Abschnitt 1. Lieber Freund und Lehrer! Mit Freuden ergreife ich die Feder, um dir zu schreiben, daß wir noch bei guter Gesundheit sind, was wir auch von dir hoffen. ...

Lieber Freund und Lehrer! Mit Freuden ergreife ich die Feder, um dir zu schreiben, daß wir noch bei guter Gesundheit sind, was wir auch von dir hoffen. Nun soll ich dir erzählen aus der Zeit, da ich in dies Land kam und wie ich als Farmer gearbeitet habe und von Haus und Hof, von Acker und Vieh, von guten Freunden, getreuen Nachbarn und all solchen Dingen, die in der vierten Bitte vorkommen. Es ist nicht leicht. Ich kann noch einen Sack Korn schmeißen von 200 Pfund, aber Buchstaben malen ist schwer für meine Pranken. Ich kann mit dem Pflug noch eine Furche ziehen, da kannst du mit dem Lineal nachmessen. Aber mit der Feder eine gerade Reihe langgehen, das ist nicht leicht für einen alten Mann. Denn siehe, ich fange an, Großvater zu werden.

Aber wissen tu ich das alles noch von Anfang an, und dichten kann ich das auch. Wenn auch viel Gras gewachsen ist über die alten Geschichten und viel Gras gemäht ist seit der Zeit und wenn da auch viel Wasser rübergelaufen ist – sie gehören doch zu den Dingen, die auch viele Wasser nicht können auslöschen. Du hast uns in der Schule davon erzählt. Darum hab ich es mir aufmerksam in meinen Kopf genommen. Aber vom Kopf bis in die Feder, das ist ein weiter Weg zu gehen. Denn die Feder hat man ein Bein, und das ist bannig dünn und bricht immer bald ab. Dann gibt es einen Klecks. Die Federn taugen nichts. Aber versuchen will ich es, wo ich nun doch Zeit habe und mein Zweiter schon die Arbeit machen kann.


Wenn ich diesen Winter nicht fertig werde, dann setz ich mich im nächsten wieder achter den Blackpott. Kommst du an eine Stelle und kannst es nicht lesen, dann mußt du denken: Na, er hat viel zu arbeiten gehabt in seinem Leben, und einen ganzen Posten Buchstaben hat er wohl vergessen. Wenn du das gedacht hast, dann mußt du überhopsen. Ich hab das auch so gemacht, wenn ich mit dem Pflug an einen Stubben kam. Ja well.

Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß ich das gern aufschreibe, und freue mich dabei. Das hat der Mensch gern, wenn er sich freuen kann. Wenn man alt wird, muß man wahrschauen, daß einem die Freude nicht an der Pforte vorbeiläuft. Da muß man die Tür fix aufklinken und sie mit freundlichen Wörtern einladen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. Wenn man jung ist, hat man das nicht nötig. Da kommt sie einem von selbst über den Zaun gesprungen.

Die Reisekarte hatte Kaufmann Danckert in Ludwigslust mir besorgt. Sie kostete bis New York 29 Taler, und einen hab ich ihm runtergehandelt. Aber es war doch viel Geld, wo mein Vater der ärmste Tagelöhner im Dorfe war. Das meiste Geld hatte ich mir als Kleinknecht beim Bauern verdient. Drei Jahre lang bei Hannjürn Timmermann, das machte 27 Taler, denn 3 × 9 = 27. Siehe, ich habe das kleine Einmaleins mit herübergenommen; das gilt auch in Land Amerika. Und einen Rock extra.

Heute kriegt der Großknecht bei euch ja wohl seine 400 Mark, und für den Vater muß der Bauer noch 300 Ruten pflügen und eggen. Aber Geld haben sie darum doch nicht in der Bücks. Bei uns auf der Farm kriegt der Knecht hundert Dollars das Mond und ein Reitpferd durchzufüttern. Dafür heißt er auch Farmhand. Man bloß, es ist keiner zu haben, ob er nun Knecht oder Farmhand heißt, und Dirns erst recht nicht. – Fünf Taler hab ich mir noch zugeliehen vom alten Köhn und von Karl Busacker, und sie haben keinen Schein gefordert. So war das Geld zusammen und noch ein paar Schilling für den Notfall, daß die Amerikaner nicht sagen sollten: Seht, da kommt er an als wie ein Handwerksbursche und hat keinen roten Dreiling im Sack. –

Im Dorf ging ich rund und sagte Adschüs. Das ging fix. Dann kam Mutter an die Reihe. Das ging nicht fix. Sie sprach: Nu schick dich auch und schreib mal, woans es dir gehen tut, und paß auch auf deine Hemden und Strümpfe und auf dein Geld, daß dir da nichts von wegkommt. Und vergiß auch das Beten nicht! – Dann mein Bruder. Ich sprach: Halt sie gut, wenn sie alt wird. Ich will dir auch Geld schicken, daß du ihr sonntags mal Fleisch kaufen kannst und zum Winter ein wollen Umschlagetuch. Er sprach: Da sorg dich man nicht um. Sorg du man erst für dich selbst, daß dir unterwegs kein Wasser in die Höltentüffel (Holzpantoffel) kommt.

Als das fertig war, schwenkte ich mir meinen Sack auf die Schulter und nahm meines Vaters eichen Gundagstock (GutenTag-, Spazierstock) in die Hand. Vater hatte seine letzte Reise schon hinter sich. Dazu brauchte er keinen Stützstock mehr. So faßte ich ihn bei der Krücke und ging nach Ludwigslust. Meine Mutter stand an der Katentür, hielt die Hände unter der Schürze und sah mir nach. Siehe, ich habe sie in 32 Jahren nicht mehr gesehen.

Hinter Hornkaten, in den Lieper Bergen, wo der Sand am dünnsten war, da stand ich still. Das war so die Angewohnheit an der Stelle. Da hatte der alte Hannjürn mit Pferd und Wagen auch immer stillgehalten, auf daß sie sich verpusteten. Er aber stand daneben und kuckte sich um, und dann sagte er so ganz langsam und ebendrächtig vor sich hin: Dies Land ist dem lieben Gott auch man mäßig geglückt. Wenn er das gesagt hatte, dann sagte er: Hüh! und fuhr weiter. Denn er war ein Mann, der wenig Wörter machte. Wenn du seinen Sohn siehst, dann grüß ihn von mir.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer