Abschnitt 2

Englische Fragmente


IX Die Emanzipation


Ist also die Art, wie die Engländer im Parlamente die katholische Streitfrage abhandeln, wenig geeignet, ein Resultat hervorzubringen, so ist doch die Lektüre dieser Debatten um so interessanter, weil Fakta mehr ergötzen als Abstraktionen, und gar besonders amüsant ist es, wenn fabelgleich irgendeine Parallelgeschichte erzählt wird, die den gegenwärtigen, bestimmten Fall witzig persifliert und dadurch vielleicht am glücklichsten illustriert. Schon bei den Debatten über die Thronrede, am 3. Februar 1825, vernahmen wir im Oberhause eine jener Parallelgeschichten, wie ich sie oben bezeichnet und die ich wörtlich hierhersetze (vid. Parliamentary history and review during the session of 1825 – 1826. Pag. 31):

„Lord King bemerkte, daß, wenn auch England blühend und glücklich genannt werden könne, so befänden sich doch sechs Millionen Katholiken in einem ganz andern Zustande, jenseits des irländischen Kanals, und die dortige schlechte Regierung sei eine Schande für unser Zeitalter und für alle Briten. Die ganze Welt, sagte er, ist jetzt zu vernünftig, um Regierungen zu entschuldigen, welche ihre Untertanen wegen Religionsdifferenzen bedrücken oder irgendeines Rechtes berauben. Irland und die Türkei könnte man als die einzigen Länder Europas bezeichnen, wo ganze Menschenklassen ihres Glaubens wegen unterdrückt und gekränkt werden. Der Großsultan hat sich bemüht, die Griechen zu bekehren, in derselben Weise, wie das englische Gouvernement die Bekehrung der irländischen Katholiken betrieben, aber ohne Erfolg. Wenn die unglücklichen Griechen über ihre Leiden klagten und demütigst baten, ein bißchen besser als mahometanische Hunde behandelt zu werden, ließ der Sultan seinen Großwesir holen, um Rat zu schaffen. Dieser Großwesir war früherhin ein Freund und späterhin ein Feind der Sultanin gewesen. Er hatte dadurch in der Gunst seines Herrn ziemlich gelitten und in seinem eigenen Diwan, von seinen eigenen Beamten und Dienern, manchen Widerspruch ertragen müssen. (Gelächter.) Er war ein Feind der Griechen. Dem Einfluß nach die zweite Person im Diwan war der Reis Effendi, welcher den gerechten Forderungen jenes unglücklichen Volkes freundlich geneigt war. Dieser Beamte, wie man wußte, war Minister der äußern Angelegenheiten, und seine Politik verdiente und erhielt allgemeinen Beifall. Er zeigte in diesem Felde außerordentliche Liberalität und Talente, er tat viel Gutes, verschaffte der Regierung des Sultans viel Popularität und würde noch mehr ausgerichtet haben, hätten ihn nicht seine minder erleuchteten Kollegen in allen seinen Maßregeln gehemmt. Er war in der Tat der einzige Mann von wahrem Genie im ganzen Diwan (Gelächter), und man achtete ihn als eine Zierde türkischer Staatsleute, da er auch mit poetischen Talenten begabt war. Der Kiaya-Bei oder Minister des Innern und der Kapitan-Pascha waren wiederum Gegner der Griechen; aber der Chorführer der ganzen Opposition gegen die Rechtsansprüche dieses Volkes war der Obermufti oder das Haupt des mahometanischen Glaubens. (Gelächter.) Dieser Beamte war ein Feind jeder Veränderung. Er hatte sich regelmäßig widersetzt bei allen Verbesserungen im Handel, bei allen Verbesserungen in der Justiz, bei jeder Verbesserung in der ausländischen Politik. (Gelächter.) Er zeigte und erklärte sich jedesmal als der größte Verfechter der bestehenden Mißbräuche. Er war der vollendetste Intrigant im ganzen Diwan. (Gelächter.) In früherer Zeit hatte er sich für die Sultanin erklärt, aber er wandte sich gegen sie, sobald er befürchtete, daß er dadurch seine Stelle im Diwan verlieren könne, er nahm sogar die Partei ihrer Feinde. Einst wurde der Vorschlag gemacht, einige Griechen in das Korps der regulären Truppen oder Janitscharen aufzunehmen; aber der Obermufti erhob dagegen ein so heilloses Zetergeschrei – ähnlich unserem No-po pery-Geschrei –, daß diejenigen, welche jene Maßregel genehmigt, aus dem Diwan scheiden mußten. Er gewann selbst die Oberhand, und sobald dies geschah, erklärte er sich für ebendieselbe Sache, wogegen er vorhin am meisten geeifert hatte. (Gelächter.) Er sorgte für des Sultans Gewissen und für sein eigenes; doch will man bemerkt haben, daß sein Gewissen niemals mit seinen Interessen in Opposition war. (Gelächter.) Da er aufs genaueste die türkische Konstitution studiert, hatte er ausgefunden, daß sie wesentlich mahometanisch sei (Gelächter) und folglich allen Vorrechten der Griechen feindselig sein müsse. Er hatte deshalb beschlossen, der Sache der Intoleranz fest ergeben zu bleiben, und war bald umringt von Mollas, Imans und Derwischen, welche ihn in seinen edeln Vorsätzen bestärkten. Um das Bild dieser Spaltung im Diwan zu vollenden, sei noch erwähnt, daß dessen Mitglieder übereinkamen, sie wollten bei gewissen Streitfragen einig und bei andern wieder entgegengesetzter Meinung sein, ohne ihre Vereinigung zu brechen. Nachdem man nun die Übel, die durch solch einen Diwan entstanden, gesehen hat, nachdem man gesehen, wie das Reich der Muselmänner zerrissen worden, durch eben ihre Intoleranz gegen die Griechen und ihre Uneinigkeit unter sich selbst, so sollte man doch den Himmel bitten, das Vaterland vor einer solchen Kabinettsspaltung zu bewahren.“

Es bedarf keines sonderlichen Scharfsinns, um die Personen zu erraten, die hier in türkische Namen vermummt sind; noch weniger ist es vonnöten, die Moral der Geschichte in trocknen Worten herzusetzen. Die Kanonen von Navarino haben sie laut genug ausgesprochen, und wenn einst die Hohe Pforte zusammenbricht – und brechen wird sie trotz Peras bevollmächtigten Lakaien, die sich dem Unwillen der Völker entgegenstemmen –, dann mag John Bull in seinem Herzen bedenken: mit verändertem Namen spricht von dir die Fabel. Etwas der Art mag England schon jetzt ahnen, indem seine besten Publizisten sich gegen den Interventionskrieg erklären und ganz naiv darauf hindeuten, daß die Völker Europas mit gleichem Rechte sich der irländischen Katholiken annehmen und der englischen Regierung eine bessere Behandlung derselben abzwingen könnten. Sie glauben hiermit das Interventionsrecht widerlegt zu haben und haben es nur noch deutlicher illustriert. Freilich hätten Europas Völker das heiligste Recht, sich für die Leiden Irlands, mit gewaffneter Hand, zu verwenden, und dieses Recht würde auch ausgeübt werden, wenn nicht das Unrecht stärker wäre. Nicht mehr die gekrönten Häuptlinge, sondern die Völker selbst sind die Helden der neuern Zeit, auch diese Helden haben eine heilige Allianz geschlossen, sie halten zusammen, wo es gilt, für das gemeinsame Recht, für das Völkerrecht der re ligiösen und politischen Freiheit, sie sind verbunden durch die Idee, sie haben sie beschworen und dafür geblutet, ja sie sind selbst zur Idee geworden – und deshalb zuckt es gleich schmerzhaft durch alle Völkerherzen, wenn irgendwo, sei es auch im äußersten Winkel der Erde, die Idee beleidigt wird.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil