1. Kapitel Bei Mutter Thick -8-



So kam ich bis an die Stelle, wo wir bei unserer Ankunft den Erdbohrer in Thätigkeit gesehen hatten. Etwas oberhalb derselben war ein Wassergang herüber geleitet, in welchem sich ein Rad bewegte. Ein leise knirschendes Geräusch ließ mich stehen bleiben. Sollte sich der Bohrer noch in Gang befinden? Ich verstand nichts von der Sache, aber eine plötzliche Angst kam über mich. Da tauchte über dem Graben drüben ein Licht auf, nicht im Freien, sondern es blinkte durch die zerrissenen Bretterwände, zwischen denen sich das Bohrwerk befand. Hatte nicht Willmers jedes Licht verboten? Ich lauschte. Da hörte ich Schritte. Eine Gestalt huschte an mir vorüber, noch eine. Die Finsternis verhinderte mich, genau zu sehen, aber es war mir, als hätte ich Jones und Holmann unterschieden.


Sie waren in der Dunkelheit verschwunden, ehe ich ihnen zu folgen vermochte. Ich eilte, so schnell ich konnte, zurück, trat in das Parlour und fragte Lincoln:

„Ist Holmann noch fest, Abraham?“

„Warum? Vor einer halben Stunde war ich bei ihm.“

„Ich glaube, ihn und Jones beim Bohrer gesehen zu haben. Es brennt Licht dort, und das Rad geht.“

„Licht brennt, und das Rad geht?“ rief Willmers. „Um Gottes willen, sollte er ausgebrochen sein? Er hat gehört, daß das Oel kommen will und – – schnell, schnell, nachgesehen, wo er ist!“

Wir eilten hinaus. Die eisernen Riegel vor der fe sten Thür des Gewölbes, in welchem man den Gefangenen untergebracht hatte, waren vorgeschoben. Es wurde geöffnet; er war fort.

„Der Kanada-Bill ist zurückgekehrt und hat ihn befreit!“ rief Lincoln. „Wir müssen – –“

„Laßt sie, Sir!“ fiel ihm Willmers in die Rede. „Morgen früh müssen wir ihre Spuren finden und werden ihrer Fährte folgen. Sie sind uns sicher. Aber der Bohrer! Fort, hinunter zu ihm!“

Die Frauen konnten vor Angst nicht sprechen. Wir Männer stürzten hinaus in das Freie. Doch kaum hatten wir einige Schritte gethan, so ertönte ein gewaltiger Donnerschlag, und es war mir, als sei die Erde auseinander gerissen worden. Der Boden erzitterte, und als ich, auf das tiefste erschrocken, aufblickte, sah ich in der Gegend des Bohrers eine glühende Feuergarbe wohl sechzig oder noch mehr Fuß in die Höhe steigen; zugleich verbreitete sich ein penetranter Gasgeruch, welcher uns fast den Atem benahm.

„Das Thal brennt!“ schrie Willmers, und er hatte recht. Von dem Bohrloche abwärts loderte auf und über dem Flusse ein glühendes Feuermeer. Jones hatte Holmann befreit, und beide hatten, um sich zu rächen, den Erdbohrer wieder in Bewegung gesetzt und ein Licht dazu gestellt. Unglücklicherweise war das nur ganz kurze Zeit vor dem Augenblicke geschehen, an welchem der Bohrer in der Tiefe auf das Petroleum treffen mußte. Es wurde im Bohrloche empor getrieben, und die Gase, die es mit sich führte, hatten sich an dem brennenden Lichte entzündet. Nun schien abwärts von uns die ganze Atmosphäre zu brennen. Glücklicherweise konnte das Feuer uns nicht erreichen, und auch die Arbeiter nicht, deren Wohnungen nicht ganz am Flusse lagen. Dennoch lief ich hinunter, um zu sehen, ob sie vielleicht der Hilfe bedürften. Da erblickte ich eine Gestalt, welche dagestanden hatte, um das Feuer zu betrachten, aber sofort davonrannte, als sie mich bemerkte. Diese Flucht kam mir verdächtig vor, und ich lief nach. Je näher ich dem Manne kam, desto deutlicher sah ich, daß er durch irgend etwas im Laufen gehindert wurde; seine Arme bewegten sich nicht. Ich verdoppelte meine Schnelligkeit, erreichte ihn und erkannte Holmann, dessen Hände noch in den Schellen steckten. Ich faßte ihn, warf ihn nieder und kniete auf ihn; er versuchte, sich zu wehren. Der Handschellen wegen konnte sein Widerstand von keiner Bedeutung sein. Ich riß ihm das Tuch vom Halse und band ihm damit die Füße zusammen. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen und funkelte mich mit grimmigen Augen an, ließ aber kein einziges Wort vernehmen. „Guten Abend, Master!“ sagte ich. „Euer Spaziergang hat nicht lange gedauert. Wollt Ihr mir wohl mitteilen, wo William Jones steckt?“

Er antwortete nicht.

„Gut! So werden wir versuchen, ihn ohne Euch zu finden.“

Ich nahm ihn beim Kragen und schleifte ihn nach dem Wohnhause zurück, wo er sofort wieder eingesperrt wurde. Dann zerstreuten wir Männer uns, um nach Jones zu suchen. Wir hatten Zeit dazu, weil wir das Feuer jetzt doch nicht bewältigen konnten; aber alle Mühe war vergebens; wir fanden ihn nicht; er war entkommen.

Das Feuer brannte, wie ich vorher berichten will, noch einige Tage fort; dann gelang es dem Ingenieur, es zunächst einzudämmen und dann ganz auszulöschen. Viel geschadet hat es nicht, wenigstens nicht so viel, wie Jones und Holmann beabsichtigt haben mochten, von denen es wahrscheinlich auf unser Leben abgesehen war. Später hörte ich einmal, daß der Kanada-Bill sich am untern Missisippi sehen lasse und mit dem Spiele ein schönes Geld verdiene. Seitdem sind Jahre vergangen; ich hoffe aber, daß er noch lebt und mir einmal in die Hände kommt. Dann ist ihm meine Kugel sicher und gewiß.

Holmann wurde, als die Kähne nach dem Missouri gingen, von Lincoln fortgeschafft. Das gab einen Abschied, der mir nicht wenig zu schaffen machte, denn der brave Abraham war mir gewaltig an das Herz gewachsen. Ich durfte nicht mit. Fred Hammer und Guy Willmers meinten, das ginge nicht, und die Ladies baten so schön, daß ich nicht anders konnte, ich mußte bleiben.

Später erfuhren wir, daß Holmann für die Lebenszeit in die Zelle gekommen ist.

Abraham Lincoln ist, wie ich es ihm ja gesagt hatte, nicht beim Lawyer stehen geblieben, sondern hat es bis zum Höchsten gebracht, was ein braver self-man werden kann; er ist Präsident der Vereinigten Staaten geworden und hat leider für das, was er Gutes that und wollte, einen Schuß bekommen; Fluch dem Schurken, der ihn abfeuerte!

Und ich? Man ließ mir keine Ruhe, ich mußte bei Willmers mein Wigwam aufschlagen. Arrow ist damit nicht zufrieden gewesen, und auch ich habe zuweilen ein so heilloses Zwicken in den Gliedern bekommen, daß ich zu Büchse und Tomahawk gegriffen habe und auf einen Monat oder zwei hinausgeritten bin in die Savanne und die Woodlands, wo ich den Oelgeruch vergessen und den Büffeln oder Indsmen zeigen konnte, daß Tim Kroner noch keine Lust habe, die schöne Prairie mit den ewigen Jagdgründen zu vertauschen. Zwischen Longs Peak und den Spanish Peaks ist mein Jagdrevier, und dort habe ich mir den Namen geholt, mit dem ihr mich vorhin genannt habt, nämlich, der „Coloradomann“, Mesch’schurs. Und es ist wahr, was ihr vorhin sagtet, daß ich nämlich der beste Jäger weit und breit bin. Möchte einen andern sehen, der es mit mir aufnimmt, mag es sein, in was es wolle. So! Und nun habe ich euch den Willen gethan und bin mit meiner Erzählung fertig. –

Der Erzähler hatte die Behauptung, daß es niemand mit ihm aufnehmen könne, im Tone vollen Bewußtseins gesagt. Diese Selbstgefälligkeit schien einem der Anwesenden nicht ganz am Platze zu sein; denn er sagte:

„Dank für Eure schöne Geschichte, Sir, und allen Respekt vor Euch, Mr. Kroner. Man weiß, was man von dem Coloradomann zu halten hat; aber sollte es doch keinen andern geben, der sich neben Euch stellen kann?“

„Wer könnte das sein?“ fragte der Selbstbewußte.

„Winnetou zum Beispiel.“

„Pshaw! Das ist ein Indianer!“

„Old Firehand?“

„Habe es oft mit ihm aufgenommen!“

„Old Surehand?“

„Kann mich auch nicht irre machen.“

„Old Shatterhand?“

„Bin oft mit ihm geritten und habe nichts von ihm lernen können. Das sind alles Leute, an denen der Name das bedeutendste ist. Gerade Old Shatterhand hat in meinem Beisein manchen Fehler gemacht, den ich für unmöglich gehalten hätte. Er hat viel Körper kraft; das ist aber auch alles!“

Bei diesen Worten stand er auf und näherte sich meinem Tische. Er war kein übler Erzähler, und ich hatte ihm mit Interesse zugehört, obgleich ich mir das Meine dabei dachte. Diese Gedanken schienen sich meinem Gesichte aufgeprägt zu haben, denn er stellte sich jetzt breitspurig vor mich hin und fragte mich:

„Ich habe vorhin, als Ihr mit Mutter Thick spracht, gehört, daß Ihr ein Dutchman seid, Sir?“

Das Wort Dutchman wird den Deutschen gegenüber als Schimpfwort gebraucht; dennoch antwortete ich ruhig und gelassen:

„Nicht ein Dutchman, sondern ein German, Sir.“

„Das ist ein und dasselbe. Ich sage Dutchman und halte das für das richtige. Ihr habt, als ich erzählte, ein so zweifelhaftes Gesicht gemacht. Warum?“

„Interessiert Euch mein Gesicht?“

„Eigentlich ganz und gar nicht. Ihr habt kein Gesicht, dem ich sonst Beachtung schenken möchte; aber in diesem Falle ist es etwas anderes. Es sah grad so aus, als ob Ihr mir keinen Glauben schenktet. Ist’s so oder nicht?“

„Liegt Euch so viel daran, zu wissen, was ich glaube?“

„Alberne Frage! Euer Gesicht galt mir, und da will ich unbedingt wissen, was es zu bedeuten hatte. Oder habt Ihr Angst, es mir zu sagen?“

„Angst? Nicht daß ich wüßte!“

„Nun also, heraus damit!“

Alle Gäste waren still, auch die an den entfernteren Tischen. Sie erwarteten eine Scene und horchten gespannt zu uns her. Ich antwortete lächelnd:

„Ich habe gar keinen Grund, damit zurückzuhalten, daß ich mich über einen sehr auffälligen Anachronismus gewundert habe, der in Eurer Erzählung vorgekommen ist.“

„Anachronismus? Was ist das? Redet doch so, daß man es verstehen kann!“

„Gut, also deutlich! Seit wann ist wohl vom Petroleum im jetzigen Sinne die Rede gewesen?“

„Wer kann das wissen!“

„Ich, nämlich seit dem Jahre 1859. Und wann wurden in den Vereinigten Staaten die ersten Oelquellen entdeckt?“

„Das mögt Ihr Euch selbst beantworten!“

„Zwei Jahre vorher, also 1857. Nun sprecht Ihr von einem Oelbohrer jenseits des Coteaus, bei dem Lincoln gewesen sei, nachdem er kurz zuvor Lawyer geworden war. Wann aber ist er Lawyer geworden?“

„Laßt mich mit Euren dummen Fragen in Ruh!“

„Sie sind nicht so dumm, wie Ihr denkt, und gehören zu der Auskunft, die ich Euch geben soll. Lincoln etablierte sich nämlich im Jahre 1836 in Springfield als Lawyer, also über zwanzig Jahre vor der Entdec kung der ersten bedeutenden Oelquelle. Wie stimmt das mit Eurer Erzählung, Sir?“

„Ob es stimmt oder nicht, das ist mir gleichgültig!“

„Nun, so habt die Güte, gegen mein Gesicht ebenso gleichgültig zu sein!“

„Wollt Ihr sagen, daß Ihr das von dem Oelbrande nicht glaubt?“ fragte er in drohendem Tone.

„O, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel, nur ist der Ort und sind die Personen andere.“

„Wie so?“

„Old Shatterhand hat einen solchen Oelbrand erlebt, und zwar im Bluff von New-Venango 4). Der Oelprinz hieß dort nicht Willmers, sondern Forster.“

„Das geht mich nichts an und ändert nichts an meinem Erlebnisse; es finden oft Oelbrände statt.“

„Bei denen die Umstände einander so ungeheuer ähnlich sind? Hm! Uebrigens kenne ich Tim Kroner, den Coloradomann, sehr genau.“

„Thunder-storm! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht Tim Kroner bin?“

„Es kann allerdings vorkommen, daß zwei Personen ganz gleiche Namen haben; aber der richtige und echte Coloradomann ist der, den ich kenne.“

„Da kennt ihn auch ein tüchtiger Kerl! Wenn Euch ein anderer als ich gesagt hat, er sei Tim Kroner, der Coloradomann, so hat er gelogen und war ein Schwindler. Das laßt Euch gesagt sein, sonst stopfe ich Euch den Mund mit dieser Klinge hier!“

Er zog sein Bowiemesser aus dem Gürtel. Sofort hatte ich meinen Revolver in der Hand, richtete den Lauf auf ihn und antwortete:

„Stoßt nur zu, wenn Ihr die Zeit dazu findet! Kugeln pflegen schneller als Messerklingen zu sein.“

Er stand einige Augenblicke da, ließ dann das Messer sinken und sagte in verächtlichem Tone:

„Pshaw! Tim Kroner hat es gar nicht nötig, etwas darauf zu geben, was so ein Kerl, wie Ihr seid, für Gesichter schneidet. Zieht also Fratzen, so viel Ihr wollt; ich habe nichts dagegen und bleibe wer ich bin!“

Er steckte das Messer wieder in den Gürtel und kehrte auf seinen Sitz zurück. Die Zuhörer hatten diesen friedlichen Ausgang nicht erwartet, kleideten aber ihre Enttäuschung nicht in Worte. Ich hätte ganz anders auftreten können, doch fiel es mir nicht ein, den Gästen eines Kost- und Logierhauses ein Schauspiel nach Art der Runners und Loafers zu bieten. Mochte man immer denken, ich fürchte mich vor diesem sogenannten Coloradomann!

Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, ließ er seinen Blick an der Tafel rundum gleiten und fragte:

„Wollt vielleicht auch ihr es bezweifeln, Mesch’schurs, daß ich der echte Tim Kroner bin?“

Sie schüttelten die Köpfe, und einer der Gentlemen, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, antwortete:

„Wir haben keinen Grund, es nicht zu glauben. Uebrigens kann ich zu dem Schlusse Eurer Erzählung eine Bemerkung machen, die Ihr vielleicht gern, vielleicht auch ungern hören werdet.“

„Welche?“

„Ihr könnt den Kanada-Bill nicht erschießen.“

„Warum?“

„Weil er schon tot ist.“

„All devils! Er ist tot?“

„Yes.“

„Wißt Ihr das genau?“

„Sehr genau.“

„Wo ist er gestorben?“

„Auf der Mission Santa Lucia bei Sakramento.“

„An was? Doch nicht an einer Krankheit? Einen solchen Tod hätte der Halunke nicht verdient.“

„Oh, so billig ist er nicht weggekommen. Er hat sein Ende einem Manne zu verdanken, dessen Name vorhin genannt worden ist.“

„Welcher Name?“

„Old Shatterhand.“

„Was? Old Shatterhand hat ihm das Handwerk gelegt?“

„Ja.“

„Wie ist das geschehen, Sir?“

„Das ist eine interessante, höchst interessante Ge schichte, die ich eigentlich hätte veröffentlichen sollen. Ich bin nämlich Litterat, Mesch’schurs; ich sage das für diejenigen von euch, die das noch nicht wissen.“

„Erzählt es doch; erzählt’s!“ rief es im Kreise.

„Hm! Es ist eigentlich von einem Bücherschreiber nicht klug, etwas mündlich zu erzählen, was er durch die Presse veröffentlichen will; das werdet ihr einsehen, Gents.“




4) Siehe „Winnetou“ Bd. II

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II