Vorwort

Vorwörter enthalten oft etwas wie eine Selbstbiographie des Verfassers, sie erzählen, wie das Buch entstand, manches Wort wird in der Form einer Beichte gesagt; ein Vorwort, das ja in der Regel erst, wenn das Buch fertig ist, geschrieben wird, ist ein supremer Appell an den Leser. Vielleicht werden deswegen Vorwörter meist nicht gelesen. Mich haben sie immer interessiert, schon weil ich darin die teilweise Befriedigung einer berechtigten Neugierde zu finden hoffte, etwas über den Verfasser zu erfahren, mit dessen Geistesprodukt man ja im Begriffe steht, sich zu beschäftigen. Jedenfalls will ich die Gelegenheit benutzen, einiges über das Entstehen des Buches und noch mehreres zu sagen, was in den folgenden Blättern keinen Platz mehr fand oder hier an besserer Stelle ist.

Die Liebe zu den Alpen, deren Hochgipfel ich erstiegen habe zu einer Zeit, als Gletscherfahrten nur von wenigen ausgeführt wurden, und das Eindringen in die Hochregionen noch einer kleinen Entdeckungsreise glich, hat mich nach dem fernen Himalaya, in den frostigen Kaukasus und in andere Hochgebirge der Erde geführt. Es galt, bei der geographischen Erforschung außereuropäischer Hochgebirge die Bekanntschaft mit den gleichartigen oder ähnlichen Erscheinungen der Alpen, das Vertrautsein mit den Gefahren und den Schwierigkeiten, welche das Hochgebirge einem Eindringen entgegenstellt, größeren Zwecken dienstbar zu machen.


Dieses Buch handelt von meinen Reisen im Kaukasischen Hochgebirge. Die ersten wandten sich dem zentralen Teile desselben zu, dessen eisige Hochregionen damals unerforscht, nahezu unbetreten waren. Die letzten Reisen führten in die im Osten und Westen gelegenen Gebiete. Durch die Bereisung des Kaukasischen Hochgebirges in seiner ganzen Ausdehnung sollte die Kenntnis seiner physischen Verhältnisse, seiner Oberflächengestaltung gefördert und seine Darstellung in Wort und Bild ermöglicht werden.


Die Beschreibung meiner Reisen soll sich auf Selbstgeschautes, Selbsterlebtes stützen. Sie enthält die Hinweise auf die wissenschaftlichen Ergebnisse, so wie sie sich darboten, sie zeigt, wie die Kenntnis der bereisten Hochgebirgslandschaften gewonnen, wie sie erweitert wurde. Es wäre leichter gewesen, die Resultate der Reisen in trockene Paragraphen zu fassen, eine Länderbeschreibung, nach topographischen Abschnitten geordnet, zu bringen, das Buch hätte vielleicht in den Augen einiger sogar ein wissenschaftlicheres Gepräge gehabt. Es ist jedoch meine feste Überzeugung, dass der Verbreitung erdkundlicher Kenntnisse von den Hochregionen des Kaukasus damit weniger gedient gewesen wäre. Es ist unglaublich, wie viel unrichtige Vorstellungen von der Hochgebirgswelt des Kaukasus, wo in weite Regionen noch kein Sterblicher gedrungen, noch immer fortbestehen. Der Zweck eines Buches ist, dass es gelesen werde, und diesen Zweck glaubte ich nur in der Form zu erreichen, die ich meinen Schilderungen gegeben habe.

Die Ähnlichkeit der beobachteten Erscheinungen, wie sie das Gebirge bietet, die Wiederholung von Berg und Tal und Gletscher war dabei eine Klippe, deren Gefährlichkeit ich nicht verkannte. Aber selbst, wo die Natur anscheinend gleichartig ist, weiß sie durch eine überraschende Mannigfaltigkeit in den Details Wechsel zu schaffen, und mit dem Erfassen derselben kann auch die Schilderung vielleicht der Gefahr ermüdender Wiederholung entgehen. Das Einstreuen persönlicher Erlebnisse wird die Erzählung ebenso beleben, wie die Reise selbst, und die aufrichtige Darstellung der Wagnisse und Gefahren bei Erreichung eines schwierigen Zieles sind Pflicht des Reisenden, der Interesse für sein Tun, für sein Werk erwecken will.

Um die Ergebnisse meiner Reisen wertvoller zu gestalten, hatte ich mehrere Fachmänner zur Teilnahme an denselben eingeladen, welche sich mit Disziplinen beschäftigten, die mit der erdkundlichen Erforschung in engen Beziehungen stehen. Es waren dies die Botaniker Hugo Lojka, Ladislaus Hollós, die Geologen Franz Schafarzik, Karl Papp und Desiderius Laczkó. Im dritten Bande dieses Werkes werden auch diese wissenschaftlichen Ergebnisse veröffentlicht werden. Die umfangreichen naturwissenschaftlichen Sammlungen, die ich heimbrachte, habe ich vaterländischen Institutionen zum Geschenk gemacht. Dadurch und indem ich ungarischen Gelehrten die Möglichkeit bot, an meinen Reisen und an der wissenschaftlichen Erforschung ferner Regionen Teil zu nehmen, glaubte ich eine patriotische Pflicht meinem Vaterlande gegenüber zu erfüllen.

Während der Zeit, welche zwischen meine ersten und meine letzten Reisen fällt, hat die Erforschung der kaukasischen Hochgebirgswelt nicht stillgestanden. Aber damit der chronologische Verlauf meiner Reisen in der Beschreibung nicht gestört werde, damit sie den von mir beabsichtigten Charakter des Selbsterforschten, Selbsterlebten nicht verliere, habe ich meine Schilderungen so belassen, wie ich das kaukasische Hochgebirge in den Jahren meiner Reisen sah. Nur die Fortschritte in der Kartographie, in der Nomenklatur, die in der Zwischenzeit eingetreten sind, habe ich berücksichtigt.

Das Buch enthält keine Beschreibung Kaukasiens, daher auch keine solche von Städten wie Tiflis oder Baku; auch die Wege zum und vom Hochgebirge, sowie Bekanntes wurde nur in kurzen Strichen, oft nur, soweit es zum Verständnis des übrigen nötig ist, gezeichnet. Ethnographische, anthropologische und archäologische Forschungen lagen außerhalb des Bereiches meiner Arbeiten. Aber die Völkerschaften, durch deren Wohnsitze in den Hochgebirgstälern mich mein Weg führte, musste ich kurz erwähnen, weil die Naturszenen die Folie für das Menschenleben sind, das sich in ihnen abwickelt, weil sich der Zusammenhang zwischen Naturerscheinungen und Menschenleben nirgends schärfer, ursächlicher offenbart als im Kaukasus.

Ich war und bin mir der an Unmöglichkeit streifenden Schwierigkeit bewusst, eine erschöpfende Darstellung des kaukasischen Hochgebirges zu geben, und der Lücken, die der Versuch, eine so große Aufgabe zu lösen, mit sich bringen muss. Ich war bestrebt, in einem Buche, das sich an einen größeren Kreis wendet, meine Leser nicht durch Zitate aus andern Quellenwerken oder durch viel topographische Details zu ermüden; ich habe topographische Dissertationen vermieden, weil ja zum Schlüsse die Karte das Endresultat aller dieser Erwägungen in klarster, übersichtlicher Form bietet. Die Abschnitte über Orographie und Gletscher im dritten Bande mögen ihr als Ergänzung dienen. Verhältnisse, die außerhalb meines Wollens und Könnens lagen, haben einmal für längere Zeit die Fortsetzung meiner Arbeiten unterbrochen, und kurz bemessene Reisezeit oder ungünstige Wetterperioden haben oft die Ergebnisse geschmälert. — Ich musste mich begnügen, das auf sieben Expeditionen im kaukasischen Hochgebirge, oft unter großen Entbehrungen, Mühen und Gefahren Gesehene und Erforschte in Wort und Bild nach meinem besten Können in den folgenden Blättern zu bieten, und erfülle eine Ehrenpflicht gegenüber meinen Reisegefährten, die mich auf vier Expeditionen begleiteten, indem ich auch die Resultate ihrer Forschungen der Öffentlichkeit übergebe.

So, wie ich während in einer Reisen der photographischen Aufnahme der durchwanderten Landschaften das größte Gewicht beilegte, habe ich auch bei der Veröffentlichung ihrer Schilderung der bildlichen Darstellung die vollste Aufmerksamkeit geschenkt, und so, wie ich in der Photographie das beste Hilfsmittel zur treuen Wiedergabe der Physiognomie und des Reliefs der Naturformen erblicke, wurde auch bei der Reproduktion meiner Aufnahmen nur die photographische Methode angewandt. Ich war bestrebt in dem ausgedehnten Gebiete des kaukasischen Hochgebirges den typischen Charakter seiner Oberflächengestaltung vom Standpunkte des Physiogeographen zu erfassen und bildlich darzustellen. Gaben die Aufnahmen während meiner früheren Reisen die ersten systematisch aufgenommenen Bilder der Gletscherwelt des zentralen Kaukasus, so trachtete ich, durch ihre Ergänzung aus den Hauptgebieten der östlichen und westlichen Teile zum ersten Male eine bildliche Darstellung dieses mächtigen Gebirgssystems in seiner ganzen Ausdehnung zu bieten.

Auch die beigegebene Karte, die auf Grund des gesamten vorhandenen Materials ein kartographisches Bild des Kaukasus geben soll, ist die erste, das ganze kaukasische Hochgebirge einschließende Karte in größerem Maßstabe, welche in nicht russischer Sprache erschienen ist. Ich glaube damit einem wirklichen Bedürfnisse entsprochen zu haben, in einer Zeit, in welcher die Erschließung des kaukasischen Hochgebirges stetig fortschreitet und damit auch das Interesse für dasselbe steigern dürfte.

In der Schreibweise kaukasischer Namen habe ich diese mit den Hilfsmitteln der deutschen Sprache wiedergegeben, ohne zu konventionellen Zeichen Zuflucht zu nehmen, deren vorhergehendes Studium vom Leser kaum gefordert werden kann. Manche, vielleicht unrichtige, .Schreibweise hat sich soweit eingebürgert, dass ich sie, selbst auf die Gefahr der Inkonsequenz hin, belassen habe. Dies gilt auch von der Bildung der deutschen ethnographischen Bezeichnungen und der Namen für die kaukasischen Volksstämme. In vielen Phallen habe ich mich von meinen an Ort und Stelle gemachten Aufzeichnungen, die der Aussprache der Eingeborenen folgten, leiten lassen.

jetzt, da alles Erschaute und Erlebte, Arbeiten und Genüsse zum Teil längst vergangener Tage wieder an mir vorüberziehen und sich zu einer strahlenden Erinnerung an die kaukasischen Berge vereinigen, mit denen mich unauslöschliche Liebe verbindet, danke ich allen, die mich in meinen Bestrebungen mit Rat und Tat unterstützt haben.

Ehrfurchtsvollen Dank sage ich Sr. K. Hoheit dem Grossfürsten Alexander Michailowitsch, dem Präsidenten der Kais. russ. geographischen Gesellschaft für das gnädige Interesse und die Anerkennung, die Hochderselbe meinen Reisen und Arbeiten zuteil werden ließ.

Unterstützung und Förderung meiner Reisezwecke fand ich bei den Kais. russ. Ministerien in St. Petersburg und bei den Kais. russ. Behörden in Kaukasien, und es ist mir eine Ehrenpflicht, dessen hier dankend zu gedenken. Tiefsten Dank schulde ich auch dem Herrn Generalleutnant Kulberg, dem Chef des militär-topographischen Bureaus in Tiflis, für die gütige Überlassung der noch unveröffentlichten Messtisch-Aufnahmen, eine schöne Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen; ferner dem k. u. k. Ministerium des Äußern und den Herren Botschaftern Sr. k. u. k. apost. Majestät in Petersburg, I. I. E. E. Grafen von Wolkenstein-Trostburg, Prinzen Franz Liechtenstein und Baron Felix Aehrenthal-Lexa für die wirksame Einführung bei den Kaiserlich russischen Behörden. Prinz Liechtenstein hat auch später noch, mit seinem warmen Interesse für alles Schöne und Gute, für jede Betätigung männlicher Tatkraft, den lebhaftesten Anteil an meinen Reisen genommen.

Besten Dank sage ich meinen verehrten Freunden, D. W. Freshfield, Dr. Gottfried Merzbacher und Vittorio Sella, die mit mir zusammen immer bestrebt waren, die Erforschung des kaukasischen Hochgebirges zu fördern und mich auch bei der Veröffentlichung dieses Buches mit ihrem reichen Wissen unterstützt haben.

Worte des Dankes gebühren meinen Reisegefährten und meinen Mitarbeitern, denen ja überdies die Würdigung für das von ihnen Geleistete seitens der hierzu Berufenen nicht fehlen wird. Dankend will ich auch der Mühe und .Sorgfalt gedenken, mit welcher der Verleger, Herr Konsul Vohsen, bestrebt war, meinen Wünschen und Anregungen, insbesondere betreffs Ausstattung des Werkes, nachzukommen.

Wenn ich jetzt dieses Buch dem deutschen Leser übergebe, will ich mit den Worten eines großen deutschen Naturforschers, Alexander von Humboldt, schließen. Wie Humboldt in der Einleitung zu seinem Monumentalwerke, dem Kosmos, ausruft: „Stolz auf das Vaterland, dessen intellektuelle Einheit die feste Stütze jeder Kraftäußerung ist“, möchte auch ich das alte „patriae caritas, omniae caritas superat“ voranschicken, aber indem ich mich zur Schilderung meiner Reisen der deutschen Sprache bediente, auch Humboldts Worte, die er den obigen anfügte, wiederholen: „Hochbeglückt dürfen wir den nennen, der bei der lebendigen Darstellung der Phänomene des Weltalls aus den Tiefen einer Sprache schöpfen kann, welche seit Jahrhunderten so mächtig auf alles eingewirkt hat, was durch Erhöhung und ungebundene Anwendung geistiger Kräfte, in dem Gebiete schöpferischer Phantasie, wie in dem der ergründeten Vernunft, die Schicksale der Menschheit bewegt.“

Budapest, 4. November 1905. M. v. Déchy.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaukasus. Band 1