Chingachgook

Lange Jahre waren seit jenen Ereignissen vergangen, bei deren Schilderung wir unsern jungen Lesern zum letztenmal von den Taten des großen Delawarenhäuptlings Chingachgook berichten konnten. Schon damals war der einst so mächtige Stamm desselben im Aussterben begriffen, seither hatten Zeit, Not und Krankheit das Vernichtungswerk vollendet und der einzige Überlebende des Volkes der Mohikaner, Chingachgook oder „Die Große Schlange“, trat jetzt in das Gemach des Richters Marmaduke Temple. Lange zuvor schon hatte er sich den weißen Männern zugesellt, vornehmlich in den Kriegen derselben; dann hatte er sich zum Christentum bekehren und auf den Namen John taufen lassen. Seit einigen Monaten wohnte er als hochwillkommener Gast in der Hütte seines alten Jugendfreundes und Kriegsgefährten Lederstrumpf, und so war er auch in dem Templeschen Hause bekannt geworden.

Bei seinem Eintritt ließ er die Wolldecke, die seinen sonst nackten Oberkörper verhüllte, über den Gürtel seiner aus ungegerbtem Hirschleder gefertigten Beinkleider hinabgleiten. Auf seiner hochgewölbten, mit Narben übersäten Brust trug er eine silberne Medaille mit dem Bildnis George Washingtons. Auf dem Haupte des siebzigjährigen Häuptlings prangte keine Adlerfeder mehr, auch forderte keine Skalplocke das Messer des Feindes mehr heraus; lang und schlicht umhing das rabenschwarze Haar ihm Stirn, Wangen und Hals – die Große Schlange folgte nur noch ab und zu der Fährte des Wildes, die Mingos schreckte ihr Zischen nicht mehr.


Würdevoll und hoch aufgerichtet schritt er auf den jungen Jäger zu, den sein funkelndes Auge sogleich erspäht hatte.

Stumm richtete er den Blick zuerst auf die Verwundung desselben und dann auf das Gesicht des Richters. Der letztere aber streckte ihm freundschaftlich die Hand entgegen.

„Sei mir willkommen, John,“ sagte er. „Dieser Jüngling hat eine hohe Meinung von deiner Geschicklichkeit und will sich lieber von dir als von unserm Doktor Todd seine Blessur verbinden lassen.“

Es sei hier eingeschaltet, daß Marmaduke Temple zur Sekte der Quäker gehörte und sich rühmte, direkt von dem berühmten William Penn abzustammen. Den Anschauungen dieser Sekte widerspricht es, Kriegsdienste zu tun, überhaupt Menschenblut zu vergießen. Unter den Indianern führte Penn den Namen Miquon.

„Die Kinder Miquons mögen kein Blut sehen,“ antwortete der alte Häuptling in ziemlich gutem Englisch, aber langsam und eintönig, „und doch ist der junge Adler verletzt worden von der Hand, die nichts Böses tun sollte.“

„Aber Mohikan! Alter John!“ rief der Richter ganz entsetzt. „Glaubst du wirklich, daß meine Hand jemals mit Wissen und Willen Menschenblut vergossen hat?“

„Der böse Geist wohnt zuweilen in dem besten Herzen,“ versetzte John Mohikan, denn diesen Namen führte Chingachgook in der Ansiedlung, „aber mein Bruder redet die Wahrheit, das lese ich aus seinem Angesicht. Er hat nie die Waffen gegen einen Menschen gekehrt, selbst nicht, als der große englische Vater das Wasser der Flüsse mit dem Blute seiner Kinder rot färben ließ.“

„Erinnere dich, John,“ nahm der Pastor hier ernst das Wort, „erinnere dich des Wortes unsers Heilandes: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Welchen Grund sollte Richter Temple dafür haben, diesen Jüngling zu verletzen, der ihm ganz unbekannt ist und von dem er weder etwas zu hoffen noch zu fürchten hat?“

Der Indianer lauschte den Worten des geistlichen Herrn mit großem Respekt, dann streckte er den Arm aus und rief mit Nachdruck:

„Er ist unschuldig; mein Bruder hat nichts Böses getan!“

Damit drückte er kräftig des Richters dargebotene Hand und machte sich dann mit der Wunde des jungen Jägers zu schaffen. Seine Medikamente hatte er in einem kleinen Körbchen mitgebracht. Dieselben bestanden aus zerstampfter Baumrinde, die mit einem Kräutersaft angefeuchtet worden war. Mit Hilfe der von der Haushälterin bereitgehaltenen Leinwand war der Verband bald angelegt.

Der junge Jäger brachte seine Kleider wieder in Ordnung, dann wendete er sich zu seinem Gastfreund, dem Hausherrn.

„Ich habe nun keine Veranlassung mehr,“ sagte er, „die Zeit und Geduld der Herren noch länger in Anspruch zu nehmen. Nur eins ist noch zu erledigen, Richter Temple, und das ist die Frage, wem der Hirsch von Rechts wegen zusteht.“

„Der Hirsch ist Euer,“ antwortete Marmaduke, „und ich schulde Euch noch viel mehr als dieses Stück Wild. Besucht mich morgen wieder, ich möchte noch manches mit Euch besprechen. Elizabeth,“ – die junge Dame war inzwischen wieder hereingekommen – „sorge dafür, daß der junge Mann bewirtet wird und daß Aggy (Abkürzung von Agamemnon) den Schlitten bereit hält, ihn zu seinem Freunde zu fahren.“

„Ohne wenigstens einen Teil des Wildbrets aber kann ich Euer Haus nicht verlassen,“ entgegnete der Jüngling. „Ich sagte Euch bereits, daß ich dasselbe notwendig gebrauche.“

„O, deswegen wollen wir nicht feilschen,“ fiel Richard Jones ein. „Der Richter bezahlt Euch morgen den ganzen Hirschbock und – heda, Remarkable, gebt dem Jungen das Wildbret, ausgenommen den Rücken – Ihr seht, Ihr könnt zufrieden sein und von Glück sagen; Ihr seid angeschossen worden, ohne daß es Euch geschadet, und hernach verbunden, ohne daß es Euch was gekostet hat; dazu habt Ihr den Hirsch zu einem anständigen Preise verkauft und könnt obendrein das meiste davon für Euch behalten, auch das Fell, das ich Euch morgen außerdem noch für einen halben Dollar abkaufen will. Ich brauche es für den Diwan, den ich für Base Bessy in Arbeit habe.“

„Ihr seid sehr freundlich,“ antwortete der junge Mann, „aber gerade den Hirschrücken muß ich für mich selber haben.“

„Muß!“ rief Richard. „Muß ist eine harte Nuß und schwerer zu verschlucken, als das ganze Hirschgeweih!“

„Ja, muß!“ wiederholte der Jäger mit erhobenem Kopfe, stolz und kalt; da aber traf sein Blick auf den Elizabeths, und in sanfterem Tone fuhr er fort: „das heißt, wenn ein Mann ein Recht an dem Tiere hat, das er mit eigener Hand erlegte, und wenn das Gesetz ihn in diesem Rechte schützt.“

„Das tut das Gesetz,“ sagte Richter Temple, ein wenig verstimmt. „Benjamin, laß den ganzen Hirsch auf den Schlitten werfen und dann diesen jungen Mann zu Lederstrumpfs Hütte fahren. Aber Ihr habt einen Namen, Freund; nennt ihn mir und vergeßt nicht, morgen wieder vorzusprechen.“

„Ich heiße Edwards, Oliver Edwards,“ antwortete der Jäger. „Ich bin leicht zu finden, denn ich verberge mich nicht, da ich keinem Menschen ein Unrecht getan habe.“

„Wir aber haben Euch ein Unrecht zugefügt,“ versetzte Elizabeth, „und es würde meinem Vater schmerzen, wenn Ihr seinem freundlichen Entgegenkommen nicht entsprechen wolltet. Wir erwarten Euch morgen mit Bestimmtheit.“

„So will ich denn morgen kommen,“ sagte der junge Mann niedergeschlagenen Blickes. „Auch den Schlitten nehme ich dankbar an, aber ich bitte mich zu entschuldigen, wenn ich eine Bewirtung ausschlage. Meine Zeit ist zu kurz.“

Noch einmal ließ er seine dunklen Augen in dem großen Gemach umherschweifen, dann verneigte er sich vor dem jungen Mädchen und ihrem Vater und ging, von dem Indianer gefolgt, schnellen Schrittes zur Tür hinaus.

Marmaduke schaute ihm kopfschüttelnd nach. „Merkwürdig,“ sagte er, „ein noch so junger Mensch und schon so viel Verbitterung und Schroffheit im Wesen. Mag sein, daß seine Wunde ihn sehr schmerzt. Hoffentlich zeigt er sich morgen umgänglicher.“

Richard aber stampfte sporenklirrend auf den Fußboden.

„Du bist dein eigener Herr, Duke,“ rief er, „ich an deiner Stelle aber hätte den Hirschrücken nicht so ohne weiteres herausgegeben! Was? Gehören diese Berge und diese Täler nicht dir? Bist du nicht der Besitzer aller dieser Waldungen? Wie kommt der Junge, ja, und wie kommt auch der Lederstrumpf dazu, ohne deine Erlaubnis ganz nach Belieben auf deinem Gebiete zu jagen? Ich habe in Pennsylvania einen Farmer gekannt, der einen jagenden Sportsmann mit Hurra von seinem Grundstück trieb. Wenn der Besitzer von hundert Morgen hierzu das Recht hat, welche Gewalt mußt du dann haben, der du sechzigtausend Morgen dein Eigentum nennst! Wenn man dem alten John Mohikan ein bißchen Jagd gestattet, so will ich dagegen nichts sagen, denn der ist ein Eingeborener und außerdem nur noch ein kümmerlicher Schütze. Aber die andern? Wenn ich du wäre, dann ließe ich gleich morgen früh überall Zettel ankleben, worauf zu lesen, daß nicht nur das Schießen in meinen Waldungen, sondern auch das bloße Betreten derselben bei Strafe verboten ist. Höre, Duke, soll ich dir gleich den Text zu den Zetteln entwerfen? Das ist für mich eine Kleinigkeit.“

„Richard,“ bemerkte hier der Major Hartmann, die Asche aus seinem Pfeifenkopf in den Spucknapf schüttend, „ich habe fünfundsiebzig Jahre am Mohawk und in den Wäldern gelebt und sage Euch, laßt Euch lieber mit dem Teufel ein als mit den Jägern. Die leben von ihrer Büchse, und so eine Büchse ist unter Umständen auch wirksamer als alle Verordnungen und Gesetze.“

„Was?“ fuhr Richard auf. „Wenn Gesetze nicht wirksam sein sollen, wozu ist denn dann ein Richter da? Zum Kuckuck mit dem Kerl! Ich habe nicht übel Lust, selber die Sache gegen ihn in die Hand zu nehmen! Vor seiner Büchse fürchte ich mich nicht, denn schießen kann ich auch. Einen Dollar treffe ich auf fünfzig Schritt noch allemal!“

„Sachte, Vetter Dick,“ lächelte der Richter, „bis jetzt hast du mehr Dollars gefehlt als getroffen. Aber nun laßt uns zu Tische gehen, ihr Herren. Fritz Hartmann, alter Freund, ich darf dich wohl bitten, meine Tochter zu führen.“

„Soll mir eine besondere Ehre und Freude sein,“ schmunzelte der Alte, und Miß Elizabeth den Arm reichend, schritt er den andern voran in das anstoßende Zimmer, wo Remarkable und Benjamin eine reich gedeckte Tafel bereitet hatten.

Major Hartmann war der Abkömmling einer Familie, die vor langer Zeit von den Ufern des Rheins nach denen des Mohawk ausgewandert war. Den Majorsrang hatte er im Kriege der Amerikaner gegen die Engländer erworben. Er war ein wohlhabender Mann; viermal im Jahre verließ er seinen Wohnsitz am Mohawk und reiste dreißig Meilen weit durch das Gebirge bis nach Templeton, um hier eine Woche im Hause seines Freundes Marmaduke Temple in Heiterkeit und Frohsinn zuzubringen. Er war ein ehrlicher, treuherziger, allgemein beliebter Kamerad, sogar Remarkable Pettibone hatte ihn in ihr altjungferliches Herz geschlossen. Gegenwärtig hatte er sich eingefunden, um das Weihnachtsfest bei dem gastfreien Freunde zu verleben.

Den Weihnachtsabend brachte man nicht nur in dem Hause des Richters, sondern in ganz Templeton nach englischer Sitte mit Schmausen und Trinken hin; ersteres besorgte man daheim, letzteres aber hauptsächlich in dem einzigen Wirtshause des Ortes, der Taverne „Zum kühnen Dragoner“.

Am Morgen des Weihnachtstages unternahm Elizabeth in Begleitung ihres Verwandten, Richard Jones, einen Gang durch die Niederlassung, um zu sehen, wie dieselbe sich während ihrer langen Abwesenheit entwickelt hatte. Sie hatte ihren Arm in den seinen gelegt und schritt mit ihm tapfer durch den Schnee. Die Luft war über Nacht mild geworden und versprach ein baldiges Tauwetter.

Unweit des Hauses begegneten sie dem schwarzen Kutscher Agamemnon.

„Holla, Aggy!“ rief Dick Jones lustig. „Fröhliche Weihnachten! Da, Aggy, du schwarzer Hund, da ist ein Dollar für dich! Und nun gib acht, wann die Herren im Hause aufstehen! Geschieht dies vor meiner Rückkunft, dann meldest du mir das, damit mir keiner mit seiner Weihnachtsgratulation zuvorkommt, hörst du?“

Der Neger nickte grinsend, nahm den Dollar aus dem Schnee auf, ließ ihn mit knipsendem Finger zwanzig Fuß hoch in die Luft schnellen, um ihn in der flachen Hand wieder aufzufangen; dann rannte er in die Küche, um hier sein Glück zu verkünden. Dick aber ging mit seinem Bäschen zufrieden weiter; nach englischer Weihnachtssitte sucht jeder der erste mit dem Festgruß zu sein, bei Elizabeth war ihm dies bereits gelungen, und nun hoffte er, mit Aggys Hilfe, es auch Marmaduke und den andern Herren zuvorzutun. Während des Ganges zog Elizabeth ein briefähnliches Paket hervor und reichte es ihrem Begleiter.

„Was soll das, Bessy?“ fragte dieser erstaunt.

„Das soll dir eine Freude machen, Dick. Es ist des Vaters Weihnachtsgeschenk für dich. Eine Ernennung, soviel ich weiß.“

„Eine Ernennung?“ wiederholte der kleine Mann mit glitzernden Augen.

„Ja, und eine solche, die dir nicht nur Ehre, sondern auch fährlich eine bestimmte Summe einbringt.“

„Ah! Laß mich sehen!“ Er öffnete das Paket, das ein Dokument enthielt. „Ein Bestallungsdekret!“ rief er. „Richard Jones, Esquire ... zum Sheriff der Grafschaft ernannt . . . Zum Sheriff, ich! Das muß ich sagen, Bessy, einen besseren Mann konnte dein Vater für diesen Posten nicht finden! Ja, ja, Marmaduke kennt mich. Aber ich danke ihm von Herzen, von ganzem Herzen,“ – er wischte sich mit seinem Rockzipfel die Augen – „er soll sehen, daß er sein Vertrauen einem geschenkt hat, der es zu würdigen weiß. Gleich heute Nachmittag werde ich mich hinsetzen und einen Plan ausarbeiten, Bessy. Die Grafschaft muß in Bezirke geteilt werden und für jeden Bezirk muß ich einen Vertreter ernennen. Benjamin würde einen ganz tüchtigen Gerichtsbeamten abgeben, so neben seiner jetzigen Stellung, meine ich.“

„Warum nicht, Mr. Sheriff?“ lächelte das junge Mädchen. „Er weiß mit Tauen und Stricken umzugehen, so daß er vielleicht als Scharfrichter zu verwenden wäre. Aber lassen wir das jetzt, Dick. Du wolltest mir ja die Neubauten und Verbesserungen in dieser sogenannten Stadt zeigen.“

„Nun, da hast du gleich eine neue Straße vor dir.“

„Wo denn? Ich sehe keine, du müßtest denn diesen Durchhau durch das Fichtengehölz eine Straße nennen. Ihr beabsichtigt doch nicht, in solchem Dickicht Häuser zu bauen?“

„Das verstehst du nicht, Bäschen. Wir legen hier die Straßen nach dem Kompaß an, ohne Rücksicht auf Bäume, Berge, Sümpfe und sonst dergleichen. Das übrige überlassen wir denen, die nach uns kommen. Das nennt man Kolonisation. Aber da höre ich Stimmen hinter jenem Buschwerk. Laß uns näher gehen, als Sheriff muß ich jetzt meine Augen und Ohren überall haben.“

Sie waren auf ihrem Gange zu einer Fläche außerhalb der Ortschaft gelangt, die bereits vor Jahren abgeholzt worden war, auf der jedoch schon wieder junger Nachwuchs emporschoß und stellenweise dichte Gesträuche bildete. Auf einer kleinen Lichtung innerhalb eines solchen standen Lederstrumpf, der Delawarenhäuptling und der junge Jäger in ernstem, eifrigem Gespräch.

„Laß uns zurückbleiben,“ flüsterte Elizabeth ihrem Gefährten zu, „wir haben kein Recht, uns in die Privatangelegenheiten dieser Männer zu drängen.“

„Kein Recht?“ entgegnete Richard auffahrend. „Du vergißt, Base, daß ich als Sheriff verpflichtet bin, über die Sicherheit des Landes zu wachen und den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Diesen Waldläufern ist nicht zu trauen, sage ich dir.“

Damit nahm er des Mädchens Arm fester unter den seinen und zog sie mit sich. Bald waren sie den Dreien so nahe gekommen, daß sie jedes Wort verstehen konnten.

„Den Vogel müssen wir kriegen,“ sagte Natty. „Den Shilling zum Einsatz habe ich noch, sonst aber keinen Heller mehr, da ich alles übrige Geld heute früh dem französischen Kaufmann für Pulver bezahlte. Wie ich höre, will Billy Kirby auch um den Truthahn schießen. Die Kugel des Häuptlings ist noch sicher genug, meine alte Hand aber beginnt schon zu zittern, wenn es einmal etwas außergewöhnliches gilt. Als ich in diesem Herbst die Bärin und ihre Jungen schoß, da genügte freilich noch eine Kugel für jedes Tier, und dabei mußte ich noch dazu beim Laden von Baum zu Baum springen, die Bestien waren so wild und verhungert; solch ein Schießen nach dem Truthahn aber ist ein ganz ander Ding, Oliver, mein Junge, ein ganz ander Ding.“

Der Angeredete wies einen Shilling in seiner Hand. „Da,“ rief er bitter, „das ist alles, was ich besitze, das und meine Büchse! Jetzt bin ich in Wahrheit ein Waldläufer geworden, ein Mensch, der verkommt, wenn er kein Wildbret erlegt. Setzen wir unser Letztes auf den Vogel, Natty. Ein Schütze wie du muß den Preis davontragen.“

„Mir wäre es lieber, John täte den Schuß,“ antwortete Lederstrumpf. „Wenn mein Herz bewegt ist, dann habe ich kein sicheres Ziel mehr. Solch ein Indianer aber schießt immer gleich, da er keine innere Erregung kennt. Da, John, nimm den Shilling und meine Büchse, den alten ‚Killdeer‘, und schieße uns den Puthahn, den sie drüben an den Baumstamm gebunden haben. Oliver möchte ihn gern haben, ich aber fehle sicher, da ich weiß, daß ihm soviel daran gelegen ist.“

Der Indianer, der bisher mit gesenktem Haupte gestanden hatte, blickte auf und schüttelte sich die langen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Als John noch jung war,“ antwortete er, „da fehlte seine Kugel so wenig wie der Blick seines Auges. Die Weiber der Mingos schrieen bei dem Knall seiner Büchse, die Mingokrieger aber wurden zu Weibern. Wann schoß er je zweimal? Wenn der Adler den Wigwam Chingachgooks erblickte, dann floh er über die Wolken davon; die Weiber hatten von seinen Federn im Überfluß. Aber seht her,“ – er erhob seine beiden Hände – „seht, sie zittern wie die Hirschkuh, wenn sie den Wolf heulen hört. Ist John alt? Wann wurde je ein Mohikaner mit siebzig Wintern zum Weibe? Niemals! Ich aber bin alt geworden durch das Feuerwasser der weißen Männer!“

„Warum trinkst du das Feuerwasser, alter Mann? Mußtest du denn mit den andern Narren in den ‚Kühnen Dragoner‘ gehen?“ rief Oliver Edwards. „Mußt du, von Natur so hoch und edel, dem Teufel den Gefallen tun und dich zum Tier erniedrigen?“

„Ist John ein Tier?“ versetzte der Indianer langsam. „Ja, du sprichst keine Lüge, Sohn des Feueressers! John ist ein Tier. Einst rauchten nur wenige Feuer in diesen Bergen. Das Wild kam und leckte die Hand des weißen Mannes und die Vögel setzten sich auf seinen Kopf. Meine Väter kamen von den Gestaden des salzigen Wassers. Sie flohen vor dem Feuerwasser der Yen–geese. Sie kamen zu ihrem Großvater und lebten in Frieden; wenn sie das Kriegsbeil erhoben, so geschah dies, um es in die Schädel der Mingos zu schlagen. Sie setzten sich zum Ratsfeuer, und was man beschloß, das geschah. Damals war John ein Mann. Aber die Krieger und die Händler mit den hellen Augen folgten ihnen bald. Einer brachte das lange Messer, der andere brachte Feuerwasser. Sie wurden zahlreicher als die Fichten auf den Bergen; sie verlöschten die Ratsfeuer der roten Männer und bemächtigten sich des Landes. In ihren Flaschen und Fässern saß der böse Geist, sie ließen ihn los. Ja, ja – du redest keine Lüge, junger Adler; John ist ein Tier.“

„Vergib mir, alter Krieger,“ rief jetzt der Jüngling, des Indianers Hand ergreifend. „Vergib mir, ich am allerwenigsten dürfte dir Vorwürfe machen! Des Himmels Fluch auf die schnöde Gier und Habsucht, die solch eine herrliche Rasse vernichten konnte! Erinnere dich, John, daß ich zu deiner Familie gehöre, was jetzt mein größter Stolz ist!“

Das Antlitz des Mohikaners verlor ein wenig von seinem finstern Ausdruck, als er antwortete:

„Du bist ein Delaware, mein Sohn. Ich habe deine Worte nicht gehört. John kann nicht schießen.“

„Ich dachte mir gleich, daß der Bursche indianisches Blut in sich hat,“ flüsterte Richard seiner Base zu. „Trotzdem soll der arme Kerl zwei Schüsse nach dem Puthahn haben, wenn er will; das Geld kriegt er von mir. Sie haben drüben, hinter dem Gehölz, mit den Weihnachtsbelustigungen angefangen, wie du an dem Lärm und Gelächter hören kannst; dort ist auch der Puthahn angebunden.“

„Nicht doch, Vetter Dick,“ entgegnete Elizabeth, ihn zurückhaltend, „du kannst doch unmöglich dem Gentleman einen Shilling anbieten!“

„Da bist du schon wieder mit deinem Gentleman! Denkst du, solch ein Halbblut wird ein Geldgeschenk ausschlagen? Da kennst du die Sorte schlecht! Der nimmt Geld, und Schnaps obendrein, wenn er auch so hochtönend auf den Teufelstrank schilt. Seinen zweiten Schuß aber soll er haben, denn der Billy Kirby ist einer der besten Schützen weit und breit.“

„Dann will ich aber zuerst mit ihm reden,“ sagte Elizabeth. Damit drängte sie Richard zurück und trat auf die Lichtung hinaus. Ihr Erscheinen erschreckte den jungen Mann; er machte eine Bewegung, als wolle er sich entfernen, dann aber besann er sich, nahm grüßend seine Kappe ab und blieb, auf die Büchse gestützt, stehen. Natty und der Mohikaner aber zeigten nicht die geringste Überraschung.

„Wie ich erfahre,“ begann das junge Mädchen, „ist das Puthahnschießen zur Weihnachtszeit hier noch immer im Gebrauch. Ich möchte mein Glück dabei versuchen. Wer von Euch will meinen Einsatz nehmen und seine Büchse in meinen Dienst stellen?“

„Ist das ein Sport für Damen?“ entgegnete Oliver Edwards in seiner schroffen Weise.

„Warum nicht?“ versetzte Elizabeth. „Liegt Grausamkeit darin, so trifft der Vorwurf nicht mein Geschlecht allein. Ich bat ja auch nicht Euch um die Gefälligkeit; dieser alte Veteran des Waldes“ – hier wendete sie sich zu Lederstrumpf – „wird nicht so ungalant sein, mir einen Schuß zu verweigern.“

Lederstrumpf nahm das dargebotene Geld und steckte es in die Tasche; darauf schüttete er frisches Pulver auf die Pfanne, warf die Büchse über die Schulter und sagte mit seinem unhörbaren Lachen:

„Wenn Billy Kirby mir nicht den Vogel zuvor wegschießt und wenn des Franzmanns Pulver nicht an diesem feuchten Morgen versagt, dann sollt Ihr in wenigen Minuten einen Puthahn haben, wie er fetter noch nie in des Richters Küche am Spieß stak. Die holländischen Weiber am Mohawk kommen gern zu solchem Vogelschießen, du hättest also nicht so abweisend gegen die Miß sein sollen, Oliver. Kommt, wir müssen uns eilen, sonst haben wir das Nachsehen.“

„Ich habe aber vor dir den Schuß, Natty, vergiß das nicht,“ bemerkte der junge Jäger. „Entschuldigt, Miß Temple, wenn ich ungalant erscheine, aber mir liegt besonders viel an dem Truthahn, und ich muß daher auf meinem Recht bestehen.“

„Tut, was Ihr müßt,“ erwiderte Elizabeth. „Mich aber verlangt auch nach dem Preis, und Lederstrumpf ist mein Ritter. Mein Glück hängt von seinem sichern Auge ab. Vorwärts also, zur Wahlstatt.“

Der alte Jäger erwiderte das Lächeln des Mädchens und ging dann mit langen Schritten über den Schnee, dem Orte zu, von woher das fröhliche Getümmel immer lauter erscholl. John Mohikan und Oliver Edwards folgten ihm, Elizabeth aber wurde durch einen Wink Richards noch zurückgehalten.

„Ich finde es nicht ganz passend, Base Bessy,“ sagte der angehende Sheriff, „daß du einem Fremden diese Gunst zuwendest, noch dazu dem Lederstrumpf. Es kann dies auch kaum dein Ernst sein, denn wenn dich nach einem Truthahn gelüstet, so habe ich gegenwärtig fünfzig Stück solcher Vögel daheim im Stalle, einer immer fetter als der andere, und alle zu deiner Verfügung. Ich mache Mästungsversuche, wie du weißt –“

„Laß mir meinen Willen, Vetter Dick,“ unterbrach ihn die junge Dame. „Ich freue mich, einen so berühmten Schützen wie Lederstrumpf gewonnen zu haben.“

„Hast du von dem großen Schuß gehört, Base, den ich auf den Wolf tat, der deines Vaters Schaf fortschleppen wollte?“ sagte Richard, sich in die Brust werfend. ?Er hatte sich das Schaf bereits auf den Rücken geworfen, und wenn er den Kopf nach der andern Seite gehalten hätte, dann hätte ich ihn unfehlbar erlegt; so aber –“

„Schossest du das Schaf tot. Ich kenne die Geschichte, mein lieber Vetter. Übrigens glaube ich nicht, daß es sich für den Sheriff von Templeton schickt, an solchen Volksbelustigungen teilzunehmen.“

„Selber schießen wollte ich ja auch nicht,“ versetzte Mr. Jones. „Doch komm, laß uns die Sache mit ansehen. Du hast von unserer Bevölkerung nichts zu befürchten, am allerwenigsten, wenn du dich unter meinem Schutz befindest.“

„Meines Vaters Tochter fürchtet sich vor nichts,“ entgegnete Elizabeth, das Köpfchen aufwerfend. Damit nahm sie aufs neue ihres Begleiters Arm und ließ sich von ihm nach dem Platze führen, wo die jungen Männer der Ansiedlung sich zu dem üblichen weihnachtlichen Wettschießen eingefunden hatten. Natty und seine Gefährten waren schon vorher daselbst angelangt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lederstrumpf oder Die Ansiedler am Otsego-See