Siebentes Kapitel - Heimkehr.

Syracus. – Das Ohr des Dionys. – Messina. – Neapel. – Der Vesuv. – Genua. – Mailand. – Chiavenna. – Der Splügen. – Chur. – Tübingen. – Ankunft in Stuttgart.




Es war Nacht und hinter uns drückte sich mehr und mehr, einem untergehenden Sterne vergleichbar, das rothe Licht des Leuchtthurms von St. Elmo. Die See wogte unruhig und über mir stampften ungeduldig unsere Pferde das Verdeck. Rückblicke auf das Erlebte füllten meine Seele mit phantastischen Bildern, bis ich einschlief, um beim Erwachen einen der herrlichsten Morgen zu begrüßen. Das Meer war wie ein glatter Spiegel, und die Küste von Sicilien breitete sich vor unseren Blicken aus. Aber als wir endlich in dem entzückenden Hafen von Syrakus einfuhren, mußten wir zuvor einem Visitirboot Rede stehen, das uns vermittelst einer langen, heraufgereichten Stange unsere Quarantänescheine abnahm, worauf sie in der Barke mit eisernen Zangen auseinander geklaubt wurden. Erst nach dieser unserer Legitimation konnten wir uns der Landungsboote bedienen, die jetzt in Schaaren heranfuhren. Bei Betrachtung der Stadt kam uns die angenehme Gesellschaft eines Dänen, Namens Mattison, der früher schon in Syrakus gewesen war, sehr zu gute, und wir verlebten im Umgange mit ihm und seiner schönen Gattin heitere Stunden. Da unser Dampfboot den ganzen Tag im Hafen liegen blieb, so hatten wir Muße, die Stadt sammt ihrer nächsten Umgebung zu besichtigen; weil aber erstere nicht viel Interessantes bietet, so machten wir uns bald auf den Weg, um die berühmten Steinbrüche mit dem Ohr des Dionys zu besuchen.

Der Eingang zu diesen Brüchen besteht aus einer sehr steilen, über hundert Fuß hohen Felswand, deren Zerklüftungen mehrere weite Thore bilden. Durch letztere gelangt man ins Innere, das einen großen, oben offenen Felsenkessel darstellt. Die Wände sind auf die mannigfaltigste Art durchbrochen und bieten dem Blicke seltsame Höhlen und Figuren dar, während auf dem Boden herum mächtige Steinblöcke liegen, von denen einer in der Mitte etwas über die Schlucht hinausragt und auf seiner Höhe spärliche Ueberreste eines alten Mauerwerks unterscheiden läßt. Man hält diese für die Trümmer einer Burg des Tyrannen von Syrakus.

Ein paar hundert Schritte links vom Eingang laufen zwei über hundert Fuß hohe glatte Felswände unter einem rechten Winkel zusammen, und an der einen mündet sich eine Höhle, die fast wie ein kolossales gothisches Thor aussieht. Neben demselben, rechts und etwa sechzig Fuß über dem Boden, bemerkt man eine kleine Oeffnung, an deren Form die Meißelarbeit nicht zu verkennen ist. Gewaltige Epheuzweige bekleiden die Wand mit dem saftigsten Grün. Die Höhle selbst ist gegen achtzig Schritte lang, schlangenförmig gewunden und führt zu einem kleinen, in Trichterform zusammenlaufenden Gemach, in welchem der Sage nach Dionys die Gefangenen vermittelst eiserner Ringe an die Wand fesseln ließ. Die Decke bildet mit den Seiten fast einen gothischen Bogen, und in die Spitze ist eine fußtiefe runde Rinne gehauen, die oben durch den Gang läuft, wenige Fuß vor dem Eingang die rechte Wand durchbricht und in das von außen sichtbare kleine Gemach führt. Letzteres ist das sogenannte Ohr des Dionys, in welchem der Tyrann auf die Reden der im Gemach am Ende der Höhle eingesperrten Gefangenen zu lauschen pflegte. Man gelangt nach diesem Raume vermittelst eines über eine Rolle geschlagenen Seils, an welchem ein Lehnsessel befestigt ist, und kann sich daselbst in Wirklichkeit überzeugen, wie die von unten kommenden Töne sehr verstärkt werden; es ist deßhalb wohl glaubwürdig, daß in einer Zeit, wo der Eingang, der später durch Erdbeben weiter gerissenen Höhle noch kleiner war, in dem Kämmerchen oben das geringste Geräusch deutlich vernommen wurde und der Tyrann diesen Vortheil benützte, um verdächtige Personen unten einzusperren und zu behorchen.

Die übrigen Höhlen sind minder merkwürdig. In den meisten trieben Seiler ihr Handwerk, deren mithelfende Kinder uns sehr eifrig anbettelten und zum Besten unseres naturforschenden Doktors ganze Säcke mit Petrefakten herbeischleppten.

Unser nächster Besuch galt den unfern gelegenen Ruinen der alten Neapolis, von welcher außer vielen Todtenkammern noch Ueberreste eines alten griechischen Theaters vorhanden sind. Es ist fast rings herum in den Fels gehauen, und die grauen Steinstufen find mit freundlichem Grün durchwachsen. Man hat von hier aus eine herrliche Aussicht über Hafen und Meer, und in der Nähe bildet das Wasser eines alten Aquäducts, der noch heute die Stadt versorgt, einen romantischen Fall. Das Kloster San Filippo ist interessant durch eine sehr tiefe Gruft, in welcher sich die Leichen unbalsamirt sehr gut erhalten, und von hier aus begaben wir uns, nachdem wir in einer erbärmlichen Lokanda Erfrischungen eingenommen hatten, nach dem Kloster der Kapuziner, das wegen seiner wild romantischen Lage in den großen Latomien berühmt ist. Von dem traulichen Klostergarten aus führt ein natürliches Felsenthor in die schauerlichen Steinbrüche, welche wahrscheinlich während des peloponesischen Kriegs als Gefängnisse für die Athener dienten. In einer der Höhlen sieht man einen ähnlichen Gang, wie bei dem Ohr des Dionys; er ist jedoch, vielleicht wegen Untauglichkeit des Gesteins, nicht ausgeführt worden.

Mittlerweile war die Stunde unseres bestellten Diners herangekommen, und wir suchten die Aermlichkeit desselben durch den feurigen Syrakuser zu würzen. Der herrliche Abend verlockte uns noch zu einem Gang nach der Quelle der Arethusa, bei deren spärlichem, aber klarem Wasser ein ganzer Haufe Wäscherinnen ihr Geschäft trieb. Endlich mahnte uns ein Schuß von unserm Dampfboot zum Aufbruch. Ich habe das Meer selten so ruhig und klar gesehen, wie an diesem Abende, und der spät aufgehende Vollmond gestattete uns noch den Anblick des Aetna mit den Schneefeldern unter dem Krater, von denen Messina den Stoff zu seinem Gefrorenen nimmt. Unter derselben kommen öde Lavastriche, hin und wider mit spärlichem Grün besät, das aber später reicher wird und mit den fruchtbaren paradiesischen Gegenden bei Catanea sowohl, als mit der ganzen Küste malerisch zusammenhängt. Am 22. April Morgens weckte mich das Stillestehen der Räder und das Klirren der Ankerkette aus meinem Schlummer. Ich eilte aufs Verdeck, und das schöne Messina lag in der Form einer Sichel vor unsern Blicken ausgebreitet. Trotz des frühen Morgen war doch der Kai bereits voll rührigen Lebens. Auf den Bergen und dem fernen Meere lag ein feiner Morgenduft, der, immer tiefer sinkend, die Schluchten ausfüllte und uns einen herrlichen Tag versprach. Wir fuhren ans Land und erhielten in einem Gasthofe ein paar hübsche Zimmer für die beiden Tage, welche unser Boot im Hafen liegen bleiben sollte.

Die Stadt ist nach dem letzten großen Ausbruch des Aetna (1696) in großartigem Styl wieder aufgebaut worden, namentlich die Hafenseite, welche eine Front der schönsten Regierungs- und Privatgebäude bietet. Die Straßen der untern Stadt sind breit, meist gerade und schneiden sich rechtwinklig, aber nach der Festung und dem Gregoriuskloster hin werden sie enge und gebrochen. Wir durchschnitten den Dom, dessen schönes Gewölbe das erwähnte große Erdbeben umstürzte und das man jetzt theilweise aus Holz wieder aufgeführt hat. Im Schiff der Kirche sahen wir schöne Granitsäulen aus Aegypten, und auch das Portal haben die Werke des Heidenthums schmücken müssen, da man die Vorderseite eines prächtigen Neptuntempels bei Sylla hieher versetzte. Im Kloster zeigte man uns als Merkwürdigkeiten verschiedene große Mosaikgebilde, in denen die Farben der Steine, besonders die hellblauen, wirklich prächtig zu nennen waren. Nachdem wir unser Mittagsmahl etwas früher, als es hier landesüblich ist, eingenommen hatten, traten wir den Weg nach dem Telegraphen, einem der schönsten Punkte auf der Nordküste der Insel, zu Esel an. Der Weg führte zwischen blühenden Mandel- und Orangenbäumen sanft aufwärts. Welch einen Gegensatz bot nicht hier die Landschaft gegen die Scenerie im Orient, wo die Scheitel der Berge gleich den Köpfen seiner Bewohner glatt und kahl rasirt sind! Nach einer halben Stunde hatten wir den höchsten Küstenpunkt, den Standort des Telegraphen, erreicht, und nun lag die calabrische Küste mit ihren seltsam geformten Felsen und Schluchten vor uns, bis sie sich am Horizont in blauen Nebel auflöste. Rechts hatten wir Messina unter uns; hinter ihm sahen wir die Spitzen des Aetna und weit hinaus in das ionische Meer; zu den Füßen des Berges, auf dem wir saßen, brauste die Scylla und Charybdis, und die Wellen schossen durch den engen Pfad hinaus in ein anderes Meer, das sich zu unserer Linken endlos ausdehnte. Dort sahen wir, wenige Seemeilen von der Küste, kleine Inselchen, darunter befand sich eines in der Gestalt eines abgekürzten Kegels, der Vulkan Stromboli, welcher beständig Rauchwolken ausstieß.

Der andere Tag war einem Besuch der lieblichen Umgebung von Scaletta geweiht, und am 24. April mußten wir uns in aller Frühe wieder auf unserm Dampfboot einfinden, obschon sich dieses erst gegen neun Uhr in Bewegung setzte. Die Meerenge ist hier so schmal, wie die Donau vor dem Kaszan, Strömung und Brandung aber, besonders beim Südwind, sehr stark, obschon die gefürchteten Ungeheuer, die Scylla und Charybdis, mit ihren Gefahren durch Wegräumung der hemmenden Klippen und Sandbänke aus dem Reiche der Wirklichkeit verdrängt wurden. Das Meer ging an diesem Tage sehr hoch, und es begannen sich bei vielen Passagieren sehr belästigende, mitunter aber auch possierliche Symptome von Seekrankheit einzustellen. Der folgende Morgen brachte uns den schönen Golf von Neapel mit dem Vesuv zu Gesicht. Wir hielten den Rauch des Vulkans anfänglich für Morgenwolken, erkannten aber beim Näherkommen den gelben Dampf, den der Krater beständig ausstieß. Nach einigen Stunden erreichten wir die Insel Capri, deren sonderbar geformte Felsen an der Südküste ein kolossales Thor bilden, und langten um zehn Uhr im Golf von Neapel an.

Welch prächtiger Anblick! Schon lange hatte ich mich darauf gefreut, da diese Gegend von allen Reisenden, als das Einzige geschildert wird, was man dem Anblick von Konstantinopel an die Seite setzen könnte. Indeß fand ich das Schauspiel hier großartiger, weil das Auge mit Wonne auch an den Einzelzügen haften muß, während bei Stambul die Schönheit des Ganzen mehr auf einen Punkt zusammengedrängt ist, den man viel schneller erfaßt.

Aber ehe wir in dieses Paradies einziehen durften, hatten wir ein kleines Fegfeuer von Seiten der Paßbeamten zu bestehen, die uns, nachdem sie uns unverdächtig erfunden, einem zweiten Purgatorium, dem Mauthpersonale, überantworteten, und so stund es geraume Zeit an, bis wir in dem Hotel de Russie, dem Vesuv gegenüber gelegen, anlangten. Hier sollte sich unsere Gesellschaft trennen, da der Baron, der Maler und der Doktor zehn Tage in Neapel bleiben wollten, ich aber mit den Pferden auf dem Dampfboot, das uns hergebracht hatte, die Tour über Genua nach Mailand zu machen gedachte. Da übrigens dieses Fahrzeug zwei Tage im Hafen liegen blieb, so säumte ich nicht, meine Zeit zu Besichtigung der Stadt und Umgegend möglichst zu benützen. Es war Sonntag und ich ließ einen Wagen kommen, um zuvörderst die Alterthümer von Buzzuoli zu besuchen. Nachdem wir schon vor dem Gasthofe ein paar Dutzend Cicerone, die uns überall hin begleiten wollten, bekämpft hatten, kamen wir glücklich über den Corso an den Eingang der Grotte Pausilippo, wo uns unser Führer vom Wagen aus die Stelle von Virgils Grab zeigte, ohne daß wir übrigens Zeit gewonnen hätten, dieses idyllische Plätzchen zu betreten. Der Weg durch den Pausilippo ist vom Anfang bis zum Ende in den Felsen gehauen, und in der Mitte der Grotte, von Neapel aus links, befindet sich im Gestein eine Kapelle der heiligen Jungfrau, die in dem dunkeln Gang durch ihre stets brennenden Lampen und durch die Blumensträuße vor dem Altar einen eigenthümlichen Eindruck übt.

In Buzzuoli stiegen wir einen Augenblick ab und setzten sodann unsern Weg um den Meerbusen herum nach Baja fort, um die dortigen Bäder zu betrachten, worauf wir das sogenannte Grab Agrippinens und die Gefängnisse des Nero besuchten. Dann begaben wir uns nach dem Averner See, der zwar nicht größer ist, als ein gewöhnlicher Teich, aber ungemein schöne, romantische Ufer hat. Der Zugang zu der Grotte der Sibylle wird durch einen kleinen Einschnitt in den Berg gebildet, dessen Wände mit frischem Moos und duftigen Pflanzen bedeckt sind. Am andern Ufer des Sees, theilweise im Wasser liegend, sieht man die Trümmer des alten Apollotempels, so viel sie der neue Berg, der sich nicht weit davon erhob, verschonte. Wir fuhren nach Buzzuoli zurück, besahen noch das alte römische Amphitheater, das zu Thierkämpfen eingerichtet war, die sogenannten Fischteiche des berüchtigten Pollio und die Trümmer eines alten Gebäudes, angeblich der Schule Virgils, worauf wir endlich an den Meerbusen von Bajä zurückkehrten, bei diesem Anlaß uns eines Abends erfreuend, wie ihn nur Italien, nur Neapel gewähren kann. Das tiefblaue Meer war ruhig, und Capri und der Vesuv prangten in den schönsten Farben. Auf der ganzen Strecke fanden wir Menschen, die sich des Lebens freuten – spielend. Kinder und erwachsene Mädchen, die zu dem Klang einer Zither oder zu dem Klappen von Castagnetten tanzten. Auf dem Corso angelangt, entließen wir unsern Wagen, um uns noch eine Zeit lang in der glänzend beleuchteten Strada Toledo mit ihrem bunten Menschengewühle zu ergehen. Am andern Tage wollten wir den Vesuv besteigen und machten uns zu diesem Ende schon Morgens um vier Uhr auf den Weg, den wir bereits mit Leuten aller Art, namentlich mit nach der Stadt ziehenden Fischern und Gemüsehändlern bedeckt fanden. Das Wetter war sehr schön, und wir fuhren wohlgemuth in einem Vetturino an dem schönen Golf hin, bis wir Portici erreichten, wo wir unsern Wagen einstellten und Pferde nebst einem Führer zu Besteigung des Berges nahmen. Wer erkennt nicht schon aus Beschreibungen den schönen Weg bis zum Eremiten, wo man nach jedem Schritt mit dem Rückblick eine neue prächtige Aussicht gewinnt? Bald hinter den Gärten fingen die schwarzen Lavafelder an. Wir ritten noch eine Strecke aufwärts über einen aus Lava gebildeten Felskamm und ließen daselbst unsere Thiere, um unseren Füßen das mühsame Stück Arbeit zuzutrauen; denn von hier geht es über scharfe Lavablöcke, weichendes Gerölle und Asche den Kegel hinan. Wir brauchten eine volle Stunde bis wir oben waren, und fühlten uns nun in einem Grade erschöpft, daß uns der mitgebrachte Thränenwein sehr zu statten kam. Erst nach dieser Erfrischung war es uns möglich, uns des wunderbaren Panoramas recht zu erfreuen. Der Maler und ich versuchten, unter Begleitung unseres Führers, den Krater zu ersteigen, was uns mit vieler Mühe und Beschwerniß von Seiten der gelben qualmenden Dünste gelang, hielten es aber nicht lange aus, sondern traten bald den Rückweg wieder an, um uns mit unsern Freunden den reichlichen Vorrath von lacrymae Christi belieben zu lassen. Das Hinuntersteigen ging viel schneller, und schon nach fünf Minuten hatten der Baron und ich unsere Pferde wieder erreicht. In Portici stiegen wir abermals in unsern Wagen und fuhren nach Pompeji hinaus. Inzwischen war es sehr heiß geworden und wir freuten uns, nach einer Stunde von der staubigen Chaussee aus nach den Häusern abbiegen zu können, in denen die bei der Ausgrabung von Pompeji beschäftigten Arbeiter wohnten. Die wieder erstandene Stadt sieht man von außen nicht, da sie von einem gewaltigen Aschen- und Lavawalle umgeben ist. Wir traten durch ein kleines Thor ein und sahen die stillen, öden Straßen mit kleinen Häusern besetzt, die aber alle wie in einem bewohnten Orte zu Tag liegen. Sie sind nur ein Stockwerk hoch und die Decken eingestürzt; aber Verzierungen und Malereien haben sich aufs Beste erhalten. Sehr niedlich ist das nunmehr ganz aufgedeckte Forum, auf dem die besten Säulen so viel als thunlich wieder zusammengestellt und aufgerichtet werden. Wir sahen ferner das bekannte Mosaikgemälde, eine Schlacht vorstellend, das Haus des Diomedes mit seinen gewölbten Kettengängen und die Stelle, wo man das Geripp der Frau des Diomed gefunden haben will. Seitwärts von der Stadt liegt das jetzt ganz zu Tag geförderte Amphitheater, das in Eiform und vollkommen nach den Regeln der Akustik gebaut ist.

Wir bestiegen unsere Wagen wieder und machten in Torre del Greco Mittag, uns der herrlichen Aussicht auf den Golf, wie auch auf die schönen Villen und Dörfer bis Castella Mare erfreuend. Am andern Morgen waren für mich die schönen Tage von Aranjuez vorüber, da das Schiff, in welchem ich mit den Pferden abzufahren gedachte, am Mittag die Anker lichten sollte. Da gab es denn genug zu packen, so daß ich keine Gelegenheit fand, mich weiter in der Stadt umzusehen, und als ich die Paßplackereien bereits bereinigt glaubte, stellte sich noch im letzten Augenblick heraus, daß ich den Bedienten Friedrich zurücklassen mußte, weil in Betreff der Paßvisirung ein Versehen statt gefunden hatte. Die Thiere blieben daher während der ganzen Fahrt ausschließlich meiner Obhut überlassen, was mir nicht wenig Sorge machte, weil ich namentlich das Fohlen nicht genug vor der liebkosenden Ueberfütterung oder vor den Neckereien der Passagiere zu schützen vermochte. Am andern Morgen machten wir ein Paar Stunden vor Civita Vecchia Halt, und Tags darauf langten wir zeitig zu Livorno an, wo das Schiff bis zum Abend liegen blieb – eine Fristung, die ich dazu benützte, mir die Stadt zu betrachten. Es dunkelte schon, als wir den Hafen verließen, und ich fühlte mich glücklich in dem Bewußtsein, daß dies die letzte Nacht war, welche ich zur See zubringen sollte; gleichwohl aber hatte ich noch einen Schrecken zu bestehen, mit dem ich alle vergangenen hätte würzen können. Mein Fohlen nämlich wurde von einer heftigen Kolik befallen, warf sich auf den Boden seines Kastens nieder, schlug mit den Füßen um sich und traf zuweilen die Stute, die auch manchmal ungeduldig zu werden anfing. Kurz, ich war in den größten Nöthen und versuchte alle erdenklichen Abhilfmittel erfolglos, bis mir endlich einer von den vielen theilnehmenden Passagieren – denn alle hatten das hübsche Thierchen lieb gewonnen – ein Instrument anbot, das er zum Besten seiner Kinder an Bord führte, und mich dadurch in die Lage setzte, meinem kleinen Patienten eine wirksame Erleichterung zu verschaffen.

Als ich am andern Morgen auf das Verdeck trat, sah ich die beiden Leuchtthürme von Genua vor mir, und einige Stunden später wurde in dem schönen Golf der majestätischen Stadt der Anker niedergelassen. Da hatte ich denn meine liebe Noth, bis ich mit Hilfe eines jungen Kurschmids aus der Stadt meine Pferdefamilie am Lande hatte, welche endlich am Thore, wo ihr Signalement aufgenommen werden sollte, von der ungewohnten Musik der Wachparade nicht länger Stand hielt, so daß das Geschäft der Signalisirung später im Stalle vollendet werden mußte. Während der Paar Tage, die ich mich in Genua aufhielt, ersah ich die Gelegenheit, diese Stadt der Paläste in allen ihren Theilen zu mustern; auch wollte es mein gutes Glück, daß ich dem Flottmachen einer neugebauten Fregatte anwohnen konnte – eine Festlichkeit, zu deren würdiger Begehung sich auch der König von Sardinien eingefunden hatte.

Nachdem sich meine Thiere von der Anstrengung der Seereise genugsam erholt hatten, trat ich mit dem Bedienten Friedrich, welcher mir von dem Baron gleich am andern Tag nachgesendet worden war, an einem schönen Abend den Landweg durch Italien an, da ich die Pferde der drückenden Hitze des Tages nicht aussetzen mochte. Der Weg nach Mailand wird mit Postwagen in 36 Stunden zurückgelegt; ich aber brauchte dazu acht Tage, weil ich wegen des Fohlens nur kleine Märsche machten konnte – trotz der schönen Natur eine sehr ermüdende Aufgabe, da mir Niemand zur Seite war, um seine Gefühle gegen die meinigen auszutauschen.

In Mailand hatte ich mir bald einige liebe Bekannte erworben, die ihr Möglichstes thaten, mir die schöne Stadt genußreich zu machen. Ich sah hier, was schon Tausende vor mir gesehen und beschrieben haben, und erinnere mich mit Freuden der vielen angenehmen Stunden, die ich hier verbrachte. Besonders hatte ich Muße, den ganzen Schmelz schöner italienischer Abende zu genießen, und mit Sehnsucht denke ich an einige Straßen und Plätze zurück, durch die ich öfters gewandelt bin. Wie schön war an einem solchen Abende der Platz vor dem Dom mit seinen hellerleuchteten Kaffeehäusern und dem mächtigen Marmorgebäude im Hintergrunde, dessen hochragende weiße Spitzen sich an dem dunkeln Himmel scharf abzeichneten.

Am 6. Juni ritt ich Abends aus Mailand fort, die Brust mit all dem Angenehmen erfüllt, was ich in der schönen Stadt genossen, und lebhafter als je an die Heimath denkend, die ich nun bald wieder betreten sollte. Meine Karawane war wie früher organisirt: der Reitknecht führte die Stute, das Fohlen sprang nebenher, und ich ritt den Hengst, welcher mir die kurze Tour nach Monza recht sauer machte, denn er sah heut zum erstenmal in seinem Leben eine Locomotive, die ihn zu den unangenehmsten Sprüngen veranlaßte; auch behielt er den Anblick nur zu gut im Gedächtniß, denn so oft er später irgendwo Rauch aufsteigen sah, wurde er unruhig und konnte nur mit Mühe von den gröbsten Unarten abgehalten werden. Am Abende des nächsten Tages erreichte ich Lecco am Comersee und traf daselbst einen scheerenkundigen Landsmann, den ich aus einer kleinen Verlegenheit gegen den Wirth erlöste – eine Gefälligkeit, die er mir durch eifrige Handreichung, welche er dem Reitknechte leistete, dankte. Er schloß sich meiner Karawane an; aber das Aussehen meiner beiden Begleiter war so abenteuerlich, daß mich in der Nahe von Chiavenna ein Mensch, der an der Straße Steine klopfte, mit der Frage anging, wann wir unsere Vorstellungen beginnen wollten; er sei nämlich einer der Tamboure des Orts, und wir möchten ihn die Ankündigungen austrommeln lassen, damit er etwas verdiene.

Bisher hatte ich stets günstiges, ja heißes Wetter gehabt; aber von Chiavenna aus, wo mein Schneiderlandsmann zurückblieb, änderte sich die Scene, und ich mußte, statt früher nur Morgens und Abends zu reisen, den umgekehrten Plan befolgen. Doch auch so wurde mir bei meiner leichten Bekleidung die Kälte sehr empfindlich, und namentlich litt das an rauhes Wetter nicht gewöhnte Fohlen, welches sich zuweilen gegen den Wind gar nicht emporarbeiten konnte. Auf dem Splügen wurde ich von einem lustigen Schneegestöber begrüßt, und in der Nahe des östreichischen Zollhauses waren die Bergwasser theilweise mit Eis bedeckt. Ich übernachtete in dem Dorfe Splügen und reiste am andern Morgen gegen neun Uhr wieder weiter, die wegen ihrer schauerlichen Wildheit so berühmte und berichtigte via mala begehend, obschon ich sie – vielleicht in Folge meiner Erfahrungen im Libanon – lange nicht so schlimm fand, als ich mir vorgestellt hatte. Allerdings jagte mir einmal mein Hengst einen ziemlichen Schrecken ein. Man führte ihn nämlich an dem sogenannten verlornen Loche, wo vorspringende Felsen es unmöglich machten, den Weg auf dem rechten Ufer der Schlucht fortzusetzen, vermittelst einer Brücke, die mit einem einzigen Bogen kühn zwischen den hohen Felsen hängt, auf die linke Seite. Bei dem Brausen der an den Wänden niederfallenden Wasserbäche kamen dem Thiere vielleicht die Leiden der Seefahrt oder das Sausen des Dampfes ins Gedächtniß – kurz, es wollte nicht auf die Brücke und machte Miene, wieder umzudrehen. Natürlich brauchte ich endlich Gewalt, und Scham sprang nun mit einem mächtigen Satze auf die Brücke, wo er sich seiner Gewohnheit gemäß auf die Hinterbeine stellte und so eine Strecke vorwärts marschirte – ein fatales Courbettiren über einem 400 Fuß tiefen Abgrund. Mein nächstes Nachtlager war Thusis, wo mir im Stalle ein schwarzer Ziegenbock eine Partie schlechte Cigarren abnahm (zwar nicht um sie zu rauchen, sondern um sie zu fressen), und am andern Nachmittag mußte ich wegen Sturm und Regen für zwei Tage in Chur Herberge nehmen. Sodann führte mich mein Weg über die Haltorte Oberrieth und Sankt Gallen nach Rorschach, von wo aus ich mit dem Dampfboote nach Constanz fuhr. Hier mußte ich wegen des Fohlens einen halben Tag bleiben und zu größerer Schonung des Thierchens mich wieder auf dem Bodensee einschiffen, um den weiten Umweg um den See nach Ludwigshafen zu vermeiden. Noch am selben Abend ritt ich nach Stockach, wo ich übernachtete. Jetzt, so nahe dem Ende meiner Reise, zählte ich jede Minute und jeden Schritt; die Märsche erschienen mir nochmal so lang, namentlich zwischen Stockach und Tuttlingen, wo ich obendrein von einem furchtbaren Gewitter überfallen wurde. Dem Hengst kam das Donnern und Blitzen so schrecklich vor, daß er öfters über die Chausseegräben davon wollte.

Je näher ich übrigens dem Ziele meiner Reise kam, desto mehr quälte mich die Furcht, es könnte meinen Pferden auf dem kurzen noch übrigen Wege ein Unfall zustoßen und dadurch alle meine Mühe und Sorge zu nichte werden. Glücklicherweise jedoch betraf mich nichts Unangenehmes, und ich brachte die ganze Familie gesund und wohlbehalten über Schömberg und Hechingen nach Tübingen. Hier begrüßte ich einige meiner frühern Bekannten und verlebte in ihrem Kreise wieder einmal einen lustigen deutschen Abend. Einige gaben mir am andern Tage das Geleite gegen Waldenbuch, wo ich noch einmal übernachten mußte.

Mit einem eigenen Gefühle trat ich den letzten Tag meiner Reise an, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend; denn ehe ich meine Pferde abgeliefert hatte, war ich ja keinen Augenblick vor einem Unfall sicher. Ich hatte schon eine ziemliche Strecke des Wegs zurückgelegt, als wir plötzlich einen Menschen in der wohlbekannten Livree der königlichen Stallbedienten auf uns zukommen sahen. Er war mir auf einen Brief, den ich von Tübingen nach Stuttgart geschrieben, entgegen geschickt worden. Mein Friedrich hatte ihn schon gekannt, ehe er die große Tour unternommen, und obendrein machte es die Freude, wieder im lieben Schwaben zu sein, daß er ihn wahrhaft rührend begrüßte.

Bald darauf näherte sich uns ein Reiter, den ich schon von Weitem als den Königlichen Stallmeister Baron v. H. erkannte. Jetzt wurde ich mit der Gegend vertrauter, denn ich war früher in dieser Richtung nie über Degerloch hinausgekommen. Es freute mich innig, hier den ersten herzlichen Gruß auf heimathlichem Boden der liebenswürdigen Mutter unseres guten Barons v. T. darbringen zu können, welche von ihrem Landsitze aus mir freundlich entgegenkam.

Unten im Thale tauchten Thürme und Häuser auf, die mir wohl bekannt waren. Noch wenige Schritte zwischen den mit Reblaub bedeckten Bergen abwärts, und meine Pilgerschaft hatte ihr Ende erreicht. Ich war in Stuttgart.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise in den Orient – Zweiter Band