Mein Leben
Erinnerungen des mecklenburg-schwerinschen Staatsministers Dr. Adolf Langfeld
Autor: Langfeld, Ferdinand Helmuth August Wilhelm Adolf (* 27. August 1854 in Rostock; † 4. April 1939 in Schwerin) war ein deutscher Jurist und Politiker und von 1914 bis 1918 Staatsminister des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin., Erscheinungsjahr: 1930
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Heimat, Plattdeutsch, Vogel Greif, Seefahrer, Heimathafen, Ostsee
Erste Kindheit
Die ersten Lebenseindrücke wurden mir im väterlichen Hause in Rostock zu teil. Deutlich steht mir noch vor Augen die im dritten Stock des Vorderhauses gelegene Kinderstube mit dem Blick auf den Markt. Der Gesamteindruck des Marktes ist heute noch der gleiche wie in meiner Kinderzeit. Auf der Mitte des Marktes stand eine große, unlängst dem Verkehr geopferte „Wasserkunst“. Aber die Häuser mit ihren charakteristischen Formen sind bis heute die gleichen geblieben. Sie haben mit dem alten Rathaus und der das Marktbild beherrschenden Marienkirche ihre Eigenart behalten. Noch heute kann ich mich bei einem Besuch Rostocks diesem Eindruck nicht entziehen. Dann ist es mir, als wenn die alten Häuser mit ihren längst dahingegangenen Bewohnern wieder Leben gewönnen. Abgeschlossen wurde der Blick aus meinem Kinderzimmer durch ein Gebäude, das mir auf meine Frage als das „weiße Kolleg“ bezeichnet wurde, ohne dass ich aus dieser Antwort etwas zu machen musste. Von meinem Elternhaus sah man nämlich geradeaus durch die Blutstraße und Hopfenmarkt auf jenes alte Universitätsgebäude. Ich konnte deshalb auch bei dem 500jährigem Universitätsjubiläum 1919 die Frage einer Professorengattin nach der Dauer meiner Beziehung zu der Hochschule mit gutem Recht dahin beantworten, dass, wenn nach deutschem Recht die Rechtsfähigkeit eines Kindes damit beginnt, das es die Augen öffnet und den Giebel des Hauses beschreit, meine Rechtsfähigkeit mit dem Beschreien des Universitätsgebäudes begonnen habe.
Markt und Vaterhaus gehörten nach meiner Auffassung zusammen. Auf dem Markt habe ich mich getummelt, meine Reifen und Kreisel getrieben, mich auf Stelzen bewegt. Hier fuhr ich meine jüngsten Geschwister auf Kinderwagen und im Winter auf Schlitten umher, mit denen der stets freigebige Großvater Josephi uns zu Weihnachten erfreute. Rostock besaß damals weder Wasserleitung noch Kanalisation. Die Einwohner ließen das nicht mehr gebrauchte Wirtschaftswasser einfach auf die Straße laufen. Dadurch bildete sich bei Winterkälte am Rande des Bürgersteigs eine köstliche Eisbahn, auf der ich mich mit meinem Peekschlitten umhertrieb, wenn ich es nicht vorzog, bei guter Schlittenbahn mit ihm die abfallende Straße „Am Schilde“ hinunterzulaufen bis weit in die Mönchen- oder damals „Poststraße“ genannte Krämerstraße hinein. Immerhin war es ein riskantes Unternehmen. Nur zu leicht konnte man dabei einen angerempelten blinden Passagier auf den Schlitten bekommen, wie dies mein Landmann John Brinckman in seinem „Kasper Ohm“ so schön beschreibt. Nur zu leicht konnte man dabei auch einem der blaumontierten Stadtsoldaten in die Hände laufen und musste dann das Vergnügen auf Kosten der Sparbüchse mit einer Pön von 8 Schillingen (50 Pfennige) schmerzlich büßen.
Wir wären keine echten Rostocker gewesen, wenn wir uns nicht gern am Hafen, oder wie es hieß. „am Strande“ zu schaffen gemacht hätten. Dort spielte sich alljährlich der „Pfingstmarkt“ ab mit Zirkus, Karussell, Panoramen, Taschenspielern und anderen das Kinderherz erfreuenden Genüssen, unter denen die Braunschweiger Honigkuchen sowie das Magdeburger Schmalzgebäck eine besondere Note hatten. Indessen auch in der übrigen Zeit des Jahres zog uns das belebte und an Abwechslung reiche Hafenleben mächtig an. In meiner Jugend stand die Rostocker Reederei auf stolzer Höhe. An Zahl der Segelschiffe übertraf Rostock alle deutschen Hafenplätze. Musste doch bei der noch geringen Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen ein großer Teil der Getreideausfuhr Mecklenburgs seinen Weg über Rostocks Hafen nehmen. Im Herbst nach der Kornernte waren ganze Straßenzüge der Altstadt mit Landwagen gefüllt, die das in die Schiffe nach England zu verladende Getreide hergebracht hatten. Dicht gedrängt lagen dann, mit dem Bugspriet gegen das Bollwerk gerichtet, die Schiffe im Hafen. Dazu waren die im Osten nach dem "Petritor" zu und im Westen vor der "Fischerbastion" gelegenen Schiffswerften mit im Bau begriffenen Segelschiffen stets voll besetzt. Die dem mecklenburgischen Seerecht eigenartige Gestaltung der Mitreederei, welche zahlreichen Reedern die Beteiligung mit zum Teil recht geringfügigen Anteilen an dem Schiffe ermöglichte, hatte es bewirkt, dass nicht nur die an der Schifffahrt unmittelbar beteiligten Rostocker Schiffsparte erwarben, sondern fast alle Kreise der Stadt. Jeder einzelne Reeder verblieb durch die ihm von dem „Korrespondentreeder“ regelmäßig vorgelegte „Korrespondenz“ des Schiffers in Verbindung mit dem Schiff. Dadurch musste jedes neugebaute große Schiff allgemeines Interesse erregen, und namentlich die Jugend machte sich die stets gern gestattete Besichtigung des Schiffes vor seiner ersten Ausfahrt zunutze. Mich zog der Hafen schon von wegen meiner Vorliebe für das Wasser besonders an. Wenn mein Rostocker Landsmann Adolf von Wilbrandt der „Schnickmannbrücke“ ein unverlöschliches Andenken bewahrt hat, so war die meinem Elternhause zunächst gelegene „Mönchenbrücke“ meine beste Freundin. Häufig bin ich ganz allein zu ihr geeilt. Sie lehrte mich auch das Schwindelgefühl überwinden. Dem Kopf der Brücke war an der Wasserseite ein zwei Bretter breites, auf beiden Seiten der Brücke einige Meter vorspringendes Bollwerk vorgelagert. Für schwindelige Naturen war das betreten der freien Arme dieses Bollwerks nicht unbedenklich. Mit Zagen habe ich den ersten Schritt darauf gesetzt. Bald vermochte ich jedoch sicher bis ans Ende zu gehen und dort ohne jedes unangenehme Gefühl auf einem Pfosten Platz zu nehmen. Natürlich mussten den Eltern diese Experimente einer Selbsterziehung verborgen gehalten werden.
Die ersten Lebenseindrücke wurden mir im väterlichen Hause in Rostock zu teil. Deutlich steht mir noch vor Augen die im dritten Stock des Vorderhauses gelegene Kinderstube mit dem Blick auf den Markt. Der Gesamteindruck des Marktes ist heute noch der gleiche wie in meiner Kinderzeit. Auf der Mitte des Marktes stand eine große, unlängst dem Verkehr geopferte „Wasserkunst“. Aber die Häuser mit ihren charakteristischen Formen sind bis heute die gleichen geblieben. Sie haben mit dem alten Rathaus und der das Marktbild beherrschenden Marienkirche ihre Eigenart behalten. Noch heute kann ich mich bei einem Besuch Rostocks diesem Eindruck nicht entziehen. Dann ist es mir, als wenn die alten Häuser mit ihren längst dahingegangenen Bewohnern wieder Leben gewönnen. Abgeschlossen wurde der Blick aus meinem Kinderzimmer durch ein Gebäude, das mir auf meine Frage als das „weiße Kolleg“ bezeichnet wurde, ohne dass ich aus dieser Antwort etwas zu machen musste. Von meinem Elternhaus sah man nämlich geradeaus durch die Blutstraße und Hopfenmarkt auf jenes alte Universitätsgebäude. Ich konnte deshalb auch bei dem 500jährigem Universitätsjubiläum 1919 die Frage einer Professorengattin nach der Dauer meiner Beziehung zu der Hochschule mit gutem Recht dahin beantworten, dass, wenn nach deutschem Recht die Rechtsfähigkeit eines Kindes damit beginnt, das es die Augen öffnet und den Giebel des Hauses beschreit, meine Rechtsfähigkeit mit dem Beschreien des Universitätsgebäudes begonnen habe.
Markt und Vaterhaus gehörten nach meiner Auffassung zusammen. Auf dem Markt habe ich mich getummelt, meine Reifen und Kreisel getrieben, mich auf Stelzen bewegt. Hier fuhr ich meine jüngsten Geschwister auf Kinderwagen und im Winter auf Schlitten umher, mit denen der stets freigebige Großvater Josephi uns zu Weihnachten erfreute. Rostock besaß damals weder Wasserleitung noch Kanalisation. Die Einwohner ließen das nicht mehr gebrauchte Wirtschaftswasser einfach auf die Straße laufen. Dadurch bildete sich bei Winterkälte am Rande des Bürgersteigs eine köstliche Eisbahn, auf der ich mich mit meinem Peekschlitten umhertrieb, wenn ich es nicht vorzog, bei guter Schlittenbahn mit ihm die abfallende Straße „Am Schilde“ hinunterzulaufen bis weit in die Mönchen- oder damals „Poststraße“ genannte Krämerstraße hinein. Immerhin war es ein riskantes Unternehmen. Nur zu leicht konnte man dabei einen angerempelten blinden Passagier auf den Schlitten bekommen, wie dies mein Landmann John Brinckman in seinem „Kasper Ohm“ so schön beschreibt. Nur zu leicht konnte man dabei auch einem der blaumontierten Stadtsoldaten in die Hände laufen und musste dann das Vergnügen auf Kosten der Sparbüchse mit einer Pön von 8 Schillingen (50 Pfennige) schmerzlich büßen.
Wir wären keine echten Rostocker gewesen, wenn wir uns nicht gern am Hafen, oder wie es hieß. „am Strande“ zu schaffen gemacht hätten. Dort spielte sich alljährlich der „Pfingstmarkt“ ab mit Zirkus, Karussell, Panoramen, Taschenspielern und anderen das Kinderherz erfreuenden Genüssen, unter denen die Braunschweiger Honigkuchen sowie das Magdeburger Schmalzgebäck eine besondere Note hatten. Indessen auch in der übrigen Zeit des Jahres zog uns das belebte und an Abwechslung reiche Hafenleben mächtig an. In meiner Jugend stand die Rostocker Reederei auf stolzer Höhe. An Zahl der Segelschiffe übertraf Rostock alle deutschen Hafenplätze. Musste doch bei der noch geringen Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen ein großer Teil der Getreideausfuhr Mecklenburgs seinen Weg über Rostocks Hafen nehmen. Im Herbst nach der Kornernte waren ganze Straßenzüge der Altstadt mit Landwagen gefüllt, die das in die Schiffe nach England zu verladende Getreide hergebracht hatten. Dicht gedrängt lagen dann, mit dem Bugspriet gegen das Bollwerk gerichtet, die Schiffe im Hafen. Dazu waren die im Osten nach dem "Petritor" zu und im Westen vor der "Fischerbastion" gelegenen Schiffswerften mit im Bau begriffenen Segelschiffen stets voll besetzt. Die dem mecklenburgischen Seerecht eigenartige Gestaltung der Mitreederei, welche zahlreichen Reedern die Beteiligung mit zum Teil recht geringfügigen Anteilen an dem Schiffe ermöglichte, hatte es bewirkt, dass nicht nur die an der Schifffahrt unmittelbar beteiligten Rostocker Schiffsparte erwarben, sondern fast alle Kreise der Stadt. Jeder einzelne Reeder verblieb durch die ihm von dem „Korrespondentreeder“ regelmäßig vorgelegte „Korrespondenz“ des Schiffers in Verbindung mit dem Schiff. Dadurch musste jedes neugebaute große Schiff allgemeines Interesse erregen, und namentlich die Jugend machte sich die stets gern gestattete Besichtigung des Schiffes vor seiner ersten Ausfahrt zunutze. Mich zog der Hafen schon von wegen meiner Vorliebe für das Wasser besonders an. Wenn mein Rostocker Landsmann Adolf von Wilbrandt der „Schnickmannbrücke“ ein unverlöschliches Andenken bewahrt hat, so war die meinem Elternhause zunächst gelegene „Mönchenbrücke“ meine beste Freundin. Häufig bin ich ganz allein zu ihr geeilt. Sie lehrte mich auch das Schwindelgefühl überwinden. Dem Kopf der Brücke war an der Wasserseite ein zwei Bretter breites, auf beiden Seiten der Brücke einige Meter vorspringendes Bollwerk vorgelagert. Für schwindelige Naturen war das betreten der freien Arme dieses Bollwerks nicht unbedenklich. Mit Zagen habe ich den ersten Schritt darauf gesetzt. Bald vermochte ich jedoch sicher bis ans Ende zu gehen und dort ohne jedes unangenehme Gefühl auf einem Pfosten Platz zu nehmen. Natürlich mussten den Eltern diese Experimente einer Selbsterziehung verborgen gehalten werden.
Rostock, Rathaus
Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße
Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche
Hansestadt Rostock - Stadtansicht
Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche
Rostock - Kröpeliner Tor
Rostock. 017 St. Marien-Kirche
Rostock. 013 Marienkirche, Giebel des südlichen Querschiffs
Rostock vor dem Steintor
Mecklenburger Gensdarmen
Warnemünde, Strom, Hafen und Leuchtturm