Zeremonie oder Demütigung die Juden in ihren Synagogen gegen das Gesetzbuch sich bedienen

Sie verlangten nächst diesem zu wissen, welcher Zeremonie oder Demütigung die Juden in ihren Synagogen gegen das Gesetzbuch sich bedienen; weshalb sie von einigen aus Unwissenheit für Götzendiener gehalten werden. Ich werde hierauf nach der Ordnung antworten.

Erstlich, die Juden halten sich verbunden aufzustehen, wenn das auf Pergament geschriebene Gesetzbuch aus den Schranken genommen worden, bis es auf dem Pult geöffnet wird, um es dem Volke zu zeigen, und hernach darin zu lesen. Wir sehen, dass dieses beobachtet wurde, in Nehemia, wo es heißt Kap. 8, 5: Und als er geöffnet hat, so stand das ganze Volk auf. Und dies geschieht aus' Ehrerbietung gegen das göttliche Wort und dies geheiligte Buch.


Aus gleicher Ursache neigen alle ihre Häupter mit Ehrfurcht, denen es vom Schranken nach dem Pulte vorübergeht; welches aus folgenden Gründen kein Götzendienst sein kann.

Erstlich: etwas anderes ist ein Ding anbeten, adorare; etwas anderes es verehren, venerari. Das Anbeten jedes Geschöpfes, es sei ein englisches oder irdisches, ist verboten; aber Verehrung kann einem jeden derselben erteilt werden, so wie ein Mensch von höherem Range ehrwürdig genannt wird. So demütigte sich Abraham, der zu seiner Zeit den falschen Götzendienst ausrottete, und warf sich hin vor jene drei Gäste, die er doch für Menschen hielt. Ebenso warf Josua, der höchste Anführer des Volkes, sich vor einem Engel hin, der ihm, mit dem Schwert in der Hand, an den Pforten von Jericho Furcht einflößte. Waren dieses nun gerechte Männer, deren Beispiele zu folgen wir verbunden sind, und sind sie deshalb nicht getadelt worden, so ist klar, dass das Verehren des Gesetzes nach unserer Weise kein Götzendienst zu nennen sei.

Zweitens: die Juden sind äußerst gewissenhaft in solchen Dingen, und fürchten sogar den Schein, als erzeugten sie Bildern eine Ehrerbietung. Man kann dieses im Talmud, und in der Abhandlung vom Götzendienst des R. Moses aus Ägypten sehen, wo sich die Vorschrift findet, dass, wenn von ungefähr ein Israelit einer Kirche vorbeigeht, an deren Außenseite sich Bilder befinden, und zu gleicher Zeit ihn ein Dorn in den Fuß sticht, so darf er nicht stillstehen, um ihn herauszuziehen, weil es ihm bei jemanden, der ihn sieht, den Verdacht erwecken kann, als bückte er sich vor einem solchen Bilde. Wenn also das Bücken vor dem Gesetze irgendeinen Anschein von Götzendienst hätte, so würden die Juden, zufolge dieser Strenge, allerdings es verabscheuen; und dass sie es tun, ist ein sicheres Zeichen, dass es kein Götzendienst sei.

Drittens: das Küssen der Bilder ist die vorzüglichste Verehrung beim Götzendienst, so wie Gott sagt, I. Kön. 19, 18: Und ich will lassen überbleiben siebentausend in Israel, nämlich alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und allen Mund, der ihn nicht geküsst hat; wäre dies aber, so würde folgen, dass alle diejenigen, welche, nachdem sie geschworen, das Testament küssen, Götzendiener sein müßten; aber da es sich nicht so verhält, indem diese Handlung bloß eine einfache Verehrung ist, so folgt aus demselben Grunde, dass das Neigen des Hauptes für keinen Götzendienst gehalten werden kann.

Viertens: die Erfahrung zeigt, dass es bei allen Nationen eine Höflichkeitsbezeigung der Menschen gegeneinander ist, ihr Haupt zu neigen, und es gibt darin Grade, nach Beschaffenheit der Person, mit der sie sprechen; ein Beweis, dass es nach der Meinung aller Nationen kein Götzendienst ist, und viel weniger daher ist es die Verehrung des Gesetzes durch eine Verbeugung des Körpers.

Fünftens: wenn das Volk in Asien (und so ist es beinahe in der ganzen Welt) einen Bescheid oder Befehl von seinem Könige erhält, so nimmt er ihn, küsst ihn und legt ihn auf den Kopf. Wir sind Gottes Wort und seinen göttlichen Befehlen weit mehr schuldig.

Sechstens: als die zweiundsiebzig Dolmetscher mit dem Gesetzbuche zu Ptolemäus Philadelphus kamen, so stand er (wie Aristäus uns versichert), aus Verehrung desselben, von seinem Stuhle auf, und warf sich siebenmal nieder. Wenn ein Heide sich so gegen ein Gesetz bezeigt, zu dem er sich nicht verpflichtet hält, wie viel mehr sind wir diesem Gesetz Ehrerbietung schuldig, das besonders uns gegeben ist?

Siebentens: die Israeliten halten für Artikel ihres Glaubens, dass ein Gott sei, der die einfache Einheit, ewig, unkörperlich ist, der das geschriebene Gesetz seinem Volke Israel, durch die Hand Moses, des Fürsten und Oberhauptes aller Propheten, gegeben habe, dessen Vorsicht sich um die Welt bekümmert, die er erschaffen; der aller Menschen Handlungen beobachtet, und sie dafür belohnt und bestraft. Endlich, dass einst ein Messias komme, um die zerstreuten Israeliten wieder zu versammeln, und dass kurz nachher die Auferstehung der Toten erfolgen werde.

Dieses sind ihre Lehren, welche, wie ich glaube, nichts Abgöttisches enthalten, selbst nicht nach der Meinung derer, die anders urteilen. ,,Die Juden,“ sagt ein sehr gelehrter Christ unserer Zeit, der ein französisches Buch, das er die Zurückberufung der Juden nennt, geschrieben, (in welchem er den König von Frankreich zu ihrem Führer macht, wenn sie nach ihrem eigenen Lande zurückkehren werden), „die Juden werden erlöst werden, denn wir erwarten noch eine zweite Ankunft desselben Messias, und die Juden glauben, dass dieses seine erste, nicht die zweite Ankunft sei, und durch diesen Glauben werden sie erlöst werden, denn der Unterschied besteht nur in der verschiedenen Angabe der Zeit dieser Ankunft.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menasse ben Israels Rettung der Juden