Abschnitt 1

Was den Inhalt dieser Zeilen bilden soll, führt uns hinein in eines der häßlichsten Kapitel der deutschen Geschichte. Am 9. Februar 1801 war der Friede von Luneville abgeschlossen, in dem Deutschland das linke Rheinufer verlor; der Talweg des Rheins sollte hinfort die Grenze bilden zwischen dem Deutschen Reich und der Französischen Republik. Das war an sich nichts wesentlich neues: durch den Luneviller Frieden gelangten nur die Bedingungen von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 und von Rastatt aus den Jahren 1797-1799 nach einem zweijährigen blutigen Kriege unbeschränkt und ohne Klausel zur Geltung. Neu aber war die Frage der nach dem 7. Artikel des Friedens vom Reich zu gewährenden Entschädigungen; der Vollzug dieses Artikels bedeutete die territoriale und politische Umgestaltung des Reiches. Da infolge der Abtretung - hieß es da - die das Reich der Französischen Republik gemacht hat, mehrere Fürsten und Stände ganz oder teilweise aus ihrem Besitz gesetzt sind, während es dem Deutschen Reich in seiner Gesamtheit zustehe die aus gegenwärtigem Vertrage sich ergebenden Verluste zu tragen, so ist der Kaiser in seinem und des Reiches Namen mit der Französischen Republik übereingekommen, daß im Einklang mit den auf dem Rastatter Kongreß förmlich aufgestellten Grundsätzen das Reich gehalten ist, den erblichen Fürsten, die ihren auf den linken Rheinufer gelegenen Besitz eingebüßt haben, eine Entschädigung im Schoße des Reichs zu gewähren.

Daß diese Entschädigungen nur durch umfassende Säkularisationen bewirkt werden konnten, lag klar zutage. Das Reich genehmigte den ohne seine Mitwirkung abgeschlossenen Luneviller Frieden, „die geistlichen Stände fanden nicht den Mut, ihrem eigenen Todesurteil zu widersprechen“. Einstweilen zwar blieb der Regensburger Reichstag den „schläfrigen Gewohnheiten seines gespenstischen Daseins“ treu, es verging fast das ganze Jahr 1801 mit Nichtstun. Dann setzten Österreich und Preußen die Bildung einer Reichsdeputation durch, aber nach Monaten waren die Beratungen dieses Ausschusses noch nicht eröffnet, „der zerrüttete Körper des heiligen Reichs fand nicht mehr die Kraft, mit eigenen Händen seinen letzten Willen aufzusetzen“. so fiel die Entscheidung über Deutschlands Zukunft unausbleiblich den fremden Siegern zu und es begann ein würdeloses Buhlen um die Gunst des Ersten Konsuls Bonaparte und seiner Kreaturen. „Die deutschen Fürsten, groß und klein, drängten sich an ihn heran, um durch seine Huld bei der bevorstehenden Länderverteilung möglichst vorteilhafte Spenden zu erlangen“; „das Gold der kleinen Höfe, das sie nie finden konnten, wenn das Reich sie zur Verteidigung des Vaterlandes aufrief“, floß nun in Strömen und füllte die unergründlichen Taschen der französischen Agenten oder die sich dafür ausgaben. „Was diese Herren peinigte, war nicht die Abtretung des linken Rheinufers, nicht der Zusammensturz der Reichsverfassung, sondern nur die Furcht, im allgemeinen Wettbewerb um die Gunst des großen Wohltäters zurückzubleiben.“ Bald ergab sich daß die rechtsrheinischen geistlichen Gebiete zur Befriedigung aller dieser begehrlichen Wünsche nicht ausreichten; der Deutsche Kaiser selbst sprach zuerst das verhängnisvolle Wort „Vernichtung der kleinen weltlichen Stände“ aus und man ward einig, auch den Reichsstädten den Garaus zu machen. Zum Schluß dieser großen Länderversteigerung und nachdem in Paris das Wesentliche geordnet war, schritten im August 1802 Rußland und Frankreich als Vermittler ein. Dieser Interventionsplan, eine schimpfliche Demütigung für Österreich und Preußen, die völlig in den Hintergrund gedrängt wurden, war von Petersburg ausgegangen. „Rußland war bei der Gebietsaufteilung in Deutschland in keiner Weise beteiligt, konnte auch nicht, wie die Republik, aus dem Luneviller Frieden einen Grund oder wenigstens einen Vorwand ableiten, sich in diese Handelsgeschäfte einzumischen, doch der Zar persönlich wollte als Gönner und Schutzherr eine Rolle spielen.“ Dazu war aber die Verbindung mit Frankreich unerläßlich. Bonaparte war für Alexanders Pläne leicht gewonnen; geschickt wußte er die Fäden so zu spinnen, daß hinfort bei diesem Geschäft er der eigentliche Macher war und dem Zaren nur eine scheinbare Mitwirkung blieb: sie bewirkte lediglich, daß einige dem Petersburger Hofe besonders nahestehende Fürstenhäuser wie Württemberg, Baden und Oldenburg - Alexanders Mutter war eine württembergische, seine Gemahlin eine badische Prinzessin und Oldenburg wurde von Rußland wie ein Familienbesitztum betrachtet 2) - bei der Länderverteilung bevorzugt wurden und daß es „im Winterpalast und in den Ministerwohnungen und Schreiberstuben in Petersburg zu ähnlichem Werben und Markten kam, wie vorher in Paris“. Die puissances médiatrices Rußland und Frankreich erklärten mit gutem Grunde, die Eifersüchteleien und die Interessengegensätze am Reichstage machten ihre Vermittelung notwendig; sie legten ihren Entschädigungsplan vor und erklärten, derselbe dürfe nicht mehr wesentlich geändert werden. Am 25. Februar 1803 kam dann der Reichsdeputationshauptschluß zustande, der am 24. März vom Reichstage genehmigt, vom Kaiser am 27. April ratifiziert wurde. „Er vernichtete 112 deutsche Staaten; von den geistlichen Ständen blieben nur 3, von den 49 Reichsstädten nur 6 übrig. Mehr als 2000 Geviertmeilen wurden unter die weltlichen Fürsten ausgeteilt. Preußen erhielt für seine linksrheinischen Verluste fünffachen Ersatz, Darmstadt ward achtfach, Baden fast zehnfach entschädigt. Auch einige fremdländische Fürstenhäuser nahmen ihr Teil aus dem großen Raube; so Toscana und Modena, die Vettern Österreichs, so Nassau-Oranien, der Schützling Preußens.“ „Wenige unter den großen Staatsumwälzungen der neueren Geschichte“ - so urteilt Heinrich v. Treitschke, dem wir auch im vorstehenden gefolgt sind - „erscheinen so häßlich, so gemein und niedrig wie diese Fürstenrevolution von 1803. Und doch war der Umsturz eine große Notwendigkeit; er begrub nur was tot war, er zerstörte nur, was die Geschichte dreier Jahrhunderte gerichtet hatte.“


Das ist der Hintergrund, auf dem sich das abspielt, mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben.

An der tollen Jagd der deutschen Fürsten in Paris nach Land- und Gelderwerb hatte sich Herzog Friedrich Franz nicht beteiligt. Halb erstaunt, halb vorwurfsvoll hatte der hessen-casselsche Minister Waitz von Eschen den mecklenburgischen Oberhofmeister v. Lützow bei einer Begegnung in Cassel gefragt, warum denn sein Hof nicht auch einen Gesandten nach Paris geschickt habe. Das hatte der Herzog verschmäht. Er verließ sich auf sein - freilich von Frankreich bestrittenes - Recht und erhoffte im übrigen - wir werden sehen, mit welchem Erfolge - alles von der Unterstützung durch Rußland. Denn auch er war nicht frei von Begehrlichkeit, und zu der Zeit, da die deutschen Fürsten rechts und links um ihn, in Süd und Nord, sich weite Gebiete aneigneten, da hat auch er - wer wollte ihm das verdenken oder es nicht wenigstens entschuldbar findend - Ansprüche erhoben, Forderungen geltend gemacht und sich mit großen Hoffnungen getragen, ohne indessen schließlich einen nennenswerten Gewinn zu erringen.




2) Kaiser Paul, Sohn des Herzogs Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorp (als russischer Kaiser Peter III.), folgte 1762 seinem Vater als Herzog, überlies aber seinen Anteil an Holstein-Gottorp 1773 dem König Christian VII. von Dänemark gegen Abtretung der Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst und übergab diese Länder an Friedrich August aus der jüngeren oder bischöflich-lübeckischen Linie des Hauses Holstein. Oldenburg und Delmenhorst wurden 1774 von Kaiser Joseph II. zu einem Herzogtum erhoben

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Kurwürde