Norddeutsche Märchen und Sagen 01. 00. Einleitung

Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit
Autor: Reinhard, Karl v. (1858-1931) deutscher Verwaltungsjurist, Erscheinungsjahr: 1841

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen und Märchen, Deutschland, Norddeutschland, Potsdam, Preußen, Brandenburg, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Aberglaube, Zwerge, Riesen, Ritter, Burgen, Schlösser, Prinzen, Könige, Räuber, Müller, Spuk, Jäger, Slawen, Wenden,
Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit.

Der Blick des Auges gibt dem Antlitz Leben;
Er zeugt vom Reichtum einer Inneren Welt.
So ist der Landschaft Bach und See gegeben;
Belebend blinkt ihr Glanz durch Wals und Feld.
Und wie der Geist sich bildend kann erheben,
Wenn dem Talent das Wissen er gesellt,
So wird uns schöner noch die Flur erscheinen,
Wenn sich Natur und Kunst in ihr vereinen.

Doch wie auch Schönheit, Geist und Wissen schmücken,
Wie Alles höher glänzt in ihrem Licht,
Sie können dauernd nicht das Herz beglücken,
Wenn ihnen Anmut und Gemüt gebricht.
So zeigt die Landschaft anders sich den Blicken,
Wenn auch aus ihr ein tiefes Leben spricht,
Wenn uns von Kraft und Tat in fernen Tagen
Die Steine sprechen und des Volkes Sagen.

Reich sind die Ufer an der Havel Seen,
Und wo auch hin das frohe Auge blickt,
Hat unser Fürsten Gunst die grünen Höhen
Mit jeder Kunst geweihet und geschmückt.
Doch was in frühen Zeiten hier geschehen,
Hat sichtbar kaum die Spuren eingedrückt,
Ist fast verklungen in des Herdes Kreise:
Für Märchen ist die Gegenwart zu weise.

Was mit der Zeit erblichen und ergrauet,
Im Staub der Chronik schon begraben war.
Was gläubig einst zerstört ist und gebauet,
In Lieb' und Wahn, in Kämpfen und Gefahr,
Was Wald und Welle heimlich sich vertrauet:
Ich bring' es Dir, Du hohe Fürstin, dar.
Und spricht die Sage, dass es Dir gefallen,
Bin ich des Beifalls froh gewiss von Allen.

                              I n h a l t.
00. Einleitung
01. Der tiefe Grund
02. Die alte Mühle
03. Die Gründung Potsdams
04. Der Babelsberg
05. Die Kirche im Walde
06. Das Grab am Spring
07. Die Wendenschlacht bei Potsdam
08. Der Teufelssee
09. Ferch
10. Die Glockentaufe
11. Die Quelle in Templin
12. Der faule See
13. Die elf Berge bei Potsdam
14. Der Galgenberg bei Langerwisch
15. Kohlhaasenbrück
16. Das älteste Haus in Potsdam
17. Der düstere Teich bei Lindstadt
18. Der große Brand
19. Kiesels Grund
20. Die Pfaueninsel
21. Die fliegende Frau
22. Der Pfauberg
23. Der Schimmel auf dem Wall
24. Die Schlangenkönigin im See zu Sacrow
25. Die Räuberschanze
26. Der Spuk am Entenfängersee
27. Die Tornowspitze
28. Der alte Jäger
29. Die Bittschriften-Linde
30. Das Grab im Neuen Garten und Kleists Grab am Stolpeschen See
31. Der geheimnisvolle Saal
32. Die hohen Bäume auf dem Brauhausberge

Es war an einem Nachmittage im Spätherbste 1810, als ich, hinausgetrieben von der Unruhe und Trauer, welche damals jedes Herz im ganzen Preußischen Lande zusammen presste, von einem heftigen Regensturme überrascht wurde, eben als es anfing finster zu werden. Ich befand mich unter den großen hundertjährigen Linden, mit welchen der damals wenig gebahnte Weg an der Brücke über den Kanal in Klein-Glienicke besetzt ist, und eine Zeit lang fand ich unter ihren schon halb entlaubten Zweigen Schutz gegen den vom Winde gepeitschten Regen. Als dieser aber nicht aufhören wollte, suchte ich ein besseres Obdach und gelangte, einem schwachen Lichtscheine folgend, an die Tür des alten verfallenen Mühlhauses, welches noch jetzt, nur von den auf allen Seiten angebrachten Stützen gehalten, dicht an der Brücke steht. Die Tür ohne Schloss und Riegel wurde vom Winde auf- und zugeschlagen und verhinderte mich nicht einzutreten. Auf dem Flur war alles dunkel, doch schimmerte Licht durch eine Spalte im Hintergrunde, und wenn der Wind einen Augenblick weniger in den Asten tobte und durch die Spalten und Ritzen in den Wänden und dem Dache pfiff, deuchte mir, als töne Gesang von jener Seite her. Die Zeit wurde mir lang und ich fror; der Regen strömte mit immer gleicher Heftigkeit herab. Dies bewog mich endlich, dem Lichtschimmer nachzugehen, der mich zu einer nur angelegten Tür führte, durch welche ich in ein fast leeres Gemach trat, das durch ein auf einer Art von Herd brennendes Feuer erhellt wurde. Nahe diesem saß eine alte Frau und spann; die rote Glut beleuchtete ihre gebückte Gestalt und ihr summender Gesang vereinte sich mit dem Schnurren des Rades, das sie bei meinem Eintritt zur Seite schob, indem sie mir freundlich Willkommen sagte. Auf meine Bitte, hier verweilen zu können, bis der Regen aufhöre, gab sie mir ihren Schemel und setzte sich zu der großen Katze auf den Herd, das angefangene Gespräch über das böse Wetter auf eine unbefangene Weise in einem eigentümlichen Dialekt fortsetzend. Da sie aber finden mochte, dass ich zum Sprechen nicht aufgelegt sei, so brach sie bald ab, und wir saßen uns schweigend gegen über, ein eigentümliches Genre-Bild.

Der Regen schlug prasselnd gegen die zerbrochenen Scheiben und rieselte durch sie in das Gemach; durch den Schornstein heulte der Wind in kläglichen Tönen, drückte das Feuer nieder und trieb den Rauch bald nach dieser, bald nach jener Seite, während die Alte ruhig fortspann. Ich hatte Zeit, sie näher zu betrachten. Ein schwarzes vielfach verschlungenes Tuch bedeckte ihren Kopf und verbarg jedes Haar; das Gesicht war von tausend Runzeln bedeckt, wie sie Gerard Davs Bildnisse zeigen. Die großen Augen lagen tief in ihren Höhlen, sahen aber ruhig und freundlich umher. Das ärmliche Gewand von dunklem Zeuge erinnerte an längst vergangene Zeiten. Halb aus Neugierde sing ich das Gespräch wieder an, sie nach ihren Verhältnissen fragend; doch war ihre Antwort, ohne geradezu ablehnend zu sein, so beschaffen, dass ich nur daraus schließen konnte, sie bewohne oder kenne diesen Ort schon lange und schon in einer Zeit, da die Mühle noch vorhanden und in gutem Zustande war; was meiner Meinung nach schon viele Jahre her sein musste. Das Gespräch wandte sich nun auf mancherlei Gegenstände, und ich war erstaunt, welche klare und verständige Gedanken das alte Mütterchen mit so wenigen und einfachen Worten aussprach; nur schien sie immer Etwas zu übergehen und zu vermeiden, und doch führte die Richtung ihrer Gedanken sie immer wieder gerade auf diesen Punkt hin. Es wollte mir erst nicht deutlich werden, was sie zu äußern vermied; bald aber glaubte ich zu bemerken, dass sie, wenn sie von den Ursachen eines Ereignisses sprach, eine andere angab, als die, welche sie für die eigentliche zu halten schien, und doch konnte sie nicht verbergen, dass für sie noch eine andere vorhanden sei. Später, da ich das alte Mütterchen öfter besuchte und als sie Zutrauen zu mir fasste, verriet sie, obgleich nur selten, was sie verbergen wollte, und ich fand, dass sie mit festem Glauben an dem hing, was wir im Allgemeinen unter die Rubrik Aberglauben zu verweisen pflegen. Ahndungen, Besprechungen, Verheerungen und Spukereien mancher Art waren für sie unleugbare Tatsachen, und nur die Furcht, auf Widerspruch oder Spott zu stoßen, hielt sie ab, diese Überzeugung da auszusprechen, wo sie solche fürchten zu müssen glaubte. Von ihrem eigenen Leben zu sprechen, habe ich sie aber nie bewegen können; mit keinem Worte erwähnte sie ihrer Jugendzeit oder irgend eines ihrer früheren Lebensverhältnisse; doch schien sie lange in dieser Gegend gelebt zu haben, hatte viele merkwürdige Personen gekannt, und sprach selbst von solchen mit einer Bestimmtheit und Sicherheit, welche lange vor ihrer Zeit gelebt haben mussten, so viele Winter die sonderbare Alte auch schon zahlen mochte. Wie alt sie sei, beantwortete sie immer mit den abweisenden Worten: „Manch langes Jahr und viel zu viel."

Nach jenem Abende, an welchem ich die Bekanntschaft jener Frau machte, habe ich sie oft wieder aufgesucht, da sie meine Neugierde rege gemacht hatte. Erst jetzt fällt es mir auf, dass ich sie nie am Tage in ihrer Wohnung gefunden habe; kam ich des Abends, traf ich sie spinnend und summend am Herde. Essen habe ich sie nicht gesehen, und niemals stand ein Topf am Feuer. Ihre Kleidung war immer dieselbe, und obgleich ich glaube, dass sie nur das eine, leere Gemach in dem verfallenen Hause bewohnte, sah ich doch darin kein Bett oder eine andere Lagerstätte. Meine Besuche schienen ihr nicht aufzufallen; sie war immer freundlich und gesprächig, und als sie bemerkte, dass ich gern ihre Sagen und Märchen aus einer früheren Zeit hörte, erzählte sie solche, sobald sich nur die Gelegenheit dazu bot, und zwar in einer Art, welche mich versicherte, dass sie von der Wahrheit ihrer Erzählungen völlig überzeugt war. Merkwürdig genug war in diesen Erzählungen nie eine historische Unrichtigkeit, und immer waren die Begebnisse getreu dem Charakter der Personen und den Sitten der Zeit, aus welcher sie herstammten; ja, selbst der Ton ihrer Darstellung war verschieden nach dem Zeitabschnitte von welchem die Sage sprach, und alle malte sie mit einer Bestimmtheit aus, wie man von selbst erlebten Begebenheiten spricht; was mir zuerst auffiel, als sie mir die Geschichte von der alten Mühle, in der sie lebte, erzählte.

Nur ein kleiner Teil dieser Sagen ist mir im Gedächtnisse geblieben, und diese versuche ich auf den folgenden Blättern wiederzugeben; obgleich ich fühle, dass sie bei Andern nur ein gleiches Interesse, wie bei mir, erregen würden, wenn ich sie mit den einfachen und naiven Worten der Alten und im Halbdunkel an ihrem Herde erzählen könnte, und fürchten muss, dass durch die geschichtliche Einkleidung, welche sie durch mich erhielten, ihr eigentümlicher Reiz verloren gegangen ist, ohne dass sie dadurch viel gewonnen haben.

Bis zu Ende des Jahres 1812 wohnte die Alte fortwährend in der Mühle. Um diese Zeit führten mich die Ereignisse der nächsten Jahre in weit entfernte Gegenden; als ich aber nach der Befreiung unsers lieben Vaterlandes zurück kehrte, suchte ich sie vergeblich in dem zerfallenen Gebäude auf. Meine Erkundigungen blieben ebenfalls fruchtlos; Jedermann in der Umgegend kannte die graue Alte seit langer Zeit, Jedermann wusste von ihr eine sonderbare Geschichte, Keiner aber vermochte anzugeben, wo sie geblieben sei.

Die kleine Gänseliese

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Sittenbild, Schwarzer Peter

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Wirtshaus, Malers Studienreise

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Das Bilderbuch

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Germane und Germanin in der Bronzezeit

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Germanenfamilie in den ersten Jahrhunderten n. Chr.

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