Abschnitt. 3

Der Atem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer; überallhin waren ihre Sprossen gepflanzt, nirgends aber stand der junge grüne Hain so dicht als in der Lützowschen Freischar. Hier war der Student der Nebenmann des jungen Geistlichen; Ärzte, Künstler, Lehrer, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Teil schon hochgestellte Beamte von besondrem Schwunge des Wirkens, Gelehrte und Forscher mancher Art waren an die wenigen Kompagnien und Schwadronen verteilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wieder aufwachen sollten, das farblose Schwarz trugen. Unsre Sinnes- und Geistesart war gewissermaßen dort in einer gedrängten und übersichtlichen Gruppe nach ihren verschiedensten Formen sichtbar. Ein kühner, freisinniger Führer hielt diese eigenartigen Persönlichkeiten, diese wundersame Genossenschaft unter den schwierigsten Umständen in Sieg und Niederlage zusammen. Ich nenne einige wenige Namen, wie sie mir eben einfallen, und ohne damit andeuten zu wollen, daß sie das Ganze auch nur näherungsweise bezeichnen können; die Namen: Friesen, Graf zu Dohna, Reil, Vietinghoff, Eckstein, Dorow, Beuth, Helmenstreit, Ennemoser, Kruckenberg, Petersdorf, Jahn, Berenhorst, Meckel, Foerster, endlich: Theodor Körner.
Die Freischar war die Poesie des Heers, und so hat sie denn auch den Dichter des Kampfes in ihrem Schoße ausgetragen: Theodor Körner. Von ihm kann man sagen, was Wallenstein von Max sagt:
„Sein Leben liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.“
Ein schönes, beneidenswertes Leben! Indem er den Kriegerrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Andrer geworden. Von Feldwacht zu Feldwacht, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigne, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen stellt. Er dichtet sein Schwertlied, einen der höchsten Laute unsrer Sprache; da werben schon die Trompeten. Er wirft den Stift weg und ergreift die Braut, welche er eben besungen. In der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glücks tritt ihn der Tod an, rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt im Siegesheimzuge, aber er ruht, wie er wollte, und lebt im Volk:
„Denn was berauscht die Leier einst gesungen,
das hat des Schwertes freie Tat errungen.“
Sehen wir in ihm die jauchzende Lust des Daseins, so mischt sich unsrem Gefühle eine tragische Stimmung bei, wenn wir noch einen Blick auf die Schar zurückwerfen, von welcher ich vorhin einen bildlichen Ausdruck gebraucht habe. Dieser Ausdruck ist auch nach der trüben Seite zu kein leerer, er hat eine wehmütige Wahrheit. Jene schnellen Reiter, jene munteren Schützen hätten vor Allen die beflügeltsten Züge, die kecksten und vordersten Wagnisse verdient, sie wären es wert gewesen, dem schlesischen Heere streifend den Weg auf den Montmartre zu zeigen. Die Freischar war geboren, Blüchers Auge zu sein. Aber ein eigensinniges Kriegsgeschick, dessen Beschlüsse unbeugsam sind, bindet einen geraumen Teil des Kampfes hindurch den raschen Führer und sein rasches Häuflein an die gemessenen Schritte eines Zaudernden, dessen Rückhalten zwar den vollgültigsten und gerechtesten Staatsgrund für sich hat, Andern aber freilich, welche mit solchen Gründen nichts zu teilen finden, ein bitter-drückendes Gewicht anhängt. Und so klingt in diesem ganzen sonderbaren Verhältnisse der alte Schmerz an, daß die Fürstin des Geisterreiches, die Poesie, wenn sie in das irdische Dasein hinüberschreitet, als gefesselte Königin aufzutreten meistenteils verurteilt ist.
Indessen, was auch unterwegs gehemmt, zerdrückt, von seiner Bestimmung abgelenkt wird, die große Sache des Vaterlandes geht ihren gesegneten Gang und findet in Paris und zum andern Male in Paris die volle Genugtuung. An diesem überschwänglichen Heile löschten alle einzelnen Mißstimmungen aus. Deutschland war eins, sein guter Name hergestellt, und dazu hatte ein Jeder mit Mut, Gut oder Gaben, Rat und Fleiß beigesteuert, ein Jeglicher nach Vermögen. In dem Gefühle dieses allgemeinen Glücks schlossen sich alle Wunden, vor diesem starken Gesamtbewußtsein wichen die Zweifel zurück.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Preußische Jugend zur Zeit Napoleons