1. Kapitel Bei Mutter Thick -7-



„Heigh-ho, das sollte ihm nicht gut bekommen! Ich hoffe, wenn er dort zu finden ist, werde ich ein Wörtchen mit ihm sprechen. Der Kanada-Bill wird’s doch nicht sein?“


„Nein. Warum?“

„Weil dieser zuletzt in Des Moines gesehen wurde, wo er zwölftausend Dollars gewonnen haben soll.“

„Ich weiß es. Er ist von dort spurlos verschwunden und wird, wie immer, an einem andern Orte wieder auftauchen, wo man ihn am wenigsten vermutet. Er ist ein ganz gefährlicher Mensch, und zwar ganz besonders deshalb, weil man ihm das Spiel nicht verbieten kann und er seine andern Streiche in einer Weise vollführt, daß man seine Handhabe findet. Es sollte mich wundern, wenn wir ihm nicht begegneten, denn so oft wir beide uns getroffen haben, ist er es gewesen, mit dem wir es zu thun hatten.“

Der Ritt wurde natürlich nun in Gemeinschaft fortgesetzt. Wir hatten noch ein Nachtlager hinter uns zu legen und mußten dann dem Flusse nahe sein. Freilich war es unmöglich, ihn aus der Ferne zu bemerken; wir schauten fleißig nach Spuren aus, bemerkten aber nichts Nennenswertes als endlich einen eigentümlichen Geruch, welcher von Viertelstunde zu Viertelstunde auffallender wurde.

„Lack-a-day! Was ist das wohl für ein Parfüm, welches meine Nase infiziert, als hätte mich ein zweielliger Skunk angespritzt?“ fragte ich. „Kannst du mir’s sagen, Abraham? Das ist nicht Truthahn-Bussard, auch nicht Boudinsgeruch, Kammas-Odeur noch weniger. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus diesem Veilchenduft machen soll!“

„Sagen könnte ich dir’s schon; aber soll ich wirklich so einen erfahrenen Woodsman, wie du bist, belehren? Mach’ nur die Nase noch ein wenig weiter auf, dann kannst du gar nicht fehl riechen!“

Ich sog die Luft stärker ein, aber vergebens.

„Ich bring’s nicht weg, Abraham. Das riecht wie Leiche, wie Harz und Kien, meinetwegen auch wie Firniß oder Lack.“

„Bist du noch nicht im Venango-County gewesen oder am Oil-Kanawha?“

„Nein, aber Oil-Kanawha? Ja, jetzt hab ich’s; das ist Petroleumgeruch, und ich glaube, der Fluß muß sich nun bald zeigen!“

Es war allerdings vor uns nichts zu sehen als die weite, ebene Prairie, doch nach einiger Zeit bemerkten wir einen Dunststreifen, welcher sich von Ost nach West über die Savanne zog; wir kamen ihm schnell näher, und als wir ihn erreichten, hielten wir auch an dem Ufer des Flusses. Seine Ufer waren mit Anlagen, wie sie die Petroleumgewinnung mit sich bringt, be deckt. Oben, einige hundert Pferdelängen vom Wasser entfernt, stand neben umfangreichen Fabrikräumlichkeiten ein außerordentlich stattliches Wohngebäude; weiter unten sah ich hart am Wasser einen Erdbohrer in voller Thätigkeit, und seitwärts davon zog sich eine Reihe kleiner Häuschen hin, welche jedenfalls als Arbeiterwohnungen dienten. Wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden, Reifen und fertige Fässer, teils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoffe gefüllt, zu sehen.

„Good lack, hier ist’s!“ sagte ich. „Nur möchte ich wissen, auf welche Weise dieser Guy Willmers das Oel unter die Leute bringt. Das Coteau bietet doch weder Weg noch Steg für die schweren Fuhrwerke, welche dazu nötig sind!“

„Siehst du nicht die großen Kähne unten im Wasser? Auf ihnen bringt er die Fässer in den Missouri, von wo aus dann der Weg offen steht.“

Lincoln schnallte die Handschellen vom Gürtel los und fuhr fort:

„Ich will die Armspangen nun unter die Decke nehmen. Es ist nicht notwendig, daß sie verraten, weshalb ich komme!“

Als wir das Haus erreichten, trat ein Arbeiter aus der Thür.

„Good day, Mann! Ist hier der Ort, wo ein Master Willmers wohnt?“ fragte Lincoln.

„Yes, Master. Geht nur hinein. Die Gent’s und Ladies sitzen soeben beim Essen!“

Wir pflockten die Pferde an und traten ein. Im Speisesaale saßen Fred Hammer, Guy Willmers und Betty; ich erkannte sie sofort wieder. Zwei junge Ladies, welche dabei waren, mußten die Töchter sein, zwischen denen ein Gentleman saß, den ich nicht kannte. Willmers erhob sich.

„Nur näher, Mesch’schurs! Was bringt ihr uns?“ fragte er.

„Einen ganzen Kürbis 3) voll Grüße von einem gewissen Tim Kroner, wenn ihr den Mann vielleicht kennt!“ antwortete ich.

„Von unserm Tim? Das ist ja – – heigh-ho, du bist’s ja selber, alter Bär! Beinahe hätte ich dich nicht wieder erkannt. Die Prairie hat dir ja einen Bart gemacht, daß nur die Nasenspitze zu erkennen ist. Welcome tausendmal! Hier, gieb auch den andern deine Hand!“

Na, das wurde ein Empfang, mit dem ich herzlich zufrieden sein konnte! Ich wurde beinahe erdrückt und fand kaum Zeit, an meinen Gefährten zu denken:

„Und hier habe ich euch einen mitgebracht, den ihr auch noch kennen müßt! Oder habt ihr Abraham Lincoln vergessen, der uns damals hinter den Bushheaders herführte?“

„Abraham Lincoln? Wahrhaftig, er ist’s! Willkom men, Sir, und nehmt es nicht übel, daß wir nicht sofort an Euch dachten! Ihr habt Euch um ein weniges verändert, seit wir uns nicht sahen.“

Wir mußten uns, so wie wir da standen, mit zur Tafel setzen, und erst jetzt wurde des fremden Mannes Erwähnung gethan.

„Hier ist unser Sir David Holmann aus Young-Kanawha, der uns seit einer Woche mit seinem Besuche beehrt,“ wurde er uns vorgestellt. „Er ist Besitzer einer ganzen Reihe von Oil-Creeks und zu mir gekommen, um wegen des Exportes einige Fragen mit mir zu erörtern,“ meinte Willmers. „Später kann ich euch auch Master Belfort vorstellen, der ins Thal gegangen ist, um unsere Arbeiterwohnungen kennen zu lernen. Ein feiner Gentleman, sage ich euch, voll Erfahrung und Geschicklichkeit, wie selten einer. Er versteht, mit der Karte die ganze Hölle herbeizuzaubern.“

Es entspann sich eine sehr lebhafte Unterhaltung, und es wunderte mich, daß Lincoln während derselben so außerordentlich einsilbig blieb. Warum warf er zuweilen, wenn Master Holmann es nicht bemerkte, einen so scharfen, forschenden Blick auf ihn? War er vielleicht der Mann, den er suchte?

Da ging die Thür auf, und ich konnte nicht anders, ich mußte aufspringen und den Eintretenden mit stieren Augen betrachten. Das dunkle Haar und der dich te, schwarze Vollbart machten mich irre, vielleicht auch die Kleidung, welche die eines wohlhabenden Gentleman war; aber ich hätte schwören mögen, daß – – doch ich kam nicht dazu, meinen Gedanken Worte zu geben; Guy Willmers erhob sich.

„Hier kommt Master Belfort, den ich euch hiermit vorstelle, Gentlemen! Er ist – – –“

„Master Belfort?“ sagte Lincoln. „Ich meine, der Mann kann ebenso gut Fred Fletcher oder William Jones heißen, wenn er nur zugiebt, der Kanada-Bill zu sein!“

„Der Kanada-Bill?“ fragte Fred Hammer, indem er nach dem ersten besten Messer griff und sich erhob.

„Nehmt Eure Zunge in acht, Sir!“ meinte Jones; denn er war es wirklich; ich erkannte ihn auch jetzt an der Stimme. „Einen Gentleman beleidigt man nicht ungestraft.“

„Das ist richtig,“ antwortete Lincoln, „doch bin ich gewiß, keinen Gentleman beleidigt zu haben. Wie viel Klettenwurzel und Höllenstein habt Ihr verbraucht, um Euer Haar schwarz zu färben? Ich gebe Euch den guten Rat, bei späterer Gelegenheit einen Bleikamm mit zu gebrauchen, dann werden auch die Haarwurzeln schwarz, die bei Euch vollständig hell geblieben sind. Master Willmers, Ihr sagtet, daß er mit der Karte zu zaubern verstehe. Hat er Euch nicht ein wenig ‚three carde monte‘ gezeigt?“

„Ja, und ein schönes Geld abgenommen,“ antwortete Fred Hammer. „Ich bin alt, und meine Augen sind schwach geworden, sonst müßte ich ihn sofort erkannt haben; jetzt aber ist kein Zweifel mehr, daß ich Marys Mörder vor mir habe, und, by god, er soll seine Bezahlung auf der Stelle erhalten!“

„Wollt Ihr Euern Gast erstechen, Fred Hammer?“ fragte der Kanada-Bill. „Könnt Ihr mir nachweisen, daß ich es wirklich gewesen bin, der Eure Tochter erschossen hat?“

„Und meinen Vater auch!“ fiel ich ein. „Nein, nachweisen nicht, aber beschwören können wir es. Und ebenso, daß Ihr in Smoky-Hill sechzig aufgezählt bekamt und dann die Indsmen brachtet.“

„Ich? Die Sechzig kann ich nicht wegleugnen,“ lachte er grimmig, „und ich werde eines schönen Tages ihretwegen mit Euch abrechnen; aber beweist mir einmal das von den Rothäuten! Könnt Ihr es?“

„Wir, nämlich ich und Master Lincoln hier, standen hart bei Euch, als Ihr mit dem ‚schwarzen Panther‘ den Schuß seines Sohnes beobachtetet und Euern Plan bespracht, und wir standen an der Lichtung, als Ihr die Indsmen geführt brachtet, Ihr mit dem Häuptling voran. Wir teilten natürlich dem Cornel Euer Vorhaben mit und machten dann mit Feuerwerk Eure Pferde locker. Das war ein Hauptstreich! Nicht, Master Jones?“

Er erfuhr diese Thatsachen natürlich jetzt zum ersten Male; seine Augen funkelten, und seine Hände ballten sich zusammen; aber er sah, daß er sich beherrschen müsse.

„Habt ihr mich wirklich so deutlich erkannt, daß ihr mir so etwas sagen dürft, Mesch’schurs?“ zischte er.

Jetzt trat Lincoln hart an ihn heran.

„Ich will Euch sagen, Mann, daß wir mit Euch schnell verfahren könnten. Ihr wißt ja wohl, daß Master Lynch ein strenger Gesell ist. Aber seid Ihr Gast in diesem Hause, und ich will ehrlich gestehen, daß wir bei Smoky-Hill wohl Eure Stimme erkannt und dann Eure Gestalt gesehen, Euch aber nicht so deutlich weggebracht haben, daß wir Euch mit gutem Gewissen eine Kugel geben könnten. Wir sind freie Bürger der Vereinigten Staaten und richten nur nach vollständigem Beweise! Das Geld, welches Ihr diesen Gentlemen hier abgenommen habt, werden sie wohl nicht zurückverlangen; dazu steht ihnen der Kanada-Bill zu niedrig, und darum will ich Euch meinen Bescheid sagen: Ihr verlaßt sofort diesen Ort, und zwar binnen zehn Minuten; in der elften aber beginnt meine Büchse zu sprechen; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Seid Ihr vielleicht Herr und Besitzer des oil-work hier?“ fragte jetzt David Holmann. „Ihr könnt Master Jones nichts beweisen, und unser Spiel ist ein ehrliches gewesen!“

„Ein Oelprinz bin ich allerdings nicht, Gem’man, aber doch etwas, vor dem man Respekt zu haben pflegt. Und wenn ich diesem Manne meinen Bescheid sage, so weiß ich ganz genau, was ich thue!“

„So laßt dieses etwas einmal sehen, Sir!“

„Hier ist es!“

Er zog ein Papier aus der Tasche, reichte es ihm und gab mir einen Wink, den ich sofort verstand. Ich ging hinaus und holte die Handschellen unter der Pferdedecke hervor. Als ich eintrat, sah ich Holmann bleich in das Papier starren.

„Nun, Master Holmann oder Waller oder Pancroft oder Agston, wie gefällt Euch dieses Dekret?“ fragte Lincoln. „In Iowa und Illinois, besonders aber in Des Moines hat man großes Verlangen nach einem Menschen, der in Young-Kanawha eine ganze Reihe von Oel-Creeks besitzen will. Es ist wirklich schade, daß Euch der kleine linke Finger fehlt; seine Abwesenheit hat Euch verraten. Ich werde unsern Freund Willmers von zwei Gästen befreien, die nicht an eine so anständige Stelle gehören!“

„Stopp, Sir, so weit sind wir noch nicht!“ rief Holmann.

Er warf einen forschenden Blick nach Thür und Fenster.

„Ich denke, wir sind so weit. Und wenn Ihr es nicht glauben wollt, so seht Euch einmal diese Juwelen an, die ich Euch jetzt anlegen werde!“

Er nahm mir die Handschellen ab, und ich griff zum Revolver. Auch Holmann fuhr nach seiner Tasche.

„Weg mit der Hand, oder ich schieße!“ drohte ich ihm.

„Seht Ihr’s, daß wir soweit sind?“ lachte Lincoln. „Gebt die Hände ruhig her, denn ich sage Euch: Ihr habt meine Vollmacht gelesen, die Euch mir vollständig in die Hände giebt. Ich zähle bis drei. Habt Ihr dann die Eisen noch nicht an den Händen, so schmeckt Ihr die Kugel. Tim, drücke los bei drei!“

Er trat zu ihm hin und öffnete die Schellen.

„Eins – – zwei – –!“

Holmann sah, daß es Ernst war; er hielt die Hände hin und ließ sich fesseln. Dann wandte sich Lincoln zu William Jones.

„Fünf Minuten sind vorüber; Ihr habt nur noch die andern fünf. Ich spaße nicht. Macht Euch von dannen!“

Fred Hammer hatte noch immer sein Messer in der Hand. Er legte Jones die Faust drohend auf die Schulter und sagte:

„Vorwärts, Mann! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr ohne Mühe und Störung weiter kommt!“

Er schob ihn zur Thür hinaus, und wenige Augenblicke später sahen wir den Kanada-Bill fortreiten. Da trat ein Arbeiter ein.

„Master Willmers, soll der Bohrer weiter arbeiten? Der Ingenieur läßt sagen, daß in einer Viertelstunde das Oel kommen werde, wenn wir fortbohren.“

„Endlich! Aber setzt die Hemmung ein. Ich muß erst bekannt machen, daß kein Licht und Feuer gebrannt werden darf, sonst kann es ein Unglück geben. Der Abend ist nahe, daher soll das Oel erst morgen seine Freiheit haben!“

Der Mann ging, den Befehl auszurichten.

Ihr müßt nämlich wissen, Gentlemen, wenn der Bohrer das Oel trifft, so steigt es in einer hohen Säule aus der Erde empor, und die leichten, gefährlichen Gase, welche natürlich zuerst kommen, dürfen nicht die kleinste Flamme finden, sonst entsteht ein fürchterlicher Brand, der sich so schnell entzündet und verbreitet, daß ihm nichts zu widerstehen vermag.

„Habt Ihr nicht einen festen Raum,“ wandte sich jetzt Lincoln an Willmers, „in welchem wir unsern guten Sir Holmann aufbewahren können?“

„Ein sehr gutes und sicheres Kabinett. Kommt!“

Die drei gingen ab, und ich hatte nun sehr zu thun, Betty und den beiden kleinen Ladies den Vorgang, welcher so unerwartet über sie gekommen war, zu erklären. Als wir alle wieder beisammen saßen, ergos sen sich Hammer und Willmers in Dankeserklärungen gegen Lincoln, welche dieser nach Kräften von sich wies. Er wollte schon am nächsten Morgen wieder fort, stieß aber auf allgemeinen Widerspruch.

„Ihr müßtet mit Eurem Gefangenen den weiten beschwerlichen und gefährlichen Ritt über das Coteau hinunter nach Iowa machen,“ erklärte ihm Willmers. „Wartet aber noch einige Tage, so gehen hier drei Kähne den Fluß hinunter in den Missouri, und Ihr könnt in aller Bequemlichkeit Passage nehmen. Bis Yankton und Dacota seid Ihr schnell und habt dann nur die kurze Strecke bis hinüber nach Des Moines zurückzulegen. Ihr bleibt also hier. Euer Gefangener ist Euch sicher!“

Lincoln sah das Vorteilhafte des Anerbietens ein und gab nach.

Der Abend kam. Wir hatten unsere Pferde losgepflockt und ließen sie frei grasen gehen. In den Stall durften wir sie nicht bringen; sie waren die Freiheit gewöhnt und hätten sich in dem engen Raume Schaden gethan. Die Gents und Ladies außer mir saßen plaudernd im Parlour; ich schritt am Flusse abwärts, weil ich nach den Pferden sehen wollte. Es war sehr dunkel, so daß ich die ölhaltigen Wogen kaum von dem festen Boden unterscheiden konnte.




3) Trapperausdruck für „sehr viel“.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II