Armenier

I.
Handelsvölker der Gegenwart.


Ein viel ausbündigeres Talent zum Großhandel als bei den Slaven findet sich bei drei Völkern, welche zwar orientalischer Herkunft sind, sich jedoch bis tief unter die Europäer mischen: es sind die Armenier die Griechen und die Juden. Die Armenier versteigen sich nicht über die eigentlichen Ostländer hinaus, die Griechen tummeln sich im Gebiete des Mittelmeers, die Juden haben im Orient am wenigsten Bedeutung, desto mehr aber im übrigen Europa.


Der Armenier ist ein begabter Mensch, schlau und gewandt und geschmeidig. Er hat sich nicht allein über die Haupt- und Nebenländer des türkischen Reichs, sondern bis nach Persien, Mittelasien und Ostindien, nach Rußland und über die Donaulande, bis in Oestreich hinein, verbreitet. Als Finanzmann und Großhändler begründete der Armenier, wie in der Levante, seinem eigentlichen Gebiet, auch in jenen Ländern eine große Anzahl der wohlhabendsten Häuser, und als Geschäftsführer, Sekretär und Dolmetscher verschaffte er sich bei den ganz oder halb orientalischen Großen eine feste und gewinnreiche Stellung. Er hat vorzügliche Anlagen, sein Sprachtalent ist so groß wie sein Rechnungstalent. Was ihn besonders kennzeichnet, ist große Ruhe und Geduld. Er scheint Fischblut in seinen Adern zu haben, unter der kalten Oberfläche aber verbirgt er tief angelegte Plane, hinter seinem kaum merklichen Lächeln sinnt er vielleicht auf gründlichen Verrath. Seine Geschäfte sind wohl ausgedacht, er verfolgt sie mit unermüdlicher Beharrlichkeit. Das Erworbene hält er geizig fest und vermehrt es durch jede Art von Wucherlist. Zur andern Natur geworden sind dem Armenier Vorsicht und Mißtrauen, und diese, verbunden mit einer gewissen Langsamkeit seiner Ideen und Handlungen, hindern ihn, sich lebendiger in größere Unternehmungen einzulassen. Er spekulirt fortwährend, aber er wagt sich äußerst ungern über den sichern Boden seiner Geschäfte hinaus. Wie oft stößt der Reisende in Kleinasien auf Dörfer, deren Hütten und Nahrungsstand zusammengebrochen sind. Dort hat der Armenier gewirthschaftet, die großen Güter hat er angekauft, zerstückelt und in möglichst kleinen Lappen wieder an den Mann gebracht. Mit dem Gewinn ist er davon gezogen und hat statt wohlhabender Bauern eine Menge Gesindel zurückgelassen, das am Hungertuche nagt. Merkwürdig genug hat dies saubere Geschäft, welches unsere Bauern das Gütereinschlachten nennen, auch bei uns einen halb orientalischen Ursprung, jüdische Händler waren darin die ersten und die fleißigsten.

Der Armenier ist für den Orient, was der Jude für Europa. Beide sind in alle Welt zerstreut, mit Märtyrergeduld hängen sie an ihrem Glauben, das religiöse Band einigt sie fester und dauernder, als es die glücklichste politische Gemeinschaft vermöchte. Armenier und Juden sind sich auch darin ähnlich, daß sie im Innern ihrer Familien die liebenswürdigsten Eigenschaften entwickeln. In das Haus eines Armeniers, in welchem streng patriarchalische Sitte und unter seinen Bewohnern Einklang herrscht, tritt man aus dem Raublärm des Orients wie in eine stille, schattige Oase. Insbesondere lernt man den Armenier schätzen, wo er in seinem Heimathlande bei dem einfachen Gewerbe des Landbauers verblieben ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band III