Abschnitt 2

Zu den durch den Frieden von Luneville Geschädigten gehörte auch Mecklenburg, denn es hatte die beiden Kanonikate des Hochstifts Straßburg verloren, die ihm im Westfälischen Frieden nebst einigen anderen Dingen als Ersatz für Wismar, Poel und Neukloster zugesprochen waren. Dafür wollte der Herzog entschädigt werden; in welcher Höhe aber diese Entschädigung zu gewähren sei, worin sie zu bestehen habe und wo sie gesucht werden könne, das alles festzustellen war Sache der Reichsfriedensdeputation beim Reichstage in Regensburg. Die Stelle des mecklenburgischen Komitialgesandten hatte zuletzt, bis 1800, einstweilen der Komitialgesandte für Sachsen-Gotha und Altenburg Freiherr von Gemmingen mit bekleidet; seitdem war sie unbesetzt, die Geschäfte führte der Sekretär Hofrat Gumpelzhaimer. Nun aber schien es dringend geboten, einen neuen Komitialgesandten zu ernennen, und das wurde Leopold Hartwig v. Plessen, ein hervorragender Diplomat, für diesen Posten um so mehr geeignet, als er schon zu Anfang der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts in Regensburg gelebt hatte, um am Reichstagssitze sich praktisch auszubilden. Im Sommer 1802 trat Plessen seinen Dienst in Regensburg an, der hohe Anforderungen an seine Geschicklichkeit stellte. Es war nicht bloß die Entschädigungsfrage in allen ihren Phasen, die ihn beschäftigte, sondern gleichzeitig spielte auch die geplante Erhebung des Hauses Mecklenburg-Schwerin zur Kurwürde.

Die Verfassung des Kurkollegiums mußte durch die Abtretung des linken Rheinufers notwendig Abänderungen erleiden, denn an diesem Rheinufer saßen die drei geistlichen Kurfürsten von Cöln, Mainz und Trier. Nach dem französisch-russischen Entschädigungsplan sollte hinfort nur noch ein geistlicher Kurfürst sein, nämlich der Kurfürst von Mainz, der Kurfürst-Reichs-Erzkanzler; dagegen sollten drei neue weltliche Kurfürsten geschaffen werden, nämlich Baden, Württemberg und Hessen-Cassel. Nachträglich wurde auch dem Großherzog von Toscana die Kurwürde (als Kurfürst von Salzburg) versprochen und der Kaiser von Rußland tat Schritte, dieselbe Erhöhung für Mecklenburg-Schwerin zu bewirken.


Die Kurwürde scheint seit längerer Zeit zu den stillen Wünschen des Hauses Mecklenburg gehört zu haben. Denn als im Jahre 1774 der Prinz Friedrich Franz um die Prinzessin Luise von Hessen-Darmstadt warb, von deren Schwestern die eine an den Kronprinzen, späteren König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, die andere an den Großfürsten, späteren Kaiser Paul von Rußland vermählt war, betonte das Ministerium dem Herzog Friedrich gegenüber: ein Prinz von Mecklenburg könne sich schwerlich besser verbinden, als wenn der Kaiser von Rußland und der König von Preußen seine Schwäger wären, denn alsdann dürfe man vielleicht wegen dereinstiger Gelangung zur Kurwürde für das herzogliche Haus fast unbesorgt sein. In der Zeit nun, die uns hier beschäftigt, erscheinen - wenigstens anfänglich - die Verhandlungen wegen der Kurwürde beim Herzog eng verquickt und untrennbar verbunden mit dem Streben nach territorialer Vergrößerung und Erhöhung der Einkünfte.

Die erste Nachricht über die Absicht, dem Hause Mecklenburg-Schwerin die Kurwürde zu verschaffen, finden wir in einem Bericht des mecklenburgischen Gesandten in Berlin, des Oberhofmeisters v. Lützow. Am 26. Februar 1801 meldete er nach Schwerin: tags zuvor nach der königlichen Tafel habe der russische Gesandte Baron v. Krüdener ihm gesagt, daß bei den bevorstehenden großen Veränderungen im Deutschen Reich „unter andern einige neue Kurfürsten aus dem Tiegel herauskommen würden, wie Württemberg und Hessen-Cassel“, und habe seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß das herzogliche Haus, das doch eines der ältesten sei, nicht auch die Kurwürde nachsuche. Lützow möge das doch mit dem gerade in Berlin anwesenden Erbprinzen Friedrich Ludwig besprechen; wenn der

Erbprinz ihm ein Wort darüber sage, so werde Krüdener seinen Bericht an den Kaiser so machen, daß dieser seine tatkräftige Unterstützung gewähre und dann könne die Sache nicht fehlschlagen; dann würden an die Stelle der sicherlich in Wegfall kommenden drei geistlichen Kurfürsten eben drei neue treten und die Zahl der Mitglieder des Kurkollegiums die gleiche bleiben.

Lützow hatte geantwortet, daß der Herzog sich zu diesen Veränderungen nicht dränge; die Kurwürde Sei „onereux und kostbar“ und seines Wissens nie zur Frage gekommen. Krüdener aber hatte gemeint, man solle diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, die sich vielleicht nie wieder bieten werde. Am Abend hatte Lützow dann Krüdener aufgesucht und ihn gefragt, ob er diesen Vorschlag etwa im Auftrage des Kaisers gemacht habe. Das hatte Krüdener in Abrede gestellt, aber gemeint, ihm scheine die Sache so leicht, so natürlich, daß er nicht habe unterlassen können, mit Lützow darüber zu reden. Lützow schreibt dann weiter, daß er selbstverständlich dem Erbprinzen kein Wort davon gesagt habe und den Befehl erwarte, was er Krüdener antworten solle. Sei der Herzog geneigt, der Anregung weitere Folge zu geben, so werde es wohl am vorteilhaftesten sein, daß der Antrag dazu von Rußland ausgehe; man müsse Krüdener ersuchen, das zu sondieren, ohne geradezu darauf anzutragen, denn Rußlands müsse man natürlich sicher sein, ehe man einen Schritt tue. Wolle aber der Herzog die Sache ganz fallen lassen, so erbitte er eine Antwort mit der Post, „daß man in den bewußten Antrag nicht zu entrieren gedächte.“ Zu diesem Lützowschen Bericht hat dann der Geheimratspräsident Graf Bassewitz die Bemerkung hinzugefügt: „Dem Referenten ist auf Serenissimi Befehl geantwortet, daß: so schmeichelhaft auch die Erhebung Serenissimo seyn würde, so wenig wären die Kräfte des Hauses dazu geeignet; könnte eine Vergrößerung zugleich bewirkt werden, so würden Serenissimus dieses Glück dem Kaiser nie genug verdanken können. Dabey ist an Hand gegeben, das Lauenburgische dazu in Vorschlag zu bringen, worauf Serenissimus ohnhin Anspruch hätte 5), wenn anders die Veränderung mit den Hannoverschen Landen vor sich gehen sollte 6), allemahl aber wo möglich durch russische Vermittelung zu bewirken, daß der Theil von Lauenburg dießeits der Elbe dem herzoglichen Hause zu Theil würde.“

Auf Grund dieser Antwort hatte dann am 6. März Lützow, wie er am 8. berichtete, eine Konferenz mit Krüdener, der zugestand: er habe „für sich“ an den Grafen Rostoptschin, den russischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, geschrieben, „ob die jetzigen Konjunkturen nicht eine günstige Gelegenheit böten, dem Hause Mecklenburg-Schwerin die Kurwürde zu verschaffen“. Da Lützow sich überzeugt hielt, daß Krüdener es nicht unternehmen würde, einen derartigen Vorschlag zu machen, ohne von höherer Stelle dazu autorisiert zu sein, so hielt er es für das Beste, ihm die ganze Sache vorzutragen, und erbat die Erlaubnis, Krüdener „mit den darüber obwaltenden Ideen seines Hofes durch ein Brouillon eines Memoires bekannt zu machen“ und einen ostensibelen Brief an Krüdener beizulegen. In diesem Briefe nun hatte Lützow die Sache so dargestellt, als gehe der Vorschlag von Krüdener aus. Damit aber war dieser nicht einverstandene vielmehr müsse der Herzog als derjenige erscheinen, der die Initiative ergriffen habe, und so verständigten sich die beiden Diplomaten über den Wortlaut einer Denkschrift, deren Konzept Lützow, „da er es nicht wage, in einer Angelegenheit von dieser äußersten Wichtigkeit irgend etwas auf seine Responsabilität zu nehmen“, nach Schwerin sandte.




5) Kraft einer 1431 abgeschlossenen und 1519 wiederholten Erbverbrüderung zwischen Mecklenburg und Lauenburg. Derartige Erbverbrüderungen hatten aber die Herzöge von Sachsen-Lauenburg auch mit anderen Fürstenhäusern abgeschlossen: so z. B. 1369 mit Braunschweig, 1507 zugunsten der albertinischen Linie des Hauses Wettin, 1671 mit dem Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen. Kein Wunder daher, daß, als am 29. September 1689 mit Herzog Julius Franz das askanische Haus in Sachsen-Lauenburg erlosch, mehrere Prätendenten auftraten. Der Kurfürst von Sachsen nahm Sofort die Huldigung der lauenburgischen Behörden entgegen, Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig besetzte Ratzeburg. Kursachsens Ansprüche wurden schließlich von Braunschweig für eine Million Taler erworben und 1702 ward Georg Wilhelm von Ritter- und Landschaft als Herr von Lauenburg anerkannt. Nach Georg Wilhelms Tode 1705 fiel Lauenburg an dessen Neffen Georg I., Kurfürsten von Hannover und späteren König von England
6) Um jene Zeit drohten Frankreich und Rußland, um England zu verwunden, Hannover zu besetzen und die Schließung der deutschen Häfen zu erzwingen. Das vereitelte Preußen, indem es 1801 in Hannover einrückte und es bis zum Frieden von Amiens zwischen England und Frankreich (27. März 1802) besetzt hielt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg und die Kurwürde