Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 3. Buch

Die Wiedererweckung des Altertums
Autor: Burckhardt, Jacob (1818-1897) Schweizer Kulturhistoriker, Professor für Kunstgeschichte, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Renaissance, Kulturgeschichte, Kunstgeschichte, Italien, Baukunst, Malerei, Skulpturen, Sitten und Gebräuche, Religion, Reformation
Auf diesem Punkte unserer kulturgeschichtlichen Übersicht angelangt, müssen wir des Altertums gedenken, dessen „Wiedergeburt“ in einseitiger Weise zum Gesamtnamen des Zeitraums überhaupt geworden ist. Die bisher geschilderten Zustände würden die Nation erschüttert und gereift haben auch ohne das Altertum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geistigen Richtungen wäre wohl das meiste ohne dasselbe denkbar; allein wie das Bisherige so ist auch das folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Wesen der Dinge ohne dieselbe verständlich und vorhanden sein würde, da ist es doch die Äußerungsweise im Leben nur mit ihr und durch sie. Die „Renaissance“ wäre nicht die hohe weltgeschichtliche Notwendigkeit gewesen, die sie war, wenn man so leicht von ihr abstrahieren könnte. Darauf aber müssen wir beharren, als auf einem Hauptsatz dieses Buches, dass nicht sie allein, sondern ihr enges Bündnis mit dem neben ihr vorhandenen italienischen Volksgeist die abendländische Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche sich dieser Volksgeist dabei bewahrte, ist eine ungleiche und scheint, sobald man z. B. nur auf die neulateinische Literatur sieht, oft sehr gering; in der bildenden Kunst aber und in mehreren anderen Sphären ist sie auffallend groß und das Bündnis zwischen zwei weit auseinander liegenden Kulturepochen desselben Volkes erweist sich als ein, weil höchst selbständiges, deshalb auch berechtigtes und fruchtbares. ...[Aus: Kapitel I.]

                                      ***********************
Inhaltsverzeichnis
    Dritter Abschnitt. Die Wiedererweckung des Altertums
  1. Vorbemerkung: Ausdehnung des Begriffs Renaissance — Das Altertum im Mittelalter — Sein frühes Wieder erwachen in Italien — Lateinische Poesie des XU. Jahrhunderts — Der Geist des XIV. Jahrhunderts
  2. Die Ruinenstadt Rom: Dante, Petrarca, Uberti — Die vorhandenen Ruinen zur Zeit Poggios — Blondus, Nikolaus V., Pius II. — Das Altertum außerhalb Roms — Städte und Familien von Rom hergeleitet — Stimmung und Ansprüche der Römer — Die Leiche der Julia — Ausgrabungen und Aufnahmen — Rom unter Leo X. — Ruinensentimentalität
  3. Die alten Autoren: Ihre Verbreitung im XIV. Jahrhundert — Entdeckungen des XV. Jahrhunderts — Die Bibliotheken, Kopisten und Skripturen — Der Bücherdruck — Übersicht des griechischen Studiums — Orientalische Studien — Picos Stellung zum Altertum
  4. Der Humanismus im XIV. Jahrhundert: Unvermeidlichkeit seines Sieges — Teilnahme des Dante, Petrarca und Boccaccio — Boccaccio als Vorkämpfer — Die Poetenkrönung
  5. Universitäten und Schulen: Der Humanist als Professor im XV . Jahrhundert — Nebenanstalten — Die höhere freie Erziehung — Vittorino — Guarino in Ferrara — Prinzenerziehung
  6. Die Förderer des Humanismus: Florentinische Bürger — Niccoli — Mannetti — Die früheren Medici — Fürsten — Die Päpste seit Nicolaus V . — Alfons von Neapel — Federigo von Urbino — Die Sforza und die Este — Sigismondo Malatesta
  7. Reproduktion des Altertums Epistolographie: Die päpstliche Kanzlei — Wertschätzung des Briefstils
  8. Die lateinische Rede: Gleichgültigkeit über den Stand des Redners — Feierliche Staatsund Empfangsreden — Leichenreden — Akademische und Soldatenreden — Die lateinische Predigt — Erneuerung der antiken Rhetorik — Form und Inhalt; das Zitieren — Fingierte Reden — Verfall der Eloquenz
  9. Die lateinische Abhandlung: Die Geschichtsschreibung — Relative Notwendigkeit des Lateinischen — Forschungen über das Mittelalter; Blondus — Anfänge der Kritik — Verhältnis zur italienischen Geschichtsschreibung
  10. Allgemeine Latinisierung der Bildung: Die antiken Namen — Latinisierte Lebensverhältnisse — Ansprüche auf Alleinherrschaft — Cicero und die Ciceronianer — Die lateinische Konversation
  11. Die neulateinische Poesie: Das Epos aus der alten Geschichte; die Africa — Mythendichtung — Christliches Epos; Sannazaro — Zeitgeschichtliche Poesie — Einmischung der Mythologie — Didaktische Poesie; Palingenius — Die Lyrik und ihre Grenzen — Oden auf Heilige — Elegien und ähnliches — Das Epigramm — Macaronische Poesie
  12. Sturz der Humanisten im XVI. Jahrhundert: Die Anklagen und das Maß ihrer Schuld — Ihr Unglück — Das Gegenbild der Humanisten — Pomponius Laetus — Die Akademien
Die Einwirkung des Altertums auf die Bildung, wovon nunmehr zu handeln ist, setzte zunächst voraus, dass der Humanismus sich der Universitäten bemächtigte. Dies geschah, doch nicht in dem Maße und nicht mit der Wirkung, wie man glauben möchte.

Die meisten Universitäten in Italien tauchen im Laufe des XIII. und XIV. Jahrhunderts erst recht empor, als der wachsende Reichtum des Lebens auch eine strengere Sorge für die Bildung verlangte. Anfangs hatten sie meist nur drei Professuren: des geistlichen und weltlichen Rechtes und der Medizin; dazu kamen mit der Zeit ein Rhetoriker, ein Philosoph und ein Astronom, letzterer in der Regel, doch nicht immer, identisch mit dem Astrologen. Die Besoldungen waren äußerst verschieden; bisweilen wurde sogar ein Kapital geschenkt. Mit der Steigerung der Bildung trat Wetteifer ein, so dass die Anstalten einander berühmte Lehrer abspenstig zu machen suchten; unter solchen Umständen soll Bologna zu Zeiten die Hälfte seiner Staatseinnahmen (20.000 Dukaten) auf die Universität gewandt haben. Die Anstellungen erfolgten in der Regel nur auf Zeit, selbst auf einzelne Semester, so dass die Dozenten ein Wanderleben führten wie Schauspieler; doch gab es auch lebenslängliche Anstellungen. Bisweilen versprach man, das an einem Ort Gelehrte nirgends anderswo mehr vorzutragen. Außerdem gab es auch unbesoldete, freiwillige Lehrer.

Von den genannten Stellen war natürlich die des Professors der Rhetorik vorzugsweise das Ziel des Humanisten; doch hing es ganz davon ab, wie weit er sich den Sachinhalt des Altertums angeeignet hatte, um auch als Jurist, Mediziner, Philosoph oder Astronom auftreten zu können. Die inneren Verhältnisse der Wissenschaft wie die äußeren des Dozenten waren noch sehr beweglich. Sodann ist nicht zu übersehen, dass einzelne Juristen und Mediziner weit die höchsten Besoldungen hatten und behielten, erstere hauptsächlich als große Konsulenten des sie besoldenden Staates für seine Ansprüche und Prozesse. In Padua gab es im XV. Jahrhundert eine juridische Besoldung von 1000 Dukaten jährlich und einen berühmten Arzt wollte man mit 2000 Dukaten und dem Recht der Praxis anstellen, nachdem derselbe bisher in Pisa 700 Goldgulden gehabt hatte. Als der Jurist Bartolommeo Socini, Professor in Pisa, eine venezianische Anstellung in Padua annahm und dorthin reisen wollte, verhaftete ihn die florentinische Regierung und wollte ihn nur gegen eine Kaution von 18.000 Goldgulden freilassen. Schon wegen einer solchen Wertschätzung dieser Fächer wäre es begreiflich, dass bedeutende Philologen sich als Juristen und Mediziner geltend machten; anderseits musste allmählich, wer in irgendeinem Fache etwas vorstellen wollte, eine starke humanistische Farbe annehmen.

Anderweitiger praktischer Tätigkeiten der Humanisten wird bald gedacht werden. [Aus Kapitel V.]

Burckhardt, Jacob (1818-1897) Schweizer Kulturhistoriker, Professor für Kunstgeschichte

Burckhardt, Jacob (1818-1897) Schweizer Kulturhistoriker, Professor für Kunstgeschichte