1. Kapitel Bei Mutter Thick -14-



Er vermochte nicht, die gefährliche ‚Drei‘ auszusprechen. Bis zur ‚Zwei‘ hatte Hammerdull regungslos und gleichgültig dagesessen, dann aber mit Gedankenschnelle, die ihm ein Unbekannter wohl nicht zugetraut hätte, die alte Büchse ergriffen; in demselben Momente war sie gerichtet; es blitzte auf, der Schuß krachte mit hundertfacher Stärke in dem engen Raume, und das zerschmetterte Gewehr des Fremden flog aus der Hand desselben auf die Diele nieder. Aber schon im nächsten Augenblicke lag er selbst am Boden, und Dik kniete mit gezücktem Messer auf seiner Brust.


„Nun, Greenhorn, sag ‚Drei‘, damit ich Antwort gebe!“ gebot er ihm höhnisch.

„Zum Teufel, Master, laßt mich auf; es war ja gar nicht so ernst gemeint. Ich hätte nicht geschossen!“

„Das kann man hernach gut sagen. Nicht geschossen? Also ein Theaterstreich mit dem alten Trapper, den sie Dik Hammerdull nennen? Lächerlich, rein lächerlich! Aber ob du geschossen hättest oder nicht, das bleibt sich gleich, mein Junge. Du hast die Büchse auf einen Westmann gerichtet und damit nach Savannenrecht die Klinge erworben. Jetzt zähle ich: Eins – – zwei – –“

Der Ueberwältigte machte eine kraftvolle, aber vergebliche Anstrengung, loszukommen. Dann bat er:

„Stecht nicht, Master; der Colonel ist mein Oheim!“

Der Trapper nahm das Messer zurück, doch ohne den Gegner frei zu geben.

„Der Colonel – –? Euer Ohm – –? Das sagt, wem Ihr wollt; ich aber will mich bedenken, ehe ich es glaube!“

„Es ist so. Er würde es Euch wenig Dank wissen, wenn er hörte, was Ihr mir gethan!“

„So! Hm! Na, ob Ihr wirklich sein Neffe seid oder nicht, das bleibt sich gleich; ich hätte Euch doch bloß ein wenig gekitzelt, um Euch eine gute Lehre zu geben. Einem Greenhorn geht mein Messer nicht ans Leben, dazu ist’s zu gut. Steht auf!“

Er erhob sich und trat zu seinem Tisch zurück, auf welchen er vorhin die Büchse geworfen hatte. Sie aufnehmend, begann er, den abgeschossenen Lauf von neuem zu laden. Sein Gesicht glänzte vor Liebe und Sorgfalt, mit der er dieses Geschäft vornahm, und seine kleinen, leuchtenden Augen waren mit einem Blicke auf das alte Schießzeug gerichtet, welcher deutlich bekundete, daß die Waffe ihm an das Herz gewachsen sei.

„Ja, ein Gewehr wie dieses giebt’s nicht gleich wieder!“ meinte der Wirt, der dem Vorgange in aller Seelenruhe zugeschaut hatte und sich wenig um den Rauch kümmerte, welcher das Gemach erfüllte.

„Will es meinen, alter Brandythiner 9),“ meinte Hammerdull wohlgefällig. „Es ist gut und stets bei der Hand, wenn ich es brauche.“

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür geräuschlos, und ohne daß die an den Fenstern Sitzenden das Kommen irgend jemandes bemerkt hatten, trat leisen, unhörbaren Schrittes ein Mann ein, den man trotz der Trapperkleidung auf den ersten Blick als Indianer erkennen mußte.

Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine außerordentliche Seltenheit von einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranst; die Mokassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefertigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, welcher turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte. Der Sohn der Wildnis hatte verschmäht, seine kühne Stirn zu bedecken.

Nachdem sein dunkles, scharfes Auge mit adlerartigem Blicke über die Gesellschaft geflogen war, schritt er zu dem Tische, an welchem Dick Platz genommen hatte. Er kam grad zu dem Unrechtesten, denn dieser fuhr ihn zornig an:

„Was willst du hier bei mir, Rothaut? Dieser Platz ist mein. Geh’, such dir einen andern!“

„Der rote Mann ist müd; sein weißer Bruder wird ihn ruhen lassen!“ antwortete der Indianer mit sanfter Stimme.

„Müd’ oder nicht, das bleibt sich gleich. Ich kann dein rotes Fell nicht leiden!“

„Ich bin nicht schuld daran; der große Geist hat mir’s gegeben.“

„Von wem du es hast, das bleibt sich gleich; geh’ fort; ich mag dich nicht!“

Der Indianer nahm die Büchse von der Schulter, stemmte den Kolben auf den Boden, legte die gekreuzten Arme über die Mündung des Laufes und fragte, jetzt ernster werdend:

„Ist mein weißer Bruder der Herr von diesem Hause?“

„Das geht dich nichts an.“

„Du hast recht gesagt; es geht mich nichts an und dich nichts, darum darf der rote Mann grad so sitzen, wie der weiße.“

Er ließ sich nieder. Es lag in der nachdrücklichen Art und Weise, wie er dies sagte, etwas, was dem mürrischen Trapper imponieren mochte. Er ließ ihn jetzt gewähren.

Der Wirt trat herbei und fragte den Roten:

„Was willst du hier in meinem Hause?“

„Gieb mir Brot zu essen und Wasser zu trinken!“ antwortete dieser.

„Hast du Geld?“

„Wenn du in mein Wigwam kämst und um Speise bätest, würde ich sie dir ohne Geld geben. Ich habe Gold und Silber.“

Das Auge des Wirtes blitzte auf. Ein Indianer, der Gold und Silber hat, ist eine willkommene Erscheinung an jedem Orte, wo das verderbliche Feuerwasser zu haben ist. Er ging und kehrte bald mit einem mächtigen Kruge Branntweines zurück, welches er neben dem bestellten Brote vor den Gast setzte.

„Der weiße Mann irrt; solch’ Wasser habe ich nicht begehrt!“

Erstaunt blickte ihn der Wirt an. Er hatte noch niemals einen Indianer gesehen, der dem Geruch des Spiritus hätte zu widerstehen vermocht.

„Was denn für welches?“

„Der rote Mann trinkt nur das Wasser, welches aus der Erde kommt.“

„So kannst du hingehen, wo du hergekommen bist. Ich bin hier, um Geld zu verdienen, nicht aber, um deinen Wasserträger zu machen! Bezahl das Brot, und troll dich fort!“

„Dein roter Bruder wird bezahlen und gehen, doch nicht eher, als bis du ihm verkauft hast, was er noch braucht.“

„Was willst du noch?“

„Du hast ein Store, wo man kaufen kann?“

„Ja.“

„So gieb mir Tabak, Pulver, Kugeln und Feuerholz.“

„Tabak sollst du haben; Pulver und Kugeln aber verkaufe ich an keinen Indsman.“

„Warum nicht?“

„Weil sie euch nicht gehören.“

„Deinen weißen Brüdern aber gehören sie?“

„Das will ich meinen!“

„Wir alle sind Brüder; wir alle müssen sterben, wenn wir kein Fleisch schießen können; wir alle müssen Pulver und Kugeln haben. Gieb mir, um was ich dich gebeten habe!“

„Du bekommst sie nicht!“

„Ist dies dein fester Wille?“

„Mein fester!“

Sofort hatte ihn der Indianer mit der Linken bei der Kehle und zuckte mit der Rechten das blitzende Bowiemesser.

„So sollst du auch deinen weißen Brüdern nicht mehr Pulver und Kugeln geben. Der große Geist läßt dir nur einen einzigen Augenblick noch Zeit. Giebst du mir, was ich will, oder nicht?“

Die Jäger waren aufgesprungen und machten Miene, sich auf den mutigen Wilden zu stürzen, unter dessen eisernem Griffe sich der Wirt stöhnend wand. Er aber hielt sich rückenfrei und rief, den Kopf stolz emporwerfend, mit dröhnender Stimme:

„Wer wagt es, Winnetou, den Häuptling der Apatschen, anzutasten?!“

Das Wort hatte eine überraschende Wirkung.

Kaum war es ausgesprochen, so traten die Angriffsbereiten mit allen Zeichen der Achtung und Ehrerbietung von ihm zurück. Winnetou war ein Name, der selbst dem kühnsten Jäger und Fallensteller Respekt einflößen mußte.

Der Indianer war der berühmteste Häuptling der Apatschen, deren bekannte Feigheit und Hinterlist ihnen früher unter ihren Feinden den Schimpfnamen ‚Pimo‘ zugezogen hatte; doch seit er zum Anführer seines Stammes gewählt worden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber, ihre mutigen Unternehmungen waren stets vom besten Erfolge begleitet, obgleich sie nur in geringer Männerzahl und mitten durch feindliches Gebiet hindurch ihre Streifzüge bis in den fernen Osten hinein ausdehnten, und es gab eine Zeit, in welcher an jedem Lagerfeuer und im kleinsten Boarraume ebensowohl wie im Salon des feinsten Hotels Winnetou mit seinen Apatschen den stehenden Gegenstand der Unterhaltung bildete. Jedermann wußte, daß er schon öfters ganz allein und ohne alle Begleitung außer derjenigen seiner Waffen über den Missisippi herübergekommen war, um die ‚Dörfer und Hütten der Bleichgesichter‘ zu sehen und mit dem ‚großen Vater der Weißen‘, dem Präsidenten in Washington zu sprechen. Er war der einzige Häuptling der noch ununterjochten Stämme, welcher den Weißen nicht übel wollte, und es ging die Rede, daß er sogar ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Fire-gun, dem Trapper und Pfadfinder, geschlossen habe.

Niemand wußte zu sagen, woher dieser weit und breit bekannte und von allen Indianern gefürchtete Jäger stamme. Er hielt nur einige wenige Auserwählte um sich versammelt, tauchte bald hier und bald da mit ihnen auf, und wo einmal von so einem echten, rechten Trapperstücke erzählt wurde, da war sein Name gewiß mit dabei, und es gingen Berichte über ihn im Schwange, an deren Wahrheit man fast hätte zweifeln können, da er nach ihnen immer neue Abenteuer ausführte, bei denen ein andrer ganz sicher zu Grunde gegangen wäre, und die ihn mit einem Nimbus umhüllten, dessen Zauber sich besonders in dem allgemeinen Verlangen der Jäger, ihn kennen zu lernen, kund gab.

Aber das war nicht so leicht. Niemand kannte den Ort, der ihm und den Seinen als Sammelplatz und Ausgangspunkt ihrer Streifereien diente, und ebensowenig vermochte man den Zweck zu bestimmen, der ihn im wilden Westen hielt. War er einmal in irgend einer Ansiedelung erschienen, so hatte er ganz gewiß nicht mehr Felle mitgebracht, als zum Eintausche von Proviant und Munition unumgänglich notwendig war, und war dann stets sofort wieder spurlos verschwunden. Er gehörte also jedenfalls nicht zu den Jägern, welche sich durch die Jagd die Mittel zu einem späteren, gemütlichen Leben zu erwerben trachten; er mußte vielmehr ganz andre Absichten verfolgen, über welche aber nichts verlautete, weil er nie Umgang pflog und jedem Versuche der Annäherung behutsam aus dem Wege ging.

„Laß los!“ rief der Wirt. „Wenn du Winnetou bist, so sollst du alles haben, was du verlangst!“

„Hugh!“ tönte es im befriedigten Gutturaltone. „Der große Geist läßt dich dies Wort sagen, du Mann mit den roten Haaren, sonst hätte ich dich zu deinen Vätern versammelt und jeden dazu, der es verhindern wollte!“

Er gab ihn frei und trat, während Winklay hinausging, um im Vorratsraume nach dem Verlangten zu suchen, zu Hammerdull heran und fragte diesen:

„Warum sitzt der weiße Mann hier und feiert, während den roten Feinden nach seinem Wigwam verlangt?“

Dik sah vom Glase auf und antwortete verdrossen:

„Ob ich hier sitze oder wo anders, das bleibt sich gleich. Kennt mich der große Häuptling der Apatschen?“

„Winnetou hat dich noch nicht gesehen, aber er erblickt das Zeichen seines tapferen Freundes und weiß nun, daß du einer seiner Männer bist. Soll Fire-gun, der große Jäger, allein kämpfen um die Skalps der Ogellallahs, die nach ihm suchen?“

„Ogellallah?“ Dik Hammerdull schnellte in die Höhe, als habe er eine Klapperschlange unter dem Tische erblickt, und auch Pitt Holbers stand mit einem einzigen Schritte seiner langen Beine vor dem Indianer. „Was weiß der rote Mann von den Ogellallahs?“

„Eile zu deinem Häuptling, du wirst es von ihm erfahren!“

Er wandte sich um zu dem Wirte, welcher wieder eingetreten war, knüpfte die Pulver-, Kugel- und Proviantbeutel vom Gürtel los, ließ sich dieselben füllen und fuhr dann mit der Hand unter das weißgraue Jagdhemde.

„Winnetou wird geben dem Manne mit den roten Haaren auch rotes Metall!“

Winklay nahm die Bezahlung in Empfang und betrachtete das schwere Stück mit unverkennbarem Entzücken.

„Gold, echtes, blankes, massives Gold, vierzig Dollars unter Brüdern wert! Indsman, wo hast du es her?“

„Pshaw!“

Er sprach das Wort mit geringschätzigem Achselzucken aus und war im nächsten Augenblicke aus der Stube verschwunden.

Der Wirt sah die andern mit offenem Munde an.

„Hört, Gentlemen, der rote Halunke scheint mehr Gold zu besitzen, als wir alle miteinander. Habe mein Pulver noch nie so gut bezahlt erhalten, wie von ihm. Wäre doch der Mühe wert, ihm einmal nachzugehen, denn daß er von dieser Sorte noch mehr bei sich führt und sein Pferd hier irgendwo stecken hat, das ist so sicher wie die Klinge am Griffe!“

„Wollt’s Euch nicht raten, Mann,“ antwortete Dik Hammerdull, indem er sich zum Gehen rüstete. „Winnetou, der Apatsche, ist nicht derjenige, welcher sich auch nur einen Schrot nehmen läßt. Ob er Gold hat oder nicht, das bleibt sich gleich, aber bekommen thut es keiner!“

Auch Pitt Holbers warf seine Rifle über die Schulter und meinte:

„Müssen fort, Dik, fort, so rasch wie möglich. Der Indsman ist allwissend, und mit den Hunden von Ogellallahs, hol sie der Teufel, muß es also seine Richtigkeit haben. Aber was wird nun mit den Männern dort, he?“

Er zeigte bei diesen letzten Worten auf die Fremden.

„Hab’ gesagt, daß sie mitgehen, und wird auch so bleiben!“ antwortete der Dicke und wandte sich zu dem Schwarzbärtigen.

„Wenn Ihr Sam Fire-gun sehen wollt, so ist’s jetzt Zeit aufzubrechen, aber sagt vorher erst, wie Ihr heißt! Ob Ihr einen Namen habt oder nicht, das bleibt sich zwar ganz gleich, aber man muß doch wissen, wie man Euch zu nennen hat.“

Der Gefragte erhob sich, um sich mit seinem Begleiter den beiden Trappern anzuschließen.

„Ich heiße Sander, Heinrich Sander, und bin ein Deutscher von Geburt.“

„Ein Deutscher? Hm, ob Ihr ein Chinese seid oder ein Großtürke, das bleibt sich gleich; da Ihr aber ein Deutscher seid aus Germany da drüben, so ist es mir um so lieber und auch besser für Euch, denn die Deutschen sind brave Männer; kenne sie, und bin manchem von ihnen begegnet, der die Büchse so zu halten verstand, daß er den Büffel ins Auge traf. Vorwärts also, Mann. Wir müssen lange Beine reiten!“




9) Schnapsverdünner.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand II