Abschnitt 2

Englische Fragmente


IV The Life of Napoleon Buonaparte
by Walter Scott


Die Engländer haben den Kaiser bloß ermordet, aber Walter Scott hat ihn verkauft. Es ist ein rechtes Schottenstück, ein echt schottisches Nationalstückchen, und man sieht, daß schottischer Geiz noch immer der alte, schmutzige Geiz ist und sich nicht sonderlich verändert hat seit den Tagen von Naseby, wo die Schotten ihren eigenen König, der sich ihrem Schutze anvertraut, für die Summe von 400.000 Pfd. Sterl. an seine englischen Henker verkauft haben. Jener König ist derselbe Karl Stuart, den jetzt Caledonias Barden so herrlich besingen – der Engländer mordet, aber der Schotte verkauft und besingt.

Das englische Ministerium hat seinem Advokaten zu obigem Behufe das Archiv des Foreign Office geöffnet, und dieser hat, im neunten Bande seines Werks, die Aktenstücke, die ein günstiges Licht auf seine Partei und einen nachteiligen Schatten auf deren Gegner werfen konnten, gewissenhaft benutzt. Deshalb gewinnt dieser neunte Band, bei all seiner ästhetischen Wertlosigkeit, worin er den vorgehenden Bänden nichts nachgibt, dennoch ein gewisses Interesse: man erwartet bedeutende Aktenstücke, und da man deren keine findet, so ist das ein Beweis, daß deren keine vorhanden waren, die zugunsten der englischen Minister sprechen – und dieser negative Inhalt des Buches ist ein wichtiges Resultat.

Alle Ausbeute, die das englische Archiv liefert, beschränkt sich auf einige glaubwürdige Kommunikationen des edeln Sir Hudson Lowe und dessen Myrmidonen und einige Aussagen des General Gourgaud, der, wenn solche wirklich von ihm gemacht worden, als ein schamloser Verräter seines kaiserlichen Herrn und Wohltäters ebenfalls Glauben verdient. Ich will das Faktum dieser Aussagen nicht untersuchen, es scheint sogar wahr zu sein, da es der Baron Stürmer, einer von den drei Statisten der großen Tragödie, konstatiert hat; aber ich sehe nicht ein, was im günstigsten Falle dadurch bewiesen wird, außer daß Sir Hudson Lowe nicht der einzige Lump auf St. Helena war. Mit Hülfsmitteln solcher Art und erbärmlichen Suggestionen behandelt Walter Scott die Gefangenschaftsgeschichte Napoleons und bemüht sich, uns zu überzeugen, daß der Exkaiser – so nennt ihn der Exdichter – nichts Klügeres tun konnte, als sich den Engländern zu übergeben, obgleich er seine Abführung nach St. Helena vorauswissen mußte, daß er dort ganz scharmant behandelt worden, indem er vollauf zu essen und zu trinken hatte, und daß er endlich, frisch und gesund und als ein guter Christ, an einem Magenkrebse gestorben.

Walter Scott, indem er solchermaßen den Kaiser voraussehen läßt, wie weit sich die Generosität der Engländer erstrecken würde, nämlich bis St. Helena, befreit ihn von dem gewöhnlichen Vorwurf, die tragische Erhabenheit seines Unglücks habe ihn selbst so gewaltig begeistert, daß er zivilisierte Engländer für persische Barbaren und die Beefsteakküche von St. James für den Herd eines großen Königs ansah – und eine heroische Dummheit beging. Auch macht Walter Scott den Kaiser zu dem größten Dichter, der jemals auf dieser Welt gelebt hat, indem er uns ganz ernsthaft insinuiert, daß alle jene denkwürdigen Schriften, die seine Leiden auf St. Helena berichten, sämtlich von ihm selbst diktiert worden.

Ich kann nicht umhin, hier die Bemerkung zu machen, daß dieser Teil des Walter Scottschen Buches sowie überhaupt die Schriften selbst, wovon er hier spricht, absonderlich die Memoiren von O’Meara, auch die Erzählung des Kapitän Maitland, mich zuweilen an die possenhafteste Geschichte von der Welt erinnert, so daß der schmerzlichste Unmut meiner Seele plötzlich in muntre Lachlust übergehen will. Diese Geschichte ist aber keine andere als „Die Schicksale des Lemuel Gulliver“, ein Buch, worüber ich einst als Knabe soviel gelacht und worin gar ergötzlich zu lesen ist, wie die kleinen Liliputaner nicht wissen, was sie mit dem großen Gefangenen anfangen sollen, wie sie tausendweise an ihm herumklettern und ihn mit unzähligen dünnen Härchen festbinden, wie sie mit großen Anstalten ihm ein eigenes großes Haus errichten, wie sie über die Menge Lebensmittel klagen, die sie ihm täglich verabreichen müssen, wie sie ihn im Staatsrat anschwärzen und beständig jammern, daß er dem Lande zuviel koste, wie sie ihn gern umbringen möchten, ihn aber noch im Tode fürchten, da sein Leichnam eine Pest hervorbringen könne, wie sie sich endlich zur glorreichsten Großmut entschlie ßen und ihm seinen Titel lassen und nur seine Augen ausstechen wollen etc. Wahrlich, überall ist Liliput, wo ein großer Mensch unter kleine Menschen gerät, die unermüdlich und auf die kleinlichste Weise ihn abquälen und die wieder durch ihn genug Qual und Not ausstehen; aber hätte der Dechant Swift in unserer Zeit sein Buch geschrieben, so würde man in dessen scharfgeschliffenem Spiegel nur die Gefangenschaftsgeschichte des Kaisers erblicken und bis auf die Farbe des Rocks und des Gesichts die Zwerge erkennen, die ihn gequält haben.

Nur der Schluß des Märchens von St. Helena ist anders, der Kaiser stirbt an einem Magenkrebs, und Walter Scott versichert uns, das sei die alleinige Ursache seines Todes. Darin will ich ihm auch nicht widersprechen. Die Sache ist nicht unmöglich. Es ist möglich, daß ein Mann, der auf der Folterbank gespannt liegt, plötzlich ganz natürlich an einem Schlagfluß stirbt. Aber die böse Welt wird sagen, die Folterknechte haben ihn hingerichtet. Die böse Welt hat sich nun einmal vorgenommen, die Sache ganz anders zu betrachten wie der gute Walter Scott. Wenn dieser gute Mann, der sonst so bibelfest ist und gern das Evangelium zitiert, in jenem Aufruhr der Elemente, in jenem Orkane, der beim Tode Napoleons ausbrach, nichts anders sieht als ein Ereignis, daß auch beim Tode Cromwells stattfand, so hat doch die Welt darüber ihre eigenen Gedanken. Sie betrachtet den Tod Napoleons als die entsetzlichste Untat, losbrechendes Schmerzgefühl wird Anbetung, vergebens macht Walter Scott den Advocatum Diaboli, die Heiligsprechung des toten Kaisers strömt aus allen edeln Herzen, alle edeln Herzen des europäischen Vaterlandes verachten seine kleinen Henker und den großen Barden, der sich zu ihrem Komplizen gesungen, die Musen werden bessere Sänger zur Feier ihres Lieblings begeistern, und wenn einst Menschen verstummen, so sprechen die Steine, und der Martyrfelsen St. Helena ragt schauerlich aus den Meereswellen und erzählt den Jahrtausenden seine ungeheure Geschichte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil