Wie bedeutend das Englischamerikanische dem deutschen Wesen in Pennsylvanien zusetzt, zeigte sich mir ...

XVI.
Am Susquehanna.


Wie bedeutend das Englischamerikanische dem deutschen Wesen in Pennsylvanien zusetzt, zeigte sich mir auch in Schule und Kirche. Die Kinder in den Landschulen wurden halb deutsch, halb englisch unterrichtet, der Schullehrer selbst sprach in der Regel ein schändliches Deutsch, und die Kinder lasen lieber in den englischen als in den deutschen Büchern; von den letztern kommt ihnen freilich nur das schlechteste Zeug in die Hände. Mehrere Knaben sprachen indessen besseres Deutsch als ihr Schulmeister, und antworteten auf die ihnen vorgelegten Fragen gescheidt und aufgeweckt. Das System, nach welchem der Staat alle Schulkosten trägt, welches anfangs bei nicht Wenigen heftigen Widerspruch fand, verbreitet sich jetzt schnell durch das ganze Land.


Im Städtchen Washington trieben gerade die Methodisten ihr Wesen. Seit drei Wochen wurde jeden Abend im Bethaus gepredigt, gebetet und gesungen. Ich ging eines Abends ebenfalls hin. Die Prediger thaten ihr Bestes, und deklamirten und schrien in allen Tönen, aber umsonst fragten sie ein über das anderemal: „Ist denn keine Seele bekehrt, will gar keine Seele zu uns kommen, daß die Gnade auf sie herabkomme?“ Aber nein, keine arme Seele fand sich diesen Abend, obgleich ein Prediger während des letzten Gesanges eine Frau ganz insbesondere aufs Korn genommen hatte und ihr nicht wenig zusetzte, um die gehoffte öffentliche Wirkung hervorzubringen. Auch sie wollte nicht auf das Armesünderbänkchen, um ein öffentliches Sündenbekenntniß abzulegen und den Durchbruch der Gnade zu verkünden. Wem aber dieses Heil widerfährt, dessen Ansehen steigt sofort, und ungleich damit die Kundschaft in seinem Gewerbe. So weit ist das Methodistenwesen bereits eingedrungen. Dem Texte der kirchlichen Gesänge waren die lustigsten deutschen Studentenmelodien untergelegt. Die jungen Mädchen lachten und liebäugelten, während sie niederknieten, und einige Burschen betrugen sich keineswegs schamhaft. Während im obern Theile des Bethauses die gräßlichsten Beschwörungen wiederhallten, schien das Halbdunkel des untern Theils den Platz zu Stelldicheins abzugeben.

Der Susquehanna war mir so lieb geworden, daß ich beim Abschiede von meinen freundlichen Wirthen vorzog, statt auf der Eisenbahn, zu Wasser in einem Kanalboote weiter zu reisen. Das Boot geht auf dem Kanale dicht am Rande des Flusses hin. Es wurde Winter, die Boote waren selten, und die Bootsführer riefen sich zu: „Wann gehts zu Haus – ich komme morgen an!“ Die Flußlandschaft war wirklich unserm Rheine zu vergleichen. Felsen, wie der Lurley, ließen sich von der Fluth umströmen. Das Thal weitete sich ab und zu, und der Fluß schäumte bald über Sandbänke und Felsblöcke, bald floß er wieder glatt und ruhig. Tags über herrschte helles Frostwetter, der Abend kam mild und duftig hernieder, und ging über in die reinste Mondnacht. Ich hatte ein wenig geschlummert, als wir anlandeten; als ich nun aus dem Boote trat, stand ich befangen vor der stillen Erhabenheit dieser Mondlandschaft. Weithin glänzte das Gewässer, von einem hellgrauen Bergkranze umzogen; man wußte nicht, ob die Sterne mehr am Himmel oder mehr im Wasser funkelten.

Am andern Morgen brachen wir vor dem Frühstück auf, als alles noch vom Monde beschienen war. Aber es pfiff ein so eisiger Wind, daß ich nur dann und wann den Kopf aus der Kajüte hervorstreckte, um die prächtigen Felsenpartien mit den breiten hellen Thalkrümmungen abwechseln zu sehen. Der Fluß war lebendig von wilden Enten, welche flatterten, untertauchten und hin und her schossen. In Middletown fanden wir endlich ein warmes Frühstück. Das Städtchen scheint wie Columbia zwischen lauter Wasserwege hingesetzt. Die Gegend an diesem pennsylvanischen Kanal ist tausendmal schöner als am Eriekanal, auch sind die Häuser hier stattlicher und die Waldungen schon lange in Ackergärten verwandelt, während der Eriekanal noch abwechselnd durch Wildniß zieht. Aber dennoch hat der Newyorker Kanal dem pennsylvanischen, welcher früher neben dem Mississippi und den Seen die Hauptwasserstraße zum Westen war, den Vorrang abgewonnen. Am letztern muß man die Läden und Rasthäuser in den größern Ortschaften suchen, am Eriekanal stehen sie bei jeder Schleuse, umgeben von einem Getümmel von Booten, Pferden und Reisenden. Es kann aber nicht fehlen, daß auch der pennsylvanische Kanal nach einer Reihe von Jahren wieder von zahllosen Booten bedeckt sein wird. Wenn die Staaten jenseits der Alleghanies nur erst einen bedeutenderen Bruchtheil von jener Volksmasse erhalten haben, die sie ernähren können, so wird auch die Kanäle und Eisenbahnen, welche von den Seestädten zwischen Newyork und Neworleans über die Alleghanies nach dem Westen gehen, der lebendigste Verkehr beleben. Durch diese künstlichen Eisen- und Wasserstraßen, welche bereits von mehreren Seehäfen in das Herz des Westens führen, verbinden sich die östlichen Staaten mit den westlichen. Der entfernteste Westbewohner erhält durch sie eine direkte rasche Strömung seiner Erzeugnisse und seiner Gedanken nach dem Osten. Diese Straßen sind Bänder, welche die Staaten der Union auch dann noch zu einem gewaltigen Ganzen zusammenklammern, wenn sich schon verschiedene Staatengruppen mit eigenen Regierungen unter ihnen gebildet haben. Eisenbahnen, Kanäle und elektrische Telegraphen eilen in diesem Lande den Ortschaften und Städten voran, und je größer das Unionsgebiet wird, desto mehr vervielfältigen sich die Mittel, durch welche die Entfernungen überwältigt werden und die Gedanken mit Blitzesschnelle von einem Ende zum andern fliegen.

Nachmittags kamen wir nach Harrisburg, einer hübschen Stadt, die noch viel werden kann. Auch hier führte wieder eine ewig lange und von allen Seiten bedeckte dunkle Brücke über den Susquehanna. Die Aussicht vom jenseitigen Ufer war großartig. Eine hohe, steile Gebirgswand, in tiefes Blau getaucht, legt sich vor den Strom, dieser ergießt sich in schimmernder Breite und wellt seine stillen Wogen um kleine, hübsche Inseln, bis er einen schmalen Paß durch die Berge findet. Drüben zieht sich das freundliche Harrisburg hin mit seinem weitblickenden Staatenhause.

Gern hätte ich die Wasserstraße weiter verfolgt, aber es ging kein Boot mehr, weil der Dezember nahe war; ich mußte daher den südlichen Weg über die Aleghannies mit der Eisenbahn und Postkutsche einschlagen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I