Vierter Abschnitt. - Reinhard war bis zu seiner Universitätszeit in einem Landstädtchen in vollkommener Zurückgezogenheit erwachsen, ...

Reinhard war bis zu seiner Universitätszeit in einem Landstädtchen in vollkommener Zurückgezogenheit erwachsen, und seinem Geiste mußten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der Gesellschaft und durch das Theater empfing, ganz anders erscheinen, weil er sich der Empfindungen bewußt war, die dadurch in ihm hervorgerufen worden. Eduard hingegen war allmälig durch Nachdenken zu der Ansicht gekommen, die er vertheidigte, und die er, durch Verhältnisse, welche wir später darthun werden, angeregt, heute ungewöhnlich warm ausgesprochen hatte.

Beide Männer ahnten nicht, mit welcher Verwunderung Madame Meier und die Pfarrerin den Ansichten ihrer Söhne zuhörten, und daß Beide tiefer in den Herzen derselben lasen, als es ihnen lieb sein mochte. Ebenso hatte Reinhard nicht bedacht, wie weh der armen Jenny sein Urtheil thun mußte, die sich in aller Unbefangenheit dem Genusse der Musik hingegeben hatte, und die eben heute diese Oper doppelt liebte, weil ihr während derselben die Ueberzeugung geworden war, daß Reinhard’s Herz ihr angehöre.


Der Pfarrerin war Jenny’s Bewegung nicht entgangen; sie sah den langen, flehenden Blick, den Reinhard auf sie richtete, nachdem er gesprochen; sie sah, daß Jenny sich zu ihm neigte und ein paar Worte sprach, die ihren Sohn in das höchste Entzücken zu setzen schienen, denn sein Gesicht leuchtete vor Wonne, aber verstehen konnte sie diese leise gesprochenen Worte nicht. Ich werde nie wieder in den Figaro gehen, hatte Jenny zu Reinhard gesagt, und die Pfarrerin überlegte vergebens, weshalb der Ausdruck von Betrübniß auf dem schönen Gesichte des Mädchens trotz Reinhard’s Freude nicht verschwinden wollte.

Um der Unterhaltung, die für einige Augenblicke ins Stocken gekommen war, wieder fortzuhelfen, bemerkte die Pfarrerin: Mag man nun über die Moral des Figaro, die allerdings locker genug ist, noch so streng urtheilen, es ist nicht zu leugnen, daß die Dichtung Anmuth hat, der bezaubernden Composition gar nicht erst zu denken.

Das macht sie um so gefährlicher, schaltete Hughes ein, wenn wir die Gefährlichkeitstheorie der beiden Herren überhaupt annehmen.

Ich bitte Sie, mein Herr, lachte Erlau dazwischen, lassen Sie sich doch von den abgeschmackten Lehren nicht hinreißen. Was so ein Doctor, der längst ein begehrter Heirathscandidat ist, und so ein Candidat der Theologie, der längst Prediger sein möchte, unser Einem vorpredigen und aufdociren möchten, das ist ja deshalb Alles noch nicht wahr. Lassen Sie die Beiden doch lehren, was sie wollen; ich behaupte dennoch, daß im Figaro, im Barbier, im Don Juan, in der ganz vergessenen, lieblichen Fanchon, etwas von der flüchtigen, zierlichen Leichtigkeit des vorigen Jahrhunderts liegt, die uns leider verloren gegangen ist.

Von einer Leichtigkeit, sagte Eduard, die, in totale Verderbtheit ausgeartet, sinnlos forttänzelte zum Schaffot, trotz der warnenden Stimmen, an denen es nicht fehlte.

Ja! zum Schaffot, fuhr Erlau fort, auf dem die leichtfertigen Tänzerinnen mit einer Ruhe starben, mit einer Seelengröße, die einer Römerin würdig gewesen wäre. Die Prinzeß Elisabeth starb eben so ruhig als Arria, oder irgend eine andere Heldin Eurer gepriesenen, langweiligen Römerzeit; und der ganze Unterschied ist der, daß die Französinnen liebenswürdig und glücklich waren, und Glückliche machten, während so eine antike Römerin, oder römische Antike in ihrem Frauengemache saß und tugendhaft war, und wollene Toga’s webte. Da lobe ich mir die Französinnen!

Die alten Damen lachten, und Erlau fuhr dadurch ermuthigt fort:

Sagt mir nur ehrlich, ist Einer von Euch halb so liebenswürdig, als der Graf Almaviva, oder Don Juan, oder Cherubin, oder der Abbé in Fanchon?

Du vielleicht, lieber Erlau! sprach Eduard.

Wollte Gott, ich wäre es. Ich strebe täglich, diese heitern Vorbilder einer fröhlichen Vorzeit zu erreichen, aber kommt man dazu? Kaum hat man sich verliebt und schwelgt in Wonne, so erzählen sie von Actien zu einer Eisenbahn, oder von Entwürfen zu Kleinkinderschulen, in denen lauter Prüden und Pedanten erzogen werden sollen. Denkt man daran, sein Herz frei zu machen, um es bald wieder gefangen zu geben, so soll man einer Corporation zur Befreiung der Negersklaven oder zur Erleichterung der Hunde beitreten; und kein Mensch denkt dabei, daß mich z.B. dies viel mehr ennuyirt, als es irgend einen Neger langweilt, Zuckerrohr zu tragen, oder einen Hund, seinen Karren zu ziehen.

Es ist freilich nicht allen Menschen möglich, das Leben wie eine Lustpartie zu nehmen, und jedes höhere Interesse als lästiges Hinderniß zu verleugnen, erwiderte Reinhard, dem diese Scherze Erlau’s besonders darum mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran fand, das er nicht billigen konnte.

Und wie soll man das Leben denn wohl anders nehmen? fuhr der unerschöpfliche Erlau fort. Gott hat uns fraglos für die Freude geschaffen; Gott will, daß wir uns freuen sollen, und daß Ihr mich neulich und heute wieder in meinem besten Vergnügen stört, ist eine wahre Todsünde. Was habt Ihr denn von dem ewigen Moralisiren? Madame Meier und die Frau Pfarrerin hören so andächtig zu, daß ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräulein Jenny sieht seit der abgeschmackten Unterhaltung so traurig aus, und ist so zerstreut, daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe, den schweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir verursacht. – Liebes Fräulein, sprach er gegen Jenny gewandt, nur eine doppelte Portion Zucker als Ausgleich für den bittern Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!

Die kleine Gesellschaft war in ein herzliches Lachen ausgebrochen, das Erlau’s fröhliche Laune hervorgerufen hatte. Auch Jenny riß sich gewaltsam aus den Gedanken heraus, die heute zum ersten Male in ganz neuer Gestalt in ihr erwacht waren. Nur Reinhard blieb in tiefes Sinnen verloren, und sah, aufgelöst in Liebe, zu Jenny hin, die sich eben anschickte, Erlau eine scherzhafte Antwort zu geben, als Joseph und Steinheim in das Zimmer traten. Sie waren zu Fuß aus dem Theater gekommen, und Steinheim entschuldigte ihr spätes Erscheinen mit den parodirten Worten: Spät komm’ ich, doch ich komme; der weite Weg entschuldige mein Säumen.

Aber warum fuhren Sie nicht auch nach Hause? fragte Jenny.

Weil leider Freitag Abend ist, antwortete Steinheim, und ich meiner Mutter den Kummer nicht machen wollte, zu fahren. Aus Kindesliebe, aus Frömmigkeit hole ich mir in dem nassen Wetter den Tod, nach dem Echauffement im Theater, und bei meinem reizbaren Nervensystem! Was soll man aber thun?

Ich habe geglaubt, das Fahren sei nur am Sonnabend verboten, sagte die Pfarrerin.

O nein! erwiderte Steinheim, der Sonnabend fängt bei uns schon des Freitags an, und alle Ruhe- und Sabbathfeiergesetze müssen von Freitag Abend ab gehalten werden, bis Sonnabends die ersten Sterne blinken.

Die Pfarrerin erwähnte es lobend, daß Steinheim sich an diese Formen halte. – Mir sind sie ganz gleichgültig, antwortete er, ich halte sie für ein Gesetz, das mißverstanden ist, und befolge es nur meiner Mutter zu Liebe, der ich viele Opfer der Art bringe, obgleich sie meine Gesundheit ruiniren.

Für solch einen Mustersohn habe ich Sie nicht gehalten, sagte Jenny, die nie der Lust widerstehen konnte, Steinheim zu necken. Ich wußte nicht, daß Selbstverleugnung auch zu Ihren Tugenden gehöre.

„Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen, und das Erhabne in den Staub zu ziehn,“ declamirte Steinheim. Daß Sie, holdes Fräulein, aber an mir zweifeln, verdiene ich nicht, und ich könnte wie Cäsar sagen: „Brutus, auch Du!“ – Uebrigens wissen Sie ja, daß Sonnabends unsere Pferde geschont und ich strapazirt werde.

Das ist das erste Gesetz gegen Thierquälerei, rief Erlau dazwischen, und ich wundere mich, lieber Meier, daß Du, in doppelter Hinsicht triumphirend, nicht längst darauf aufmerksam gemacht hast.

Wirklich, meinte Madame Meier, gehört aber die stille Sabbathfeier zu den Gesetzen der jüdischen Religion, die mir sehr gefallen und zusagen – obgleich wir sie nicht mehr halten.

Ich finde es auch sehr schön, sagte Jenny, aber es ist doch nicht für alle Menschen, eigentlich nur für Juden gemeint; denn ich habe bei Madame Steinheim selbst gesehen, daß ihr christliches Dienstmädchen die Lichter putzte, was sie selbst nicht that.

Also meinen Sie, fragte Steinheim, der sich neben Jenny’s Stuhl hingesetzt hatte, da das Dienstmädchen Licht putzen darf, so kann das Pferd auch ziehen?

Ja! sagte Jenny leise, während sich bereits eine andere Unterhaltung in der Gesellschaft entsponnen hatte. Ja! die Pferde könnten wohl arbeiten, da sie nicht Juden sind.

Und was sind sie denn? fragte Steinheim ebenfalls leise, um die Andern nicht zu stören.

Weiß ich’s? war die Antwort, vermuthlich Christen! – oder Heiden! fügte sie schleunig hinzu, bemerkend, daß Reinhard, der an ihrer andern Seite saß, jedes Wort dieser kindischen Unterhaltung gehört hatte, und sich unwillig abwendete, als Steinheim in ein laut schallendes Gelächter verfiel, dessen Grund er aber, auf Jenny’s eifriges Bitten, nicht sagen wollte, so sehr man auch in ihn drang.

Durch Reinhard’s Brust waren die letzten Worte wie ein fliegendes Weh gezogen, wie ein eisiger Frost über die ersten schönen Blüthen des Frühlings. Diese Leichtfertigkeit, dies Scherzen mit Allem, was Andern heilig ist, das war es eben, was oft so trennend zwischen Jenny und seiner Liebe gestanden hatte. Er liebte ihre reiche, schöne Natur, ihr lebhaftes Gefühl, und wurde es doch nur zu häufig mit Betrübniß gewahr, daß Jenny, in Folge ihrer Erziehung und der Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen war, eine Richtung genommen hatte, die seiner ganzen Seele widerstrebte, die auch Eduard mißbilligte, die aber zu ändern ihren beiderseitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen war. Reinhard glaubte an ihr Herz, er liebte sie, wie ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag – und doch fühlte er eine Scheidewand zwischen sich und der Geliebten; doch konnte er die bange Ahnung nicht unterdrücken, es stehe ein Etwas trennend zwischen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny’s letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue und heute um so schmerzlicher in ihm. Trüb und verstimmt nahm er, als sich die Gesellschaft trennte, von der Geliebten Abschied, trüb und verstimmt schritt er an seiner Mutter Seite heim, während Jenny in ihrem Zimmer Thränen der bittersten Reue vergoß. Sie wußte, was sie ihm angethan hatte, aber so hatte sie heute doch nicht von ihm zu scheiden geglaubt. – Er hatte keinen Blick für sie gehabt, und jetzt wußte er es doch, daß sie ihn liebte.

Die schöne Clara lag, während sich dies Alles begab, von Schmerzen gepeinigt auf ihrem Krankenlager. Jung, schön und gut, umgeben von Reichthum und Luxus, hatte sie doch niemals das Glück gekannt, für das allein sie geschaffen schien. In ihrem väterlichen Hause war die unglückliche Ehe ihrer Eltern eine Quelle des Leidens für sie geworden. Nur der Wunsch, sich in der Welt vorwärts zu bringen, hatte ihren Vater einst dazu vermocht, um seine Gattin zu werben, die, wie schon früher erwähnt, einer der angesehensten Familien der Kaufmannsaristokratie angehörte. Die Commerzienräthin war einige Jahre älter als ihr Gatte, hatte aber, als sie sich mit ihm verband, noch vollen Anspruch auf die Bewunderung ihrer regelmäßigen kalten Schönheit zu machen, und glaubte, ein Recht auf die Verehrung ihres Mannes, auf seinen Dank zu besitzen, weil sie sich entschlossen, zu einer Verbindung zu schreiten, die damals noch keine glänzende Aussicht geboten hatte. Liebe brachten beide Theile nicht in das neugegründete Hauswesen; und als bald darauf der herrschsüchtige Charakter der Frau dem jungen Manne sein Haus zur Plage machte, und er sich immer mehr von ihr zurückzog, artete ihre Stimmung in eine Bitterkeit, in eine starre Kälte aus, die vollends dazu beitrug, die Gatten von einander zu entfernen. Die Geburt ihres Sohnes schien eine Zeitlang das Herz der Mutter mildern Gefühlen gegen den Vater des Kindes zu öffnen. Es war aber zu spät, um den Frieden herzustellen. Horn hatte sich, fortgerissen von andern Männern und einem sinnlichen Temperamente, einer Lebensart überlassen, welche seiner Frau gerechten Grund zur Klage bot, und als einige Jahre später Clara geboren wurde, fehlte schon an ihrer Wiege das Lächeln beglückter Elternliebe.

Ihr Sohn war das einzige Wesen, an dem die Mutter hing. Ihm wurde, sobald er nur im Stande war, seinen Willen zu äußern, jeder Wunsch erfüllt; und eben so schwach und nachsichtig gegen den Sohn, als streng gegen alle Andere hatte die Commerzienräthin den jungen Mann zu dem weichlichen, kalten und hochmüthigen Stutzer erzogen, als welchen wir ihn am Anfang dieser Erzählung zuerst erblickten. – Umdie liebliche Clara hatte die Mutter sich wenig nur gekümmert. Die Kleine war früh einer Gouvernante übergeben worden, die glücklicher Weise ganz dazu geschaffen war, die Seele des jungen Mädchens zu bewahren und auszubilden. Von den Eltern nicht mehr als nothdürftig beachtet, geneckt und geplagt von den eigensinnigen Launen des Bruders, gewöhnte sich Clara schon in erster Kindheit an eine Fügsamkeit und Anspruchslosigkeit, die später der edelste Schmuck der schönen Jungfrau wurden. Nicht ohne Stolz sah der Vater auf die Bewunderung, die das erste Auftreten Clara’s in der Gesellschaft erregte. Die wilden Leidenschaften der Jugend hatten sich bei ihm gelegt, sein Sohn, der Mutter Liebling, war ihm fremd geblieben; er vermißte eine freundliche Heimath, die Anhänglichkeit einer Familie, und so konnte es nicht fehlen, daß der Tochter demüthige Ergebenheit, ihr kindliches Anschmiegen ihn fesselten. Er liebte sie, wie er zu lieben im Stande war. Sie war sein Stolz, die Krone seines Besitzes, und alle seine Wünsche gingen darauf hinaus, diese Tochter so glänzend, als möglich, versorgt zu sehen. Wie angenehm mußte es ihn also überraschen, als die Commerzienräthin, die das freundliche Verhältniß ihres Mannes zu der Tochter stets mit gewohnter Gleichgültigkeit betrachtet hatte, ihm einst ganz unvermuthet die Frage vorlegte, ob es jetzt, da Clara bereits im zwanzigsten Jahre sei, nicht Zeit werde, an die Verheirathung derselben zu denken. Sie theilte ihm mit, daß sie schon seit längerer Zeit mit ihrer in England verheiratheten Schwester den Plan entworfen habe, den einzigen Sohn derselben mit Clara zu verbinden. Sie bewies, daß ihr Schwager Hughes, nach englischer Sitte an die Bevorzugung des ältesten Erben gewöhnt, gern bereit sein werde, Ferdinand im Besitze des väterlichen Vermögens zu lassen, und daß auch ohne dieses Clara reicher und glänzender versorgt sein würde, als es in Deutschland jemals der Fall sein könnte. Der Plan,den die Commerzienräthin dabei hatte, war, einst die gleiche Theilung des Vermögens zwischen ihren bei den Kindern zu vermeiden; und er fand, wenn auch aus andern Gründen, bei ihrem Gatten volle Billigung. William Hughes galt nach Allem, was man über ihn wußte, für einen gescheidten und wackern Jüngling. Die Millionen seines Vaters kannte der Commerzienrath aus Erfahrung, und daß der alte Hughes Mitglied des Unterhauses war, daß auch William dies einst werden und sich eine glänzende Laufbahn für ihn eröffnen könne, entschied nicht wenig zu Gunsten dieser Angelegenheit, so daß die Commerzienräthin volle Freiheit erhielt, dieselbe nach ihrer Ansicht einzuleiten.

Nichts war leichter, als den jungen reiselustigen Engländer zu einem Ausflug nach dem Continent und zu dem gelegentlichen Besuche seiner Familie zu überreden, die er nur als Knabe gesehen hatte; und der schmeichelhafte Empfang, der ihm von Onkel und Tante wurde, die große Freude, welche Ferdinand, dem die Plane seiner Mutter nicht unbekannt waren, über des Vetters Anwesenheit an den Tag legte, bewogen diesen bald zu einem längeren Verweilen in dem verwandten Hause.

Für Clara begann mit des Vetters Anwesenheit ein neues Leben. Mutter und Bruder überboten sich in tausend Freundlichkeiten gegen sie, man bemühte sich, sie in dem vortheilhaftesten Lichte erscheinen zu lassen, und war jetzt plötzlich bereit, ihren Ansichten und Wünschen zu schmeicheln, weil man sie zu ähnlicher Fügsamkeit zu überreden wünschte. Von Natur weich und hingebend, fühlte Clara sich zum ersten Mal in ihrem Leben wahrhaft glücklich, durch das Wohlwollen, von dem sie sich umgeben sah; und da auch auf sie das Glück seinen verschönenden, belebenden Einfluß zu machen nicht verfehlte, war es nur natürlich, daß William seine Cousine sehr liebenswürdig fand. Er beschäftigte sich angelegentlich mit ihr, und bald begann sich ein zutraulich heiteres Verhältniß zwischen ihnen zu bilden, dessen Entstehen von der ganzen Familie mit Freuden bemerkt wurde.

Da kam an dem Abende, an dem diese Erzählung beginnt, der unglückliche Zufall dazwischen, der Clara für lange Zeit von der Gesellschaft trennte, die Heirathsentwürfe ihrer Mutter für sie zunächst hinausschob, und Eduard in ihre Nähe brachte. Nach dem ersten Aufruhr, den dieses Ereigniß verursacht hatte, fing man im Hornschen Hause bald wieder an, sich den gewöhnlichen Beschäftigungen und Zerstreuungen hinzugeben, und Clara wurde von ihrer Mutter vernachlässigt wie früher, was ihr nach dem kurzen Traume von Glück um so schmerzlicher sein mußte. Fast immer, wenn ihr junger Arzt sie besuchte, fand er sie mit einer Wärterin allein, und seinem geübten Auge konnte es nicht entgehen, daß bei seiner Kranken die Seele empfindlicher noch als der Körper leide. Die Geduld, mit der sie ihre Schmerzen ertrug, die Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Wesens, und ein Zug von stiller Resignation machten ihm die Kranke werth. Er bemühte sich, durch Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerksamkeit zu beleben; er kam, so oft er es konnte, dehnte seine Besuche lange aus, und fand den schönsten Lohn dafür in der dankbaren Freude, mit der das junge Mädchen ihn begrüßte; in dem Genuß, den er selbst bald dabei zu empfinden begann.

Oft, wenn er sie am Morgen in möglichst gutem Wohlsein verlassen hatte, war sie Abends in einem aufgeregten, beunruhigenden Zustande, für den in ihrem körperlichen Befinden kein Grund vorhanden war, und den er mit Recht unangenehmen Gemüthsbewegungen zuschreiben mußte. So fand er sie denn auch eines Abends, weinend und so bewegt, daß sie kaum seine Fragen zu beantworten vermochte. Ein heftiger Streit der Eltern, veranlaßt durch Ferdinand’s Verschwendung und seine ungeregelte Lebensart, war unglücklicherweise in dem Krankenzimmer ausgebrochen. Der Vater hatte sich mißbilligend darüber geäußert, daß Ferdinand jetzt fast niemals mehr bei Tisch erscheine, daß er seine Zeit in leichtsinniger Gesellschaft verbringe, daß er durch die unverzeihliche Schwäche der Mutter in all diesen Fehlern bestärkt werde, die er als Vater nicht länger dulden wolle. Gereizt durch den doppelten Tadel, der sie und ihren Liebling traf, hatte die Commerzienräthin heftig erwiedert, sie könne eine Lebensweise an ihrem Sohne nicht so strafbar finden, zu der des Vaters früheres Betragen ihm das Beispiel gegeben und die sie Jahre lang an ihrem Manne habe erdulden müssen. Trotz Clara’s dringenden Bitten, trotz ihrer flehentlichen Worte, sie nicht zum Zeugen dieser entsetzlichen Scene zu machen, war sie dennoch fortgesetzt worden, bis die Mutter in höchster Entrüstung das Zimmer verließ, und der Vater allein bei ihr zurückblieb, sich vor der Tochter bitter über das Loos beklagend, das ihm an der Seite ihrer Mutter geworden sei.

Bald darauf war Eduard eingetreten. Clara war allein. Die Krankenwärterin saß in der geöffneten Nebenstube schläfrig strickend bei der Lampe, deren Schein durch einen grünen Ueberwurf gemildert war. Alles war still in dem Zimmer, und Eduard hörte um so deutlicher an den unruhigen Athemzügen der Leidenden, daß sie eben erst zu weinen aufgehört hatte. Freundlich fragte er sie nach ihrem Befinden, er wollte ihre Hand ergreifen, um sich durch den Pulsschlag selbst davon zu überzeugen, aber sie zog die Hand rasch fort, und sagte: „Ach! das beweist heute nichts; ich leide freilich, aber Sie können mir nicht helfen, lieber Doctor!“ und dabei brach sie auf’s Neue in heiße Thränen aus.

Der Doctor beschied sich und versuchte sie um ihr körperliches Uebel zu befragen, sie war aber so aufgeregt, daß sie, ihre sonstige Zurückhaltung gänzlich vergessend, ihn mit den Worten unterbrach: Täuschen Sie sich nicht, Herr Doctor! ich will Sie auch nicht länger damit hintergehen – die äußere Wunde kann nicht heilen, ich kann nicht genesen, so lange meine Seele auf das Grausamste zerrissen wird. Ich wollte oft, ich brauchte nicht zu leben!

Und denken Sie nicht an Ihre Eltern? Wissen Sie nicht, daß auch für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger Balsam in der Zukunft liegt? fragte Eduard. Gerade ein Gemüth, wie das Ihre, muß im Leben Freuden finden, weil es geschaffen ist, Freude zu bereiten durch sein bloßes Sein.

Ich habe Niemandem Freude gemacht, ich habe immer allein gestanden unter den Meinen, von Kindheit an; und ohne meines Vaters Liebe wüßte ich kaum, daß ich eine Heimath habe, entgegnete sie ihm schnell. Meinen Tod würde man bald vergessen, und er würde vielleicht ein Glück, er würde zu einem Versöhnungsmittel werden. Sie sagen, ich hätte ein weiches Gemüth; beklagen Sie dann mein Schicksal, das mich in die kälteste Atmosphäre versetzte, in der ich täglich tausendfachen Tod erleide!

Erschöpft lehnte sie sich bei diesen Worten in die Kissen zurück. Der höchste Punkt der Aufregung war vorüber, sie weinte schweigend eine Weile fort, der Doctor ließ sie gewähren, weil er diese Thränen als das beste Beruhigungsmittel kannte; aber er betrachtete das schöne Mädchen mit Bedauern. Clara war eine jener Frauennaturen, die, wie er es eben gegen sie selbst ausgesprochen, durch ihr bloßes Erscheinen wohlthuend wirken. Eine gleichmäßige Ausbildung aller Seelenkräfte, bei glücklicher Anlage, machte, daß Leute von dem verschiedensten Charakter sich von ihr angezogen fühlten. Der Kluge nannte sie klug, der Leidende theilnehmend, der Frohe fröhlich, und Alle fühlten sich erquickt durch ihre Güte und das Wohlwollen, mit dem sie Jedem begegnete. Man fand sie liebenswerth, man war für sie eingenommen, ehe sie irgend etwas gethan hatte, dies Urtheil zu rechtfertigen. Solch ein Mädchen könnte und müßte der Schutzgeist eines Hauses sein, sagte sich Eduard, und es that ihm leid, daß dieses milde Wesen einer Familie angehöre, in der es weder glücklich zu sein, noch glücklich zu machen vermochte.

Als Clara sich beruhigt hatte und das medicinische Examen vorbei war, ermahnte der Doctor sie, sich so viel als möglich zu schonen, sich ruhig zu verhalten. Bedenken Sie, sagte er, daß der Körper durch Ihre Gemüthsbewegung leidet und nicht die frühere Kraft gewinnen kann, und daß Sie, andererseits, bei diesem gereizten Nervenzustande, jedes geistige Leid doppelt schwer empfinden. Mit diesen Worten wollte er von ihr scheiden, aber sie war wieder Herr über sich selbst geworden, und hielt ihn noch zurück. –

Vergessen Sie, was ich heute sagte, bat sie ihn, ich bin krank, und dabei übertreibt man sein Empfinden. Und denken Sie nicht ungleich von mir, weil ich die Meinen im Unmuth angeschuldigt habe. Glauben Sie, Herr Doctor! fügte sie hinzu, indem sie zu lächeln versuchte, ich bin nicht so undankbar, als ich Ihnen heute erscheinen mußte, und ich möchte nicht, daß Sie mich dafür hielten.

Liebes, gutes Fräulein, wie mögen Sie glauben, daß ich an Ihnen irre werden könnte? rief Eduard aus. Genügt es denn nicht, daß ich Sie kenne, daß ich seit Wochen Ihre Geduld, Ihre Fügsamkeit bewundere, um ein schönes, ein reines Bild Ihres Wesens in mir festzustellen? Glauben Sie mir, dem Arzte offenbart sich die Schönheit der Menschennatur ebenso oft, als er von der erbärmlichen menschlichen Schwachheit unangenehm überrascht wird. Ihnen danke ich das Erste, und wenn ich als ein kalter Zweifler zu Ihnen gekommen wäre, Ihnen hätte ich die Ueberzeugung zu verdanken, daß im Menschen ein sanfter Strahl der Gottheit lebt.

O! ein so schlechter Christ sind Sie gewiß nicht, daß Sie jemals an Gott gezweifelt und erst meiner Belehrung zum Glauben bedurft hätten! rief Clara, um ihre Bewegung zu verbergen.

Indem fiel ihr aber das Thörichte dieser Aeußerung ein, und ihre Verlegenheit nahm zu, als Eduard lächelnd antwortete: Ein Gottesleugner bin ich in der That nicht; aber sicher ein herzlich schlechter Christ, da ich ein Jude bin. Gönnen Sie mir also immerhin die Belehrung durch Ihr Beispiel. Wenn es mich auch nicht bekehrt, so bessert und erfreut es mich, und für Beides bin ich Ihnen nur zu gern verpflichtet.

Damit empfahl er sich und ließ Clara in eigenthümlicher Bewegung zurück. Sie hatte ihren Arzt liebgewonnen und ein unbedingtes Zutrauen zu seiner Behandlung gefaßt, sie achtete ihn als Mann, heute hatte sie ihn tief in ihrer Seele lesen lassen. Das Unglück ihres ganzen Lebens, das Niemand kannte, hatte sie ihm enthüllt, er hatte sich dabei gegen sie wie ein Bruder mild und gut gezeigt, sie war ihm näher getreten, als jemals einem andern Manne, und – er war ein Jude. Sie erschrak, und mußte doch lächeln, denn sie hatte es gewußt, und die Ihrigen hatten sie damit geneckt, daß sie darauf bestanden, sich nur von einem Arzte des „auserwählten Volkes“ behandeln zu lassen. Man hatte sie oft genug um den eigentlichen Grund dieser Wahl gefragt, und doch konnte sie die Thatsache so ganz vergessen, daß sie sie in diesem Augenblicke überraschte. Noch vor einigen Tagen hatte William, der öfter in ihrem Krankenzimmer erschien, mit großer Theilnahme von der Meierschen Familie gesprochen, und dafür eine Strafpredigt der Commerzienräthin aushalten müssen, die er mit verständigen Gründen zurückgewiesen hatte. Jetzt war Clara völlig seiner Ansicht. Sie nannte William in ihrem Herzen einen guten aufgeklärten Menschen – aber Eduard war mehr als das. Sie mußte an sein klares, kluges Auge denken, an seine freie Stirne, und sein jüdisches Gesicht kam ihr fast schön vor.

Ob Christus wohl auch ähnliche Züge gehabt haben mag? fragte sie sich, und immer und immer wieder an ihn denkend, sank sie endlich in einen festen Schlaf, in dessen Träumen William und Eduard und der Heiland, wie die alten Bilder ihn uns zeigen, in einander flossen, und aus dem sie erst am frühen Morgen neu gestärkt erwachte.

Weniger ruhig sollte dem armen Eduard die Nacht vergehen. Während ihn Jenny längst mit seiner schönen Kranken aufzog und seine Mutter an jenem Abend das Geheimniß seines Herzens entdeckt zu haben glaubte, ja mit mütterlicher Sorge bereits dem Vater davon Mittheilung gemacht hatte, merkte der Doctor es noch nicht, daß Clara ihn mehr, als irgend eine seiner andern Kranken beschäftigte.

Später als gewöhnlich war er an dem Abende zu den Seinen heimgekehrt. Er fand sie ganz allein. Seine Eltern und Jenny saßen traulich beisammen, er sah, daß man ihn erwartet und vermißt hatte.

Komm her, mein Sohn, rief ihm der Vater entgegen, setze Dich zu uns und erzähle, wo Du so lange geblieben bist.

Eduard gab den Bescheid, er hätte Fräulein Horn noch besucht. Jenny erkundigte sich nach ihrem Ergehen, er sagte, daß die Genesung nur langsam vorwärts schreite, und daß die Kranke viel Schmerzen ertragen müsse. Da könntest Du Geduld und Ruhe lernen, Jenny, schloß er seine Rede.

Es scheint, als ob Clara überhaupt eine gute Lehrerin ist, antwortete jene schnippisch, denn es ist nicht zu leugnen, daß sie Dir auch manche Begriffe beigebracht hat, die Dir früher nicht geläufig waren. Ich sagte es noch gestern zur Mutter, das ewige Politisiren hast Du Dir ziemlich abgewöhnt, dafür bist Du aber so zerstreut und träumerisch geworden, daß Du gar nicht hörst, wenn man mit Dir spricht. Entweder macht Dir Deine Patientin solche Sorgen oder Du langweilst Dich bei uns zu Hause.

Eduard hörte das gelassen an, und seine Mutter meinte: Etwas selten bist Du wirklich in der letzten Zeit zu Hause geworden, und verändert finde ich Dich auch, mein Sohn! Kannst Du uns sagen, woher das kommt, so wirst Du mich beruhigen.

Was Ihr für närrische Frauen seid! rief der Vater lächelnd. Ist denn das Leben nicht täglich neu, die Natur nicht täglich verändert, und Eduard sollte unwandelbar die gleiche Stimmung haben? Könnt Ihr wissen, was in seinem Berufe sich für neue Verhältnisse seinem Geiste aufdrängen, und wie klein und beschränkt ihm Eure Interessen gegen die seinigen oft erscheinen mögen? Da kommt Ihr mit Euren Haus-und Familiengeschichten und wundert Euch, wenn man nicht mit Antheil danach hört, und nennt das kalt, nennt es zerstreut. Eduard hat, wenn er einst selber Hausherr sein wird, die Kunst zu lernen, mit dem Ohr zuzuhören, ohne daß das Gehörte bis in den Kopf dringt, das lernt sich aber mit den Jahren.

Wollte Gott! sagte die Mutter, augenblicklich zugreifend, wo ihr eine Handhabe für ihr Lieblingsthema dargeboten ward; wollte Gott, Eduard wäre erst so weit. Ungebunden, wie er jetzt ist, läßt er sich in Dinge ein, die ihn nicht kümmern; er nimmt, wie man so sagt, kein Blatt vor den Mund, er äußert politische Ansichten und Hoffnungen, die unnöthig die Augen der Regierung auf ihn gerichtet erhalten, und wenn man ihn warnt, heißt es ein für allemal: Was thut’s! ich bin ja unabhängig, ich bin ungebunden!

Das heißt, erläuterte der Vater, Du möchtest unserm Sohne mit dem süßen Rosenband der Ehe zugleich eine tüchtige Kette anlegen, eine möglichst kurze, damit er nicht zu große Sprünge machen könne. Die Mutter macht’s wie Julia in Shakespeare, „so liebevoll mißgönnt sie ihm die Freiheit.“

Freundlich nahm der Sohn die Hand der Mutter und sagte: Und doch waren heute meine Gedanken mehr mit häuslichen Verhältnissen, als mit allgemeinen Interessen beschäftigt. Ich hatte Gelegenheit, einen Blick in das innere Leben einer Familie zu werfen, in der ein vortreffliches Herz unter dem Druck der widerwärtigsten Verhältnisse blutet, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, als ich hier eintrat, und mir so wohl und behaglich wurde in unserm Hause, wie glücklich jene Arme in einem Kreise, wie der unsere, sein würde!

Und wer ist die Arme mit dem schönen Herzen? fragte Jenny schnell.

Ein Mädchen, das solche indiscrete Fragen niemals machen würde, antwortete Eduard sehr bestimmt. Dann meinte er: In den Jahren, die ich hier prakticire, ist es mir aufgefallen, wie die glücklichen Ehen, die Sorgfalt der Eltern für ihre Kinder bei den Juden gewöhnlicher sind, als in den Christenfamilien. Auch steht die Zahl der Scheidungen, wie mir ein Jurist sagte, bei den beiden Confessionen in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung der Ehe unter Juden zu den großen Seltenheiten zählt.

Das ist allerdings merkwürdig, meinte Jenny, denn bei den Juden ist die Heirath doch oft nur eine Familienverabredung, von der Braut und Bräutigam zuletzt erfahren.

Das ist nicht nur bei den Juden, sondern überhaupt sehr oft der Fall, entgegnete der Vater, und die Welt sieht in der Wirklichkeit nicht ganz so romantisch aus, wie in Deinem siebzehnjährigen Köpfchen. Was aber das Glück der Ehen bei den Juden betrifft, so verdanken sie das, sowie manches andere Gute, dem Drucke, unter dem sie Jahrhunderte gelebt haben. Der Mann, dem die freie Bewegung in’s Leben hinein überall verwehrt war, der nichts sein eigen nennen durfte, nicht Haus, nicht Hof, dem man das mühsam erworbene Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltsam zu entreißen wußte – dem blieb nichts, als sein Weib und seine Kinder. Sie waren das Einzige, das ihm nicht leicht zu rauben war, sie blieben sein, auch getrennt von ihm, sein durch den Glauben, und nur, indem sie sich von diesem trennten, konnten sie aufhören, sein zu bleiben. Wie natürlich also, wenn dem Juden Weib und Kind seine Welt wurden, und wenn bis heute das Beispiel glücklicher Häuslichkeit segensreich fortwirkt unter ihnen, obgleich die äußern Verhältnisse sich jetzt geändert haben.

Ach! armer Vater, was hast Du denn für eine kleine Welt! sagte Jenny pathetisch, die gerade in der muthwilligsten Laune war. Hast Niemand, als die Mutter und die liebe kleine Jenny! Eine Welt von zwei Welttheilen, während der ärmste Christ fünf Welten hat!

Und Eduard? fragte der Vater.

O! richtig, der Welttheil Eduard sieht jetzt leider so kläglich aus, als ob bald eine neue Sündfluth hereinbrechen sollte. Oder vielmehr, er sieht aus, als ob er statt des Herzens einen Vulkan hätte, der nächstens losbricht und bald den Untergang des Welttheiles voraussehen läßt. O Vater! Vater! rief sie, und warf sich an dessen Brust, als Eduard sie verwundert und nicht eben freundlich ansah, schütze mich, der Vulkan Eduard fängt an Feuer und Flammen zu sprühen.

Der Vater nahm das anmuthige Kind in seine Arme, und beide Eltern gaben sich dem Behagen dieses engen Beisammenseins mit vollem Herzen hin. Nur Eduard blieb zerstreut und einsilbig, und entfernte sich, unter einem flüchtigen Vorwande, früher, als er’s sonst zu thun pflegte.

Joseph’s Brummen wird ansteckend, bemerkte Jenny scherzend, als er fort war; die Mutter aber schüttelte ängstlich den Kopf und sagte seufzend: Vater! was geht mit Eduard vor? Mich macht es unruhig um seinetwillen.

Mich nicht, antwortete der alte Meier. Eduard ist ein Mann; was es auch sei, laßt ihn gewähren, er wird den rechten Weg zu finden wissen.

Als Eduard die Eltern verlassen hatte, und in seine besondere Wohnung kam, fand er keine Ruhe in seinem Zimmer. Die engen Räume drückten ihn, er öffnete ein Fenster, und obgleich der Schnee in großen Flocken hineindrang, wurde ihm wohler und freier, als die Luft seine heiße Stirne wieder kühlte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jenny