Der Ladoga-Kanal. Münnich

Was ihm aber vorzüglich am Herzen lag, war die Sorge, seiner neuen Stadt eine sichere Zufuhr aus dem Innern des Reiches zu verschaffen, und sie so zur vornehmsten Stapel-Stadt des Russischen Handels zu machen.

Die meisten Waren, die fernher vom Kaspischen Meere aus Persien, Astrakan und Kasan heran geführt wurden, Korn, Salz, Schiffbauholz u. s. f. kamen auf dem großen Wolchow-Flusse, welcher sich etwa hundert Werste höher, als die Newa , mit dem Ladoga-See vereint. Um also auf der Wolchow in die Newa zu gelangen, mussten die Schiffenden eine lange Fahrt über den See machen, eine Fahrt, welche durch eine vorragende Erdzunge, die umschiffet werden mußte, verlängert wurde. Aber gefahrvoll war zugleich diese Fahrt. Der See ist voll Triebsandes, welcher durch die heftigen Sturmwinde hin und her getrieben wird, und die Küsten seicht macht. Die weite Oberfläche des Sees ist allen Winden ausgesetzt, und die Wellen schlagen mit kurzer Brechung. Für die, aus den sichern Flüssen und kleinen Seen kommenden platten Russischen Fahrzeuge, war also, zumal bei der Unkunde der Russischen Schiffer, diese Fahrt äußerst gefährlich. Schon mehrere tausend Fahrzeuge waren durch des Ladoga Wellen verschlungen. Die Gefahr schreckte die Handelsleute von der Zufuhr ab, und so fehlte es der Stadt mitunter an Brodkorn. Lange sann man auf ein Mittel, dem großen Übel abzuhelfen, und nur ein einziges ward zureichend gefunden: die Ziehung eines Kanals, welcher die Wolchow mit der Newa vereine, mithin den Schiffenden die Fahrt über den trügerischen See erspare.


Aber welch ein Unternehmen, einen Kanal von vierzehn Deutschen Meilen Länge zugraben! Petern schreckte die Schwierigkeit nicht. Schon im Jahre 1719, ehe ihm noch durch den Nystädter Frieden seine Eroberungen gesichert waren, begann er das ungeheure Werk. Es war am 2. März solchen Jahres, da er die Arbeit durch öffentliche Gebete weihte, dann zuerst einen Schubkarren mit Erde füllte, und ihn dahin führte, wo der Damm des Kanals sich erheben sollte. Der General-Major Gregorius Pisarew, der auf Kosten des Kaisers zu Berlin die Mathematik studiert hatte, erhielt auf Menschikows Empfehlung die, Aufsicht. Einige zwanzig tausend Arbeiter, meist. Kosaken und Kalmuken, wurden angestellt, und keine zu Förderung des Werkes dienende Kosten geschont.

Als der Kaiser von seinem Persischen Zuge nach Moskau zurück kam, war eine seiner ersten Fragen, wie es um den Ladogaischen Kanal stehen Er vernahm, dass vom Ladoga an erst zwölf Werste vollendet seien. Dies vermehrte seinen Unwillen gegen Pisarew, mit dem er schon sonst unzufriedeu zu sein Ursache hatte. Er beschloss, die Leitung des Werkes einem andern aufzutragen, und es war der General Lieutenant von Münnich, welcher den ehrenvollen Auftrag erhielt.

Dem Russischen Minister am Hofe zu Warschau, Fürsten Dolghoruki, verdankte Peter den Gewinn, diesen trefflichen Deutschen*) in seinen Dienste bekommen zu haben. Münnich hatte unter Prinz Eugen die Kriegskunst erlernt, hatte sich in Hessischen Diensten als Ingenieur ausgezeichnet, hatte darauf in Polen die Kron- Garde neu gebilden. Es war kurz vor dem Nystädter Frieden, da Münnich als Russischer General- Ingenieur auf den großen Schau-Platz trat, wo er eine glänzende Rolle zu spielen bestimmt war. **) Ein neuere Plan zu dem Hafen von Rogerwik, und die durch Schleusen erleichterte Fahrt vom Ladoga-See in die Ostsee, zeugten schon von des Fremden großem Talent, und verbürgten Petern den Erfolg des wichtigern Werkes, das er jetzt ihm auftrug.

*) Zu Neuen-Huntorf bei Oldenburg im Herzogtum dieses Namens 1683 geboren.

**) Anmerkung 24.

Eine der Haupt- Einwendungen gegen die volle Ausführbarkeit des begonnenen neuen Kanals bestand darin, dass die kleinen Flüsse Nasia, Lawa und Kabona, die sich in den Kanal ergießen, zu viel Sand mit sich führten, und also bald den Kanal zuschlammen würden. Diese Bedenklichkeit ward nun Münnich vorgelegt, und es erging die Frage an ihn, ,,ob er dennoch das Unternehmen für ausführbar halte?“ ,,Die Flüsse und alle Gewässer durch Schleusen so zu leiten, dass der Sand nicht in den Kanal komme, das übernehme ich,“ antwortete Münnich. ,,Aber um über die Ausführbarkeit des Ganzen zu urteilen, dazu bedarf es einer nähern Untersuchung.“ Diese Untersuchung anzustellen, ging dann Münnich, auf des Kaisers Befehl sofort nach dam Ladoga ab. Eine Haupt-Beobachtung, welche er bei dieser seiner Untersuchung machte, war, dass das Wasser des Sees, ohne Rücksicht auf Regenzeit und Dürre, aus unbekannten Ursachen oft um drei Fuß steige und falle indess das Wasser der, in den See sich ergießenden Flüsse die gewöhnliche Höhe behalte.

Als Münnich dem Kaiser diese Beobachtung berichtete, entstanden unter den Ingenieurs über die beste Einrichtung des Kanals verschiedene Meinungen, die der Kaiser durch eine niedergesetzte Kommission vergebens zu vereinen suchte. Denn nachdem man den Boden, welchen der Kanal durchschneiden sollte, dreimal, mit unglaublicher Mühe nivelliret hatte, blieb noch die Meinung der Kommissare geteilt. Der Mitkommissar Pisorew war der Meinung, man müsse die schon gegrabenen zwölf Werste lassen, wie sie wären, nämlich sieben Schuhe tiefer, alst das Ladoga-Wasser von 1723 und zwar ohne Schleusen. Um aber die Unkosten bei Ausgrabung der übrigen Strecke des Kanals zu vermindern, könne man ihn weiterhin zwei Arschinen (Ellen) [1 russische Werst = 1500 Arschinen = 1,07 km] über das ordentliche Wasser erhöhen, und nur eine Arschin tiefer, als das Wasser des Sees graben, ihn dann aber zwischen zwei Schleusen einschließen, um das Wasser über den Horizont zu erhöhen. Ein anderes Mitglied der Kommission, der Kapitän Lehn, tat den Vorschlag, statt der Tiefe von drei Arschinen, welche die ersten zwölf Werste hatten, dem Kanal weiterhin nur zwei Arschinen Tiefe zu geben und ihn zwischen zwei Schleusen eine Arschin über das ordentliche Wasser zu erhöhen. Münnich aber behauptete, man müsse sich durchaus nach dem natürlichen Wasser des Sees und der Flüsse richten, mithin, wenn man die Kosten nicht vergeblich verwenden wolle, dem weitern Kanale die volle Tiefe der zwölf schon fertigen Werste geben. Denn nicht zu gedenken, dass die Dämme eines Kanals, der über den Horizont eines morastigen Bodens aufgeführt wäre, oft brechen würden, so hatten die kleinen Flüsse Nasia, Lawa, Kabona u. s. w. im Sommer nicht hinreichendes Wasser, um einen Kanal zu versorgen, der 92 Werst Länge, 10 Faden Breite und 7 Schuh Tiefe halten würde. Der Kanal würde also, wenn man Pisarews und Lehns Anschlage befolge, im Sommer trocken sein; und gleiches Schicksal drohe auch, so oft das Wasser des Sees bis sieben Fuß Tiefe falle, den schon ausgegrabenen 12 Wersten, wenn man diese Strecke ohne Schleusen lasse.
Als der so gespaltene Kommissions - Bericht vor den Monarchen kam, fand sich dieser bewogen, die Angelegenheit vor den Senat zu bringen. Die übrigen Kommissare, Coulon, Brigni und Hauter hatten vielleicht aus Furcht vor dem allgewaltigen Menschikow, dem Beschützer Pisarews, diesem letztern beigestimmt, und jetzt unterstützte auch im Senat Menschikow dessen Meinnng. „Münnich mag ein guter Kriegsmann sein,“ sagte er geradezu; ,,aber zum Bau des Ladogaischen Kanals halte ich ihn nicht geschickt.“ Die übrigen Senatoren verstummten und erklärten endlich, dass sie die Sache nicht zu beurteilen verstanden. ,,So muss ich wohl selbst sehen,“ rief der Kaiser, und einmütig sprach der ganze Senate: „das ist unser aller Wunsch!“

Noch im nämlichen Herbste führte Peter, obgleich seine Gesundheit wankte, den Vorsatz aus. Da wo die Newa dem Ladoga-See entströmt, setzte er sich zu Pferde und kam mit großer Beschwerde in den Morästen fort. Münnichs Lage war gefährlich. Von Pisarew als ein Verläumder verschrieen, von Menschikow gehasst, von Allen beneidet, sah er ein, das sein Glück oder Unglück von dem Erfolge dieser Reise abhänge. Im Vertrauen auf die Güte seiner Sache, und auf des Kaisers Einsicht folgte er ihm mit festem Mute. Ihm zur Seite reitend überzeugte er ihn durch den Angenschein, von der Unmöglichkeit, in den Morästen einen Kanal 7 bis 9 Schuhe über der ordentlichen Wasser-Fläche anzulegen. Der Kaiser brach endlich in die Worte aus: ,,Ich sehe es wohl, Münnich, ihr seid ein würdiger Mann.“ Da er die Worte Holländisch sagte, konnte Münnich sich noch mehr versichert halten, dass er es ganz so meine. Ermüdet kam der Kaiser bei einbrechender Dunkelheit nach dem Dorfe Tshorna, wo er die kalte Nacht in einem schlechten Zelte zubrachte. Der wichtigste Gegenstand der Besichtigung war nochzurück, und Pisarew, welcher dies wußte, hatte alle Ursache, zu wünschen, dass der Kaiser nicht weiter gehen möchte, damit ihm die schlechte Arbeit an der Seite der Dubna nicht in die Augen falle. Einen getreuen Gehilfen fand Pisarew an dem Leibarzt Blumentrost, der dem Kaiser gefolgt war. Mit bedenklicher Miene trat nach Anbruch des Tages der Arzt zu Münnich: ,,Es ist gefährlich,“ sagte er, „den Kaiser weiter zu führen: Nur zu Pferde kann er dahin kommen, und er ist schwach. Und wie, wenn er die Sache am Ende nicht so fände, als sie ihm vorgestellt haben? Es kann Ihr Unglück werden; bedenken Sie, was Sie tun.“ Münnich wußte wohl, was er tat. Um zu verhindern, dass der Arzt nicht vor ihm zu Petern ginge, widersprach er nicht, sondern forderte ihn auf, mit ihm zum Kaiser zu gehn. Sie fanden ihn im Begriff sich anzukleiden. „Gott sei gedankt,“ redete Münnich sofort den Kaiser an, „dass Ihre Majestät sich die Mühe nicht verdrießen lassen, den Kanal selbst in Augenschein zu nehmen. Heute wird’s sich zeigen. Noch haben Ew. Majestät nichts gesehen. Um über die Fortsetzung des Kanals gemessene Befehle geben zu können, ist es durchaus notwendig, dass Sie den Weg bis an die Dubna verfolgen.“ „Und warum?“ fragt der noch müde Kaiser mit einer Miene, die wenig Geneigtheit zur Fortsetzung der Reise verriet. „Weil,“ antwortete, ohne aus der Fassung zu kommen, Münnich, „weil alles, was nach den ersten zwölf Wersten an bis Beloserko gemacht ist, nicht bleiben kann, sodern völlig verändert werden muss; und das müssen Ew. Majestät mit eigenen Augen sehen: denn die Veränderungen kosten große Summen Geldes, und haben Sie Sich nicht selbst überzeugt, dass dieser Kosten-Aufwand unumgänglich nötig war, so ist der Mann, der den Auftrag: zu den Arbeiten erhält, wer er auch sei, er ist verloren.“ „Man bringe mein Pferd!“ sprach der Kaiser. „Ich will bis an die Dubna reiten.“ „Nun, Gottlob!“ rief mit lauter Stimme Münnich. Er wusste, dass sein nun der Sieg sei.

Ehe der Kaiser an die Dubna kam, sah er schon einen Teil des Kanals, der nach Pisarews neuem Plan für vollendet gelten sollte. Mit Unwillen blickte er auf das elende Werk. Dann stieg er vom Pferde, legte sich mit dem Bauch auf die Erde, und zeigte dem Pisarew mit der Hand, dass das Ufer des genannten Kanals allenthalben einfalle, dass der Boden desselben nicht durchweg gleich tief sei, dass er unnötige Krümmungen habe, dass es an einem Damme fehle, u. s. w. ,,Gregori!“ sagte er, etwas gefasster, zu Pisarew, „Gregori! es gibt zwei Arten von Fehlern. Die erste ist, wenn man aus Unwissenheit sündigt; die zweits, und die schlimmste, wenn man seine fünf Sinne nicht gebraucht. Warum ist das Ufer des Kanals nicht eingefasst? Warum hat er so viele Krümmungen?“ ,,Der Hügel wegen,“ antwortete der zitternde Pisarew. Der Kaiser stand auf, sah sich um, und fragte: „Wo sind denn Hügel? - Wahrlich, du bist ein Taugenichts.“ Jederman dachte, er würde Pisarem schlagen, und dieser hätte wohl gewünscht, dass es geschehen wäre, denn um desto eher würde er Vergebung zu hoffen gehabt haben. Aber der Kaiser besann sich.

Münnichs Sieg war vollkommen, und nach seinem Plan ward der Kanal fortgesetzt, der, wie Peters wiederholt zu sagen pflegte, Petersburg und Kronstadt die Lebensmittel, der Flotte die Bau-Materialien zuführen, und Russlands Handel mit dem übrigen Europa aufblühen machen sollte.*)

*) Büschings Magazin III. S. 398. Meine Lebensbeschreibung des Grafen von Münnich S. 24. f.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 3