Sechstes Kapitel

Wehe euch Schriftgelehrten, die ihr das Himmelreich zuschließet vor den Menschen. Ihr kommt nicht hinein und die hinein wollen lasset ihr nicht hinein gehen.
          Matth. 23, 13

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Keiner war über Prätorius Abgang erfreuter als Musculus. Er befand sich eben in Berlin, als sein Gegner die Residenz verließ, hatte bei Hofe eine gute Aufnahme gefunden und vom Churfürst ein Geschenk von tausend Gulden erhalten. Das mochte wohl den Prätorius vorzüglich bestimmt haben, seine Stelle in Frankfurt aufzugeben. Musculus aber rühmte sich nun laut, den Sieg über den „landflüchtigen Mietling“ davon getragen zu haben. Da er sich in der Gunst des Landesherrn fest und sicher glaubte, wollte er nun allen Anhängern seines Gegners seinen Zorn fühlen lassen. Zu diesen gehörten zwei Geistliche im städtischen Ministerium M. Peter Fusius und M. Gregorius, die auch nur wie Prätorius auf gewisse Jahre angenommen waren. Musculus verlangte vom Magistrat ihre Entlassung, weil sie eine falsche und irrige Lehre vortrügen und ihm als Pfarrer das Recht zustehe, die Geistlichen zu berufen und über die reine evangelische Lehre in der Kirche zu wachen. Der Magistrat erwiderte, er werde die Kapläne, gelehrte und fromme Männer, nicht entlassen, denn ihre Lehre sei recht und gründlich; die Obrigkeit müsse Recht und Gerechtigkeit handhaben und dürfe keinen ungehört verstoßen.

Am nächsten Sonntage sagte der Pfarrer der Gemeinde in der Predigt: „Jeder von euch weiß, wie ich Gottes Wort allezeit rein und lauter gepredigt und die Leute zum heiligen Sakrament gebracht, so dass kein Zweifel ist, es sei unter uns die rechte Kirche Gottes. Wie aber der Teufel dieser Kirche oft und vielmals zugesetzt und was ich darüber ausgestanden, ist jedem männiglich bekannt. Dieweil denn der Teufel wiederum anhebt, Rotten und Sekten zu erregen und die Kirche zu zerstören gedenkt und selbst diejenigen von der Kirche abfallen, die sie sollten erhalten helfen, so müsst ihr Gott fleißig bitten, dass er sich wolle seine Kirche befohlen sein lassen und ihr die Lehrer erhalten, denen es ein rechter Ernst ist, allem bösen Vorhaben mit Nachdruck zu steuern und zu wehren.“ Folgenden Tages erschienen die beiden Kapläne, Fusius und Gregorius, auf dem Rathaus und baten um Schutz gegen die mutwilligen Angriffe des Pfarrers. Die Zuhörer hätten es Wohl erkannt, dass der Ausfall in der gestrigen Predigt sich auf sie beziehe, und so möchte ihnen wenigstens gestattet werden, sich vor der Gemeinde rechtfertigen und ihren verdächtig gemachten Glauben verteidigen zu dürfen. Der Magistrat riet davon ab, mit der Erklärung, sie hätten ja gehört, wie er dem Magistrat eben so viel gegeben; sie würden aber nichts daraus machen, das Wesen müsse doch bald ein Ende nehmen.

Aber das Wesen wurde leider immer noch schlimmer. Musculus erklärte die beiden nur zeitweise angestellten Kapläne wegen ihrer irrigen Lehren für abgesetzt, untersagte ihnen die Predigt und Verwaltung der Sakramente und stellte den Gottesdienst in der Klosterkirche bis zur Anstellung anderer Geistlichen ein. Diese hierarchische Gewalttat empörte alle Gemüter um so mehr, da sie nicht aus rechtem Glaubenseifer, sondern aus Privatrache hervorgegangen zu sein schien. Der Magistrat wandte sich an den Churfürst, der sich damals wegen der Wahl Maximilians II. zum römischen König auf dem Reichstag zu Frankfurt befand, und bat ihn dringend, dem Pfarrer zu befehlen, bis zu seiner Heimkehr in kirchlichen Angelegenheiten nichts zu ändern. Er habe zwei würdige Geistliche eigenmächtig vom Amte entfernt, den Gottesdienst in der unteren Kirche eingestellt, seinen Schwager Joachim Belo, vormals Kaplan an der Klosterkirche, bei der Oberkirche angestellt und einen obskuren Magister Koppe aus Franken, der in Görlitz seines Amtes entsetzt worden, nach Frankfurt berufen, den Magistrat auf der Kanzel injurirt, geschmähet, gelästert, für lose Leute, Sakramentierer und Gottesverächter gescholten, „die wir uns doch, Gott Lob, von Jugend auf aller Ehrbarkeit und Gottesfurcht beflissen, auch allein unsern höchsten Trost auf Gottes Wort und Sakrament gesetzt, dabei uns auch Gott bis an unser Ende erhalten wird.“ Dabei trotzt und pocht er auf die große Gnade des Churfürsten und droht uns „bei Ew. Churf. Gn. in ein solch Bad zu bringen, dass wir schwitzen sollen. Wir möchten uns nur aufs Ärgste gefasst machen; er wolle uns bei Ew. Churf. Gn. so viel zu schaffen machen, dass wir die Hände überm Kopf zusammen schlagen sollten. In dem, was er reden und nicht reden solle, ließe er sich von keinem Churfürsten, Rektor, Doktor oder Rat gebieten oder verbieten. Was nun deshalb von uns und den Herren an der Universität auch geredet und geordnet wird, da ist keine Besserung. Wir mögens deshalb Gott befehlen und ein Vaterunser beten, bis es unser lieber Gott einmal anders schickt.“

Der Rat sandte dies unterm 13. August 1562 ausgefertigte Schreiben an den Kanzler Diestelmeyer und bat um dringende Fürsprache beim Churfürsten und um Beibehaltung der beiden Kirchendiener, „die sich je und allerwege bei uns beides in der Lehre und im Wandel unsträflich verhalten, nun ganz unschuldig ohne Urteil und Recht durch Musculus schleunigst geurlaubt sind. In der Gemeinde und bei der Universität sei die Aufregung groß und das Schlimmste zu befürchten.“ Früher schon, unterm 1. August hatte sich die Universität an den Churfürst gewendet und um endliche Ausgleichung der streitigen Punkte gebeten, „weil der Kampf immer heftiger und bedenklicher werde und leicht den Ruin der Universität herbeiführen könnte. Bisher wäre der Streit im Gebiete der Akademie geführt, nun aber sei er auch ins Volk gedrungen und habe dort hitzig Blut gemacht, so dass Aufruhr und Empörung zu besorgen sei, besonders seit dem gewaltsamen Schritt, den Musculus mit der Amtsentsetzung zweier geachteter, unbescholtener Kirchendiener getan habe, bloß weil sie in der streitigen Proposition mit ihm nicht einig sind. Und das ist plötzlich de facto et sine ulla cognitione causae ex proprio affectu geschehen. Er behauptet, dazu einen Befehl vom Churfürsten erhalten zu haben, was bezweifelt werden muss, weil er nichts Schriftliches darüber aufweisen kann. Zur endlichen Entscheidung der Streitigkeiten wolle der gnädige Churfürst eine Landessynode ausschreiben und dazu die gelehrtesten Theologen der Mark, auch gelehrte und verständige Theologen des Auslandes einladen, und was diese dann entscheiden und feststellen würden, sollte von beiden Parteien angenommen werden. Bis dahin möge Churf. Gnaden den Musculus mit Ernst und Strenge zur Ruhe verweisen“ 1).

Mit welcher Leidenschaftlichkeit der Parteihass auch in die bürgerlichen Kreise eingedrungen war, zeigt folgender Vorfall. Ein Bürger, Wolfgang Weißgeber, hatte mit anderen Gästen, auch Musculus Schwager, Joachim Belo, zu einem Abendschmaus eingeladen. Das Gespräch kam bald auf den Gegenstand, der die ganze Stadt beschäftigte. Belo schmähte gewaltig auf Prätorius und belegte ihn mit den ärgsten Schimpfworten. Andreas Neudecker, ein angesehener Bürger, verwies ihm diese harten Reden und nahm Prätorius in Schutz. Da nannte ihn Belo einen Schelm und Bösewicht. Neudecker warf dem Injurianten das Buch, das er in Händen hatte, an den Kopf und dieser erwiderte den freundlichen Gruß durch den Krug, den er mit seinem Inhalt dem Gegner ins Gesicht warf und hinzufügte: „Alle, die es mit Gottschalk halten, sind Schelme und Bösewichte“ — und damit stürzte er zur Tür hinaus. Ähnliche Auftritte sollen öfter vorgekommen sein 2).

Die Bürgerschaft war der bösen Händel satt und müde. Die Altmeister von den Zünften kamen im Namen der Gewerke und der ganzen Stadt auf dem Rathause zusammen und baten den Magistrat, er möge eine Deputation an den Pastor schicken und ihn auffordern, sein Schelten und Lästern auf der Kanzel einzustellen und an die Belehrung und Erbauung der Leute ernstlicher zu denken. Wenn er predigen wolle, so möge ers doch mit Bescheidenheit tun, wie einem rechtschaffenen und frommen Seelsorger gebühre, oder er sollte gar stille schweigen. Die Bürgerschaft wäre des Heruntermachens, damit er auch sie nicht verschonte, müde, und dass er vorgäbe, als ob ihm nachgestellt würde, so sei dies seine eigene Einbildung; zu dem, was geschieht, gäbe er selbst Veranlassung. Wenn er sich nicht ändere, könnten sie ihn für ihren Pastor fürder nicht anerkennen 3).

Musculus hatte sich auch an den Churfürsten gewandt und sich wegen der Remotion der Kapläne zu rechtfertigen gesucht. Er müsse nach dem von Gott und seinem gnädigen Herrn ihm anvertrauten, von ihm beschwornen Beruf für die reine Lehre und den unverfälschten Glauben im Lande sorgen und dürfe nicht zugeben, dass die Seelen durch Irrlehren verführt, dem Teufel in die Hände liefen. Der Magistrat versagte dem heiligen Sakrament bei der Elevation die schuldige Verehrung und bleibe, wenn es der Gemeinde gezeigt werde, in ihren Stühlen sitzen. Prätorius hatte in einer eben erschienenen Schrift die orthodoxe Lehre vom Sakrament des Altars vorgetragen 4).

Mit scharfen Waffen bekämpft Prätorius die abweichenden Lehren der Papisten, des Zwingli, Oekulampadius, Carlstad, der Sakramentarier, Spiritualisten und Mystiker und weiset die Übereinstimmung Luthers und Melanchthons in diesem Glaubensartikel nach. Wie aber Musculus schon früher Prätorius Rechtgläubigkeit in diesem Glaubenspunkt angezweifelt hatte, so wusste er auch viel an diesem Buche zu mäkeln und seinen Gegner beim Churfürsten zu verdächtigen, besonders wegen seiner Rechtfertigung Melanchthons in einem Artikel, in dem jener immer geschwankt und subtilisiert habe. Der Churfürst, der seine Ehre in seiner Rechtgläubigkeit suchte und diese bei seinem General-Superintendenten gefunden zu haben glaubte, scheint doch, trotz der harten Anklagen, gegen ihn sehr milde verfahren zu sein. Die Kapläne wurden nicht wieder eingesetzt, der Gottesdienst in der Unterkirche blieb eingestellt und der Magistrat erhielt folgendes unterm 23. November 1562 zu Frankfurt a. M. ausgefertigtes landesherrliche Reskript: „Joachim von Gottes Gnaden u. s. w. Unsern Gruß zuvor. Lieben Getreuen. Wir haben euer Schreiben gelesen und daraus, dass D. Musculus euch dermaßen auf dem Predigtstuhl mit Worten beschweren soll, nicht gern vernommen. Er tut auch dasselbe aus unserm Befehl nicht. Es ist aber an euch unser gnädigstes Begehren, ihr wollet die Sache in Ruhe stellen und dafür sein, dass unseres Abwesens sich bei euch keine Unruhe oder Weiterungen zutragen, inmaßen wir D. Musculus gleichergestalt befohlen, sich in seinen Predigten aller beschwerlichen Aussetzungen und Reden zu enthalten und zu unserer Wiederheimkunft, welche sich nunmehr mit göttlicher Verleihung nicht lange verziehen soll, weiter gebürlich Einsehen zu tun bedacht sein. Wir wollen euch aber auch nicht verhalten, dass uns glaublich angelangt, ob ihr wohl vor dieser Zeit in der Kirche zu Frankfurt rund um den hohen Altar viel seiner Stühle erbauet, darin während der Communion eurer viele gestanden, dass ihr doch seit der Zeit, da wir aus sonderlichen Ursachen, und darmit wir mit einer öffentlichen und in den alten Kirchen gebräuchlichen Zeremonie bezeugten, dass wir wider der Sakramentierer Schwärmerei in unsern Landen die rechte Lehre von der wahrhaften Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes Jesu Christi im Sakrament des Altars zu erhalten, gänzlich gemeint wären, die Hostien und den Kelch gegen das Volk zu zeigen, Befehl getan, in denselben Stühlen nicht gestanden, sondern dieselben gänzlich verlassen haben sollt, welches uns nicht unbillig zu allerhand Nachdenken gereichet. Vermahnen euch darum, wollet euch wohl fürsehen, dass ihr nicht mehr mit der Tat zu Sakramentierern werdet, denn dass ihr auf dem Predigtstuhl dafür ausgeschrieen. Wollen uns aber desselbigen zu euch nicht versehen, und sind euch mit Gnaden geneigt. Datum Frankfurt am Meyen, Sonntags nach Elisabeth Anno 1562.“

Joachim II. hatte in der Märkischen Kirchenordnung die Elevation des geweihten Brotes und Kelches angeordnet. Mehre Theologen, namentlich der Propst Buchholtzer, hatten sich dagegen erklärt als gegen eine Adolatrie der katholischen Messe. Musculus hatte zur Promotion der beiden Cölestine zum Doktorat der Theologie mehre Thesen über das Sakrament des Altars drucken lassen. ... Der akademische Senat verhinderte die Disputation, weil er in dieser Proposition die Herausforderung zu neuen Kämpfen fürchtete. Es war eben ein vom Churfürst eigenhändig unterzeichnetes Mandat vom 30. Januar 1562 eingegangen, worin es heißt: „Es gelangt glaubwürdig an uns, dass die Sachen und das unnötige Gezanke und Disputation zwischen unserm Pfarrherrn und Magister Godeschalk Prätorius mit gedrückten und beschwerlichen Anzögerungen (Anzüglichkeiten) auf der Kanzel und in den Schulen je länger je mehr zunehmen, daraus denn von den Studenten auch allerhand Lästerung und Schmähschriften erfolgen sollen, also dass die Sachen zu anderen Weitläufigkeiten endlich gereichen möchten. Wenn uns denn solchem zuzusehen als dem Landesfürsten unleidlich, so ist an euch unser ernster Befehl, wollet die Sachen, damit Ruhe und Einigkeit allerseits erhalten werde, in gute Acht haben und gegen die Verbrecher, auf Anzeige des Rektors zu jeder Zeit mit Ernst, unangesehen einiger Freiheit, verfahren, und sonsten gegen die Anstifter des Unfriedens euch dergestalt verhalten, damit die Sachen nicht zu mehren Weitläuftigkeiten gereichen mögen. Daran vollbringt ihr unsre zuverlässige Meinung und sind euch sonst in Gnaden geneigt.“

Weil nun die projektierte Disputation unzweifelhaft zu heftigen Debatten zwischen den streitenden Parteien geführt haben würde, so musste die Disputation unterbleiben und die beiden Cölestini wurden ohne die üblichen gelehrten Zwiegespräche zu Doktoren der Theologie kreiert. Musculus benutzte diesen Vorfall zur Verdächtigung der Universität, als wenn sie das hochheilige Sakrament gering achtete und die Elevation nicht wolle aufkommen lassen. Natürlich müsste auch hier Prätorius der Sündenbock sein. In Beziehung auf das fernere Schicksal dieses Ehrenmannes müssen wir in der Zeit etwas zurückgehen.

Der Churfürst, dem der Flor seiner Universität am Herzen lag, suchte ihr den gelehrten, allgemein geachteten Mann zu erhalten. Seinetwegen waren viele Studenten nach Frankfurt gekommen und seine Vorlesungen waren die besuchtesten. Er erließ deshalb einen Befehl an den Magistrat, aus Prätorius Hause durchaus nichts entfernen, auch dessen Frau und Familie von Frankfurt nicht abreisen zu lassen, und sandte den M. Paul Prätorius, geheimen Rat beim Erzbischof Sigismund von Magdeburg, und den Dr. Thomas Matthias, Churfürstl. geheimen Rat, nach Wittenberg, um den Flüchtling zur Rückkehr nach Berlin zu vermögen, was er auch versprach, wenn er von seiner Krankheit genesen sein würde. Die Landschaft reichte beim Churfürst eine Vorstellung mit der dringenden Bitte ein, den hochgeehrten Mann, der dem Staate wie der Universität durch seine Gelehrsamkeit und seine Versendung an auswärtige Höfe so wichtige Dienste geleistet, nicht zu entlassen; sie wolle seine Besoldung selbst übernehmen und für ein stattliches Stipendium sorgen. Die größte Bewegung aber entstand in Frankfurt unter den Studenten. Sie versammelten sich am 27. Februar in der Aula und beschlossen eine Deputation an den Churfürst zu senden, und um die Erhaltung des geliebten Lehrers dringend zu bitten. Drei Magister und fünf Studenten wurden abgeordnet, um dem Landesherrn das Memorial zu überreichen, was ihnen auch durch Vermittelung des Kanzlers gelang. Sie beklagten sich, dass sie schon seit sieben Wochen die lehrreichen Vorträge ihres teuren Lehrers entbehren müssten und dass sie, wenn sie ihn ganz verlieren sollten, die Universität verlassen würden 5).

In einer bogenlangen Erwiderung bezeugt der Churfürst den Studenten sein Wohlgefallen über ihren Eifer im Lernen und über ihre Anhänglichkeit an den vortrefflichen Lehrer, den er immer in hohen Ehren gehalten und stattlich besoldet habe; es sei nicht seine Schuld, dass der vornehme und gelehrte Mann die Schule eine Zeit lang verlassen habe und er werde alles tun, um ihn derselben zu erhalten. „Woher sich aber dasselbe zugetragen, wollen Se. Churfürstl. Gn. den Studiosis, damit sie dessen wahrhaften Bericht haben mögen, gnädiglich vermelden“. Und nun wird der ganze Streit zwischen Musculus und Prätorius auseinander gefetzt und hinzugefügt: „Und wollen Se. Chursürstl. Gn. alsdann allen gnädigen Fleiß anwenden, dass mit göttlicher Verleihung weiter Zank und widerwärtige Schriften in den Schulen zu Frankfurt abgeschafft und die Studiosi ihrer Studien ruhig und friedlich warten mögen“. Von einer Ungnade gegen Prätorius wisse der Churfürst nichts; er habe ihn im Gegenteil gnädiglich schreiben und nach Berlin entbieten und ermahnen lassen, sich in sein Amt und Beruf wieder einzustellen 6). Man sieht aus diesem Schreiben, welchen Wert der Churfürst auf die Stimme der akademischen Jugend legte und mit welcher Achtung er sie behandelte. Nach den argen Invectiven, die sie sich gegen Musculus erlaubt hatten, hätte er wohl in einem ganz andern Ton mit ihnen reden sollen.

Prätorius war am 20. März in Berlin angekommen und hatte sich sofort in die Schloss- und Domkirche begeben. Der Churfürst hatte ihn bemerkt und ließ ihm sagen, er habe ihn mit Wohlgefallen gesehen, aber auch gehört, dass er noch sehr schwach sei, er möge sich in aller Weise schonen und die Hilfe seines Leibarztes annehmen. Am 25. März meldete er dem Churfürsten seine Ankunft und beklagte sich zugleich bitter über das, was in seiner Abwesenheit zu Frankfurt vorgefallen. Man habe weder sein Weib, noch seinen Diener, den er zu seiner Pflege in der Krankheit so schmerzlich vermisst habe, zu ihm reisen lassen. Diese Maßregel könne unmöglich von seinem gnädigen Herrn ausgegangen sein; er erkenne darin den Hass seiner Feinde, namentlich des Musculus und der Professoren Lindner, Zach und Rademann. Der Churfürst entbot den immer noch kränkelnden Prätorius zu sich, versicherte ihn seiner vollen Gnade und entschuldigte die in Frankfurt getroffenen Maßregeln mit dem dringenden Wunsche, den hochgeachteten Gelehrten an seine Hochschule, für deren Flor er alles zu tun entschlossen sei, zu fesseln. Prätorius benutzte das Stillleben, wozu ihn seine Leibesschwäche nötigte, zu literarischen Arbeiten. Er schrieb ein Buch de vera agnitionr Deiund den zweiten Teil der Widerlegung der Musculischen Schrift ..., machte daraus dem Churfürsten mehre Mitteilungen und erhielt dessen völlige Beistimmung. Der Kanzler Diestelmeyer, der geheime Rat Matthias, Eustach von Schlieben, Buchholtzer und der Erzbischof von Magdeburg, Markgraf Sigismund, standen auf Prätorius Seite und es war stark die Rede von Musculus Versetzung.

Um mit diesem ein ernstes Wort zu reden, entbot der Churfürst denselben nach Berlin. Als er aber von der für ihn höchst ungünstigen Konstellation am dortigen Himmel hörte, entschuldigte er sein Ausbleiben mit eingetretener Leibesschwäche, sandte jedoch seinen Sachwalter Zochius in die Residenz, um eine Aussöhnung mit Prätorius einzuleiten. Dieser fand jedoch eine so üble Aufnahme, dass er beim geh. Rat Matthias seine Entlassung nachsuchte, die er ihm auch sofort zusicherte. Musculus meinte, es sei nun auch für ihn die Zeit gekommen, wo er seinem mächtigen Gegner das Feld räumen müsse. Er nahm deshalb eine Aufforderung des Herzogs von Mecklenburg zu einer Professur der Theologie an der Universität zu. Rostock an. Als die theologische Fakultät davon Kenntnis erhielt, schrieb sie an den Herzog und mahnte ihn dringend von seinem Vorhaben ab. Musculus sei als ein zank- und streitsüchtiger Mann, der seine irrigen Lehren hartnäckig verteidige, bekannt; sie würden lieber ihre Stellen niederlegen, als mit ihm an einer Hochschule zusammen leben. Namentlich erklärte sich David Chyträus, seit 1551 Professor der Theologie zu Rostock, sehr nachdrücklich gegen Musculus Berufung, die der Herzog auch alsbald aufgab. Die dortigen Theologen schrieben unterm 13. April an Prätorius und ermahnten ihn, in seiner Lehre beständig zu bleiben und von derselben kein Haar abzuweichen, sie würden ihn, wenn es nötig werde, mit Wort und Schrift treulich unterstützen. Prätorius zeigte dieses Schreiben dem Churfürst, der ihm zur Antwort gab: er möge sich beruhigen, könnten sie beide zusammen bei der Universität nicht in Frieden leben, so wolle er ihn in Berlin bei sich behalten, wo er ihn dann zu allerlei Geschäften brauchen werde, worauf Prätorius erwiderte: er sei von Gott berufen, der Schule und Kirche zu dienen, dabei wolle er auch treulich beharren und wenn seines Bleibens in Frankfurt nicht sei, so müsse er um seinen Abschied bitten 7).

Um Prätorius der Universität zu erhalten, schlug man dem Churfürsten vor, Musculus nach Brandenburg zu versetzen. Es wurde auch deshalb beim dortigen Magistrat angefragt, erhielt aber die Antwort: man danke Gott von Herzen, endlich eine von aller Ketzerei gereinigte Kirche zu haben und begehre keinen Friedensstörer, die Bürger würden jetzt recht wohl unterrichtet. Welche Vorschläge auch dem Churfürsten gemacht wurden, er ging auf keinen ein; er wollte Beide dem Lande und der Universität erhalten. Mit Prätorius hatte der Churfürst oft stundenlange Unterredungen über theologische Gegenstände, bei denen es oft sehr hitzig herging, besonders wenn Agricola zugegen war und auf Melanchthon schmähte, den Prätorius mit Nachdruck in Schutz nahm, worüber der Churfürst sich immer unwillig zeigte.

In Frankfurt hatte die Nachricht, Prätorius werde zu seinem Lehrstuhl zurückkehren, große Freude verbreitet. Die Studenten durchzogen jubelnd die Stadt, warfen dem Vitus Bach die Fenster ein und turbierten die Anhänger des Pfarrers. Dem M. Belo hefteten sie bei einer Disputation einen Fuchsschwanz an den Kragen, den Vitus Bach, der bei derselben zu spät kam und sich durch den Haufen der Studenten drängen wollte, zogen sie an den Haaren zurück und die von Musculus ausgehängten Thesen bewarfen sie mit Schmutz. Dagegen erschienen Lobgedichte auf Prätorius und seine Wohnung wurde bekränzt. M. Jacob Colerus begrüßte ihn mit einer langen lateinischen Elegie.

Dagegen erschienen viele Spottgedichte und Schmähschriften auf Musculus, Agricola und deren Anhänger in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache, ein Beweis, wie sehr diese Sache alle Gemüter bewegte und mit welcher Leidenschaftlichkeit die Parteien sich gegenüber standen. Wir teilen einige derselben als Beläge für den Geist und Geschmack jener Zeit hier mit:
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lebensgeschichte des Andreas Musculus (1514-1581)