5. Vierter Abschnitt des Potsdamer Barockstils. Karl von Gontard und seine Schule.

Karl von Gontard und seine Schule. 1763-1786.

Die Einheit der großen Anlage des Neuen Palais ist bereits einem neuen Meister zuzuschreiben: Karl von Gontard. Mit ihm beginnt 1763 der vierte Zeitraum der baukünstlerischen Entwickelung des Barockstils, eine Epoche von eigenartiger Kraft und Fülle, die Glanzperiode der bürgerlichen Architektur der Stadt. Der persönliche Einfluss des Königs ist nie ganz ausgeschaltet worden, aber seine Künstler haben vielfach freiere Hand. Friedrich gibt noch die Skizze für den Freundschaftstempel (1768), das Brandenburger Tor (Trajansbogen). Er lässt die als klassisch geltenden Palazzi Barberini (Abb. 33), Salviati (Abb. 34), della Borsa (Abb. 35) in Rom in freier Form kopieren. Der Anschluss an Piranesis großes Werk über die römischen Bauten ist hier zu spüren. Gontard und sein Schüler Unger sind deutsche Meister. Sie kommen aus Bayreuth und haben dort an die Überlieferung des bodenständigen süddeutschen Barocks anknüpfen können. Gontard vornehmlich hat dann Italien kennen gelernt, in Paris aber die Einwirkung des Neuklassizisten J. F. Blondel des Jüngeren, ja sogar Soufflots erfahren. Diese Anregungen nahm er in sich auf und so entstand ein selbständiges Barock mit klassizistischer Note, das sich glücklich der Potsdamer Umwelt einfügte. Besonders um die Entwickelung eines eigenen Barockbürgerhauses von stattlicher Dreistockhöhe hat Gontard große Verdienste. Unvergleichlich ist seine Kunst, immer neue Schmuckformen zu finden. Kraftvolle Wucht, nicht eigentlich französische Eleganz ist ihm eigen. Vornehm wirken seine Pilasterbauten, überraschend großartig sein Militär-Waisenhaus.


Eine Fortbildung dieses Stiles unternimmt Unger, in vielen Fällen ähnelt er dem Meister, in einigen erreicht er ihn in selbständiger Wirkung. Das zweistöckige Bürgerhaus erfuhr dann seine vollendete Ausbildung durch die Gontardschule, Krüger, die beiden Schultzes, Richter, Titel, wie schon die Namen zeigen, Deutsche, Vertreter heimischer Kunstübung. Ihre Werke gehören dem Wesen nach zum Barockstil; aber langsam folgt seit 1780 die Hinwendung zum klassischen Detail der Mode entsprechend. Das Friderizianische Barock wird klassisch und leitet so langsam den Übergang zum Frühklassizismus oder Zopfstil ein. Französische-, Charlotten-, Hoditz-, Ebräerstraße zeigen die typischen Formen auf. So ist aus vielfachen Anregungen heraus vornehmlich durch die eigene und selbständige Auffassung der schaffenden Männer, wenn sie auch nicht immer Künstler ersten Ranges waren, eine Potsdamer Architektur entstanden, die sich mit Ehren unter den großen Mittelpunkten der Kunst Europas behauptet. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Schöpfungen von 1740 — 1786 im wesentlichen als Friderizianisches Barock anzusprechen sind. Zwar sind klassizistische Strömungen wie in Nordwest-Europa vorhanden, aber die barocke Richtung wird hier nur gelegentlich von ihnen unterbrochen, sie ist nicht Episode, wie sie es in England war. Die in Potsdam geschaffenen Werke stellen somit eine ganz eigene Leistung deutschen Kunstgeistes im Barockzeitalter dar.

Die großen Erscheinungen im Stil wurden nicht geistlos nachgeahmt, man passte sie dem Orte an, man bildete sie um. Es ist nicht zu verwundern, daß man sich bei dem damaligen Stande der deutschen Kunst an das Ausland anlehnen mußte. Was aber unter derartigen Bedingungen geschehen konnte, ist geleistet worden. Selbständig sind die Werke Knobelsdorffs durchaus, vieles der Boumannschen Richtung tritt ihnen ebenbürtig zur Seite; Gontard, Unger und ihre Schule schufen Mustergültiges und Neues in der bürgerlichen Architektur der Stadt. Wie diese Bewegung bis in die entferntesten Stadtteile ihre Wellen schlug, wie sie die ganze Bautätigkeit der Zeit durchdrang, erkennt man am klarsten bei einem Gange durch die Burg-, Heiligegeist-, Große und Kleine Fischerstraße. Alles empfing den Stempel einer eigenen Potsdamer Kunst, alles ordnete sich harmonisch dem Ganzen unter. Wir haben hier Schöpfungen vor uns, die neben den Denkmälern des Barockstils eines Pöppelmann, Johann Balthasar Neumann, Fischer v. Erlach im übrigen Deutschland als eigentlich norddeutsch-preußisches Barock mit allen Ehren bestehen. Wenn sie auch mit der Entwickelung des Volkes weniger eng verknüpft sind, mit der Persönlichkeit eines Herrschers, wie Friedrich der Große es war, bleiben sie unauflöslich verbunden. Als Dokumente seines künstlerischen Werdeganges, seiner Kunstinteressen erhalten sie ihre besondere Weihe. Bis 1780 mußten ihm alle Entwürfe vorgelegt werden, zu vielen zeichnete er selbst die Fassaden, an allen arbeitete er auf das lebhafteste mit, für alles bewies er sein Interesse und gab seine verantwortliche Genehmigung. Das künstlerische Empfinden Friedrichs wird, wie das dem 18. Jahrhundert überhaupt eigen ist, durch den Prospekt bestimmt. Es ist klar, daß wir die Vorliebe für die Aus- und Durchblicke malerischer Art auch in der Stadt wiederfinden. Die hervorragenden Gebäude in den Straßen sind auf Fernblick hin angeordnet. Überall soll dem Beschauer ein würdiger Gegenstand geboten werden. Auch durch wirkliche, geschlossene Plätze, auf die die Umgebung harmonisch abgestimmt erscheint, zeichnet sich Potsdam aus. Es ist so im allgemeinen vorbildlich für künstlerische Stadtanlagen.

Überraschend ist die Fülle der Erfindung an Gontards Bürgerhäusern. Diese zeigen Pilasteraufbau oder eigenartige Verwendung von Verdachungsgesimsen. Ostund Westseite des Wilhelmplatzes rühren mit wenigen Ausnahmen von ihm her; ebenso die Südseite und wahrscheinlich auch die holländische Barockwestseite des Bassinplatzes: die Nordseite des Wilhelmplatzes dagegen ist nach Vorlagen des Baudirektors Ludwigs XV., René Pitrou, geschaffen, eines Schülers des jüngeren Blondel, der ja auch Gontards Lehrer gewesen. Gontard ist weiterhin noch mit einem interessanten Straßeneingang an der Berliner Brücke vertreten, zwei gegenüber liegenden Häusern von 19 und 27 Achsen Breite (Abb. 36). Eigene Straßeneckengestaltung weist Blücherplatz 7 (Abb. 37) mit seiner vierfach gebrochenen Front auf. Herrscht hier gedrungene Wucht, so zeigt sich heitere, freie Lösung nach oben in dem italienischen Palazzo, Humboldtstr.4 (Abb. 38). Breite, gedrungene Kraft verkündet die Oberrechnungskammer am Kanal; feinsinnige Raumgestaltung die Straßenkreuzung der Acht Ecken (Abb. 39). Eine wahrhaft große Aufgabe aber wartete Gontards, als sich König Friedrich entschloss, das alte Militärwaisenhaus umzubauen. Hier schien nach vielen Mühen im kleinen eine Wirkung in das Bedeutende möglich. Zwar an dem ursprünglichen Plane, das gesamte Viereck an der Breiten, Linden-, Spornstraße und Am Kanal einer einheitlichen Behandlung zu unterwerfen, hielt man nicht fest. Jedoch auch das, was unter Benutzung des schon Vorhandenen geschaffen worden ist, genügt, um zu zeigen, wie der Meister Vorwürfe großzügiger Art anzufassen wusste. Die einfachste Form, die sich aus der Bestimmung des Gebäudes ergab, verlieh er der Nordseite (Spornstraße). Hier sind lange Fensterreihen bedingend. Die Ostfront am Kanal zeigt seine Fähigkeit, die Langseiten einer solchen Anlage zweckentsprechend zu beleben. Ein Mittelrisalit mit klassizistisch Gontardschen Pilastern und großem Giebelfeld bezeichnet den Haupteingang. Die Nebeneingänge sind den pilastergeschmückten Seitenrisaliten (Mittelbau). vorbehalten. Ähnlich dieser Fassade ist die der Südseite mit schönem Frontispiz. Sie tritt verkürzt in die Erscheinung; denn bis zur Lindenstraße schließen sich drei Häuser an, die aus dem Rahmen einer einheitlichen Gestaltung herausfallen. Das Hauptstück des gesamten Werkes aber ist die Westseite mit ihrem erhabenen Turm, der besten Leistung des Künstlers in Potsdam. Der grandiose Unterbau des Haupteingangs (Abb. 40) ragt machtvoll aus der Fluchtlinie hervor; zwei Stockwerke mit Mezzaningeschossen überdacht ein mächtiges Tympanum, darüber steigt sockelartig eine Attika auf. Oberhalb dieses Geschosses triumphiert die Halle des Aufsatzturms, als Tempel der Menschenliebe gestaltet (Abb. 41).

Die Kuppel trägt die vergoldete Statue der Caritas mit dem flammenden Herzen in der Hand. Es war ein genialer Gedanke, die krönende Kuppel von freistehenden Säulen tragen zu lassen. Von fern und aus der Nähe bietet sich so ein überraschend schöner Anblick durch eine großartige, in die Höhe strebende Zusammenfassung der Massen. Das Treppenhaus mit seinem Durchblick nach oben, der einspringende Querflügel des weiten, von Fensterreihen umzogenen Hofes, die schönen Umrisslinien der Doppeldächer schließen sich der Gesamtwirkung würdig an (1771-1777).

Ungers Tätigkeit lässt sich von 1770—1785 nachweisen. Sein Palladianismus zeigt sich an dem Eingangsportal zum Langen Stall, seine Pilasterarchitektur Breite Straße 10 bis 11 (Abb. 42), an der Montierungskammer (Ecke der Plantage und des Kanals) und an der herrlichen alten Post (Ecke Kanal und Nauener Straße) (Abb. 43). An all diesen Häusern ist ein starkes Aufwärtsstreben bezeichnend (Abb. 44) . Eine Fülle neuer Bauten, vornehmlich zweistöckige Bürgerhäuser, entstanden in der Zeit von 1780 — 1786, ein ganzes Drittel sämtlicher Neuschöpfungen. Die Schüler der beiden älteren Bayreuther, Andreas Ludwig Krüger, Johann Christian Valentin Schnitze, Johann Grottlob Schnitze, Johann Rudolf Heinrich Richter verwerten zum Teil barocke, zum Teil klassizistische Motive. Langsam setzt eine Hinneigung zu klassischen Schmuckformen ein. Zwar finden sich noch barocke Putten, durchschnittene Architrave, schmuckhafte Quaderung, römische Kämpferbögen, aber auch die Mäanderlinie, das Gitterwerk, der Eierstab, einfache Lorbeergewinde, urnenähnliche Vasen machen sich geltend. Burgstraße mit angrenzenden Gebieten, Elisabeth-, Friedrich- und Französische-, Charlotten (Abb. 45, 46), Hoditz (Abb. 47) und Ebräer-, Waisen-, Sporn (Abb. 48) und Kietzstraße werden fertiggestellt.

Zweigeschossige Fünf- u. Siebenachsenhäuser finden sich überall (Abb. 49). Manchmal werden drei Häuser durch eine Fassade gehalten, doch so, daß das mittlere als Risalit erscheint.

Dieser Stil der Gontardschüler, der sich dem Zopf nähert, hat noch drei Werke allgemeiner Bedeutung aufzuzeigen. Den klassizistischen Ausklang der friderizianischen Zeit kennzeichnet das Wachtgebäude am Kellertor mit seinen starken römischdorischen Säulen, vor denen die bandartige Rustika der Bauglieder zurücktritt (1786). Der Neubau des Kutschstalles (1787) (Abb. 50) Schließt sich Unmittelbar an. Krüger war der ausführende Architekt. Von der Schwertfegerstraße her sichtbar schmückt den Bau in der Mitte ein Portal. Dies ist geflissentlich im Stile eines römischen Triumphbogens gehalten. Vier sogenannte toskanische Säulen sind ihm vorgestellt, auf der Attika steht eine Quadriga. Ein Leibkutscher des Königs lenkt einen königlichen Wagen, dem vier Pferde breit vorgespannt sind, während rechts und links Stallbediente von steifer Haltung in Tätigkeit abschließende Gruppen bilden. Die neue Hauptwache, Ecke der Linden- und Charlottenstraße, stammt ebenfalls von Krüger (1797) (Abb. 51). Dieser Prachtbau wurde angeregt durch ein ähnliches Gebäude in Posen, das Friedrich Wilhelm II. daselbst gesehen hatte. Es ist die alte Hauptwache am dortigen Markte. Sie wurde auf Veranlassung des Generalstarosten von Großpolen, Kasimir Raczynski, 1787 errichtet. Die römisch dorische Säulenreihe vor der Front gab ihr ein bemerkenswertes Gepräge. Sie lieh aber nur die Anregung: Die Potsdamer Wache hat außer der halbantiken Form gar nichts mit ihr gemein, sie ist viel wirkungsvoller und völlig originalen Ursprungs. Mars und Bellona künden vom First herunter die Bedeutung des Gebäudes an. Gekuppelte Säulen sind durch Bogen verbunden und bilden nach zwei Straßenseiten hin wohl abgewogene Arkaden. Klassizistisch sind die Verdachungsgesimse der Fenster am eigentlichen Baukörper und der Triglyphenfries. Wir sehen in diesem Werke die letzte, nicht die schlechteste Tat der für Potsdam so bedeutungsvollen Künstlergruppe, die mit Ehren den Namen Karl v. Gontards trägt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst