Ein deutsches Logierhaus in London 1852

Am vergangenen Donnerstag enthielten mehrere hiesige Blätter einen Polizeibericht, dessen Inhalt geeignet ist, die schamlose Ausbeutung zu beleuchten, welcher die deutschen Auswanderer in London unterworfen sind. Sie werden die Erzählung dieses Falls nicht zurückweisen. Vielleicht dient die Veröffentlichung durch Ihre Blätter dazu, einigen meiner Landsleute die Augen zu öffnen und sie vor schmählicher Plünderung zu bewahren.

Die Tatsachen sind in Kurzem folgende. Ich teilte Ihnen schon früher mit, dass der Zustand der sogenannten Lodginghäuser im vorigen Jahre zu einem Gesetze Veranlassung gegeben, welches diese Häuser unter strenge polizeiliche Aufsicht stellte und die Bauart derselben, die Zahl der Betten und der aufzunehmenden Gäste u. s. f. genau regulierte. Letzten Mittwoch stand nun ein gewisser John Ballingham White von Upper Smithfield (Whitechapel) vor dem Thames Policecourt, angeschuldigt, das obige Gesetz nicht beobachtet zu haben. Mr. Reeves, der Polizeiagent, welcher die Anklage vorbrachte, sagte aus: „er sei Montag Abend, in Folge erhaltener Mitteilungen, in das Haus des John White gegangen und habe daselbst 151 Leute, sämtlich deutsche Emigranten, vorgefunden, während gesetzlich nur für 99 Gäste Raum sei. Er könne als gewiss versichern, dass im Durchschnitt sogar zweihundert Menschen nächtlich beherbergt worden.


Das Haus selbst liege in einer der dichtbevölkertsten und ungesundesten Gegenden der Stadt. Die Schlafstätten, Betten könne man es nicht nennen, befinden sich an der Wand in drei Schichten, eine über der andern. Männer, Weiber und Kinder schlafen in demselben Zimmer, ohne auch nur durch ein ausgespanntes Tuch von einander getrennt zu sein. Die Anordnungen im Allgemeinen seien miserabel, für Ventilation nicht gesorgt, und es herrsche die größte Unreinlichkeit. Als er in den Schlafraum eingetreten, habe ihn die schwüle ungesunde Atmosphäre fast betäubt; kurz, die Spelunke sei die schmutzigste und ekelhafteste (the most filthy and disgusting), welche er je gesehen.“ White stellte keine dieser Angaben in Abrede; er behauptete aber, sein Haus falle nicht unter die gesetzlichen Vorschriften, weil es nur für deutsche Auswanderer eingerichtet, also kein common (gewöhnliches) lodginghouse sei. Außerdem behandle er die Leute so, wie er es kontraktlich mit den Auswanderungsagenten ausgemacht habe.

Der Magistrat verurteilte ihn zu zwei Pfund Sterling Strafe, und erklärte, für jeden Tag, den die alte Wirtschaft noch fortdaure, dieselbe Summe auflegen zu wollen. Als White sich über die Ungerechtigkeit dieser Entscheidung, gegen die er appellieren werde, ausließ, erhöhte der Magistrat die Strafe von zwei auf drei Pfund Sterling. — Ich enthalte mich jeden Kommentars über diesen Vorfall. Die Tatsachen sprechen für sich. Nur eine Bemerkung. Man glaube ja nicht, der so eben erzählte Fall sei ein vereinzelter. Es gibt keine ungesunderen, schmutzigeren Höhlen, als die meisten dieser deutschen Logier- und Gasthäuser in Whitechapel. Ich beabsichtige nächstens einen Ausflug in diesen Stadtteil, wo außer den Auswanderer noch Tausende unserer unglücklichen Landsleute mit den Irländern und Schweinen zusammen wohnen, und werde Ihnen das Resultat meiner Nachforschungen zukommen lassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Korrespondenz-Nachrichten. London 1852