10. Wanderung durch die Straßen der Stadt.

In dem belebteren Stadttheil Valparaisos sowohl, wie in den wunderlich gebauten und gelegenen Vorstädten Valparaisos fällt dem Fremden gar Manches auf, das er im alten Vaterlande nicht gesehen hat, und das ihm durch die ganze eigentümliche Umgebung oder Einfassung des Bildes um so viel anziehender, fesselnder erscheint. Hat der Leser Lust, so folgt er mir einmal einen Tag, und wenn ich ihn führe, auch wohl bis spät in die Nacht hinein – ich hoffe ihn nicht zu ermüden.

Morgens mit Tagesanbruch beginnt schon das Leben in den Straßen – die Leute kommen zu Markt – theils mit ziemlich schwerfälligen Ochsen bespannten Karren, theils ihre Pferde und Maulthiere mit Packen und Körben beladen.


Selbst die Tracht des Landmanns fesselt hier das Auge des Fremden: der kurze, meist blaue Poncho mit gemustertem Rand und der breitrandige, an den Seiten etwas aufgebogene, niedere Strohhut, das hohe, von oft fünf bis sechs Schaffellen aufgestapelte Sattelzeug, die großen niederhängenden Sporen und unförmlichen Holzblöcken gleichenden Steigbügel, schaut eigenthümlich genug aus, und der in Fellschläuchen gefüllte Wein, der hinter ihnen auf den Hüften des Thieres liegt, wie die riesigen Trinkhörner, die an beiden Seiten niederhängen, geben ihm einen noch wunderlicheren Anstrich.

Ungestört wandert man durch die stillen Straßen, es ist noch kühl und schattig, und über die Gartenmauern schauen schweigend die fruchtbeladenen Orangenzweige und schütteln den Thau auf das Pflaster – Pflaster? – was ist das für eine eigenthümliche Verzierung hier mit kleinen Pflastersteinen und Knochen, statt den Trottoirs – Kreuze und Steine bilden sie, und das Weiß der letzteren sticht freundlich gegen das Grau der Steine ab – welch sonderbare Idee, mit Knochen zu pflastern – ja, lieber Leser, Du hast recht, noch dazu mit Menschenknochen. Diese Sterne und Kreuze sind die Hand- und Fußwurzeln der damals, als sich Chile vom spanischen Joche freikämpfte, erschlagenen Tyrannen und Feinde, und so weit ging damals der Haß gegen die früheren zu strengen Herren, daß die Sieger sich nicht einmal damit begnügten, sie von der Erde zu vertilgen, nein, sie wollten auch noch etwas von ihnen über der Erde behalten, das sie mit Füßen treten konnten – wenn sich doch alle zu strengen Herren daran ein Beispiel nehmen wollten.

Die Erbitterung gegen diese soll damals wahrhaft furchtbar gewesen seyn, und noch jetzt mag der Südamerikaner nichts von dem Spanier wißen; »wir sprechen nicht spanisch,« sagen sie selber, wir sprechen castilianisch. –

Aber vorbei – wir tragen keine Schuld, daß unser Fuß die Reliquien der Erschlagenen schändet, der Fanatismus that es, und Mephisto, der nun einmal seinen Spaß daran hat Glauben und Unglauben in der Welt durcheinander zu schütteln, läßt in der einen Ecke unseres kleinen Ameisenhaufens, den wir die Erde nennen, verehren, was an der anderen in den Staub getreten wird.

Wir fangen schon an, die äußeren Gärten zu erreichen, – was für ein wunderlicher zierlicher Weihnachtsbaum, der über die Mauer schaut – geradablaufend, so egal, als ob sie mit Zirkel und Horizontalwage gesetzt wären, stehen die Zweige daran hinaus, und die Krone steigt fein und scharf abgeschnitten aus den breiten federartigen Armen empor. Das ist eine Norfolktanne, wie sie hier genannt werden, denn der Baum kommt von einer kleinen Insel unfern der australischen Küste, einer jetzigen Verbrechercolonie, und wird hier, seiner ungemeinen Zierlichkeit wegen, gern in den Gärten angepflanzt und enorm bezahlt. Ein junger Baum von zehn bis zwölf Fuß Höhe soll oft mit acht und mehr Unzen gekauft werden.

Ein anderer, bei uns in Treibhäusern ziemlich häufig gezogener Stock, die Camelia scheint hier ebenfalls förmliche Summen zu kosten; die Damen tragen die Blumen zum Schmuck im Haar, und zahlen für eine einzelne zwei bis drei Dollar, während ein schöner Camelienstock voll Blüthen und Blumen ebenfalls mit fünf bis sechs Unzen 80–90 Dollar verkauft wird – eine enorme Summe für einen Blumenstock.

An uns vorbei gehen ein paar in groben schwarzen Wollenstoff gekleidete Frauen, eine eben solche Kaputze oder ein Tuch, über den Kopf geworfen, daß kaum die dunkeln feurigen Augen darunter sichtbar werden, aber die Hand die den groben wollenen Stoff vorn unter dem Kinn zusammenhält, ist von blendender Weiße und mit edlen Steinen besetzte Ringe funkeln daran. – Und könnten das Büßerinnen seyn.

Nein, das ist die Kirchentracht der señoras und señoritas der Stadt, die noch vor einigen Jahren einen solchen Schmuck und Schauputz mit riesigen Kämmen und kostbaren Schleiern und Spitzen zur Kirche trugen, daß sich die frommen Väter bewogen fühlten sie zu einer bescheidenen Tracht zu nöthigen, und wenn ich irgend etwas in der Welt nachahmungswerth gefunden habe, so ist es dieß. Weßhalb geht jetzt, nicht allein in einem, nein in allen Theilen der Erde, das schöne Geschlecht nur zu häufig in die Kirche? – seinen Schmuck – seine Kleider zu zeigen und – gesehen zu werden – behauptet so viel Ihr wollt das Gegentheil die Sache bleibt doch wahr und kann nicht abgestritten werden – das schwarze Tuch aber verbirgt Alles – wie die Seelen die vor Gott gebeugt liegen und vor ihm gleich sind, so knieen die Körper, von gleichem schwarzem Stoff umhüllt, in der Kirche – wer dann nicht der Andacht wegen die heilige Schwelle betritt, hat seinen Zweck verfehlt, und kann daheim bleiben.

Meinst Du, lieber Leser? – aber Du irrst – denn manches Rendezvous wird noch, selbst unter der schwarzen Hülle, in der Kirche gegeben, doch das ändert auch die Tracht nicht – und wenn sie in Sackleinwand gingen, das Herz schlägt ja doch darunter.

Wir nähern uns hier einem kleinen Bergwasser, das die Stadt, wenigstens den oberen Theil derselben durchströmt und hier in einem gemauerten Canal seinem Ausfluß, der See, zugeführt wurde. Kleine niedere Hütten fassen die eine Uferseite ein, und die Familien sitzen draußen vor der Thür und trinken ihren Kaffee. – Doch die Familien nicht allein setzen sich hier zu Tisch, sondern dieß sind auch, wie es scheint, Kaffeestände für die in die Stadt kommenden Guassos und Farmer. Mit den Pferden halten sie an dabei, und lassen sich die Tasse hinaufreichen oder steigen ab und rücken den schmalen Sessel, den Zügel dabei nicht aus der Hand lassend, zum niederen mit bunten dampfenden Kannen und Tassen besetzten Tisch. Und selbst diese ärmlichsten Stände verrathen mehr Reinlichkeit als jene Hütten der Pampas mit ihrer wohl gastlichen aber für den Fremden entsetzlichen Bombilla.

Noch ein kleines Stück weiter hinaus hören die Häuser auf und einzelne Gärten begrenzen die Stadt – ein Schwarm von Kettengefangenen beginnt hier die Straßen zu fegen – sie sind an Hand und Fuß mit einer dünnen Kette geschlossen, und von Soldaten bewacht; auch findet man unter ihnen hie und da wohl eine richtige Galgenphysiognomie der man es, ohne langes Studieren ansieht, wie sie unter der Kette, schon wieder auf neue Unthaten brütet. – Zwischen diesen aber schreitet auch stolz und verächtlich unter der Kette, ein wohlhabender Guasso, dessen Hand in heftigem Zank mit dem Nachbar, der alten Sitte gedenkend, und der neuen vergessend, nach dem Messer zuckte, und der sein schlechtes Gedächtniß mit vierzehn Tagen Kettenstrafe büßen mußte. Das Gesetz kannte keinen Unterschied und jetzt sticht das rauhe Eisen gar traurig gegen den feinen blauen Poncho, die weiße Wäsche und den gestickten Unterärmel des Gefangenen ab, dessen Hand nun den Besen führt, die Straßen der Stadt rein zu halten, durch die er sonst auf schäumendem muthigem Thier dahingesprengt wäre. – Trotzig begegnet er dabei dem Blick des Vorübergehenden und er lacht wenn sein Blick auf die Kette fällt – er weiß die Stunde seiner Erlösung schlägt bald wieder, und er ist dann so geachtet als früher, denn die Kettenstrafe schändete ihn nicht.

Das Gesetz scheint mit dieser Strafe ziemlich flink bei der Hand zu seyn, und selbst Ausländer finden sich gar nicht selten unter diesen »Sträflingen« unter denen schon Franzosen, Engländer und Amerikaner den Handschmuck trugen, nur die Deutschen sind bis jetzt stolz darauf, daß von ihren Landsleuten noch keiner diesem Gesetz verfallen gewesen.

Nur noch wenige hundert Schritt weiter oben, gerade an jenem freundlichen Gärtchen vorbei, in dem die Pfirsiche so reizend blühen, kommt der Bach aus den Bergen und springt schäumend über Felsgestein und Kiesel fort. Das klare Wasser blitzt und funkelt aber wirklich über eine Masse goldschimmernden Glimmer hin, der hier mit dem schwereren Sande aufgewaschen, diesen an manchen Stellen oft schichtenweis bedeckt.

Man erzählt sich hier daß von einem nach Kalifornien bestimmten Schiff mehre Golddurstige in die Berge gewandert seyen, die Gegend um Valparaiso kennen zu lernen, und an diesen Glimmer gekommen wären, den sie augenblicklich für wirkliches Gold gehalten und in ihren Taschentüchern eine ganze Quantität – in Todesangst dabei entdeckt zu werden, an Bord geschleppt hätten. Die Leute waren kaum zu überzeugen daß sie eben nur Glimmer gefunden, und wollten schon Californien aufgeben und in Chile bleiben, bis sie später ihren Irrthum doch wirklich einsahen.

Chile ist übrigens ebenfalls goldreich und selbst die nächsten Hügel müssen das edle Metall enthalten, da nach heftigem Regen die armen Leute sogar in den Straßen, nächst zu den Hügeln, Gold waschen und etwa einen halben Dollar Tagelohn dabei verdienen sollen. In den Cordilleren liegen noch reiche Schätze begraben, deren Enthüllung späteren Generationen vorbehalten bleibt. Die Minenspekulation bildet aber auch schon jetzt einen Hauptzweig des hiesigen Geschäfts und Mancher ist durch einen glücklichen Wurf über Nacht zum reichen Mann geworden, während Andere mühsam und unermüdlich Dollar nach Dollar in Schachte und Stollen warfen und endlich sehen mußten wie die unerbittlichen Schlünde auch das Letzte erbarmungslos verschlangen.

Doch wir kehren zurück. – In den Straßen ist es jetzt schon lebhafter geworden, und dort drüben, über dem Canal scheint sogar ein Wettrennen zu seyn – nein, nur die Pferde werden geübt zu dem, den Chilenen eigenen Ansprung beim Rennen, und eine Masse von Zuschauern hat sich darum versammelt, mit anzusehen was für Fortschritte die gelehrigen Thiere machen werden.

Dieser Ansprung beim Wettrennen der Pferde ist hier besonders wichtig, da bei sehr kurzen Distancen die hier gebräuchlich sind oft der ganze Vortheil allein vom ersten Sprunge abhängt – die Chilenen gewöhnen deßhalb ihre Pferde zu diesem Zweck schon in die Stellung des Sprungs, die Vorderhufe dicht vor die Hinterhufe, wie eine Ziege fast, die oben auf einem Steine steht, und mit dem gegebenen Wort, dem üblichen Zeichen zum Ablauf ist schon der ganze Körper der Thiere, wie die gespannte Sehne des Bogens, zum Vorschnellen bereit und gerichtet.

Die chilenischen Pferde sind eine nicht sehr große, aber kräftige und lebendige Race und besonders zäh im Aushalten. Der Chilene galoppirt fast stets, doch nicht in einem so wilden Carriere wie der Argentiner, und er scheint auch seine Thiere mehr zu schonen und besser zu füttern, als jener.

Der Lasso fehlt aber auch hier selten am Sattel eines Guasso, wie die Landleute genannt werden, und schon die kleinsten Kinder fangen an, sich im Gebrauch desselben zu üben. Jungen von kaum vier und fünf Jahren laufen in den Straßen mit kleinen, aus Bindfaden selber angefertigten Lassos herum, und werfen und fangen damit Hühner und kleine Hunde, bis sie es einmal einem größeren um den Hals schleudern und dieser, der kaum eine Schlinge am Nacken fühlt, erschreckt mit dem Lasso und manchmal auch noch eine Strecke mit dem Jungen daran, fortläuft.

Wie alle Thiere nämlich in den Ländern, in denen der Lasso im Gebrauch ist, diese für sie so furchtbare Waffe kennen und fürchten, so haben auch hier vorzüglich die Hunde, die besonders von ihm bedroht sind, eine sehr heilsame Angst, wenn sie nur ein Seil geschwungen, ja nur die Bewegung des Arms sehen, und ich mußte dabei immer wieder des ersten Morgens gedenken, den ich in Valparaiso mit meinem rothen, oder doch reich mit roth durchwirkten Poncho spazieren ging. Nirgend in einer Stadt der Welt, gibt es aber, glaub' ich, mehr Hunde in den Straßen als in Valparaiso, und Hunde von so toll und bunt durcheinander gemischten Racen, daß man den ganzen Tag zwischen ihnen herumlaufen kann, und nicht zwei ähnliche findet. Einer von diesen hatte kaum, in dem ungewohnten Roth etwas besonderes entdeckend, den Alarm gegeben, als sie auch von allen Seiten herbeiströmten und ich mich in kaum einer halben Minute von mehreren Dutzend großer und kleiner Kläffer bedroht sah, die am Ende auch mehr gethan hätten, als nur zu bellen, da noch dazu ihre Zahl in jedem Augenblick zu wachsen schien, als nur einfach einer der nächsten Peons zwischen sie trat und den rechten Arm ein paarmal um seinen Kopf schwang. Er hatte ihn aber noch nicht zum drittenmal herum, als es wie ein panischer Schrecken zwischen die ganze Schaar kam, und den Schwanz zwischen die Beine nehmen und die Straße hinunter pirschen, als ob der böse Feind hinter ihnen sey, war eins. Ja die Hunde sogar, die ihnen unterwegs begegneten, schienen genau zu wissen, was vorgegangen wäre, und folgten, augenblicklich mit umkehrend, dem Beispiel der Flüchtigen, ohne sich auch nur einmal nach der Ursache solcher Eile zu erkundigen.

Heute sollte mir die Lösung des damaligen Räthsels werden, denn ich sah einen etwas ruppig ausschauenden Gesellen, in einem abgetragenen Poncho, der langsam in so früher Morgenstunde durch die Straßen ritt, und den in der Hand bereit gehaltenen Lasso vorsichtig, so viel das gehen wollte, mit dem Poncho zu decken suchte. Er sah sich weder rechts noch links um, und selbst das Pferd schien seine Gleichgültigkeit zu theilen, und ließ den Kopf, nur dann und wann einmal eine Fliege abschüttelnd, lässig hängen. Mehrere Hunde waren in der Nähe, sie mußten den Mann mit dem alten blauen Poncho aber kennen, denn sie ließen plötzlich das, woran sie genagt, im Stich, und gingen langsam, mit hängendem Schwanz, um die nächste Ecke, kaum aber aus Sicht war es plötzlich, als ob sie neues Leben gewännen, und wäre der grimmigste Feind hinter ihnen gewesen, sie hätten nicht schärfer laufen können.

Der Mann mit dem alten Poncho sah sich aber gar nicht nach ihnen um, auch das Pferd nahm nicht die mindeste Notiz von ihnen, und ein fremder Hund, der zum Besuch heut Morgen wahrscheinlich in die Stadt gekommen war, blickte mißtrauisch erst hinter den davon gelaufenen Kameraden her, und dann dem Mann entgegen, der mitten in der Straße heraufritt. Dieser war etwa noch dreißig Schritte entfernt, und schien in der That im Sattel eingeschlafen zu seyn; nur das Pferd spitzte, als es dem Hunde näher und näher kam, langsam das linke Ohr – aber nur das linke, denn der Hund stand an der rechten Seite.

Jetzt waren beide bis in etwa zehn Schritte herangekommen, und befanden sich dem Hund beinahe gegenüber in der Straße – dieser, der wohl nirgends etwas verdächtiges entdecken konnte, dem aber doch die ganze Stille in der Straße und auch vielleicht das fast zu friedliche Aussehen des Mannes nicht gefallen haben mochte, hatte eben den Knochen wieder aufgehoben und wollte ihn lieber mit sich fort, nach einem besser bekannten Orte nehmen, als die erste Bewegung des Reiters seine Aufmerksamkeit blitzesschnell anzog. Diese Bewegung des erst so lässigen Mannes zu Pferd war aber nichts geringeres als das Emporfahren des rechten Armes, und im nächsten Moment wirbelte schon die gefürchtete Schlinge in der Luft. Den Knochen fallen lassen und fliehen, war natürlich der erste Gedanke, aber das arme bestürzte Thier rannte im ersten Ansturz erschreckt gegen die Häuser an, und es war auch überhaupt zu spät – das erst so schläfrige Pferd sprang mit gespitzten Ohren nach vorne, der Reiter bog sich im Sattel vor – der Lasso flog – in derselben Secunde fast warf sich das Pferd auf den Hinterbeinen herum, und gleich darauf sprengte der Reiter, den armen, nur zu sicher geworfenen Hund in dem Lasso hängend, hinter sich her schleifend, die Straße nieder.

Galoppiren darf aber nur die Polizei oder ein Arzt in den Straßen der Stadt. Jeder Andere, der es dennoch versuchen sollte, wird augenblicklich von den fast an allen Ecken zu Pferd haltenden Dienern der Gerechtigkeit angehalten und abgeführt, seine Strafe zu zahlen.

Dieß Gesetz hat übrigens besonders eine Menschenklasse in Valparaiso schon schwer geärgert, und das sind die »Californier« – jene Massen von Auswanderern, die mit ihren Schiffen hier auf zwei oder drei Wochen anlegen, Erfrischungen einzunehmen, und nun, um einmal die an Bord eingeschrumpften Glieder wieder ordentlich zu strecken, augenblicklich Pferde nehmen und in die Berge wollen. Aber langsam dabei reiten fällt ihnen gar nicht ein, »drei und vier Knoten loggen« das haben sie an Bord gehabt, neun und zehn muß es gehen und ein paar von den großen chilenischen Sporen müssen sie ebenfalls haben, das Pferd ordentlich in Gang zu bringen. Diese liegen nun mit den Polizeidienern fortwährend in Hader, wobei sie stets den kürzern ziehen, und müssen nicht selten noch obendrein Strafen und jedesmal wenigstens die Kosten bezahlen.

Die Amerikaner besonders sind rein toll auf das Galoppiren und Gestalten kommen dabei manchmal an, die zu komisch aussehen. So war auch in diesen Tagen ein Schiff von Baltimore eingelaufen und vier von den Passagieren hatten natürlich nichts Eiligeres zu thun als einen »Livery stable.« wie sie überall in den Straßen angezeigt sind, aufzusuchen und die gemietheten Thiere zu besteigen. Der Vermiether sagte ihnen nun dabei allerdings, daß sie durch die Stadt nicht galoppiren dürften, sie hielten das aber für eine von seinen Finten, die Thiere so viel als möglich zu schonen, und setzten, gleich vom Stalle ab, im Galopp an. Sie waren noch nicht die zweite Ecke passirt, als schon der Ruf der Polizeibeamten an ihre Ohren drang, und bei dreien von ihnen schienen diesen auch die Pferde selber so gut zu kennen, daß sie trotz Sporn und Peitsche anhielten und nicht weiter wollten; der vierte aber, der ein ziemlich munteres und noch frisches Pferd ritt und daheim in den »grünen Bergen« wohl manchen Sonnabend Abend sein Pferd abgehetzt hatte, glaubte auch hier von diesen »Spanjolen« nichts zu fürchten zu brauchen, sah sich nur einmal verächtlich nach ihnen um, gebrauchte Sporen und Peitsche, und flog mehr als er ritt die Straße hinunter. Ihm auf dem Fuße folgte aber der Polizeimann und versuchte erst ihn mit dem eignen Thier zu überholen, da er jedoch bald fand, daß er, obgleich nur kurze Strecke von dem Flüchtigen entfernt, doch nichts an ihn gewinnen konnte, ja eher noch verlor und näher und näher zu den Grenzen des Weichbildes kam, löste er ruhig den Lasso von seinem Sattel, schwang ihn zweimal um den Kopf und im nächsten Augenblick lag der auf's Aeußerste erstaunte Yankee mit zusammengeschnürten Armen und betäubt von dem raschen Sturz, im Staub der Straße, indem er nur wieder zu sich kam, einige Dollar und so und so viele Reale Strafe zu zahlen.

Außer den Pferden hat man übrigens auch noch in der Stadt die Bequemlichkeit der Droschken. Nur ihre Bespannung ist eigenthümlich – sie fahren zwei Pferde – eines und zwar das Handpferd auf unsere gewöhnliche Art angeschirrt, das Sattelpferd aber, das der Kutscher auch reitet, nur am breiten Sattelgurt angehangen, und selbst dieses gewöhnlich mit dem Lasso hinten befestigt.

So früh es auch am Tage seyn mag, wenn man durch die Straßen Valparaisos geht, hört man doch schon Musik – die Töne der Guitarre schallen bald hier bald da aus einem Haus heraus, und Gesang begleitet sie fast stets. Der Chilene ist überhaupt fröhlich und gesellig, und möchte ich mir je ein fremdes Land zu einer neuen Heimath wählen, so wäre es, besonders aus diesem Grunde, Chile.

Die Amerikaner wie Engländer – so gastlich und gutmüthig in sich selber sie auch seyn mögen, sind kalt und abgeschlossen, der Fremde muß ihnen vor allen Dingen erst vorgestellt seyn und nachher hält es noch unendlich schwer, ja scheint in manchen Fällen sogar gänzlich unmöglich, daß er sich freundlich an ihn anschlöße – er bleibt auf seine eigene Familie beschränkt und was wir daheim unter Geselligkeit verstehen, ist ihm – er mag so viele Besuche bei den Nachbarn machen, wie er will, fremd. Der Chilene dagegen kommt gerade dem Fremden stets zuerst freundlich entgegen, und unter sich selber gibt es wohl kaum, wenigstens was ich davon gesehen habe, ein gemüthlicheres und fröhlicheres Völkchen.

So blieb von der Reform, wie ich schon erwähnt habe, ein Passagier, der Dr. von Bibra, in Valparaiso und miethete sich in einem der kleinen Häuser der Stadt, bei einer chilenischen Familie ein, kaum war er aber zwei Tage in seinem Logis, und die Nachbarn hatten erfahren, daß er ein Fremder hier in der Stadt und ein ordentlicher Mann sey, als er auch schon von einer benachbarten Familie eine Einladung bekam, sie zu besuchen und bei ihnen zu thun, »als ob er zu Hause wäre.« In welchem anderen Lande der Welt wäre das in einer Stadt den Nachbarn eingefallen.

Mit diesem ganz correspondirend ist ihre Leidenschaft für Musik – ich glaube nicht, daß es ein Haus in Chile gibt, in dem nicht wenigstens eine Guitarre gespielt würde und Gesang und Tanz gehören zu ihren Hauptbelustigungen. Bei etwas Neuem sind sie dann gerade so, wie wir anderen Sterblichen und so fiel denn hier einmal vor mehren Jahren ein armer deutscher Leierkastenmann in eine wahre Goldgrube hinein. Es war der erste Leierkasten, der nach Valparaiso und sehr wahrscheinlicherweise auch an das Ufer des stillen Meeres (das von diesem Augenblick an nicht mehr den Namen des stillen verdiente) gekommen war, und als er am ersten Morgen in alter Weise durch die Straßen zog, seine sechs Lieder abzuorgeln, fand er sich höchst angenehm überrascht gleich in das erste Haus und in eine sehr wohlhabende Familie gerufen zu werden, wo er seine Lieder abspielen mußte und statt eines erwarteten Real drei oder vier spanische Dollars bekam. Der Mann glaubte er träumte, oder hätte einen Zauberbann entdeckt, mit dem er Schätze aus der Erde heraufbannen könnte; das aber war nur der Anfang dessen, was ihn erwartete. Wo er seine Orgel nur hören ließ wurde nach ihm geschickt, und er kehrte den ersten Abend mit einer Last Dollare nach Hause zurück, wie er sie noch nie zusammen auf einem Fleck gesehen hatte. Der zweite Tag erwies sich als noch besser, wie der erste – die Drehorgel bildete das Stadtgespräch und der Künstler war der gesuchteste Mann, der sich in einigen Monaten ein förmliches Vermögen erorgelt hatte. Nun fing sein Instrument allerdings an etwas gewöhnliches zu werden, mit dem Reiz der Neuheit sank auch sein Honorar, die Leute fingen an einzusehen daß man das Ding eben nur zu drehen brauche, aber er hatte sein Schäfchen im Trockenen, und überließ bald darauf die Orgel einem Landsmann, um selber in sein Vaterland als »reicher Mann« zurückzukehren.

Die Zeit der Drehorgeln ist aber in Valparaiso vorüber – d. h. sie hat ordentlich angefangen, denn Orgeln sieht man genug, nur die Dreher bekommen keine Dollare mehr dafür – ihr Stern ist gesunken.

Wir sind jetzt wieder im Herzen der Stadt, der Landung gerade gegenüber.

Wie das da von Menschen wimmelt und herüber und hinüber drängt – eben sind aber auch wieder zwei Auswandererschiffe für Californien eingetroffen und die Passagiere haben zum erstenmal das feste Land betreten, während von jenem englischen Kriegsschiff, an dessen Heck der Pennant flattert, ebenfalls zwei Boote an Land kamen, Kohlen herüber zu schaffen und die Mannschaft nur noch des Officiers harrt, wieder an Bord zurückzukehren. Die Leute haben sich aber »Grog« zu verschaffen gewußt, und von einer dicht gedrängten Masse von Peons und Fremden umstanden, fangen sie an sich untereinander zu prügeln und zu boxen – zwei liegen schon mit blutigen Nasen und geschwollenen Augen am Boden, als militärische Musik die Straße herabtönte und die Unruhstifter, die doch nicht wissen, wie ihnen der hier am Strande begonnene Skandal angerechnet werden möchte – rasch ihr Boot zu gewinnen suchen.

Die Bewußtlosen wurden aufgegriffen und die Mannschaft suchte aus dem sie umdrängenden Knäul von Menschen hinauszukommen, die Chilenen aber, denen das Komische solcher Flucht bald in die Augen fiel, lachten in ihrer gemüthlichen Weise über die schnell verträglichen Matrosen, die in diesem Augenblick an keine Feindseligkeit untereinander mehr zu denken schienen. Jack aber, leicht, beleidigt, nahm das übel, und wenn er jetzt auch gerade keine Zeit hatte, verschob ers auf ein andermal. Am Bord des Bootes wartete übrigens schon ein kleiner winziger Midshipman auf die Leute, und trieb sie an hinunter zu kommen, die von Rum und Schlägen noch Betäubten wurden also, ohne viel Umstände, die Treppe hinunter gerollt und unter die Thwarts ins Boot geworfen, die Mannschaft sprang rasch nach und stieß, unter dem Hohngelächter der Chilenen und auch wohl eines Theils der fremden Passagiere, vom Land ab.

Das Boot hatte aber, wie schon erwähnt, Steinkohlen ans Ufer gebracht, und von diesen waren noch eine Menge Stücken zurück im Boden desselben liegen geblieben, die von den Seeleuten jetzt als einzige und vortreffliche Waffe aufgegriffen und rasch und mit vortrefflicher Wirkung gegen den an der Landung dicht gedrängt stehenden Menschenschwarm, der sich solchen Angriffs gar nicht versehen, gebraucht wurden. Im Nu stob Alles auseinander, denn die schweren eckigen Kohlen fielen hageldicht, und die Matrosen gaben in allem Uebermuth schon, nach ihrer gewöhnlichen Art, drei cheers oder Hurrahs. Das Blatt sollte sich aber rasch wenden, denn ihre Munition mußte bald erschöpft seyn, während die Peons, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, nach benachbarten Steinhaufen eilten und jetzt nach dem kaum zwanzig Schritt entfernten Boot, in dem die Matrosen, nun freilich aber doch etwas zu spät, zu den Rudern griffen, hinüber warfen.

Der kleine Midshipman hatte sich im Anfang, als nur vom Boot aus mit Kohlen bombardirt wurde, ungemein über das bestürzte Zurückdrängen der »Landlubbers« amüsirt, als sich aber die Sache umgekehrt gestaltete, und die Steine ihm ein paarmal dicht am Kopf vorbeisurrten, fing er doch an um seine eigene Haut besorgt zu werden, und drückte sich jetzt vorsichtig hinter einen breitschulterigen Bootsmann, der hochaufgerichtet und trotzig, die niedere mit krausem hartem Haar begrenzte Stirn dem Feinde zukehrend, vorn im Boote stand, und mit Wort, Blick und drohender Geberde die fortwährend lachenden, aber nichts destoweniger scharf dabei herüber werfenden Gegner herauszufordern schien.

Das Boot begann indessen dem Wasser Widerstand zu bieten und eine halbe Minute später wäre es den Würfen entrückt gewesen, hätte nicht ein Ruf des Bootsmanns selber, die Ruder eingehalten, denn durch die Peons an der Landung drängte sich in diesem Augenblick einer ihrer Leute, der, ziemlich angetrunken, in der Verwirrung des ersten Moments zurückgelassen war und jetzt, als er kaum sah, wie sich das Boot schon wohl vierzig Schritt von der Landung entfernt befand, ohne weiteres von den Balken des Landungsgerüstes ab, in See sprang. Zuerst unterbrach das nun zwar das Werfen der Peons nicht im mindesten, denn sie merkten, daß sie das Boot dadurch desto länger in Wurfsnähe behielten, und den trotzigen und kecken Bootsmann hatte noch keiner von ihnen ordentlich getroffen, gleich darauf sahen sie aber auch, daß der Schwimmende dem, was er unternommen, nicht gewachsen sey und wahrscheinlich von Rum oder Agua ardiente betäubt, nicht einmal mehr die Richtung des Bootes hielt und sich im Kreise herumdrehte. Zuerst lachten sie darüber, aber der Mann fing an zu sinken, und bewegte nur noch mechanisch Arm und Beine – das Wasser schlug ihm schon über dem Kopf zusammen, und er mußte, wenn er nicht Hülfe bekam, rettungslos sinken.

Die im Boot bemerkten jetzt ebenfalls die Gefahr des Kameraden und suchten, so rasch sie konnten, dasselbe wieder zurückzubringen, während zwei der gutmüthigen Chilenen gleichfalls in ein Boot sprangen und dem Ertrinkenden zuruderten. Es war die höchste Zeit, denn eben, als beide Fahrzeuge zusammentrafen und nach dem schon Bewußtlosen griffen, sank er zum drittenmale und wäre nicht mehr nach oben gekommen, so aber erfaßten sie noch sein wollenes Hemd, hoben ihn an die Oberfläche und über den Rand der Barkasse, und während die Leute des man of war sich jetzt ernstlich in die Riemen legten, zu ihrem Schiff zu rudern, kehrten die Chilenen an's Land zurück und der Kampf war aufgehoben.

Die Leute am Land hatten jetzt aber auch in der That mehr zu thun, als sich um trunkene Matrosen zu kümmern, denn die Militärmusik war indessen den Platz passirt und zog sich die Straße hinunter dem Leuchtthurm zu, wo heute eine Art Vorfeier, gewissermaßen eine Hebung zu den Festlichkeiten des Septembers, dem Befreiungstag vom spanischen Joche, stattfinden sollte. Alles drängte dorthin, und die eben angekommenen Fremden hatten natürlich nichts Besseres zu thun, als dem allgemeinen Zuge zu folgen.

Die blau, roth und weiße chilenische Flagge mit den beiden aufstehenden Guanakas flatterte lustig im Wind, und die weißgekleideten Bürgersoldaten marschirten, nach einer guten Militärmusik, mit ihrem Geschütz, von einer zahlreichen Masse Neugieriger theils begleitet, theils gefolgt, die schlängelnden Gänge des Berges hinauf. Oben auf dem Berg waren aber schon, in Erwartung der vielen Gäste, Buden und Zelte aufgeschlagen und Bier und Wein, agua ardiente und Limonade wurde ausgeschenkt und Früchte, Eßwaaren und » dulces« standen, überall zum Verkauf aus. Das Bürgermilitär manövrirte indessen unter klingendem Spiel, und die Schaaren der Zuschauer sammelten sich theilweise um den Zelten, nach dem warmen Marsch bergauf, die trockenen Kehlen zu erfrischen, oder lagerte in einzelnen bunten Gruppen an den wohl kahlen, aber grünen Hängen umher, theils ihre Aufmerksamkeit dem Militär, theils auch dem Meere zuwendend, das sich hier nach Süden, Westen und Norden hin frei ihren Blicken ausbreitete, und hie und da weißblitzende, dem Hafen zustrebende oder die weite See suchende Segel erkennen ließ.

Zwischen diesen herum, in die dichtesten Gruppen, ja in die Zelte und Gebäude hinein, als ob ihre Thiere sorgfältig gepolsterte Hufe und nicht eisenhartes Horn trügen, sprengten die guassos, hier mit einem gefundenen Freunde lachend und erzählend, dort von einem Anderen das Glas nehmend und galant auf das Wohl der nächsten Damen trinkend, die Pferde selber aber, schon gewohnt des Umgangs mit Menschen, schoben die klugen Köpfe, oft wie spielend, zwischen die dichtesten Menschenknäuel hinein, aus denen sich ihr Herr einen Bekannten herausholen wollte, und hüteten sich wohl Jemanden dabei auf die Füße zu treten.

Förmliche Züge von Herren und Damen, die letzteren fast sämmtlich in eleganten englischen Reitcostümen, oft aber auch in der Tracht der guasso señoritas mit den gewöhnlichen Röcken und einem kurzen gestickten Poncho übergeworfen, sehr häufig von englischen Seeofficieren begleitet, sprengen jetzt den Berg hinauf und galoppiren die breite, glattgetretene Straße dem Leuchtthurm zu, oder halten der exercierenden Artillerie gegenüber, deren Manöver, die Geschütze nur von Menschen gezogen, mit ziemlicher Schnelligkeit und Genauigkeit ausgeführt werden.

Mitten in diesem Leben und Treiben gibt es aber auch wieder eine ziemlich bedeutende Anzahl von Menschen, die weder die See mit ihren Segeln und blitzenden Wellen, noch die schwankenden Colonnen, noch die drängenden Massen der Zuschauer, noch die funkelnden Augen der schönen Mädchen Valparaiso's – und ich glaube fast Valparaiso hat seinen Namen nach ihnen bekommen – sehen, noch das sie umschwirrende Toben, Lachen und Drängen der Menschenmasse hören oder fühlen – das sind die Spieler, die hier in freier Luft um einen auf bloßer Erde einfach ausgebreiteten Poncho her kauern und stehen. Theils Würfel, meist aber die spanischen Karten, fesseln sie hier in der wunderschönen Natur, in Allem, was ihnen ihre Umgebung Reizendes und Interessantes zu bieten vermag, an einen traurigen Fleck, und Gold und Silber liegt da, bunt und wild durcheinander gehäuft und die viereckigen, oft inhaltschweren Würfel rollen dazwischen herum und lassen das Metall von einer Ecke des Tuches zur anderen wandern.

Manchmal kommt auch ein lustiger guasso, dem die letzten Gläser Wein, die er bald hier bald da getrunken, auch die letzten Sorgen und trüben Gedanken verscheucht haben, mitten hineingesprengt zwischen die Spieler, und während sein Pferd, das sich erst Bahn geschoben, die beiden Vorderfüße auf den Poncho stellt und sich die Spielenden wieder unter und neben ihm zusammenschließen, wirft er eine Viertel- oder eine halbe Unze auf eine Karte hinunter, und schaut, den linken Ellbogen auf seinen Sattelknopf, die rechte Hand auf sein Knie gestützt, halb pfiffig halb schmunzelnd zu dem Bankhaltenden nieder.

Aber fort – wir versäumen hier oben zu viel Zeit, und unser Weg liegt wieder in die Stadt hinunter. Wir wollen auch den Hauptweg dießmal vermeiden und dort die kleine Schlucht bergabsteigen, die, wie, all ihre Schwestern, von den Hügeln nach der Hafenbucht niederlaufend in der Stadt selber mündet. Diese quebradas oder Schluchten bilden deßhalb auch einen großen Theil der Stadt und fast alle die ärmeren Hütten der Einwohner Valparaiso's hängen hier oft an den förmlich steilen Wänden der Ravinen. Die Front des Hauses ruht häufig nur mit dem vorderen Ende ihrer Tragbalken auf festem Grund und Boden, während schon zwölf Schritte dahinter ein Stamm von zehn bis zwölf Fuß Höhe nöthig ist, den entgegengesetzten Theil desselben wagrecht zu halten.

Ein Erdbeben, das diese Stützen schüttelte, oder ein Feuer, das vom günstigen Wind getrieben, hinaufleckte an den schroffen Schluchten, und überall prasselnde dürre Nahrung fände für die gierige Zunge, müßte von furchtbar verheerender Wirkung seyn, und soll auch wirklich in den letzten Jahren da wieder einmal gewüthet haben.

Ein tüchtiges Erdbeben scheint hier überhaupt lange nicht da gewesen zu seyn, und nur einzelne kleine Stöße geschehen manchmal, die Bewohner zu mahnen, daß die da unten gährende Kraft nicht etwa ausgetobt habe und machtlos geworden sey, sondern nur schlafe und zu Zeiten im Traume die riesigen Glieder strecke.

Wunderlich genug sieht dieser Theil Valparaisos aus, hier hängen die Häuser an der einen Seite der Schlucht, so daß es dem Beschauer oft vorkommt, als ob sie nur mit eisernen Klammern an die Wände gefestigt wären, während an der anderen ein kaum vor dem Abgrund geschützter schmaler Steg hinführt – dort, wo die Berge an beiden Seiten emporlaufen, drängen sich auch die Häuser mit ihnen hinan, wo es der Raum gestattet, das Hinterhaus über das Vordergebäude vorschauend (obgleich in diesem Theil der Stadt die Vorderhäuser überhaupt alle wie Hinterhäuser aussehen), und hier einmal, wo die Hänge zu steil waren auch nur ein Taubenhaus daran zu bauen, eine kurze Strecke weit die nackten gelben Felsen zeigend, hinter der die Wohnsitze der Menschen wieder beginnen.

Hier liegen auch die meisten, von den Matrosen am häufigsten besuchten Schenk- und Tanzhäuser, von denen zwei auf den Hauptkuppen thronen und von den Seeleuten den bezeichnenden Namen der Vor- und Maintops erhalten haben. Nach Dunkelwerden hüte man sich aber zu lange in dieser Gegend zu weilen, oder man könnte in den Fall kommen, das wilde Leben in der Stadt näher kennen zu lernen, als wenige die Absicht hatten. Trunkene Seeleute und Landlubbers, denn der Unterschied ist hier eben nicht groß, zwingen oft die Vorübergehenden in einer rauhen Gutmüthigkeit mit ihnen zu trinken, und Zank und Eifersucht haben dabei schon manches Messer entblößt und in warmem Herzblut getränkt. Fiel ein Mensch, dann schlossen sich rasch die Thüren und die draußen Herumstreifenden flüchteten die steilen dunklen Schluchten hinauf, dem Gesetz und seinen Unbequemlichkeiten zu entgehen, der Mörder aber glitt, während die Polizeidiener die Leiche aufhoben und dahin trugen, wo sie Hülfe für noch etwaiges Leben bekommen konnten, durch die dunklen Straßen der äußeren Vorstadt hinaus, aus der Stadt fort an das Ufer des Meeres und wusch den Stahl und seine Kleider vom Blute rein – selten, daß er der Gerechtigkeit ein Opfer wurde.

Die Chilenen sind nicht so blutdürstig wie die Argentiner, aber dennoch mit ihren Messern rasch genug bei der Hand, und nur zu geneigt eine wirkliche Beleidigung oder vielleicht auch eigene Schuld in Blut auszuwaschen.

So stand eines Abends, gerade in der kurzen Dämmerung dieser südlichen Länder ein junger Mann in der gewöhnlichen Tracht der Landleute auf der Plaza, dicht vor der Hauptkirche der Stadt und etwa vierzig Schritte von ihr entfernt, mit einer jungen Frau im eifrigen Gespräch. Die Straße war sehr belebt, und eine Menge Leute gingen, ritten und fuhren an ihnen vorüber, als die Frau plötzlich einen lauten Schrei ausstieß und zu Boden sank, während der Mann an der Kirche hin eine kleine Beistraße annahm und darin verschwand. In demselben Moment fast hielt eine Droschke neben der Unglücklichen – ein Herr und eine Dame saßen darin, und der Herr sprang hinaus, wo möglich noch Hülfe zu bringen; als er aber das quellende Blut sah, hob er die Verwundete rasch zu sich in die Droschke, mit ihr dem nächsten Arzte zuzueilen. – Es war nutzlos, sie starb, ehe er den Weg halb zurückgelegt, aber der Mörder, obgleich man vielleicht auf den richtigen Mann Verdacht hatte, wurde nie entdeckt.

So ist auch der Foretop und seine Umgebung schon gar oft Zeuge blutiger Scenen gewesen, doch die nächste Stunde wäscht die Erinnerung, der nächste Regen das Blut fort, und die alte Fröhlichkeit mit Tanz, Gesang und Guitarrenspiel, wie die stets wechselnden Gäste lassen keinen Gedanken an Ernst und Trübsinn aufkommen in diesen Räumen.

Es dunkelt schon – was für ein Heidenlärm schallt dort drüben, wenige Häuser unter dem Foretop und diesem schräg gegenüber, aus dem erleuchteten, nach der Straße zu offenen Zimmer? – Guitarren und Harfentöne, die dröhnenden Laute eines Tamburins und ein Hämmern und Klopfen, als ob Bank und Tisch Solo und Duetten hätten – und die Melodie – eigenes Spiel des Schicksals – ein Bremer Cigarrenmacherlieb in Chile »höcher op, höcher op« von so wunderlichen Instrumenten aufgeführt. Ich drängte mich in den schon von Menschen gefüllten Raum, in dem sich außer den Musicirenden zwei Parteien gebildet hatten. Jedenfalls mußte hier ganz vor kurzer Zeit, vielleicht gerade jetzt eine Prügelei stattgefunden haben, denn auf der linken Bank lag ein englischer Matrose mit total zerschlagenem Gesicht, und seine Kameraden leerten ihm eben die Taschen von Uhr und Geld, damit er nicht im Gedränge bestohlen würde, während die andere, diesen wahrscheinlich feindliche Partei schon wieder mit den Matrosen eines chilenischen Kriegsschiffs und den hier hausenden Mädchen angetreten war. Wild und toll flogen die Paare nach der fremden Weise im Kreise herum und stellten sich dann wieder, kaum in Ordnung, doch immer im Takte, zu einer Art Contretanz auf, der aber bald darauf in einen wilden Lärm und das jubelnde Singen und Schreien der Zuschauer ausartete. Da stieß ein hoher sonngebräunter schwarzlockiger Geselle einen eigenthümlichen wilden Schrei aus, und warf Hut und Poncho von den breiten Schultern, während zu gleicher Zeit die Guitarren mit der Harfe in eine andere Melodie, die tragende schwellende Weise des chilenischen Nationaltanzes, überging und die bisherigen Tänzer zurücktraten an die Wände.

Der Chilene war das prachtvolle Exemplar eines kräftigen Südamerikaners und seine dunkeln Augen blitzten und funkelten, als ihm gegenüber ein wunderschönes schlankes blondes Mädchen aus den Reihen trat und mit dem wehenden Tuch in der Hand ihm begegnete und gewissermaßen zum Tanz begrüßte.

Die Bewegungen der beiden jungen Leute waren ungemein graciös und die Art des Tanzes ein menuetartiges Begegnen und Zurückweichen, wobei sie die Tücher, die Dame besonders, ein wenig kokett hoben und schwenkten, und von der Seite und wieder zurückschritten und im Begegnen, ohne sich zu berühren, dicht an einander vorüberglitten. Aber jetzt fiel die Harfe ein und die Trommel – die Schritte wurden lebendiger, leidenschaftlicher, die Mädchen klatschten in die Hände und sangen die Melodie in immer wilderen, schrilleren Tönen, und eine von ihnen, der das Taktschlagen nicht laut und lärmend genug seyn mochte, sprang von dem Kasten, auf dem sie bis jetzt, des besseren Zuschauens wegen, gestanden hatte, und schlug mit den geballten Fäusten die Melodie – der Kamm fiel ihr aus dem Haar und dieses glitt ihr unordentlich über ihre Schultern nieder, ihr Halstuch löste sich und ihre Wangen brannten ihr wie in Fiebergluth, aber toller und schneller schlug sie ihr neues Instrument, und zwang dadurch auch die Guitarren und die Harfe ihrem Takte zu folgen. Mehr und mehr Paare sprangen nun in die Reihen, aus allen Ecken tönten ihnen die Stimmen der Zuschauer entgegen und ein anderes Mädchen, dem der Lärm noch immer nicht groß genug war, trat zu dem einen Guitarrenspieler und schlug mit den Knöcheln der beiden Hände auch den Takt auf derselben Guitarre, die er spielte, ohne ihn dadurch irgend außer Fassung zu bringen. Heftiger und übermüthiger wirbelten und flogen bald Paare, bald einzelne Gruppen durch den Saal und quer über, und kein einziger befand sich, wie es schien, in dem ganzen Raum, der nicht mit Füßen, Händen, Ellbogen oder wenigstens seiner Stimme Theil an dem bacchantischen Tanz zu nehmen schien. Nur der blutig geschlagene Matrose lag bleich und still auf der Bank – eine traurige Illustration zu dem rauschenden Feste.

Mir wurde der Lärm zu toll, und da ich mich dicht an der Thüre gehalten hatte, konnte ich leicht wieder in's Freie gelangen. Ueberdieß hatte ich nicht viel Zeit zu verlieren, denn ich wünschte heute Abend noch das Theater zu besuchen, in dem ein besonders für die französische Bevölkerung der Stadt interessantes Stück gegeben werden sollte.

Vor kurzer Zeit war das, ebenfalls nach Kalifornien bestimmte große französische Schiff Eduard, ich glaube von Havre kommend, hier eingelaufen, und unterwegs ausgebrochene Streitigkeiten zwischen Passagieren und Capitän schienen einen sehr verlängerten Aufenthalt der Passagiere in Valparaiso zur Folge haben zu sollen. Unter den letzteren befand sich aber auch der greise blinde Dichter Arago, und zwar ebenfalls auf seinem Wege nach Californien, wo die Franzosen gemeinschaftlich eine Art von Compagnie zu gründen beabsichtigten, und dieser hatte ein kleines Vaudeville geschrieben, das an dem Abend zur Aufführung kommen sollte. Es spielte in Valparaiso, und zwar in den jetzigen Verhältnissen französischer, nach Kalifornien bestimmter Auswanderer. Mit dem Eduard selber waren einige Schauspieler gekommen, die darin debütiren wollten.

Dabei stellte sich aber ein Uebelstand heraus – diese sprachen nicht spanisch, und die übrigen chilenischen Schauspieler nicht französisch und so kam man denn auf den wunderlichen Einfall jeden seine eigene Sprache reden zu lassen, und das kleine Stück halb spanisch, halb französisch zu geben. Da beide Theile ihre Rollen vorher gelernt hatten, verstanden sie auch genau was sie einander sagten, und mir selber war es interessant genug etwas derartiges einmal mit anzusehen. Die Franzosen, von denen erstlich eine ziemliche Anzahl in Valparaiso leben, und dann auch mehrere hundert mit dem Eduard und noch einigen andern französischen Auswandererschiffen gekommen waren, schienen, indem sie die Sache als eine Art nationalen Triumph betrachteten, wirklich Feuer und Flammen – Gott weiß wie viel Paare Glacéhandschuh an diesem Abend zerschlagen wurden, und der greise blinde Dichter ward beim Schluß des kleinen einaktigen und in seiner Handlung allerdings sehr einfachen Vaudevilles stürmisch gerufen.

Er saß in der linken hellerleuchteten Prosceniumsloge des ersten Ranges, zwischen zwei weißgekleideten jungen Damen, erhob sich, bei dem stürmischen Herausruf, mit diesen von seinem Sitz, und hielt aus der Loge eine kurze Anrede an das Publikum, worin er ihm, natürlich französisch, für die herzliche Aufnahme, die sie ihm bewiesen, ein paar freundliche Worte sagte. Das Ganze machte sich recht gut, war aber doch nur ein Bischen Theaterspielen beim Theaterspielen.

Das Theater Valparaisos ist ein geräumiges anständiges Gebäude; das Orchester war vortrefflich und einige Opern, die ich dort sah, befriedigten mich vollkommen. Der erste Tenorist besonders hatte eine wohlklingende schöne Stimme und gefiel sehr, auch das Spiel der chilenischen Herren und Damen war leicht und natürlich.

Nach dem Theater wanderte ich noch mit ein paar Schiffscapitänen, die an Bord zurückfahren wollten, der Landung zu, als uns schon von fern bekannte Töne grüßten – es war Musik und zwar deutsche Musik aus der Flotow'schen Oper Martha, die von Blasinstrumenten irgendwo in der Straße gespielt wurde. In die nächste Querstraße einbiegend, fanden wir uns bald dem Schauplatz des »Ständchens« gerade gegenüber, das von dem Musikchor der Bürgergarde mit militärischer Begleitung und einer Masse bunter Laternen, einem ihrer Officiere gebracht wurde. Eine Menge Menschen hatte sich dabei in den Straßen versammelt, und zog mit dem Chor, als dieser zu der Wohnung eines anderen ihrer Vorgesetzten weiter ging.

Das Boot lag und wartete auf die Capitäne, und wie es abgestoßen und in der Dunkelheit verschwunden war, wollte ich allein zurückgehen, als ein Stück die Straße hinauf, in der am Tage der Markt gehalten wurde, wieder laute fröhliche Musik an mein Ohr traf und ich dem Orte, doch einmal im Umherschlendern, zuschritt, zu sehen was es dort noch so spät gebe. Die Thür war aber verschlossen, vor den Fenstern hingen Gardinen, die Festlichkeit fand jedenfalls in einer Privatwohnung statt, und ich mußte meine Neugierde schon bezähmen. Nur wenige Minuten hatte ich den lauten Tönen der Guitarren, den lustigen Sängen und dem raschen Tanz der Jubelnden gelauscht, und wollte mich eben wieder die Straße hinabwenden, als die Thür aufging und zwei Männer den hellerleuchteten Raum verließen, während ein dritter, der ihnen das Geleite gegeben hatte, wieder die Thür schließen wollte, als er mich erblickte und zugleich auf das freundlichste nöthigte einzutreten. Keine Weigerung half, ich mußte ihm folgen und fand mich gleich darauf in einem niederen, aber durch eine Masse Lichter hellerleuchteten Raum, über den ich, eben von der dunkeln Straße kommend, nicht gleich einen Ueberblick gewinnen konnte, bis sich das Auge erst an den unerwarteten Glanz in etwas gewöhnt hatte.

Es war im Ganzen ein ziemlich ärmliches Gemach, die Wände weiß getüncht und nur an vielen Stellen mit kleinen bunten Heiligenbildern geschmückt – die Tische und Stühle von rohem Holz und ein großes Himmelbett, das in der einen Ecke stand und in der That fast den vierten Theil des Ganzen ausfüllte, trug grobcattunene Vorhänge. – Diese hingen aber zurückgeschlagen, das Bett zugleich als Sitz den Gästen anzubieten, und überhaupt schien jedes Winkelchen benutzt, Zuschauern und Tanzenden Raum zu halten. Die Ersteren saßen auf den Fensterbänken, Tischen und Stühlen herum, jede Ecke ausfüllend und für die Letzteren war nur ein sehr kleiner, beschränkter Raum geblieben, in dem sie ihren chilenischen Nationaltanz, so lange ich wenigstens im Zimmer war, ausführten. Agua ardiente und Dulces wurden fortwährend herumgereicht, und Männer und Frauen tranken den ersteren, während alle fast ohne Ausnahme, nur die Tänzer nicht, ihre Cigarillos rauchten.

Die erste Ueberraschung einmal vorüber, und nachdem ich dem gastlichen Angebot von Essen und Trinken genügt, und meine Papiercigarre angezündet, fiel auch mein Blick auf einen Gegenstand, den ich bis dahin allerdings schon gesehen, aber in dem allgemeinen Lärm und dem vielen Neuen was sich mir ringsum bot, nicht so beobachtet hatte, wie er es eigentlich verdiente.

Es war dieß ein etwa sieben Fuß hohes Gerüst, um das die Musici herumsaßen und standen, und das mit Blumen, Lichtern und Heiligenbildern von oben bis unten bedeckt schien. Der wunderlichste Zierrath darauf war aber eine vortrefflich gearbeitete Wachspuppe – ein kleines Kind vorstellend, das in einem schneeweißen Kleidchen, mit geschlossenen Augen, die zarten bleichen Wangen von einem leisen Rosenschein überhaucht, und von Blumen förmlich umgeben, auf einem kleinen Kinderstuhl saß. So täuschend war die Puppe gemacht, daß ich das Kind im Anfang für ein wirkliches hielt, und die Augen nicht abwenden konnte davon, noch dazu, da gerade darunter eine schöne, bleiche, junge Frau mit Thränen in den Augen stand, die recht gut hätte als dessen Mutter gelten können. Darin hatte ich mich aber auch geirrt, denn gerade jetzt trat Einer der Männer lachend auf sie zu, sie zum Tanze abzuholen, und sie folgte ihm nicht allein, sondern war auch in wenigen Augenblicken mit die fröhlichste der Schaar.

Aber es mußte ein wirkliches Kind seyn – so täuschend konnte kein Künstler die Formen nachbilden – und jetzt verlöschte das eine Licht, dicht neben seinem Köpfchen, und die kleine ihm zugedrehte Wange verlor dadurch den rosigen Schein. – Meine Nachbarn mußten endlich merken, mit welcher Aufmerksamkeit ich jenes Kind oder jene Figur, was es nun auch seyn mochte, beschaute, und der mir Nächste erzählte mir, soviel ich von seiner Rede verstehen konnte, es sey das jüngste Kind jener jungen Frau mit dem bleichen Gesicht, die da so fröhlich tanze, und die ganze Feierlichkeit in der That nur jenes kleinen gestorbenen Engelchens wegen.

Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf, mein Nachbar aber, um mich zu überzeugen, nahm mich am Arm, und führte mich zu dem Gestell, neben dem ich auf einen Stuhl und Tisch treten mußte, die kleinen Händchen des Kindes, zu berühren.

Es war eine Leiche – und die Mutter, als sie sah, daß ich daran gezweifelt hatte und mich jetzt überzeugt mußte, trat von ihrem Tänzer ab auf mich zu und lächelte mich an – sie sagte mir, das sey ihr Kind gewesen, und jetzt ein Engelchen im Himmel und die Guitarren fielen wild ein – sie mußte zum Tanze zurück.

Ich verließ das Haus wie betäubt, denn ich wußte wahrhaftig nicht, ob sich das Alles, was ich da eben gesehen, auch wirklich vor meinen eigenen Augen zugetragen habe, später aber bekam ich die Lösung.

Wenn in Chile ein kleines Kind, ich glaube bis zu vier Jahr, oder noch jünger, stirbt, so glauben die Leute daß es direkt zum Himmel eingehe und ein Engelchen werde – und die Mutter ist stolzer darauf, als ob sie es zu kräftigem Alter frisch und fröhlich herangezogen hätte. Die kleine Leiche wird dann, wie ich es gesehen, ausgestellt, und oft so lange davor getanzt und getrunken bis der kleine Körper Spuren der Verwesung zeigt. Die Mutter aber, so weh ihr auch immer ums Herz seyn mag, muß lachen und fröhlich seyn und tanzen und singen – sie darf nicht egoistisch an sich selber denken, gilt es ja doch das Glück ihres eigenen Blutes – arme Mutter.

Als ich wieder auf die Straße trat und langsam die jetzt öde und menschenleere Straße hinab schritt, passirte ich etwa zwanzig Schritt von dem Haus, die dunkle Gestalt eines Mannes, der auf der Schwelle eines der dort stehenden Gebäude saß. Ich achtete seiner nicht, denn die Straßen sind vollkommen sicher in Valparaiso, als ich aber sechs oder acht Schritt an ihm vorüber war, stieß er einen langgezogenen, gellenden Pfiff aus, daß ich überrascht stehen blieb und mich umsah. Die Gestalt rührte sich jedoch nicht – es war jedenfalls ein Nachtwächter, der hier die Stunde pfiff. An der nächsten Ecke stand ein Pferd angebunden, doch sah ich keinen Mann dabei, und als ich das Pferd passirt war, schallte dicht hinter mir wieder derselbe gellende Pfiff.

Sonderbar, dachte ich, und wanderte langsam weiter – bald sah ich wieder eine Gestalt an einem der Häuser lehnen, die nicht im mindesten auf mich zu achten schien, kaum aber war ich vorüber, so hörte ich auch wieder denselben Pfiff, was mir in der einen Straße sechsmal begegnete, und ich mußte nun wohl merken, daß ich solcher Art gewissermaßen durch die ganze Stadt gepfiffen wurde.

Die Polizei in Valparaiso ist jetzt berühmt, und diese Art, nächtliche Wanderer dem »Collegen« zu bezeichnen, hat mir ungemein gefallen. Geht ein Mensch auf der Straße und ist nur das erste Zeichen gegeben, so mag er sich hinwenden wohin er will, überall wissen die Nachtwächter daß irgend Jemand, der eigentlich um diese Zeit der Nacht schon in seinem Bett liegen sollte, noch draußen herumwandelt. Hat der Mann dann weiter nichts Böses im Sinn, so wird er nur bis an seine eigene Hausthür gepfiffen, und damit ist die Sache gut, wäre aber das Gegentheil der Fall gewesen, so müßte er das ruhig aufgeben, denn die Nachtwächter, denen er angemeldet ist, und die nichts mehr von ihm gesehen haben, passen nun auf wie die Heftelmacher und es würde ihm schwer werden ihre Aufmerksamkeit zu betrügen.

Da ich übrigens gerade von Polizei spreche, fällt mir auch die chilenische Calebouse oder das öffentliche Gefängniß ein, die ich Gelegenheit hatte zu besuchen. Ein Bekannter von mir, ein deutscher Schiffscapitän, hatte seine ganze Mannschaft dort sitzen, und forderte mich eines Morgens auf, mit ihm dorthin zu fahren.

Die Einrichtung derselben war so eigentümlich wie praktisch – die verschiedenen Gefangenen saßen in keinem festen Gefängniß sondern in einer Art großer Menageriewägen, wie wir sie zur Meßzeit bei uns mit Löwen und Tigern zu sehen bekommen. Rings in dem geräumigen Hof standen solche Fuhrwerke mit großen langen eisenbeschlagenen und vorn und hinten mit starken eisernen Gittern versehenen Kasten, und die wunderlichsten Gruppen saßen, lagen und kauerten darin, alle »zu Tage.«

Der Capitän hatte seine ganze Mannschaft »zehn Stück« wie er sagte, in einem solchen »Omnibus« – die Leute sollten sich geweigert haben mit ihm weiter nach Californien zu gehen, weil sie sich mit dem ersten Steuermann nicht vertragen konnten. Er frug sie ob sie sich nun anders besonnen hätten und mit ihm segeln wollten; sie beriethen sich aber kurze Zeit mit einander und antworteten dann einfach nein. Er machte ihnen hierauf begreiflich daß sie mit ihm segeln müßten, sie möchten wollen oder nicht, und daß der einzige Unterschied wäre, ob sie freiwillig mit ihm gehen, oder durch die Polizei zum Schiff hinunter gefahren werden wollten; die einzige Antwort die sie hierauf gaben war, daß fahren bequemer sey als gehen, und sie deßhalb das letztere vorzögen.

Sie wurden auch wirklich später in dem Kasten bis hinunter an die Landung geführt und dort mit Polizei, als das Schiff segelfertig war, an Bord gebracht. Allerdings liefen sie in San Francisco augenblicklich davon, das wußte der Capitän aber vorher, und hatte wenigstens seinen Willen gehabt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen 1. Band - Südamerika