Abschnitt 1

Englische Fragmente


IV The Life of Napoleon Buonaparte
by Walter Scott


Armer Walter Scott! Wärest du reich gewesen, du hättest jenes Buch nicht geschrieben und wärest kein armer Walter Scott geworden! Aber die Curatores der Constableschen Masse kamen zusammen und rechneten und rechneten, und nach langem Subtrahieren und Dividieren schüttelten sie die Köpfe – und dem armen Walter Scott blieb nichts übrig als Lorbeeren und Schulden. Da geschah das Außerordentliche: der Sänger großer Taten wollte sich auch einmal im Heroismus versuchen, er entschloß sich zu einer cessio bonorum, der Lorbeer des großen Unbekannten wurde taxiert, um große bekannte Schulden zu decken – und so entstand in hungriger Geschwindigkeit, in bankrotter Begeisterung das „Leben Napoleons“, ein Buch, das von den Bedürfnissen des neugierigen Publikums im allgemeinen und des englischen Ministeriums insbesondere gut bezahlt werden sollte.

Lobt ihn, den braven Bürger! lobt ihn, ihr sämtlichen Philister des ganzen Erdballs! lob ihn, du liebe Krämertugend, die alles aufopfert, um die Wechsel am Verfalltage einzulösen – nur mir mutet nicht zu, daß auch ich ihn lobe.

Seltsam! der tote Kaiser ist im Grabe noch das Verderben der Briten, und durch ihn hat jetzt Britanniens größter Dichter seinen Lorbeer verloren!

Es war Britanniens größter Dichter, man mag sagen und einwenden, was man will. Zwar die Kritiker seiner Romane mäkelten an seiner Größe und warfen ihm vor, er dehne sich zu sehr ins Breite, er gehe zu sehr ins Detail, er schaffe seine großen Gestalten nur durch Zusammensetzung einer Menge von kleinen Zügen, er bedürfe unzählig vieler Umständlichkeiten, um die starken Effekte hervorzubringen – Aber die Wahrheit zu sagen, er glich hierin einem Millionär, der sein ganzes Vermögen in lauter Scheidemünze liegen hat und immer drei bis vier Wagen mit Säcken voll Groschen und Pfenningen herbeifahren muß, wenn er eine große Summe zu bezahlen hat, und der dennoch, sobald man sich über solche Unart und das mühsame Schleppen und Zählen beklagen will, ganz richtig entgegnen kann: gleichviel wie, so gäbe er doch immer die verlangte Summe, er gäbe sie doch, und er sei im Grunde ebenso zahlfähig und auch wohl ebenso reich wie etwa ein anderer, der nur blanke Goldbarren liegen hat, ja er habe sogar den Vorteil des erleichterten Verkehrs, indem jener sich auf dem großen Gemüsemarkte mit seinen großen Goldbarren, die dort keinen Kurs haben, nicht zu helfen weiß, während jedes Kramweib mit beiden Händen zugreift, wenn ihr gute Groschen und Pfenninge geboten werden. Mit diesem populären Reichtume des britischen Dichters hat es jetzt ein Ende, und er, dessen Münze so kurant war, daß die Herzogin und die Schneidersfrau sie mit gleichem Interesse annahmen, er ist jetzt ein armer Walter Scott geworden. Sein Schicksal mahnt an die Sage von den Bergelfen, die neckisch wohltätig den armen Leuten Geld schenken, das hübsch blank und gedeihlich bleibt, solange sie es gut anwenden, das sich aber unter ihren Händen in eitel Staub verwandelt, sobald sie es zu nichtswürdigen Zwecken mißbrauchen. Sack nach Sack öffnen wir Walter Scotts neue Zufuhr, und siehe da! statt der blitzenden, lachenden Gröschlein finden wir nichts als Staub und wieder Staub. Ihn bestraften die Bergelfen des Parnassus, die Musen, die, wie alle edelsinnigen Weiber, leidenschaftliche Napoleonistinnen sind und daher doppelt empört waren über den Mißbrauch der verliehenen Geistesschätze.

Wert und Tendenz des Scottschen Werks sind in allen Zeitschriften Europas beleuchtet worden. Nicht bloß die erbitterten Franzosen, sondern auch die bestürzten Landsleute des Verfassers haben das Verdammungsurteil ausgesprochen. In diesen allgemeinen Weltunwillen mußten auch die Deutschen einstimmen; mit schwerverhaltenem Feuereifer sprach das Stuttgarter „Literaturblatt“, mit kalter Ruhe äu ßerten sich die Berliner „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“, und der Rezensent, der jene kalte Ruhe um so wohlfeiler erschwang, je weniger teuer ihm der Held des Buches sein muß, charakterisiert dasselbe mit den trefflichen Worten:

„In dieser Erzählung ist weder Gehalt noch Farbe, weder Anordnung noch Lebendigkeit zu finden. Verworren in oberflächlicher, nicht in tiefer Verwirrung, ohne Hervortreten des Eigentümlichen, unsicher und wandelbar, zieht der gewaltige Stoff träge vorüber; kein Vorgang erscheint in seiner bestimmten Eigenheit, nirgends werden die springenden Punkte sichtbar, kein Ereignis wird deutlich, keines tritt in seiner Notwendigkeit hervor, die Verbindung ist nur äußerlich, Gehalte und Bedeutung kaum geahnet. In solcher Darstellung muß alles Licht der Geschichte erlöschen, und sie selbst wird zum nicht wunderbaren, sondern gemeinen Märchen. Die Überlegungen und Betrachtungen, welche sich öfters dem Vortrag einschieben, sind von einer entsprechenden Art. Solch dünnlicher philosophischer Bereitung ist unsre Lesewelt längst entwachsen. Der dürftige Zuschnitt einer am einzelnen haftenden Moral reicht nirgend aus – –“

Dergleichen und noch schlimmere Dinge, die der scharfsinnige Berliner Rezensent, Varnhagen von Ense, ausspricht, würde ich dem Walter Scott gern verzeihen. Wir sind alle Menschen, und der beste von uns kann einmal ein schlechtes Buch schreiben. Man sagt alsdann, es sei unter aller Kritik, und die Sache ist abgemacht. Verwunderlich bleibt es zwar, daß wir in diesem neuen Werke nicht einmal Scotts schönen Stil wiederfinden. In die farblose, wochentägliche Rede werden vergebens hie und da etliche rote, blaue und grüne Worte eingestreut, vergebens sollen glänzende Läppchen aus den Poeten die prosaische Blöße bedecken, vergebens wird die ganze Arche Noäh geplündert, um bestialische Vergleichungen zu liefern, vergebens wird sogar das Wort Gottes zitiert, um die dummen Gedanken zu überschilden. Noch verwunderlicher ist es, daß es dem Walter Scott nicht einmal gelang, sein angeborenes Talent der Gestaltenzeichnung auszuüben und den äußern Napoleon aufzufassen. Walter Scott lernte nichts aus jenen schönen Bildern, die den Kaiser in der Umgebung seiner Generale und Staatsleute darstellen, während doch jeder, der sie unbefangen betrachtet, tief betroffen wird von der tragischen Ruhe und antiken Gemessenheit jener Gesichtszüge, die gegen die modern aufgeregten, pittoresken Tagsgesichter so schauerlich erhaben kontrastieren und etwas Herabgestiegen-Göttliches beurkunden. Konnte aber der schottische Dichter nicht die Gestalt, so konnte er noch viel weniger den Charakter des Kaisers begreifen, und gern verzeih ich ihm auch die Lästerung eines Gottes, den er nicht kennt. Ich muß ihm ebenfalls verzeihen, daß er seinen Wellington für einen Gott hält und bei der Apotheose desselben so sehr in Andacht gerät, daß er, der doch so stark in Viehbildern ist, nicht weiß, womit er ihn vergleichen soll.

Bin ich aber tolerant gegen Walter Scott und verzeihe ich ihm die Gehaltlosigkeit, Irrtümer, Lästerungen und Dummheiten seines Buches, verzeih ich ihm sogar die Langeweile, die es mir verursacht – so darf ich ihm doch nimmermehr die Tendenz desselben verzeihen. Diese ist nichts Geringeres als die Exkulpation des englischen Ministeriums in betreff des Verbrechens von St. Helena. „In diesem Gerichtshandel zwischen dem englischen Ministerium und der öffentlichen Meinung“, wie der Berliner Rez. sich ausdrückt, „macht Walter Scott den Sachwalter“, er verbindet Advokatenkniffe mit seinem poetischen Talente, um den Tatbestand und die Geschichte zu verdrehen, und seine Klienten, die zugleich seine Patrone sind, dürften ihm wohl, außer seinen Sporteln, noch extra ein Douceur in die Hand drücken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil