töchtern einen neuen Welttheil hatte aufsuchen müssen, sich eine Heimath zu gründen, schien praktische Erfahrung genug zu besitzen, ihm, mit einiger Ausdauer, ein günstiges Loos zu versprechen. Der Erfolg hat das auch bewährt, und seine neueren Briefe zeigen, daß er sich vollkommen wohl im Süden von Chile fühlt.

Für die Fruchtbarkeit des ganzen Landes braucht man überhaupt wohl kaum eine andere Bürgschaft, als daß es bis jetzt nicht allein die Kornkammer Californiens, sondern in letzter Zeit auch Australiens gewesen und das alles bei einer Bevölkerung, die auch nicht die mindeste Anstrengung machte eben mehr zu ziehen, als sie mit größter Bequemlichkeit gewinnen konnte. Der Chilene überarbeitet sich gewiß nicht und wo ein chilenischer Landmann sich nur wohl befindet, bin ich überzeugt daß ein Deutscher, wenn er seinen deutschen Fleiß, seine deutsche Ausdauer ebenfalls mit dorthin bringt, reich wird.

Das chilenische Klima sagt dabei dem Europäer vollkommen gut zu, denn nach Allem was ich von den verschiedensten Personen darüber gehört habe, soll selbst im heißesten Sommer die Temperatur dem deutschen Körper nicht unerträglich werden. Wir haben in Deutschland auch heiße Tage, und überhaupt unterscheidet der höhere Wärmegrad selbst die heiße Zone weniger von der gemäßigten als die in den, unter den Tropen liegenden Ländern anhaltende ununterbrochene Wärme, die den Körper erschlafft und aufreibt. Ein Land das seinen Winter oder selbst kalte Nächte hat, wird deßhalb nie so schädlich auf die Gesundheit des Nordländers wirken.

Was die Scenerie betrifft, so läßt darin Valparaise – wo doch gerade der Name etwas derartiges vermuthen ließe, allerdings sehr viel zu wünschen übrig, die Hügel die es einschließen sind vollkommen kahl, und nur hie und da mit einzelnen dürftigen Cactus bewachsen, doch zeigt das Land Spuren einer früheren stärkeren Vegetation, und einzelne der Thäler, mit ihren gepflegten Orangen, Feigen und schattigen Tamarindenbäumen bieten ein desto freundlicheres Bild.

Die Stadt selbst ist übrigens für den Fremden so interessant, und öffnet seinen Blicken so viel des Neuen und Ungewohnten daß mir die wenigen Wochen die ich dort verweilte, wirklich wie im Sturm verflogen, – es war ein fortdauernder Genuß, und Chile hat deßhalb auch wohl im Ganzen einen so sehr freundlichen und günstigen Eindruck auf mich gemacht.

Die Stadt selbst theilt sich in zwei sehr bestimmte Theile, der eine ist vollkommen europäisch und hierher gehört besonders der neuere Theil derselben wie die sämmtlichen am Hafen hingebauten Häuser und Waarenlager der Kaufleute die theils in durchaus europäischem, theils in südlichem Geschmack, mit Verandahs und luftigen Räumen errichtet sind. Je weiter sich diese aber von dem Geschäftstheile der Stadt entfernen, desto mehr laufen sie wieder in die kleinen einstockigen Häuser der früheren Bewohner aus, die einem doch einmal wieder eintreffenden Erdbeben nicht so keck die Stirne bieten wollten, wie der Fremde, der zwei und drei Stockwerke aufeinander und sich dadurch der Gefahr aussetzt, daß ihm beim nächsten »Schütteln« Dach und Stockwerke über dem Kopf zusammenpoltern.

Die Landung in Valparaiso ist von allen Stadttheilen jedenfalls nicht allein der belebteste und wichtigste, nein auch interessanteste Punkt. Die Landung für die Boote selber bestand damals freilich nur noch aus einem hölzernen, mit Brettern eben überlegten Ausbau, um den die Boote anlegen konnten, und von dem eine hölzerne Treppe niederführte, die gerade so aussah, als ob sie der erste tüchtige Norder mit hinwegschwemmen müßte; ein größeres Werk war aber im Bau und die Regierung beabsichtigte überhaupt, wie ich hörte, eine Art Damm in den Hafen hinein aufzuwerfen damit wenigstens ein Theil der Schiffe – denn alle zu schirmen wäre nicht möglich – gegen die besonders im Winter manchmal eintretenden Norder geschützt läge.

Nur eine Stelle ist bis jetzt im Hafen wo eine Anzahl Klippen eine Art natürlichen Damm gegen die eintretende Dünnung bildete, der Raum den diese aber schützen ist verhältnißmäßig sehr klein, und fremden Schiffen nicht erlaubt dort zu ankern.

An der Hauptlandung wimmelt es den ganzen Tag, von frühster Morgenstunde an, in dem lebendigsten Treiben dieser thätigen Stadt – es ist der Mittelpunkt des ganzen Geschäfts, zu dem sich hier alles drängt und um den sich Land- wie Seeleute den Tag über sammeln müssen, da Zollgebäude, Börse und Markt ihn in einem Halbmond umgeben.

Die Börse ist fast ebensoviel ein Leseclub als ein Versammlungsort für die Kaufleute Valparaisos – chilenische und argentinische Zeitungen liegen mit englischen und französischen Blättern in ziemlicher Anzahl aus, trotzdem aber daß sehr viel deutsche Kaufleute in Valparaiso leben und Mitglieder der »Börse« sind, sah ich dort oben nicht eine einzige deutsche Zeitung, die Deutschen halten sich diese lieber selber – sie haben ja keine Nation zu vertreten.

Mit der Börse in Verbindung steht der Telegraph der von dem westlich gelegenen Hügel aus, von dem man einen weiten Fernblick über das stille Meer hat, herübermeldet von welcher Richtung her ein Schiff sichtbar wird, und wenn es näher kommt, welcher Art es ist – Schiff, Barque, Brigg etc., und welche Flagge es führt. Dicht vor den Fenstern der Börse, die den Hafen überschauen und an denen mehrere vortreffliche Telescope aufgestellt sind, steht ein kleinerer Telegraph, die Meldung des ersteren augenblicklich wiederzugeben, und in einem oben ausliegenden Buch werden die gemeldeten Fahrzeuge dann sogleich eingetragen.

Mich interessirten natürlich gerade in jener Zeit die einlaufenden Schiffe ganz besonders, und ich verbrachte manche Stunde oben in dem freundlichen lichten Local, in das Fremde durch die Mitglieder der Börse eingeführt werden können und dieselbe, einen gewissen Zeitraum hindurch, unentgeltlich benutzen dürfen.

An der anderen Seite des Platzes ist der Markt, oder eigentlich besser gesagt die Marktstraße, da Valparaiso ein eigentliches und allgemeines Marktgebäude nicht hat und die Stände meist alle in dieser Gegend in die unteren Räumlichkeiten der Häuser hineingebaut sind.

Früchte und Gemüse spielen da eine sehr bedeutende Rolle, und die auslaufenden Schiffe finden hier einen sehr günstigen Platz Erfrischungen einzunehmen. Orangen sind besonders in ungeheuren Quantitäten aufgehäuft, ebenso zu dieser Jahreszeit viele Feigen und Trauben vorräthig – Pfirsiche waren noch nicht reif, oder vielmehr erst in Blüthe. Für tropische Gewächse und Früchte ist Valparaiso aber keinesfalls der Platz, denn wenn man auch hie und da Bananen auf dem Markt sieht, so kamen diese fast stets von Peru herunter, und für eine Annanas wurden mir zwei Thaler abgefordert. Viele leben überhaupt in dem irrigen Glauben, Chile sey ein tropisches Land, wie sich Manche auch Amerika überhaupt gar nicht anders als mit Palmen bewachsen denken können, sey das nun Kanada oder Brasilien, ja ich habe sogar in einem älteren Conversationslexicon unter Valparaiso gefunden, daß die Küste dort mit Cocospalmen dicht bewachsen wäre – wer aber eine Cocospalme an der Küste in der Nähe von Valparaiso, oder überhaupt am ganzen chilenischen Ufer finden wollte, sollte schwere Arbeit bekommen.

Chile liegt auch gar nicht in den Tropen, denn es erstreckt sich vom 45. Grad etwa, auf dem die Insel Chiloe liegt, hinauf, bis zum 26. oder 27. südliche Breite, also vollständig noch der gemäßigten Zone gehörend. Der obere oder nördliche Theil des Landes wie der südliche von Peru, ist eine unfruchtbare Sand- und Salzwüste.

Gemüse spielen auf dem Markt eine Hauptrolle, und mit Recht, denn die chilenischen Bohnen, Kartoffeln und Zwiebeln sind berühmt, und das chilenische Mehl wurde besonders in Californien ungemein gern gekauft.

Californien übte aber auch damals auf die Preise einen wirklich californischen Einfluß aus, denn jene fabelhaften dorthin verschifften Massen von Mehl und Vegetabilien hätten ein weniger fruchtbares Land förmlich ausgesogen, und mußten natürlich, selbst wo genug Nahrungsmittel vorhanden waren, ihren Werth um ein Bedeutendes steigern. Chile hatte für den Transport dorthin auch, gleich nach den Sandwichsinseln, die günstigste Lage, und die ersten Sendungen machten enormen Profit, später gab es aber auch wieder, wie sich das gar nicht anders erwarten ließ, manchen Rückschlag, und gerade während ich mich dort befand lauteten die Nachrichten für Waarentransporte dorthin so entmuthigend, daß die Kaufleute anfingen ängstlich zu werden, ja es kamen sogar schon Vorräthe besonders an fertigen Kleidungsstücken, wieder zurück und auch Lebensmittel fingen deßhalb wieder an etwas im Preise zu fallen. Die nächsten günstigen Nachrichten steigern das aber auch eben wieder so schnell, und der Ackerbauer kann sich noch lange eines guten Nutzens seiner Produkte erfreuen.

Auch der Verkehr nach Californien ist noch eben so stark, ja vielleicht stärker als je; es laufen täglich dorthin bestimmte Schiffe ein, und die Kaufleute hier, besonders solche die mit dem Seehandel zu thun haben, machen glänzende Geschäfte. Die Wechsler discontiren dabei nur mit 15 Procent, und Vermögen werden nicht selten – wie im Eldorado selber – in wenigen Monaten erworben.

Der Hafen, schon früher wohl das ganze Jahr hindurch von zahlreichen Schiffen besucht, bietet in Folge dieses neuen Verkehrs gerade jetzt ein besonders reges Bild geschäftigen Lebens. Die meisten der nach Californien bestimmten Schiffe von allen Häfen des atlantischen Oceans laufen hier ein, Wasser und Erfrischungen an Bord zu nehmen, und die Landung wimmelt fortwährend von Amerikanern, Franzosen und Engländern. Speculirende Yankees aber haben vorzüglich hier ihre Angeln ausgeworfen Vortheil aus den eben eintreffenden Fremden zu ziehen, ehe die Chilenen selbst dazu kommen. Den landenden Booten sticht schon von fern ein großes Schild » California chophouse« in die Augen, und der eigenthümliche, den Amerikanern aber bekannte Name des Gasthauses » The hole in the wall» (das Loch in der Mauer)« zieht besonders diese an. Es ist jedoch wie » The golden lion« der ebenfalls sein Schild auf dem Hintergebäude dem Wasser zukehrt, von geringerer Gattung. Das beste englische Gasthaus ist jedenfalls das » Star hotel«, dicht an der Landung; doch sucht ihm jetzt ein von einem jungen Belgier neu errichtetes, das » Ship hotel,« den Rang abzulaufen, und die Fremden die dort einkehren, sind sicherlich sehr zufrieden mit Kost wie Wohnung. Der Preis ist in beiden 1 ½ Dollar täglich für Kost und Wohnung. Das Victoriahotel (1 ¼ Dollar per Tag) von einem Italiener gehalten, stand in einem etwas schlechten Ruf, seiner Reinlichkeit wegen. Einen sehr guten Namen hatte dagegen das Hotel de Chile und ein französisches Kost- und Logishaus.

Auch mehrere französische Kaffeehäuser sind hier errichtet, die Deutschen aber haben, um doch etwas wenigstens zu ihrer Vereinigung zu thun und nicht ganz zu vergessen, daß sie eben Deutsche sind, einen deutschen Club gegründet. Dieser Club ist besonders für die Abendstunden bestimmt, obgleich die Mitglieder auch über Tag jede Stunde Zutritt haben, und befindet sich in einem sehr eleganten freundlichen Local, in dem die deutsche Flagge aufgepflanzt ist und die mit schwarz-roth-goldverzierte Namensliste der Mitglieder hängt. Hier werden nur deutsche Zeitungen gehalten, und ich sah auf dem Tisch die Allg. Zeitung, das Ausland, Morgenblatt wie viele andere. Die Sendung dieser Zeitungen schien aber leider nicht regelmäßig betrieben zu werden, denn trotzdem, daß in letzter Zeit mehrere Schiffe direkt von Hamburg und Bremen gekommen waren und das europäische Dampfboot regelmäßig alle vier Wochen eintrifft, waren die neuesten Nachrichten, die ich dort fand, vom December 1848, während in der Börse schon englische Zeitungen vom 17. Mai 1849 auslagen. Die Schuld davon tragen wohl jedenfalls die lässigen Absender in den Seestädten.

Der Zweck dieses deutschen Clubs ist, was ich davon erfahren konnte, die Deutschen in Valparaiso soviel als möglich zu vereinigen und sich gegenseitig Gelegenheit zu geben, einander kennen, zu lernen – jedenfalls ein wackeres Unternehmen, dem man den besten Erfolg wünschen muß. Im Uebrigen darf uns aber die schwarz-roth-goldene Fahne, die im deutschen Club aufgesteckt ist, nicht über die Gesinnung der Deutschen selbst täuschen. Ich bin zwar fest davon überzeugt, daß sie die deutsche Einheit, falls ihr der Sieg im Anfang gleich gelungen wäre, mit Freude, ja mit Jubel begrüßt hätten; sie leben hier in einer Republik und haben keine Sympathien für die deutsche Vielstaaterei, aber sie sind auch fast Alle – ja ich glaube, ich kann sogar sagen, Alle – Kaufleute, denen das eigene Geschäft und Fortkommen näher am Herzen liegt als der politische Zustand des fernen Vaterlandes, in dessen nähere Verhältnisse sie eben der großen Entfernung wegen nicht sehr eingeweiht seyn können. Kommt z. B. heute ein Dampfboot an und bringt Zeitungen bis zu einem gewissen Datum, so werden die mitgetheilten Neuigkeiten nicht selten schon wieder durch »Privatnachrichten,« die mit ebendemselben Fahrzeug kommen und etwas später datirt sind, widerlegt oder durch Gerüchte in den Hintergrund gedrängt. Dadurch kommt man hier nie zu einem wirklich klaren Bewußtseyn der dortigen Verhältnisse, und das schon müßte das Interesse am »Fremden« lähmen, selbst wenn nicht das Eigene so bedeutende Rechte geltend machte. Die deutschen Kaufleute aber, die hier wohnen (denn die deutschen in Valparaiso lebenden Handwerker sind von diesem Club, wahrscheinlich die deutsche Einigkeit recht treu darzustellen, ausgeschlossen, scheeren sich übrigens auch den Henker um deutsche Politik), stehen mit nur wenigen Ausnahmen mit dem deutschen Handel in sehr enger Verbindung, und diese können durch längere Unruhen in Deutschland nur Schaden leiden, nie aber einen Nutzen daraus ziehen. Die natürliche Folge ist, daß sie – was man in Deutschland »Fanatiker der Ruhe« nennen würde, sind, und unter jeder Bedingung ein rasches Wiedereintreten der Ordnung und dadurch ungestörte Handelsfreiheit wünschen. Die Republik scheint ihnen, nach einem gewissen Instinkt, nicht der beste Weg zu jenem Ziel. Die meisten springen also zum Extrem über, und die natürliche Folge ist, daß sie – zuerst auf die Landsleute in Deutschland schimpfen, weil diese nicht gleich von Anfang an durchgegriffen hätten; dann wünschen sie, »zur Strafe« möchte jetzt die Militärgewalt siegen und endlich einmal dem zwecklosen Krawall ein Ende machen. Ueber diesem Wunsch hängt die schwarzrothgoldene Fahne, und darunter sitzen die Leute und lesen die deutschen Zeitungen vom December 1848.

Doch lassen wir die Politik, Jeder hat da seine Ansichten und mag die auch vertreten; im Uebrigen sind die Deutschen Valparaisos gar wackere Leute und stehen hier in Südamerika (sehr verschieden von Nordamerika) in großer Achtung. Nicht allein die Regierung begünstigt sie vor anderen Nationen und wünscht ihre Einwanderung, sondern die Chilenen selber sind freundlich gegen die deutschen Nachbarn und führen sie mit vieler Herzlichkeit in ihre Familien ein.

Ich selber bin von den hiesigen Deutschen ebenfalls, und zwar ohne Ausnahme, auf das freundlichste aufgenommen worden. Herr Fehrmann besonders öffnete mir in so herzlicher Weise Haus und Familie, daß ich es ihm sicherlich nie vergessen werde, und Valparaiso kann mir nur ein liebes Andenken froh verlebter Stunden bleiben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 1. Band - Südamerika