Capitel 2 - Der Weserkahn.

Der naechste Tag war ein gar geschaeftiger fuer die Passagiere zweier Seeschiffe, die noch an demselben Abend expedirt zu werden hofften, und -- der Aussage der Rheder wenigstens nach -- segelfertig und bis auf einige unbedeutende Kleinigkeiten vollstaendig geruestet, vor Anker lagen. Tausenderlei Sachen mussten noch besorgt und eingekauft werden, die man theils fuer noethig, theils selbst fuer unentbehrlich hielt; Wein und Branntwein wurde dabei angeschafft, Zucker und Zwieback, eine ganze Ladung von Heringen und Sardellen eingelegt, den schlimmsten Feind der Reisenden, die Seekrankheit, wenn nicht zu bannen, doch damit in ihren Wirkungen zu schwaechen. Auch mit Blech und anderem Geschirr, mit Messer, Loeffeln und Gabeln als auch verschiedenen Gewuerzen, hatten sich besonders die Zwischendeckspassagiere zu versehn, denen etwas Aehnliches vom Schiffe aus nicht geliefert wurde. Und wie viel vergassen sie noch, was sie nachher gern auf dem Schiff mit dem Doppelten bezahlt haetten, wo es freilich nicht mehr zu bekommen war, und wie viel auch wurde ueberfluessig als geglaubtes Beduerfniss mitgeschleppt, nachher eine Weile unbenutzt im Weg herumzufahren und zu verderben, und dann ueber Bord geworfen zu werden.

Wer aber kann es den Leuten verdenken, dass sie nicht gleich wissen und verstehn, sich auf eine so lange muehselige und mit Entbehrungen und Gefahren verknuepfte Reise in wenigen Tagen, oft fast nur Stunden ordentlich und vollstaendig vorzubereiten? Meist aus dem inneren Land, mit der See kaum dem Namen nach bekannt, schwimmt ihnen Alles was sie vielleicht ueber eine erste Einschiffung gelesen, nur wie in wirren Bildern im Hirn herum, die sie dann nicht fassen und halten koennen, sobald sie das zum ersten Mal jetzt praktisch ausfuehren sollen, was sie sich Monate vorher vielleicht schon einstudirt.


Der Deutsche ist ueberhaupt, wo es ins praktische Leben eingreift, das ungeschickteste Menschenkind auf der weiten Gottes Welt. Viel thut freilich dabei die Erziehung, und gegaengelt und am Leitseil gefuehrt nicht allein bis ins Schwabenalter, sondern oft auch bis ins Grab, wird ein so vortrefflicher Staatsbuerger aus ihm (den alle anderen, fremden Regierungen nicht genug zu ruehmen wissen) dass er eben zu Nichts weiter zu brauchen ist, und eben nur so verbraucht werden muss. Reisst er sich aber einmal los aus den alten Verhaeltnissen, laesst er die Leute die bis dahin so aufmerksam und vaeterlich fuer ihn gesorgt -- zurueck, dann macht er auch im Anfang gewiss eine Menge dummer Streiche, tritt anderen Leuten auf die Zehen oder wird von ihnen getreten (in beiden Faellen regelmaessig um Entschuldigung bittend) und verstoesst gegen Alles was ihm in den Weg kommt, am meisten aber gewiss gegen sich selbst. Spaeter wird er gescheut, aber es dauert eine lange Zeit.

Hier aber hat er noch manche Entschuldigung fuer sich; eben erst aus seinem heimischen Boden gerissen, die Augen noch von, wenn auch heimlichen, Thraenen roth, das Herz zum Brechen voll und den Kopf wuest und wirr in der Erinnerung an das kaum ueberstandene; was Wunder dass er da die Tage gerade, wo er die Sinne recht beisammen haben sollte, wie im Traume herumgeht, und trotz allen Buechern und Rathgebern die er vorher gelesen, erst wieder an das Noethigste denkt wenn er „zu Ruhe kommt“, d. h. wenn das Schiff in See und die Seekrankheit vorueber ist -- weit weit draussen im Ocean -- allerdings etwas zu spaet.

So sieht man Schaaren von Auswanderern die Strassen der Seestaedte den ganzen Tag ueber durchziehn in Gesellschaft und einzeln, die Maenner mit ihren grauen Filzhueten auf und Blousen ueber die Roecke gezogen, die kurzen Pfeifen im Mund -- die Frauen Kinder an der Hand und auf dem Arme, in kleinen schuechternen Trupps vor jedem aufgeputzten Laden stehen bleibend und die Sachen darin bewundernd, oder weiter schlendernd und die Aushaengeschilder buchstabirend, die ueber den verschiedenen Thueren haengen. Es ist das die „leere Zeit“ in ihrem Leben, der erste Ruhepunkt vielleicht, so lange sie denken koennen, eine Zeit in der sie Nichts zu thun haben -- Nichts weniges fuer andere Leute, wenn auch eigentlich genug fuer sich selbst. Wie eine Reihe von Sonntagen, jeder immer laenger werdend als der Vorgaenger, schleichen die Stunden an ihnen hin und bieten erst wieder Stoff zu Gedanken und Betrachtungen draussen in See.

Die Cajuetspassagiere, wie solche der Zwischendeckspassagiere, die noch ueber einiges Geld zu verfuegen hatten, wohnten indessen in den besseren Gasthoefen Bremens, und benutzten zum Hinausfahren nach ihrem Bestimmungsort, wo das Schiff vor Anker lag auf dem sie ihre Ueberfahrt bedungen, eines der kleinen Dampfboote, die taeglich zweimal in wenigen Stunden nach Bremerhafen hinausfahren, und ueberall an den Zwischenstationen anlegen; die meisten der Zwischendeckspassagiere aber, und besonders solche, die von den Rhedern auf einen gewissen Tag angenommen waren, von dem aus sie bekoestigt werden mussten, waren schon an Bord gegangen,(1) ihr Geld nicht weiter in der theueren Stadt zu verzehren. Die jedoch, die sich noch in der Stadt befanden und auf freie Passage nach Bord zu mit ihrem Gepaeck, Anspruch machten, da sie sich das gleich in ihrem, mit frueheren Agenten abgeschlossenem Schiffscontrakt festgestellt hatten, waren am 20sten Morgens um sechs Uhr an die Ausmuendung einer bestimmten Strasse, unten an die Weser bestellt, wo der Kahn Nr. 67 -- Kahnfuehrer Meinert -- lag, von diesem gratis an Bord der Haidschnucke geschafft zu werden.

Dort versammelte sich denn auch an dem schoenen sonnigen Morgen, dem nur im Westen dunkel aufsteigende Wolken ein kurzes Ende zu machen drohten, eine Masse Menschen verschiedenartigsten Alters und Geschlechts, um sich mit dem, versprochener Massen „bedeckten Flussschiff“ an den Ort ihrer Bestimmung baldmoeglichst befoerdert zu sehn. Kisten und Kasten, an denen Karrenfuehrer schon seit zwei Stunden herbeigeschafft, lagen an der bezeichneten Landung bunt aufgestapelt, und Hutschachteln, Reisesaecke, Koerbe mit Victualien &c. &c. wuchsen von Minute zu Minute an Masse und Gewicht.

Die buntgemischteste Gesellschaft, die sich dabei nur denken laesst, sammelte sich um die Effecten, junge und alte Maenner, ihren Taback in die freie Luft hinausqualmend und ungeduldig dabei am Ufer auf- und abgehend, und Frauen und junge Maedchen, fest in ihre Umschlagetuecher eingehuellt, die doch etwas frische Morgenluft abzuhalten. Die Leute waren aber noch nicht recht bekannt mit einander geworden; die Gespraeche drehten sich bis jetzt nur um das Gepaeck und das „bedeckte Flussschiff“ das sich noch immer nicht zeigen wollte. Damit hatten sie aber auch vor der Hand uebrig genug zu thun, denn dem fehlte ein Koffer, dem war ein Schloss von seiner Kiste abgerissen, oder der Deckel eingedrueckt worden; der Eine hatte noch dies in der Stadt vergessen einzukaufen und mochte nicht mehr hinauslaufen, aus Furcht die Abfahrt zu versaeumen, der Andere das im Gasthaus liegen lassen und die Menschenmenge wogte und draengte durch einander hin, schimpfend und fluchend hier, lachend und pfeifend oder singend da, waehrend neue Karren mit Gepaeck noch jeden Augenblick dazu kamen, die Verwirrung, wenn das ueberhaupt moeglich gewesen waere, zu vergroessern.

Die einzige, vollkommen unbewegliche Person in diesem Chaos von Menschen und Gepaeck sass auf einem Haufen von Kisten die zuerst hergeschafft und uebereinander gethuermt waren, mit unterschlagenen Beinen regungslos oben darauf, und schien die Confusion unter und um sich mit ordentlichem Wohlgefallen, jedenfalls mit vollstaendiger Gemuethsruhe zu betrachten.

Es war eine, was man so von unten erkennen konnte, vierschroetige derbe und untersetzte Gestalt, jedenfalls den unteren Volksklassen zugehoerig, und doch auch wieder mit einem gewissen Selbstbewusstsein in den rauhen, nichts weniger als schoenen Zuegen, als auch in der ganzen Haltung, wie man es nicht immer bei diesen findet. Der Mann mochte ungefaehr fuenf- bis achtundvierzig Jahre alt sein, und der Ausdruck seines lederartigen faltigen Gesichts hatte, gleich auf den ersten Blick eine so merkwuerdige und auffallende Aehnlichkeit mit einem grossen Affen, der mit unerschuetterlichem Ernst vor einer Menagerie sitzt, und das Wogen und Treiben der Menge unter sich betrachtet, dass wenige der Passagiere, so viel sie heut Morgen mit sich selber zu thun haben mochten, an ihm voruebergingen, ohne ueberrascht ein paar Secunden vor ihm stehn zu bleiben und ihn zu betrachten, oder sich gegenseitig ein paar erstaunte Bemerkungen zuzufluestern. Die Maedchen besonders warfen oft verstohlene Blicke zu ihm hinauf, und kicherten dann miteinander. Jedenfalls musste er das bemerken, aber er verzog keine Miene, oder wandte auch nur einmal den Kopf nach einer der Gruppen um, sondern paffte in kurzen, regelmaessigen Zuegen den Rauch aus einer kleinen schmutzigen, abgegriffenen Pfeife, mit einem grossen Porcellankopf, und glich, dies einzige Lebenszeichen abgerechnet, wirklich einer ausgestopften und dort oben zur Verzierung des Ganzen hingesetzten Figur. Er trug dabei einen einmal gruen gewesenen, Ziemlich abgescheuerten Rock, der besonders auf den Schultern ordentlich grau und glaenzend aussah, als ob er da oben ganz vorzueglich benutzt worden; eine erbsgelbe, bis an den Hals hinauf zugeknoepfte gesprenkelte Weste, ein schwarzes Halstuch, das eifersuechtig auch den geringsten Schimmer von Waesche verdeckte, braun und gruen gewuerfelte Hosen, grosse naegelbeschlagene Schuh und einen, in eine Unzahl von Formen hineingedrueckten alten haarlosen und an den Raendern hellgrau gescheuerten Filzhut, unter dem nur hie und da duenne, straffe und blonde Haare hervorschauten. Rasirt hatte er sich ebenfalls, wahrscheinlich seit seinem Entschluss nach Amerika auszuwandern, nicht, und die weissgesprenkelten Stoppeln die sein breites vorgehendes Kinn umgaben, passten vollkommen zu der flachen, wie eingedrueckten Nase, den kleinen grauen Augen, vorgehenden Backenknochen und der niederen Stirn, die sich scharf nach rueckwaerts, wie scheu unter den Hut hinunterzog.

So ruhig und anscheinend theilnahmlos aber auch dies Individuum dem allgemeinen Wirrwarr zuschaute und sich vollkommen geduldig in Zeit und Umstande geschickt hatte, so ungeduldig wurden die uebrigen Passagiere, als es jetzt vom Dome her sechs Uhr droehnte und das, eine Strecke weiter oben liegende Dampfboot, sein Deck mit Passagieren gefuellt, an ihnen vorbeipuffte. Dabei liess sich noch nicht die Spur von einem „verdeckten Flussschiff“ wie es sich die Passagiere gedacht, an der Landung blicken, und nur ein kleiner Weserkahn, wie sie dort ueberall zum Waarentransport gebraucht werden, lag gerade quervor an der bezeichneten Strasse, dem Platz genau gegenueber wo ihre Waaren aufgestapelt worden, und der Kahnfuehrer, ein hagerer duenner Gesell, mit furchtbar langen Armen und grossen Haenden, von denen man gar nicht begriff wie er sie je durch die Aermel seiner Jacke gebracht oder, da sie nun einmal darin waren, wie er sie wieder herausbringen wollte, ging auf dem Deck seines kleinen Fahrzeugs auf und ab. Mehrmals versuchte er dabei die Haende in die Taschen seiner dunkelblauen sogenannten Lootsenjacke zu bringen, aber umsonst, sie gingen nicht hinein, und er schlenkerte sie dann wieder „zu beiden Borden“ herunter und spuckte, seinen Taback dabei kauend, den braunen ekelhaften Saft regelmaessig einmal ueber Stuerbord und dann ueber Backbord ins Wasser hinueber.

„Sie da -- lieber Freund“ redete ihn endlich Einer der Passagiere an, der, in einen grauen weiten Ueberrock geknoepft, bis jetzt seiner Ungeduld in einer verwirrten Masse von Fluechen und Verwuenschungen Luft zu machen gesucht, und das kleine Fahrzeug schon lange aergerlich betrachtet hatte.

Der Matrose, oder was er sonst war, warf einen Blick ueber die Schulter nach ihm hinueber, aber ob er nun glaubte dass die Anrede ihm nicht gelte, oder sie nicht beachten wollte, kurz er setzte seinen Spatziergang an Deck ruhig fort und gab keine Antwort.

„Sie da -- heh -- Sie Langer mit der blauen Jacke und der huebschen Muetze -- hoeren Sie nicht?“

„Und?“ sagte der Mann jetzt und blieb, den Kopf halb ueber die Schulter zurueckgedreht, stehn, waehrend er jedoch den Frager nicht dabei an-, sondern nach den Daechern der naechsten Haeuser hinaufsah, als ob ihn von dort her Jemand gerufen haette.

Steinert, denn der Mann in dem grauen Ueberrock war Niemand anderes als unser alter Bekannter, der Weinreisende von gestern Abend, der uebernaechtig und mit schwerem Kopf gerade uebler Laune genug schien sich ueber die geringste Kleinigkeit zu aergern, murmelte etwas von „Dickschaedel“ und „Holzkopf“ in den Bart, fuhr aber doch in der begonnenen Anrede fort und rief, nur noch mit lauterer Stimme als vorher:

„Sie da -- Sie werden mit Ihrem Dings da von einem Schiff aus dem Weg fahren muessen, wenn das andere Schiff kommt, unsere Sachen und uns selber an Bord zu nehmen. Sie haetten sich wohl nirgends anderswo grad' in den Weg hinlegen koennen?“

Der Matrose oder Kahnfuehrer glitt mit seinen Augen langsam vom dritten bis zum zweiten und von da bis zum ersten Stock und dann quer ueber die Hausthuer weg nach dem Fremden nieder, der ihn angeredet hatte und oeffnete dann den Mund -- aber blos um ein neues Priemchen Taback hineinzustecken, wonach er, ohne auch nur eine Sylbe zu erwiedern, seinen Spatziergang an Deck in der alten Weise und Ruhe fortsetzte. Steinert uebrigens, der sich jetzt ernstlich an zu aergern fing, war nicht gesonnen sich so leicht abfertigen zu lassen, und bis an den Wasserrand hinangehend, bis wohin eine schmale Planke vom Bord des niederen Fahrzeuges aus reichte, schritt er diese hinan und stieg keck an Deck des „fremden Schiffes“ wie die Uebrigen meinten.

„Guten Morgen“ sagte er hier vor allen Dingen, als er sich auf dem fremden Boden fand, und doch fuehlte dass er mit Hoeflichkeit bei dem sonderbaren, einsylbigen Mann weiter kommen wuerde, als mit Grobheiten.

„Morgen“ sagte der Schiffer uebrigens, ohne, gerade wie vorher, weitere Notiz von ihm zu nehmen.

„Sagen Sie einmal Freund“ nahm aber hier Steinert wieder das Wort, und suchte sich dem Mann auf seinem Spatziergang entgegenstellen -- „wie ist denn das eigentlich, wollen Sie heute hier liegen bleiben?“

„Nee!“ sagte der Schiffer.

„Und wann fahren Sie ab?“

„Sobald wie laden hebben“ lautete die Antwort.

Steinert, der nur einen unbestimmten Begriff von Plattdeutsch hatte, begriff nicht recht was der Mann sagte, und suchte ihm selber jetzt begreiflich zu machen, wie sie mit jedem Augenblick ein „verdecktes Flussschiff“ erwarteten, das sie und ihre Sachen an Bord der Haidschnucke schaffen sollte.

„Hm -- wo sall'n dat herkomen?“ frug der Schiffer aber jetzt mit einem verschmitzten Laecheln nach dem Frager hinueberblinzelnd.

„Herkommen?“ wiederholte Steinert erstaunt -- „nach unserem Contrakt mit dem Rheder muessen wir unentgeltlich mit unserem Gepaeck von hier aus an Bord des Seeschiffes geschafft werden.“

„Op en Flussschiff?“ sagte der Matrose mit starker und etwas humoristischer Betonung des hochdeutschen Wortes.

„Jawohl“ sagte Herr Steinert.

„Un wie heet dat hier?“ sagte der Matrose auf das eigene Fahrzeug niederdeutend, auf dem sie standen.

Ein boeser Verdacht stieg in dem Weinreisenden auf, dass sie etwa gar in einem solchen „Kasten“ transportirt werden sollten. Dessen Bestaetigung blieb auch nicht lange aus, denn nach ein paar Fragen herueber und hinueber stellte es sich wirklich heraus, dass dies kleine unansehnliche Fahrzeug das identische „bedeckte Flussschiff“ Nr. 67, und der lange Matrose der Kahnfuehrer Meinert sei, mit dem sie und ihre saemmtlichen Sachen „nach See zu“ geschafft werden sollten. Ein wilder Ausruf des Erstaunens, den der erschreckte Weinreisende nicht unterdruecken konnte, zog einen Theil der uebrigen Passagiere herbei, und das Deck des kleinen Fahrzeugs schwaermte ploetzlich von einer Masse verblueffter und wirr durcheinander schreiender Menschen, dass die Leute oben in der Strasse stehen blieben oder auch mit zum Ufer herunterkamen, in der freundlichen Hoffnung, einer moeglichen Pruegelei der Auswanderer beiwohnen zu koennen.

Kahnfuehrer Meinert, denn diese wuerdige Person war es wirklich selbst, liess sich indessen nicht im Mindesten aus seiner Fassung bringen, und beantwortete alle Fragen seiner neuen ungeduldigen Passagiere mit einer Ruhe und Gleichgueltigkeit, die diese fast zur Verzweiflung brachte.

„Wie viel mal er zu fahren gedaechte bis er die Masse Gepaeck und Menschen im Stande sei an Bord abzuliefern.“

„Ein Mal.“

„Ein Mal? -- und wenn er sie Einer ueber den Andern packe gingen sie nicht Alle hinein.“

„Noch einmal so viel, mit Bequemlichkeit, wenn es sein muesste.“

„Wie lange die Reise dauere?“

„Mit gutem Wind sechs Stunden.“

„Und mit schlechtem?“

„Unbestimmt.“

Manche der Passagiere haetten jetzt gern Passage auf dem Dampfboot genommen, das aber war schon fort -- das naechste ging erst um elf Uhr ab und kam erst Nachmittag nach Brake, bis dahin konnten sie lange dort sein, und sie fingen an sich in das Unvermeidliche zu fuegen. Aber weshalb wurde da nicht wenigstens ihr Gepaeck eingeladen? -- auf was warteten sie noch, da die Abfahrt doch auf sechs Uhr bestimmt worden.

Kahnfuehrer Meinert, oder „Capitain“ Meinert wie er sich gern nennen liess, wartete noch auf „seine Mannschaft,“ einen Matrosen, den er in die Stadt hinaufgeschickt hatte ihm einen frischen Vorrath von Taback, Rum und einigen anderen Kleinigkeiten einzuholen -- sobald der kam, um die Sachen im „unteren Raume fortzustauen“ konnte die Sache beginnen.

Endlich kam der Bursche, ein schmutzig aussehendes, theerbeschmiertes Individuum, mit einem Arm voll Packeten und zwischen den Zaehnen eine Anzahl Papiere haltend. Diese nahm ihm sein Principal vor allen Dingen heraus, wischte den Tabackssaft davon ab und schob sie dann, ohne sie weiter eines Blicks zu wuerdigen, in seine eigene Tasche.

Die Passagiere wurden jetzt aufgefordert „ihre Sachen an Bord zu liefern“ und folgten diesem Aufruf mit lobenswerther Bereitwilligkeit. Sie glaubten naemlich nicht dass der kleine unansehnliche „Kahn“ Alles wuerde einnehmen koennen, und Jeder wollte wenigstens sein Eigentum mit der ersten Fahrt befoerdert haben. Ein paar der staemmigsten, oldenburger Bauern, die auch die groessten Kisten hatten, wurden dabei ersucht „im Raum“ ein wenig mit zu helfen, „damit sie auch saehen dass nichts beschaedigt wuerde,“ und diese unterstuetzte der Matrose, waehrend „Capitain Meinert“ an Deck stand, die Kisten oder Koffer mit einem Tau umschlang, und in den unteren Raum, oder vielmehr nur unter Deck, hinunterliess, denn das kleine Fahrzeug hatte nur den einen Raum.

Waehrend die Leute aber solcher Art beschaeftigt waren, trafen immer noch andere, verspaetete Passagiere ein, die ebenfalls mit befoerdert werden wollten und mussten. Unter ihnen der alte polnische Jude mit seinem Knaben, der jetzt auch mit Hand anlegen sollte das Gepaeck an Bord zu schaffen. Der alte Bursche schien aber kein Freund von solcher Beschaeftigung und merkte kaum wie die Sachen standen, als er an zu hinken fing, und die rechte Hand vorn in seinen Kaftan legte -- er wollte sich an dem Morgen weh daran gethan haben, und konnte sie nicht gebrauchen.

Das Gepaeck wurde uebrigens rascher beseitigt als man im Anfang geglaubt hatte, und merkwuerdiger Weise fasste dabei das kleine unansehnliche Fahrzeug eine solche Unmasse von Sachen, die in seinem Bauch ordentlich verschwanden, dass, wenn auch gerade kein bequemer Platz, doch Raum genug blieb, auch die Passagiere aufzunehmen, die sich schon ein paar Stunden solcher Art glaubten behelfen zu koennen. Lieber Gott, man ging ja jetzt in See, und da konnte man nicht Alles haben wie zu Hause. Vor acht Uhr erklaerte aber „Capitain Meinert“ nicht im Stande zu sein abzufahren, da dann erst die Ebbe eintraete, mit deren ausstroemender Fluth er bei dem schwachen Winde hoffen durfte vorwaerts zu kommen, und es blieb den Passagieren, die Anfangs allerdings darueber murrten, aber sich in das Unvermeidliche fuegen mussten, noch etwa eine halbe Stunde Zeit sich zu beschaeftigen wie es ihnen gerade gefiel. Schon vor acht Uhr waren sie aber saemmtlich wieder am Ufer, jetzt ernstlich auf endliche Abfahrt ihres „Schiffs“ dringend.

Ein junger Bursche, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, der auch an denselben Morgen, mit einem ledernen Tornister auf der Schulter und einem leinenen zerrissenen Staubhemd ueber einem sehr abgetragenen Roeckchen, an das Ufer gekommen war und sein „Gepaeck“ zu dem uebrigen gestellt hatte, war dann noch einmal fortgelaufen und in Schweiss gebadet wiedergekommen, und schien ueber irgend etwas in grosser Angst und Sorge. Die Leute hatten aber saemmtlich zu viel mit sich selber zu thun, der Noth und Sorge eines ihrer vermutlichen Mitpassagiere nachzufragen, und der arme junge Bursch, als schon saemmtliches Gepaeck an Bord geschafft worden, sass noch immer auf seinem Tornister am Ufer, das bleiche Antlitz in die Hand gestuetzt, und schien wirklich in stummer Verzweiflung der Einschiffung der Uebrigen zusehn zu wollen, ohne selber daran Theil zu nehmen.

Unter den Juden war Einer Namens Wald, ein Mann in den vierzigen, mit einer ansetzenden Glatze, aber scharfgeschnittenem klugen Gesicht und lebhaften schwarzen Augen, der sich bis dahin von den Uebrigen ziemlich fern gehalten. Neugierig gemacht uebrigens, durch das Wesen des jungen Burschen, ging er jetzt zu diesem hin, und frug ihn was er haette oder was ihm fehle. Der arme Teufel klagte ihm da mit Thraenen in den Augen sein Leid -- es fehlten ihm wirklich noch fuenfzehn Thaler an seiner Passage nach Amerika, und die Rheder wollten ihn nicht mitnehmen, ehe er die volle Summe gezahlt habe; aber er muesse mit fort, und wenn ihn das Schiff nicht mitnaehme sei er rettungslos verloren.

Wald wollte ihn troesten, dass er denn wohl noch ein anderes faende, der junge Mensch schien aber so in Angst, und ueberhaupt noch etwas anderes auch auf dem Herzen zu haben, worueber er nicht recht mit der Sprache herauswollte, sah aber dabei so treuherzig und fast noch kindlich aus, dass der Mann den Kopf herueber und hinueber schuettelnd, endlich sagte:

„Nu Gottes Wunder, sind wir doch Menschen hier genug die paar Thaler zusammenzubringen -- wart einmal a Bisle, ich werd' an zu sammeln fangen.“

„Aber das Schiff faehrt fort --“

„Wird nich so schnell fahren“ sagte der Mann gutmuethig, und zu dem polnischen Juden gehend hielt er dem seine Muetze hin und sagte:

„Kamerad, ich brauch ein paar Thaler Geld fuer einen armen Teufel, den wir nich duerfen zuruecklassen in Deutschland.“

„Armer Teufel?“ sagte der Israelit -- „wie haisst? bin ich doch selbst en armer Teufel -- wo ist er her?“

„Kann Dir einerlei sein wenn er arm ist“ meinte Wald.

„Der Mann hat Recht“ sagte aber jetzt der Alte, und griff in seine Tasche.

„Wie viel braucht's?“

„Je mehr desto besser“ sagte Wald -- „funfzehn Thaler Geld muessen werden.“

„Hier is a Thaler“ sagte der Alte und warf das Geld in die Muetze.

Der naechste zu diesem war Steinert, an den sich Wald mit seiner Sammlung wandte. Dieser zeigte sich aber nicht so rasch mit Geldgeben wie der alte Jude, sondern wollte erst genau wissen wozu und weshalb, wer der Bursche sei, wo er herkomme, wo er wohne und was er treibe. Wald rief ihn herbei, als er sah dass er auf keine andere Art zu seinem Zweck kommen koenne, und der junge Bursch gab jede nur moegliche Auskunft, bis Steinert endlich in seine Tasche griff, einige Groote herausnahm und dem Alten, nachdem er sie mehrmals durchgesehn, zwoelf davon reichte.

„Aber wir brauchen fuenfzehn Thaler“ sagte dieser, „und zweiundsiebenzig machen erst einen.“

„Leider“ erwiederte ihm Steinert, „ich brauche aber noch mehr wie fuenfzehn Thaler und mir giebt Niemand etwas.“

Wald sah dass alles weitere Zureden umsonst sein wuerde, um deshalb nicht mehr Zeit zu versaeumen ging er weiter, und einige der jungen Maedchen, die der arme Bursch dauerte, nahmen sich jetzt auch der Sache an, legten selber zusammen so viel sie konnten, und collectirten bei den Anderen. Es war gut fuer sie dass sich viele Juden unter den Passagieren befanden; diese gaben fast alle und -- so geizig sie sonst sein mochten -- gaben reichlich, ohne weiter zu fragen wie der Mann heisse und woher er sei, waehrend die Christen, von denen Viele es dem Anschein nach weit eher entbehren konnten -- erst Alles auf das Genaueste wissen wollten, und dann noch jede Ausflucht suchten, wenigstens mit einigen Groten abzukommen.

Nichtsdestoweniger brachte Wald, von den jungen Maedchen unterstuetzt, das Geld in kaum einer halben Stunde richtig zusammen; der junge Bursch, jetzt uebergluecklich seine Reise gesichert zu sehn, flog mehr als er ging, in die Stadt zurueck, seinen Schein zu bekommen.

Der einzige der sich bei der ganzen Sammlung nicht betheiligt, denn alle uebrigen hatten wenigstens eine Kleinigkeit gegeben, war der wunderliche alte Bursche, den wir im Anfang auf den Kisten sitzend fanden, und der auch nur erst in der That seinen Platz geraeumt hatte, als die weit ungeduldigeren Reisegefaehrten das Gepaeck anfingen unter ihm selber wegzuziehen. Er aber war auch wieder der Erste, der sich eine gute Stelle an Bord aussuchte, dort eine der ueberall herumliegenden Matratzen, die fast Jeder bei sich fuehrte, aufrollte, und sich, keine Ruecksicht auf etwa spaeter Nachkommende nehmend, behaglich unter Deck darauf ausstreckte.

Das Segel wurde jetzt, von den beiden Seeleuten, die noch eine Art Schiffsjungen bei sich hatten, gehisst, und die mit schwarzer Farbe darauf gemalte Nummer 67 sichtbar. Das galt den Passagieren aber auch als Zeichen der Abfahrt, und Alles draengte an Bord, einen bequemen Platz fuer die Hinausfahrt zu bekommen.

Unter den Passagieren, die mit dem Weserkahn befoerdert werden wollten, befand sich auch ein alter Bekannter von uns; ein junger sehr anstaendig und reinlich gekleideter Mann in schwarzem Tuchrock und eben solchen Hosen, mit blankgewichsten Stiefeln und Glacehandschuhen, ein reizendes Frauchen, ganz einfach aber hoechst geschmackvoll gekleidet, am Arm und einen Knaben, einen lieben kleinen Burschen von kaum mehr als drei Jahren an der Hand. Der Mann musste sich aber wohl schon frueher genau nach der Abfahrt des Kahnes erkundigt haben, denn er war erst kurz vor acht Uhr gekommen und mit Frau und Kind, ohne sich mit Einem der Uebrigen in ein Gespraech einzulassen, am Ufer auf- und abgegangen.

Der Violinist Eltrich hatte das Geld zur Ueberfahrt fuer sich und die Seinen, nachdem er vergebens gesucht seine Passage abarbeiten zu duerfen, mit schweren Opfern und besonders durch den Verkauf fast aller seiner Habseligkeiten, zusammengebracht, und war im Begriff sich ebenfalls mit der Haidschnucke nach Amerika einzuschiffen -- freilich im Zwischendeck, und das Herz schlug ihm recht weh und aengstlich, wenn er die Leute sah mit denen er gemeinschaftlich, in einem Raum die lange Reise machen sollte, und der Entbehrungen, der Beschwerden dann gedachte, denen sein zartes junges Weib, denen sein Kind dabei ausgesetzt sein mussten. Adele aber, die liebe kleine Frau, die in dem gramumwoelkten Blick des Gatten wohl all die Sorge, all den Kummer lesen mochte, den er sich ihretwegen machte, und ihretwegen doch auch gerade wieder sein ganzes Leben daran setzte, sie aus den Sorgen zu reissen, in denen sie im alten Vaterland gelebt, hing sich an seinen Arm und lachte ihm die Falten von der Stirn. Auf all die komischen wunderlichen Gestalten machte sie ihn dabei aufmerksam, die sie umgaben; auf den langen Kahnfuehrer mit seinem spitzen Gesicht und den polnischen Juden mit dem schoenen bleichen Knaben, und freute sich wie ein Kind ueber das rege Leben und Treiben, das um sie her draengte und wogte, und sie jetzt mit fortnehmen sollte in eine neue Welt. Sie hatte Nichts das sie hier zurueckliess, und das sie an das alte Vaterland noch haette fesseln koennen; eine Waise stand sie in der Welt und ihr Mann, ihr Kind war die fuer sie.

Und dennoch schrack sie fast unwillkuerlich zurueck, als sie, an des Gatten Arme, der den Knaben selber jetzt aufgenommen hatte ihn an Bord zu tragen, das kleine Fahrzeug betrat das sie stromab fuehren sollte, dem Seeschiffe zu. Der warme Dunst der sie von unten herauf anwehte, der Theergeruch, das feuchte schmutzige kleine Fahrzeug selber -- sie schmiegte sich fester an den Gatten an, wie um Huelfe zu suchen gegen dies erste peinliche Gefuehl, und nur erst als dieser leise aber tief und schmerzlich aufseufzte und die Scene vor sich mit aengstlich forschendem Blick ueberflog, denn er sah nicht ein stilles, geschuetztes Plaetzchen, wo er Weib und Kind haette unterbringen koennen, der ungewohnten Umgebung nur in etwas zu entgehn, da zwang sie mit Gewalt jedes andere Gefuehl zurueck. Die Notwendigkeit gebot hier dass sie sich fuegte; nicht durfte und wollte sie des Gatten Herz noch schwerer machen als es schon war, und selbst mit einem Laecheln auf den bleichen Lippen sagte sie, sich fluesternd zu ihm biegend.

„Ach Schade, Paul, dass Du kein Maler bist; das waere ein Stoff hier fuer ein prachtvolles Genrebild.“

„Arme Adele“ fluesterte Eltrich leise.

„Arme Adele?“ wiederholte aber die junge Frau, jetzt ernstlich entschlossen das Unvermeidliche auch fest und freudig zu ertragen -- „wie Viele gaeben Gott weiss was darum dies nur zu sehn, und da wir endlich, wonach wir die langen Jahre und immer umsonst gestrebt, erreicht, bedauerst Du mich?“

„Wie wirst Du es nur ertragen auf dem Schiff?“ seufzte der junge Mann.

„Wie ertragen es so viele Tausend?“ entgegnete ihm aber die kleine wackere Frau, „und bin ich nicht jung und gesund? -- was Andere koennen kann auch ich.“

„Aber Du warst von je ein anderes Leben gewohnt.“

„Und Du nicht? -- Ach Paul, quaele Dich doch um Gottes Willen nicht jetzt unnuetzer Weise mit solchen Gedanken, und sieh lieber dass Du ein Plaetzchen irgendwo fuer uns findest, die paar Stunden hinzubringen. Ich glaube wir blieben am Besten an Deck.“

„Ich traue dem Wetter nicht“ sagte Eltrich kopfschuettelnd -- „dort im Westen liegt es dunkel und schwer, und kommt mit Macht herauf. Jetzt ist auch fuer uns noch Hoffnung einen Platz unter Deck zu bekommen, denn Viele scheuen sich hinunter zu gehn, ehe sie muessen; nachher draengt denn Alles hinein und die Leute hier sehen mir gerade nicht aus, als ob sie viel Ruecksicht auf einander nehmen wuerden.“

„So such' uns ein Plaetzchen“ sagte die junge Frau, „und wir richten uns dann haeuslich ein, ich und Luz, und wenn wir einmal wieder auf festem Grund und Boden sind, in Amerika drueben, dann werden wir noch oft ueber die Zeit lachen die wir hier verlebt, und was wir da Alles gesehn und gehoert.“

„Und gerochen“ seufzte Eltrich in komischer Verzweiflung -- „lieber Gott, qualmen die Leute einen nichtsnutzigen Taback.“

„Man gewoehnt sich an Alles“ sagte die kleine Frau; „aber geh nun hinunter und sieh Dich um, ich bleibe dann noch oben an der freien Luft bis es wirklich an zu regnen faengt.“

In dem Kahn sah es indessen in der That wild und wunderlich genug aus. Die Erstgekommenen hatten sich, nach Umstaenden, vortrefflich eingerichtet und alle vorgefundenen und meist noch zusammengebundenen Matratzen benutzt, Lager- oder Sitzplaetze fuer sich herzurichten, und die spaeter Eintreffenden suchten jetzt ihre „Betten“, ueber Alles dabei hinwegsteigend was ihnen im Wege lag. Jeder that zugleich sein Bestes den Nachbar zu ueberschreien, nur um selber gehoert zu werden, und Steinert besonders, der sich aus irgend einer unbegreiflichen Ursache fuer schaendlich behandelt und hintergangen hielt, machte einen Heidenlaerm.

„Das also nennen diese Herren Rheder ein „verdecktes Flussschiff“ -- einen Aufenthalt fuer Menschen -- fuer Auswanderer? Ein Kasten ist's, mit einem Loch darin, Mehlsaecke etwa wegzupacken und Fleischfaesser -- eine Vorbereitung zur Galeere fuer Moerder und Diebe -- ein schwimmendes Zuchthaus. „Verdecktes Flussschiff.“ -- dass sie der Boese einmal spaeter in einem solchen „verdeckten Flussschiff“ nach seinen hoellischen Regionen abfuehre, dort mit des Geschickes Maechten einen ew'gen Bund zu flechten.“

„Ach was“ unterbrach ihn da Einer vom Stamme Juda -- „lassen Sie das Geschwafele und gehn Se mit Ihre dreckige Fissche von meine Matratze herunter -- Gott der Gerechte wo sieht der Mensch um die Fisse aus und stellt sich mich Nichts dich Nichts auf's Bettzeug!“

„Meine Herren!“ -- rief Steinert dagegen, konnte aber seine Rede nicht zu Ende bringen, da der Mann den einen Zipfel der also misshandelten Matratze mit beiden Haenden gefasst hatte, und sie dem Weinreisenden mit einem ploetzlichen Ruck so rasch unter den Fuessen fortriss, dass dieser das Gleichgewicht verlor und rueckwaerts in einen Korb voll Blech und anderes Geschirr hineinfiel, den die Familie Rechheimer, Mann, Frau und zwei erwachsene Toechter eben zu etwas genauerer Inspection hervorgezogen. Der Laerm wurde jetzt allgemein, denn Steinert wollte thaetliche Rache nehmen, und bat die Umstehenden dass sie ihn halten moechten, weil er sonst den Elenden ueber Bord wuerfe.

„Frieden, lieben Freunde“ sagte da eine tiefe aber sehr weiche, fast etwas singende Stimme, und ein junger Mann von vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahren mit vollem Bart und langen glatt herunterhaengenden, in der Mitte gescheitelten Haaren, modern, wenn auch etwas vernachlaessigt gekleidet, trat zwischen die Streitenden und fing an ihnen zu beweisen dass sie Beide Unrecht haetten, dass sie nicht verstaenden das Romantische ihrer Lage zu begreifen und anstatt, wie die Biene aus jeder Blume Honig zu ziehen, sich von dem ersten bitteren Geschmack abschrecken und verblenden liessen.

„Ja -- eine kleine Biene flog“ rief Steinert noch immer entruestet dazwischen, „aber ziehn Sie einmal hier Honig heraus, wenn ich bitten darf -- das waere ein Kunststueck.“

„In einem solchen Kunststueck bewaehrt sich gerade der Mann!“ entgegnete die kleine schmaechtige Gestalt des Passagiers mit der tiefen Stimme -- „das Edle wollen und das Gute thun!“

„Ich brauche mir aber meine Matratze nich einschmieren und mich schimpfen zu lassen -- brauch ich nich --“ schrie jedoch der Israelit, noch keineswegs beruhigt, dazwischen, und Steinert wollte ebenfalls wieder heftig erwiedern, als von einer anderen Ecke des halbdunklen Raumes her ein neuer Laerm vorbrach, dessen Mittelpunkt diesmal der Mann mit dem affenaehnlichen Gesicht zu sein schien. Dieser hatte ebenfalls, wie es sich jetzt herausstellte, auf einer fremden Matratze Platz genommen und weigerte sich nicht sowohl ihn zu raeumen, als dass er ihn, ohne auch nur ein einziges Wort zu erwiedern, ruhig gegen einen ganzen Schwarm von Frauen und Maedchen behauptete. Die einzige Antwort die man aus ihm herausbringen konnte, war eine ordentliche Wolke des schaendlichsten ordinaersten Tabacks der sich nur denken liess, und je aerger der Laerm um ihn her wurde, desto mehr verschwand er in dem, immer dicker aufsteigenden Nebel, und nur die kleinen grauen, von dichten und dunklen borstigen Brauen beschatteten Augen blitzten daraus hervor, dass es den Frauen ordentlich unheimlich zu Muthe wurde, wenn sie den Mann anschauten.

Wer sich uebrigens um all den Laerm da unten nicht bekuemmerte war der Kahnfuehrer selber, „Capitain Meinert“, der indessen, da die Ebbe jetzt wirklich eintrat, mit seines Matrosen Huelfe den leichten Anker an Bord, und vorn auf den Bug hob, und als das kleine Fahrzeug, nicht mehr vorn gehalten, mit der Stroemung langsam herumschwang, an's Steuer trat und es weiter hinaus in den Fluss lenkte, klar von den uebrigen Kaehnen zu werden und freies Fahrwasser zu bekommen.

Die Passagiere waren uebrigens hierbei selber zu sehr interessirt, es so ganz gleichgueltig mit anzusehn, wie sie, zum ersten Mal in ihrem Leben „flott“ wurden, und kaum fuehlten sie unten die Bewegung des „Schiffs“ wie sie den Kahn unverdrossen nannten, als auch die Mehrzahl rasch an Deck kletterte. Viele von ihnen hatten dabei eine unbestimmte Ahnung dass sie jetzt bald das Land „aus Sicht“ verlieren und direkt in die offene See hineinsteuern wuerden, das grosse Schiff nach irgend einer gegebenen, unbekannten Richtung aufzusuchen; Andere glaubten dass Brake wahrscheinlich um die naechste Landspitze herum laege, und sie dort spaetestens zum Mittagsessen eintreffen muessten; jedenfalls gewann Eltrich indessen unten Zeit ein Eckplaetzchen fuer Frau und Kind herzurichten, wo er eine von seinen Matratzen ausbreitete, und die andere, gegen die Kahnwand hin hoch aufstellte, als Ruecklehne zu dienen. Adele hatte auch kaum mit dem Knaben darauf Platz genommen, als die Wolken, die sich den ganzen Morgen schon hoher und hoeher gezogen, begannen Ernst zu machen. Es fing gegen neun Uhr an erst zu troepfeln und dann ordentlich zu regnen, und die Passagiere draengten wieder mit Macht nach unten, unter Dach. Nur Einzelne von den Maennern blieben oben, die, in ihre Maentel gehuellt, oder mit Regenschirmen, die Naesse, dem Dunst und der Hitze unten vorzogen.

So scharf und frisch die Luft aber auch im Anfang, mit dem ersten Regen einsetzte, und so rasch das kleine, ziemlich gut segelnde Fahrzeug dabei die Fluth durchschnitt und die Thuerme Bremens bald zurueckliess, so bald schlief der Wind wieder ein, und wenig mehr als die ausfluthende Stroemung trieb den Kahn zuletzt noch weiter, der kaum mehr seinem Steuer gehorchte, und langsam und schlaefrig an dem gruenen Ufer niederschwamm. Die Luft war dabei schwuel und drueckend, und der Regen goss dermassen in Stroemen nieder, dass selbst die Luke, wenn auch nicht dicht verschlossen, doch mit getheerter Leinwand verhangen werden musste, und die Luft in dem beengten Raum nur noch dumpfiger und schwueler machte.

Ein Theil der Passagiere amuesirte sich indess ganz gut -- hie und da hatten sich kleine Gruppen gesammelt und spielten, mit einer Kiste zwischen sich als Tisch, Karten; dort machten ein paar junge Burschen -- und der Mann mit der tiefen Stimme und den gescheitelten Haaren befand sich leider zwischen ihnen -- den jungen Maedchen die Cour und suchten auf solche Weise nicht allein ihre Zeit zu vertreiben, sondern auch gleich Bekanntschaften fuer die Reise anzuknuepfen. An rohen Scherzen der Ungebildeten fehlte es dabei nicht, ueber die ein Theil ein wieherndes Gelaechter aufschlug, waehrend es den anderen verletzte, und Eltrich seufzte oft tief und schwer auf, seine arme Frau in solche Umgebung jetzt vielleicht Monate lang gebannt zu wissen, und nicht im Stande zu sein sie daraus zu befreien.

Adele beschaeftigte sich indessen theils mit dem Kind, theils suchte sie, den Knaben im Arm und den Kopf gegen die Matratze zurueckgelehnt, dem haesslichen Aufenthalt nur kurze Zeit Schlaf abzuringen; aber der Laerm war zu gross, die Luft zu schwuel und ungewohnt, und besonders der haessliche Tabacksqualm zu nah und scharf, dass sie kaum im Einnicken, immer wieder husten musste und munter wurde.

So schlich der Vormittag langsam und schlaefrig hin; die Brise wurde gegen zwoelf Uhr etwas frischer, aber der vielen Biegungen des Stromes wegen war sie ihnen fast eben so oft entgegen als zu Gunsten, und um zwei Uhr, als „Todt Wasser“ wie es die Schiffer nennen, eintrat, d. h. die Zeit des Stillstandes zwischen Ebbe und Fluth, wenn die eine aufhoert und die andere noch nicht begonnen hat, setzte Capitain Meinert seine Passagiere ungemein in Erstaunen, als er seinen Anker ploetzlich fallen liess und sogar erklaerte, hier wieder sechs volle Stunden liegen bleiben zu wollen, „bis die Fluth hinauf sei.“

Wie weit Brake noch sei, war an dem Morgen wohl tausendmal gefragt worden, und der Schiffer, der es endlich muede wurde wieder und wieder darauf zu antworten, sagte dem Einen fuenf und dem Andern eine Meile, kurz Jedem verschieden, und unten stritten sich dann die Partheien darueber, weil jede behauptete, ihre Nachricht aus bester Quelle zu haben.

Der groesste Aerger stand aber den Passagieren noch bevor als auch das zweite, um elf Uhr von Bremen abgegangene Dampfboot, kurz vorher ehe sie wieder Anker geworfen, an ihnen vorbeirauschte. Jetzt kam auch noch die Angst dazu dass sie das Schiff am Ende zu spaet erreichten, und wenn sie auch der Schiffer darueber beruhigte, sahen sie ihm doch, oh wie sehnsuechtig nach.

Um acht Uhr wurde der Anker nun allerdings wieder „gelichtet“, wie Steinert mit etwas heiser gewordener Stimme sang, aber wie es vollkommen dunkel wurde mussten sie dennoch wieder beilegen, und zwar jetzt wieder in der trostlosen Hoffnung nicht vor acht Uhr naechsten Morgens auf's Neue unter Wegs gehn zu koennen. Capitain Meinert hatte sich aber vorgesehn noch ein Dorf zu erreichen, ehe er seinen Anker wieder auswarf, und stellte den Passagieren sein kleines Boot zur Verfuegung an Land zu gehn und dort zu uebernachten, wo sie allerdings mehr Bequemlichkeit haben wuerden als an Bord. Die Meisten machten auch wirklich davon Gebrauch und traten, mit aufgespannten Regenschirmen, durch Schmutz, Wasser und Dunkelheit, die Reise nach dem flachen Ufer an, wo sie in einem Nichts weniger als freundlichen und fast eben so dumpfigen Saal ihr theueres Geld fuer etwas schlechtes Essen und eine Streu bezahlen mussten. Die Passage auf dem Dampfboot haette sie nicht mehr, wenn gar so viel gekostet.

Eltrich wollte seine Frau auch, trotz allen jedenfalls daraus erwachsenden Kosten, an Land nehmen, sie weigerte sich aber entschieden den Kahn zu verlassen, verzehrte laechelnd mit ihm ihr frugales Abendbrod, und wickelte sich dann mit dem Kind in ihre wollene Decke, in der jetzt wenigstens eingetretenen Ruhe der Nacht so viel Schlaf als moeglich abzugewinnen.

Und es war eine traurige unfreundliche Nacht; der Wind heulte in den einzelnen Baeumen am Ufer, der Regen schlug prasselnd auf Deck, und der Mast und das Takelwerk knarrte und aechzte, den Passagieren an Bord nur wenig Ruhe goennend, in den fremden, ungewohnten Lauten. So kalt und haesslich der Morgen aber auch hereinbrach, so freudig wurde er von den an Bord Befindlichen, die ihn wie lange schon ersehnt, begruesst. Jede Stunde hatten die so oft gezaehlt, jede Minute fast, und das Morgengrauen herbeigewuenscht unzaehlige Mal. Ein trueber Anfang war das auch fuer ihre Seefahrt, und Mancher, der sich am vorigen Tag damit getroestet, welche Strapatzen und Beschwerden er im Stande waere zu ertragen, sass jetzt kalt und froestelnd, niederschlagen und missmuthig in einer Ecke, und ueberlegte vielleicht jetzt schon, freilich etwas frueh, die Gruende die ihn eigentlich zu einer Auswanderung bewogen. Wunderliche Gedanken steigen da in dem Menschenherzen auf, und eine einzige solche Nacht, wenn sie nur etwas frueher gekommen waere, haette manche romantische Erzaehlung, manchen gluehenden Bericht ueber Amerika, weit, weit aus dem Felde geschlagen.

Jetzt war das freilich zu spaet und ein Ruecktritt nicht mehr gut moeglich; mit den Effekten und dem Passagegeld haette es sich vielleicht noch einrichten lassen; lieber Gott, ein kleiner Verlust zur rechten Zeit ist oft ein grosser Gewinn fuer's ganze Leben, aber das Lachen zu Hause, das boese, boese Lachen -- viele Menschen wollen lieber, wenn sie die Wahl haben, verachtet oder bemitleidet als ausgelacht und verspottet werden, und die Wenigen deshalb, an deren Grundsaetzen die kalte unfreundliche Nacht doch gewaltig geruettelt, bissen die Zaehne fest aufeinander und gingen dem Unvermeidlichen -- eben weil es unvermeidlich war -- entgegen.

Aber solch ein Morgen, auf einem solchen Weserkahn! Erst in solchen Verhaeltnissen merkt auch der Mensch an wie viel Bequemlichkeiten er gewoehnt ist, wie viel Beduerfnisse er schon hat, mag er sonst noch so einfach leben das ganze Jahr hindurch. Schon das erste Gefuehl des Aufstehens widert ihn an. Ungestaerkt, unerquickt, und schon fertig angezogen, hebt man sich von seinem Lager; man moechte sich jetzt ausziehn und sich waschen -- aber wo? -- Wasser ist da im Ueberfluss, aber kein Waschbecken, kein Handtuch, weder Seife noch Zahnbuerste -- nicht einmal ein Platz die unentbehrlichste Abwaschung von Gesicht und Haenden vorzunehmen, denn im innern Raum ist jeder Zoll breit besetzt, und draussen an Deck schuetten die Wolken wieder Stroeme Regens nieder. Wie grau und bleiern da der daemmernde Morgen auf der Welt liegt, und wie still und einsylbig selbst die Lautesten und Unruhigsten der Schaar geworden sind. Nur die Kinder schreien -- ruecksichtslose kleine Gesellschaft, die die Welt nur erst von der einen Seite kennt und jetzt auf das eifrigste dagegen protestirt auch auf der anderen ihre Bekanntschaft zu machen.

Selbst Steinert war ruhig geworden und sass, durch das Weinen eines solchen kleinen ungeduldigen Nachbars aus einem leichten und unerquicklichen Morgenschlaf geweckt, froestelnd in seine wollene Decke gehuellt auf der Ecke einer fremden Matratze und blickte finster und verdrossen um sich her.

„Eine Tasse Kaffee -- ein Koenigreich fuer eine Tasse Kaffee“ brummte er zuletzt indem er den Hut abnahm, einen kleinen Taschenkamm aus seiner Brusttasche hervorholte, und langsam die kurzen Haarstummel und den etwas struppig gewordenen Bart zu ordnen begann -- „Himmeldonnerwetter, dass ich des pipigen Mehlmeiers Rath nicht folgte und mit auf das Dampfboot ging; jetzt sitz ich hier zwischen heulenden Baelgern und schnarchenden anderen Individuen und blase Truebsal in alle vier Winde. „Verdecktes Flussschiff“ -- dass dich die Pest hole mit deinen „verdeckten Flussschiffen.“„

Hie und da hob sich jetzt ein Kopf in die Hoeh, schaute sich schlaftrunken um und sank wieder in die alte Lage zurueck, noch eine Weile die Augen schliessen zu koennen und gar nicht sehn zu muessen was vorging in dem ungemuetlichen Aufenthalt. Nur der Mann mit der tiefen Stimme und den mitten auf dem Haupt gescheitelten Haaren erhob sich jetzt ebenfalls und sagte, kopfschuettelnd die um ihn her gelagerten Gruppen ueberschauend:

„Guten Morgen Herr Steinert -- ausgeschlafen?“

„Ja -- danke -- auf der einen Seite wenigstens“ brummte Steinert, „denn die andere schlaeft noch und die Sehnen und Muskeln sind mir ordentlich verklommen -- Himmel war das eine Nacht. Und sehn Sie sich einmal den Platz hier an -- Wallensteins Lager, beim Zeus, und die Haelfte Marketenderinnen. Apropos -- Sie sind ja wohl Literat, wie Sie mir gestern gesagt haben -- da ist Stoff fuer Sie eine ganze Bibliothek zu schreiben -- da ziehn Sie sich Ihren Honig heraus, wenn Sie so gut sein wollen; waere mir lieb zuzusehn wo Sie ihn finden?“

Der junge Schriftsteller schien aber heute Morgen keine Lust zu haben ueber derlei Sachen zu debattiren; ihm war selbst zu unbehaglich zu Muthe seine gestrige Aeusserung zu vertheidigen, und mit ein paar leise gemurmelten Worten, die recht gut irgend eine hoechst unromantische Verwuenschung sein konnten, brummte er:

„Ich moechte nur wissen wer sich da ein Vergnuegen gemacht und die halbe Nacht an Deck bei dem Wetter Holz gesaegt hat -- die Leute waehlen eine vortreffliche Zeit ihren Winterbedarf einzulegen.“

„Holz gesaegt?“ entgegnete aber Steinert erstaunt -- „meinen Sie etwa meinen Nachbar hier, den dicken Unbeweglichen, der ueber Tag den guten Taback raucht, und seit ein Uhr geschnarcht hat, als ob er im Akord arbeitete?“

„Das ist ein Schnarcher?“ rief der Literat im hoechsten Erstaunen aus -- „aber warum stossen Sie ihn da nicht einmal in die Rippen?“

„Weil ich mit keinem passenden Werkzeug versehen bin, auch bis jetzt, in dieser egyptischen Finsterniss, nur nach der ungefaehren Richtung zu haette stossen koennen“ sagte Steinert -- „Sie da, Herr Moses oder Aaron wie Sie gerade heissen -- bitte knuffen Sie da doch einmal Ihren Nachbar in meinem Namen, und fragen Sie ihn ob er nicht Meier hiesse und aus Stollberg sei.“

„Gottes Wunder, so frih?“ sagte der eben Angeredete, der auch gerade munter geworden und den Kopf in die Hoehe gehoben hatte. Nichtsdestoweniger leistete er dem Wunsche Folge, und der Schnarcher fuhr, ziemlich unsanft angestossen, erschreckt in die Hoeh.

„Habe ich nicht das Vergnuegen mit Herrn Meier zu sprechen?“ wandte sich Steinert jetzt verbindlich gegen ihn, die Antwort aber die er bekam, benahm ihm jede weitere Lust zur Conversation mit dem Manne, der sich, noch innerlich knurrend, seinen abgefallenen Hut in die Stirn zog, und dann auch ohne weiteren Zeitverlust wieder zurueckfiel, noch einmal einzuschlafen.

Wie das ploetzliche Stillstehn einer Muehle die mueden Knappen weckt, so fuhr ein grosser Theil der uebrigen Passagiere in die Hoeh, als das regelmaessige donnernde Schnarchen des Mannes aufhoerte, und schlaftrunkene Gesichter frugen nach der Zeit und dem Wetter und wo sie waeren, und murmelten halblaute Flueche in den Bart, als sie sich ihres Zustandes klarer bewusst wurden.

Eltrich war einer von den Ersten an Deck, zog sich Wasser in einem Eimer herauf, und badete sich Gesicht und Haende darin, das eigene Taschentuch zum ersten Mal als Handtuch gebrauchend. Den Schiffsjungen fand er dabei beschaeftigt auf einem kleinen, an Deck befindlichen verdeckten Heerde, Wasser zu kochen, zu eigenem Gebrauch, und hatte die Genugtuung von diesem, fuer ein paar Grote, einen Theil desselben zur Mitbenutzung zu erwerben. Etwas Kaffee und Zucker fuehrte er selber bei sich, auch eine Flasche Milch fuer den Knaben, und seine kleine Frau laechelte ihm dankbar entgegen, als er sie weckte und ihr den einladend dampfenden Blechbecher zum Morgengrusse brachte.

„Kaffee -- bei Gott!“ rief es jetzt aber auch von mehren Seiten des engen Raumes, als der aromatische Duft des heissen Trankes ihre Nasenloecher traf -- „da oben giebt's Kaffee!“ und was keine Ueberredung sonst vielleicht vermocht haette, war der Glaube im Stande. Allerdings sahen sie sich getaeuscht, und nur Einigen gelang es noch fuer Geld und gute Worte von dem muerrischen Burschen einen halben Becher gemachten Kaffee's zu erlangen, die Uebrigen mussten mit dem Boot an Land, dort eine Erfrischung zu erhalten, und Andere suchten den Capitain, die Abfahrt des Kahnes von ihm zu verlangen. Capitain Meinert liess sich aber erst kurz vor acht Uhr, wo die Fluth sich staute, blicken, troestete uebrigens seine ungeduldigen Passagiere mit der guten Nachricht, dass sie, wenn der Wind so guenstig bliebe, Brake in etwa zwei bis drei Stunden erreichen wuerden.




1) Das in neuerer Zeit in Bremerhafen errichtete Auswanderungshaus existirte damals noch nicht

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Amerika! - Ein Volksbuch - 2. Band