Der Humanismus im XIV. Jahrhundert: Unvermeidlichkeit seines Sieges — Teilnahme des Dante, Petrarca und Boccaccio — Boccaccio als Vorkämpfer — Die Poetenkrönung
Wer waren nun diejenigen, welche das hochverehrte Altertum mit der Gegenwart vermittelten und das erster e zum Hauptinhalt der Bildung der letzteren erhoben?
Es ist eine hundertgestaltige Schar, die heute dieses, morgen jenes Antlitz zeigt; so viel aber wusste die Zeit und wussten sie selbst, dass sie ein neues Element der bürgerlichen Gesellschaft seien. Als ihre Vorläufer mögen am ehesten jene vagierenden Kleriker des XII. Jahrhunderts gelten, von deren Poesie oben die Rede gewesen ist; dasselbe unstete Dasein, dieselbe freie und mehr als freie Lebensansicht, und von derselben Antikisierung der Poesie wenigstens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen wesentlich noch immer geistlichen und von Geistlichen gepflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung entgegen, die sich vorzüglich an dasjenige hält, was jenseits des Mittelalters liegt. Die aktiven Träger derselben werden wichtige Personen, weil sie wissen, was die Alten gewusst haben, weil sie zu schreiben suchen wie die Alten schrieben, weil sie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der sie sich widmen, geht an tausend Stellen in die Reproduktion über.
Es ist von neueren öfter beklagt worden, dass die Anfänge einer ungleich selbständigeren, scheinbar wesentlich italienischen Bildung, wie sie um 1300 in Florenz sich zeigten, nachher durch das Humanistenwesen so völlig überflutet worden seien. Damals habe in Florenz alles lesen können, selbst die Eseltreiber hätten Dantes Canzonen gesungen, und die besten noch vorhandenen italienischen Manuskripte hätten ursprünglich florentinischen Handarbeitern gehört; damals sei die Entstehung einer populären Enzyklopädie wie der „Tesoro“ des Brunetto Latini möglich gewesen; und dies alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine Tüchtigkeit des Charakters, wie sie durch die Teilnahme an den Staatsgeschäften, durch Handel und Reisen, vorzüglich durch systematischen Ausschluss alles Müßigganges in Florenz zur Blüte gebracht worden war. Damals seien denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angesehen und brauchbar gewesen und nicht umsonst habe Papst Bonifaz VIII. sie in eben jenem Jahre das fünfte Element genannt. Mit dem stärkeren Andringen des Humanismus seit 1400 sei dieser einheimische Trieb verkümmert, man habe fortan die Lösung jedes Problems nur vom Altertum erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Zitieren aufgehen lassen; ja der Untergang der Freiheit hänge hiermit zusammen, indem diese Erudition auf einer Knechtschaft unter der Autorität beruhte, das munizipale Recht dem römischen aufopferte und schon deshalb die Gunst der Gewaltherrscher suchte und fand.
Diese Anklagen werden uns noch hier und da beschäftigen, wo dann ihr wahres Maß und der Ersatz für die Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier ist nur vor allem festzustellen, dass die Kultur des kräftigen XIV. Jahrhunderts selbst notwendig auf den völligen Sieg des Humanismus hindrängte und dass gerade die Größten im Reiche des speziell italienischen Geistes dem schrankenlosen Altertumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Tür und Tor geöffnet haben.
Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von Genien seines Ranges die italienische Kultur hätte weiter führen können, so würde sie selbst bei der stärksten Anfüllung mit antiken Elementen beständig einen hocheigentümlichen nationalen Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abendland haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und so war und blieb er derjenige, welcher zuerst das Altertum nachdrücklich in den Vordergrund des Kulturlebens hereinschob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die christliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beständiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geschichten und Gestalten des Alten und des Neuen Testamentes zusammengestellt hatte, so vereinigt er in der Regel ein christliches und ein heidnisches Beispiel derselben Tatsache. Nun vergesse man nicht, dass die christliche Phantasiewelt und Geschichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielversprechende und aufregende war und dass sie in der allgemeinen Teilnahme notwendig das Übergewicht bekommen musste, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.
Petrarca lebt in den Gedanken der meisten jetzt als großer italienischer Dichter; bei seinen Zeitgenossen dagegen kam sein Ruhm in weit höherem Grade davon her, dass er das Altertum gleichsam in seiner Person repräsentierte, alle Gattungen der lateinischen Poesie nachahmte und Briefe schrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenstände des Altertums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber sehr erklärlichen Wert hatten.
Mit Boccaccio verhält es sich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt, ehe man diesseits der Alpen viel von seinem Decamerone wusste, bloß um seiner mythographischen, geographischen und biographischen Sammelwerke in lateinischer Sprache willen. Eines derselben, „De genealogia Deorum“, enthält im 14. und 15. Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stellung des jugendlichen Humanismus zu seinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuschen, dass er immerfort nur von der „Poesie“ spricht, denn bei näherem Zusehen wird man bemerken, dass er die ganze geistige Tätigkeit des Poeten-Philologen meint. Diese ist es, deren Feinde er auf das schärfste bekämpft: die frivolen Unwissenden, die nur für Schlemmen und Prassen Sinn haben; die sophistischen Theologen, welchen Helikon, der kastalische Quell und der Hain des Phöbus als bloße Torheiten erscheinen; die goldgierigen Juristen, welche Poesie für überflüssig halten, insofern sie kein Geld verdient; endlich die (in Umschreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidentum und Immoralität Klage führen. Darauf folgt die positive Verteidigung, das Lob der Poesie, namentlich des tieferen, zumal allegorischen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müsse, der wohlberechtigten Dunkelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwissenden zur Abschreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Verfasser das neue Verhältnis der Zeit zum Heidentum überhaupt, in klarer Beziehung auf sein gelehrtes Werk. Anders als jetzt möge es allerdings damals sich verhalten haben, da die Urkirche sich noch gegen die Heiden verteidigen musste; heutzutage — Jesu Christo sei Dank! — sei die wahre Religion erstarkt, alles Heidentum vertilgt, und die siegreiche Kirche im Besitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidentum fast (fere) ohne Gefahr betrachten und behandeln. Es ist dasselbe Argument, mit welchem sich dann die ganze Renaissance verteidigt hat.
Es war also eine neue Sache in der Welt und eine neue Menschenklasse, welche dieselbe vertrat. Es ist unnütz, darüber zu streiten, ob diese Sache mitten in ihrem Siegeslauf hätte still halten, sich geflissentlich beschränken und dem rein Nationalen ein gewisses Vorrecht hätte wahren sollen. Man hatte ja keine stärkere Überzeugung als die, dass das Altertum eben der höchste Ruhm der italienischen Nation sei.
Dieser ersten Generation von Poeten-Philologen ist wesentlich eine symbolische Zeremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausstirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter sind dunkel und zu einem festen Ritual ist sie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonstration, ein sichtbarer Ausbruch des literarischen Ruhmes und schon deshalb etwas Wandelbares. Dante z. B. scheint eine halbreligiöse Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufstein von San Giovanni, wo er, gleichwie Hunderttausende von florentinischen Kindern, getauft worden war, sich selber den Kranz aufsetzen. Er hätte, sagt sein Biograph, ruhmeshalber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimat und starb deshalb ungekrönt. Weiter erfahren wir hier, dass der Brauch bisher ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die Römer vererbt galt. Die nächste Reminiszenz stammte wohl in der Tat von dem nach griechischem Vorbild gestifteten kapitolinischen Wettkampf der Kitharspieler, Dichter und anderer Künstler, welcher seit Domitian alle fünf Jahre gefeiert worden war und möglicherweise den Untergang des römischen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn nun doch nicht leicht wieder einer wagte, sich selber zu krönen, wie es Dante gewollt, so entstand die Frage, welches die krönende Behörde sei? Albertino Mussato wurde um 1310 zu Padua vom Bischof und vom Rektor der Universität gekrönt; um Petrarcas Krönung (1341) stritten sich die Universität Paris, welche gerade einen Florentiner zum Rektor hatte, und die Stadtbehörde von Rom; ja sein selbstgewählter Examinator, König Robert von Anjou, hätte gern die Zeremonie nach Neapel verlegt, Petrarca jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf dem Kapitol jeder anderen vor. Einige Zeit blieb diese in der Tat das Ziel des Ehrgeizes; als solches lockte sie z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen sizilischen Beamten. Da erschien aber Karl IV. in Italien, der sich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menschen und der gedankenlosen Masse durch Zeremonien zu imponieren. Ausgehend von der Fiktion, dass die Poetenkrönung einst Sache der alten römischen Kaiser gewesen und also jetzt die seinige sei, bekränzte er in Pisa den florentinischen Gelehrten Zanobi della Strada, zum großen Verdruss Boccaccios, der diese laurea pisana nicht als vollgültig anerkennen will. Man konnte in der Tat fragen, wie der Halbslawe dazu komme, über den Wert italienischer Dichter zu Gericht zu sitzen. Allein fortan krönten doch reisende Kaiser bald hier bald dort einen Poeten, worauf im XV. Jahrhundert die Päpste und andere Fürsten auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort und Umstände gar nichts mehr ankam. In Rom erteilte zur Zeit Sixtus’ IV. die Akademie des Pomponius Laetus von sich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den Takt, ihre berühmten Humanisten zu krönen, aber erst im Tode; so wurde Carlo Aretino, so Lionardo Aretino bekränzt; dem ersteren hielt Matteo Palmieri, dem letzteren Gianozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Gegenwart der Konzilsherren; der Redner stand zu Häupten der Bahre, auf welcher in seidenem Gewande die Leiche lag. Außerdem ist Carlo Aretino durch ein Grabmal (in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichsten der ganzen Renaissance gehört.
Es ist eine hundertgestaltige Schar, die heute dieses, morgen jenes Antlitz zeigt; so viel aber wusste die Zeit und wussten sie selbst, dass sie ein neues Element der bürgerlichen Gesellschaft seien. Als ihre Vorläufer mögen am ehesten jene vagierenden Kleriker des XII. Jahrhunderts gelten, von deren Poesie oben die Rede gewesen ist; dasselbe unstete Dasein, dieselbe freie und mehr als freie Lebensansicht, und von derselben Antikisierung der Poesie wenigstens der Anfang. Jetzt aber tritt der ganzen wesentlich noch immer geistlichen und von Geistlichen gepflegten Bildung des Mittelalters eine neue Bildung entgegen, die sich vorzüglich an dasjenige hält, was jenseits des Mittelalters liegt. Die aktiven Träger derselben werden wichtige Personen, weil sie wissen, was die Alten gewusst haben, weil sie zu schreiben suchen wie die Alten schrieben, weil sie zu denken und bald auch zu empfinden beginnen wie die Alten dachten und empfanden. Die Tradition, der sie sich widmen, geht an tausend Stellen in die Reproduktion über.
Es ist von neueren öfter beklagt worden, dass die Anfänge einer ungleich selbständigeren, scheinbar wesentlich italienischen Bildung, wie sie um 1300 in Florenz sich zeigten, nachher durch das Humanistenwesen so völlig überflutet worden seien. Damals habe in Florenz alles lesen können, selbst die Eseltreiber hätten Dantes Canzonen gesungen, und die besten noch vorhandenen italienischen Manuskripte hätten ursprünglich florentinischen Handarbeitern gehört; damals sei die Entstehung einer populären Enzyklopädie wie der „Tesoro“ des Brunetto Latini möglich gewesen; und dies alles habe zur Grundlage gehabt eine allgemeine Tüchtigkeit des Charakters, wie sie durch die Teilnahme an den Staatsgeschäften, durch Handel und Reisen, vorzüglich durch systematischen Ausschluss alles Müßigganges in Florenz zur Blüte gebracht worden war. Damals seien denn auch die Florentiner in der ganzen Welt angesehen und brauchbar gewesen und nicht umsonst habe Papst Bonifaz VIII. sie in eben jenem Jahre das fünfte Element genannt. Mit dem stärkeren Andringen des Humanismus seit 1400 sei dieser einheimische Trieb verkümmert, man habe fortan die Lösung jedes Problems nur vom Altertum erwartet und darob die Literatur in ein bloßes Zitieren aufgehen lassen; ja der Untergang der Freiheit hänge hiermit zusammen, indem diese Erudition auf einer Knechtschaft unter der Autorität beruhte, das munizipale Recht dem römischen aufopferte und schon deshalb die Gunst der Gewaltherrscher suchte und fand.
Diese Anklagen werden uns noch hier und da beschäftigen, wo dann ihr wahres Maß und der Ersatz für die Einbuße zur Sprache kommen wird. Hier ist nur vor allem festzustellen, dass die Kultur des kräftigen XIV. Jahrhunderts selbst notwendig auf den völligen Sieg des Humanismus hindrängte und dass gerade die Größten im Reiche des speziell italienischen Geistes dem schrankenlosen Altertumsbetrieb des XV. Jahrhunderts Tür und Tor geöffnet haben.
Vor allen Dante. Wenn eine Reihenfolge von Genien seines Ranges die italienische Kultur hätte weiter führen können, so würde sie selbst bei der stärksten Anfüllung mit antiken Elementen beständig einen hocheigentümlichen nationalen Eindruck machen. Allein Italien und das ganze Abendland haben keinen zweiten Dante hervorgebracht, und so war und blieb er derjenige, welcher zuerst das Altertum nachdrücklich in den Vordergrund des Kulturlebens hereinschob. In der Divina Commedia behandelt er die antike und die christliche Welt zwar nicht als gleichberechtigt doch in beständiger Parallele; wie das frühere Mittelalter Typen und Antitypen aus den Geschichten und Gestalten des Alten und des Neuen Testamentes zusammengestellt hatte, so vereinigt er in der Regel ein christliches und ein heidnisches Beispiel derselben Tatsache. Nun vergesse man nicht, dass die christliche Phantasiewelt und Geschichte eine bekannte, die antike dagegen eine relativ unbekannte, vielversprechende und aufregende war und dass sie in der allgemeinen Teilnahme notwendig das Übergewicht bekommen musste, als kein Dante mehr das Gleichgewicht erzwang.
Petrarca lebt in den Gedanken der meisten jetzt als großer italienischer Dichter; bei seinen Zeitgenossen dagegen kam sein Ruhm in weit höherem Grade davon her, dass er das Altertum gleichsam in seiner Person repräsentierte, alle Gattungen der lateinischen Poesie nachahmte und Briefe schrieb, welche als Abhandlungen über einzelne Gegenstände des Altertums einen für uns unbegreiflichen, für jene Zeit ohne Handbücher aber sehr erklärlichen Wert hatten.
Mit Boccaccio verhält es sich ganz ähnlich; er war 200 Jahre lang in ganz Europa berühmt, ehe man diesseits der Alpen viel von seinem Decamerone wusste, bloß um seiner mythographischen, geographischen und biographischen Sammelwerke in lateinischer Sprache willen. Eines derselben, „De genealogia Deorum“, enthält im 14. und 15. Buch einen merkwürdigen Anhang, worin er die Stellung des jugendlichen Humanismus zu seinem Jahrhundert erörtert. Es darf nicht täuschen, dass er immerfort nur von der „Poesie“ spricht, denn bei näherem Zusehen wird man bemerken, dass er die ganze geistige Tätigkeit des Poeten-Philologen meint. Diese ist es, deren Feinde er auf das schärfste bekämpft: die frivolen Unwissenden, die nur für Schlemmen und Prassen Sinn haben; die sophistischen Theologen, welchen Helikon, der kastalische Quell und der Hain des Phöbus als bloße Torheiten erscheinen; die goldgierigen Juristen, welche Poesie für überflüssig halten, insofern sie kein Geld verdient; endlich die (in Umschreibung, aber kenntlich gezeichneten) Bettelmönche, die gern über Heidentum und Immoralität Klage führen. Darauf folgt die positive Verteidigung, das Lob der Poesie, namentlich des tieferen, zumal allegorischen Sinnes, den man ihr überall zutrauen müsse, der wohlberechtigten Dunkelheit, die dem dumpfen Sinn der Unwissenden zur Abschreckung dienen dürfe. Und endlich rechtfertigt der Verfasser das neue Verhältnis der Zeit zum Heidentum überhaupt, in klarer Beziehung auf sein gelehrtes Werk. Anders als jetzt möge es allerdings damals sich verhalten haben, da die Urkirche sich noch gegen die Heiden verteidigen musste; heutzutage — Jesu Christo sei Dank! — sei die wahre Religion erstarkt, alles Heidentum vertilgt, und die siegreiche Kirche im Besitz des feindlichen Lagers; jetzt könne man das Heidentum fast (fere) ohne Gefahr betrachten und behandeln. Es ist dasselbe Argument, mit welchem sich dann die ganze Renaissance verteidigt hat.
Es war also eine neue Sache in der Welt und eine neue Menschenklasse, welche dieselbe vertrat. Es ist unnütz, darüber zu streiten, ob diese Sache mitten in ihrem Siegeslauf hätte still halten, sich geflissentlich beschränken und dem rein Nationalen ein gewisses Vorrecht hätte wahren sollen. Man hatte ja keine stärkere Überzeugung als die, dass das Altertum eben der höchste Ruhm der italienischen Nation sei.
Dieser ersten Generation von Poeten-Philologen ist wesentlich eine symbolische Zeremonie eigen, die auch im XV. und XVI. Jahrhundert nicht ausstirbt, aber ihr höheres Pathos einbüßt: die Poetenkrönung mit einem Lorbeerkranz. Ihre Anfänge im Mittelalter sind dunkel und zu einem festen Ritual ist sie nie gelangt; es war eine öffentliche Demonstration, ein sichtbarer Ausbruch des literarischen Ruhmes und schon deshalb etwas Wandelbares. Dante z. B. scheint eine halbreligiöse Weihe im Sinn gehabt zu haben; er wollte über dem Taufstein von San Giovanni, wo er, gleichwie Hunderttausende von florentinischen Kindern, getauft worden war, sich selber den Kranz aufsetzen. Er hätte, sagt sein Biograph, ruhmeshalber den Lorbeer überall empfangen können, wollte es aber nirgends als in der Heimat und starb deshalb ungekrönt. Weiter erfahren wir hier, dass der Brauch bisher ungewöhnlich war und als von den Griechen auf die Römer vererbt galt. Die nächste Reminiszenz stammte wohl in der Tat von dem nach griechischem Vorbild gestifteten kapitolinischen Wettkampf der Kitharspieler, Dichter und anderer Künstler, welcher seit Domitian alle fünf Jahre gefeiert worden war und möglicherweise den Untergang des römischen Reiches um einige Zeit überlebt hatte. Wenn nun doch nicht leicht wieder einer wagte, sich selber zu krönen, wie es Dante gewollt, so entstand die Frage, welches die krönende Behörde sei? Albertino Mussato wurde um 1310 zu Padua vom Bischof und vom Rektor der Universität gekrönt; um Petrarcas Krönung (1341) stritten sich die Universität Paris, welche gerade einen Florentiner zum Rektor hatte, und die Stadtbehörde von Rom; ja sein selbstgewählter Examinator, König Robert von Anjou, hätte gern die Zeremonie nach Neapel verlegt, Petrarca jedoch zog die Krönung durch den Senator von Rom auf dem Kapitol jeder anderen vor. Einige Zeit blieb diese in der Tat das Ziel des Ehrgeizes; als solches lockte sie z. B. den Jacobus Pizinga, einen vornehmen sizilischen Beamten. Da erschien aber Karl IV. in Italien, der sich ein wahres Vergnügen daraus machte, eiteln Menschen und der gedankenlosen Masse durch Zeremonien zu imponieren. Ausgehend von der Fiktion, dass die Poetenkrönung einst Sache der alten römischen Kaiser gewesen und also jetzt die seinige sei, bekränzte er in Pisa den florentinischen Gelehrten Zanobi della Strada, zum großen Verdruss Boccaccios, der diese laurea pisana nicht als vollgültig anerkennen will. Man konnte in der Tat fragen, wie der Halbslawe dazu komme, über den Wert italienischer Dichter zu Gericht zu sitzen. Allein fortan krönten doch reisende Kaiser bald hier bald dort einen Poeten, worauf im XV. Jahrhundert die Päpste und andere Fürsten auch nicht mehr zurückbleiben wollten, bis zuletzt auf Ort und Umstände gar nichts mehr ankam. In Rom erteilte zur Zeit Sixtus’ IV. die Akademie des Pomponius Laetus von sich aus Lorbeerkränze. Die Florentiner hatten den Takt, ihre berühmten Humanisten zu krönen, aber erst im Tode; so wurde Carlo Aretino, so Lionardo Aretino bekränzt; dem ersteren hielt Matteo Palmieri, dem letzteren Gianozzo Mannetti die Lobrede vor allem Volk, in Gegenwart der Konzilsherren; der Redner stand zu Häupten der Bahre, auf welcher in seidenem Gewande die Leiche lag. Außerdem ist Carlo Aretino durch ein Grabmal (in S. Croce) geehrt worden, welches zu den herrlichsten der ganzen Renaissance gehört.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 3. Buch