Jaques Callot der Schilderer des Dreißigjährigen Krieges
Aus: Die Kunst: 31. Band
Autor: Redaktion: Die Kunst, Monatshefte für freie und angewandte Kunst, Erscheinungsjahr: 1915
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Dreißigjähriger Krieg, Historienmaler, Kriegsbilder, Kunst, Lebenslauf, Hofmaler, Seekampf, Seeschlacht, Belagerung, Seefestung, Soldateska, Vernichtungskrieg, Heimatland, Plünderung, Feuersbrünste, Krankheit, Hinrichtung, Verstümmelung, Hinterhalte, Hunger, Not und Tod.
Inmitten der wertlosen Produktion von Flugblättern und Zeitkupfern, die der Dreißigjährige Krieg mit seiner Fülle von Taten und Begebenheiten zeitigte, steht das Werk eines einzigen Künstlers, das auf den Ehrentitel „Kunst" Anspruch erheben kann: das Werk des Jacques Callot.
Callot ist Lothringer, ein Sohn jenes seit Jahrhunderten heiß umstrittenen Grenzlandes zwischen Deutschland und Frankreich, dessen Boden Ströme heißen, jungen Blutes trank, wo kriegerischer Sinn von alters her eine Heimstätte hatte. In Nancy, der Residenzstadt der lothringischen Herzoge, wurde Callot im Jahr 1592 geboren als Spross einer alten lothringischen Familie, die sich in höfischen und kriegerischen Diensten einen Namen gemacht hatte. Den jungen Callot trieb es zur Kunst. Er war noch ein Knabe, als er in die Werkstätte des lothringischen Hofmalers Claude Henriet eintrat. Gleichzeitig arbeitete er bei dem Goldschmied und Münzgraveur Demange Crocque, und diese Tätigkeit ist für Callots späteres selbständiges Schaffen ungemein bedeutungsvoll geworden, denn bei aller Weichheit und malerischen Wirkung bemerkt man noch in Callots reifsten Radierungen die gravierte Kontur, die zeichnerische Geschlossenheit, den energischen Schnitt, der auf diese Einflüsse der Jugendzeit zurückzuführen sein dürfte. Callots Lebenslauf ist außerordentlich romantisch und spiegelt sich in den Motiven seiner Kunst. Als Zwölfjähriger entlief er dem Elternhaus, um nach Rom zu gehen. Auf dieser Flucht schloss er sich einer Zigeunertruppe an: seine phantastischen Zigeunerblätter sind ein Ausfluss dieses Erlebnisses, das sich dem Knaben unvergesslich einprägte und sich in der Erinnerung immer mehr ins Romantische, Groteske hineinsteigerte, bis es endlich dastand in seiner Kunst mit der monumentalen Größe eines Symbols. Diesem Auftakt folgte ein erlebnisreiches, aber doch auch schaffensfrohes Leben, dem indes leider nur vier Jahrzehnte Erdendaseins — Callot starb dreiundvierzigjährig 1635 — beschieden waren. Reflexe seiner Erlebnisse und Abenteuer sind Callots Werke, nicht Reflexe seiner eigenen Phantasie, wie E. Th. Hoffmann meinte. Der Kern der Wirklichkeit ist immer in ihnen, daher kann man Callots Folgen der „Misères de la Guerre" („Les Petites Misères de la Guerre" — 1632 — und „Les Grandes Misères de la Guerre" — 1633 — ) mit Goyas „Los desastres de la guerra" nur sehr oberflächlich vergleichen, obwohl diese Nebeneinanderstellung beliebt ist. Goyas symbolische Absichten sind ganz bewusst und seine Groteske entsprang seinem künstlerischen Willen, Callot dagegen ist ganz unbewusst über der Abschilderung von Tatsachen ins Symbolische gewachsen, weil diese Tatsachen selbst so erschütternd sind, und weil ihr Abschilderer alle künstlerischen Möglichkeiten aus dem Stoff herausholte und ihnen den gesteigertsten Ausdruck verlieh.
Nirgends ist Callots „Sachlichkeit" klarer in die Erscheinung getreten als in seinem Bildwerk über die berühmte Belagerung der nord-brabantischen Stadt Breda durch Ambrosio Spinola, das er im Jahre 1625 im Auftrag der Infantin Isabella anfertigte. Mit einer an Merian gemahnenden Akribie hat Callot verschiedene Phasen dieser Belagerung in dem Radierung-Zyklus festgehalten, der an der Grenze eines Karten werkssteht, aber in allen Einzelheiten von dem höchsten malerischen Reiz ist.
Ein ähnliches Werk schuf Callot 1629/30 in Frankreich, eine künstlerisch-topographische Darstellung der Belagerung der hugenottisch gesinnten Seefestung j. callot La Rochelle, die sich dem Kardinal Richelieu am 29. Oktober 1628 übergeben musste.
Kurz nach Callots Rückkehr in die lothringische Heimat ist dann ein Werk ganz anderer Art, die berühmten „Misères de la Guerre" entstanden bei denen nicht mehr der Überlegsame Künstler-Topograph, der gleichsam ein neutraler Zuschauer ist, das Wort führt, sondern der flammenlodernde Patriot, der sein geliebtes Heimatland von zügelloser Soldateska verwüstet weiß, der alle Gräuel und alles Elend eines Vernichtungskrieges mitansieht und miterleidet. Schweden und Franzosen hausten und wüteten im Land, Karl IV., Callots gütiger Mäzen, wurde vertrieben und im August 1633 ward Nancy zur französischen Stadt. Ludwig XIII. von Frankreich, im Siegerübermut seiner Zeit, verlangte von Callot, dass er die Erinnerung an den Untergang der alten lothringischen Residenzstadt im Bilde festhalte, aber Callot ließ ihm in kernhafter Patriotenweise wissen, ,,bevor er sich dazu hergebe, wolle er sich lieber beide Daumen abbeißen, um nie mehr fähig zu sein, eine Radiernadel zu führen".
Aus dieser anklagenden Gesinnung heraus sind die „Misères de la Guerre" entstanden. Man muss sie weniger als Anklagen gegen den Krieg überhaupt ansehen, als gegen den Zerstörungskrieg in Callots gesegnetem Vaterland, in Lothringen. Sieben Blätter umfasst die kleinere, wohl 1632 entstandene, aber erst nach Callots Tod erschienene Serie „Les Petites Misères de la Guerre", achtzehn die größere, 1633 entstandene und im gleichen Jahr erstmals gedruckte Folge „Les Grandes Misères de la Guerre", in der die Themata und Motive des kleineren Zyklus in der Hauptsache wiederkehren, so dass man in diesem wohl eine Art von Skizze erblicken muss.
Mit der „Werbung" hebt die Bilderreihe an, man erblickt weiterhin eine mörderische Schlacht mit realistischem Handgemenge und sodann mehr und mehr Kleinszenen, denen der heroische Zug durchaus fehlt; Episoden des Volkskriegs, Abschilderungen der Leiden, die der Nichtkämpfer zu ertragen hat: Plünderung, Feuersbrünste, Krankheit, Hinrichtung, Verstümmelung, Hinterhalte, Hunger, Not und Tod.
Wie ein erschütterndes Epos zieht das an uns vorbei, in seiner schlichten Unmittelbarkeit tief ergreifend wie etwa Grimmelshausens gleichzeitiger Roman vom „Simplizius Simplizissimus". Unter all dem Schreckenvollen zuckt der Schmerz, und wehe Stimmung erfüllt diese Bilder des Grauens. Der künstlerische Ausdruck, den Callot dafür fand, ist erschöpfend. Denn sein Herz schuf mit, ein wundes, schmerzerfülltes Patriotenherz, das von all dem Elend, das es erfuhr, gebrochen wurde vor der Zeit. Die „Grandes Misères" sind Callots letztes großes Werk: zwei Jahre, nachdem er sie vollendet, trat er vom Schauplatz dieser Gräuel ab, und sein Leib fand Ruhe in der Erde über sein Grab hin aber, über den heiß umstrittenen Boden Lothringens, toben heute wie vor dreihundert Jahren die Schlachten der Völker, und Kanonengebrüll und Trommelwirbel dringen bis zu Jacques Callots letzter Ruhestätte.
Callot ist Lothringer, ein Sohn jenes seit Jahrhunderten heiß umstrittenen Grenzlandes zwischen Deutschland und Frankreich, dessen Boden Ströme heißen, jungen Blutes trank, wo kriegerischer Sinn von alters her eine Heimstätte hatte. In Nancy, der Residenzstadt der lothringischen Herzoge, wurde Callot im Jahr 1592 geboren als Spross einer alten lothringischen Familie, die sich in höfischen und kriegerischen Diensten einen Namen gemacht hatte. Den jungen Callot trieb es zur Kunst. Er war noch ein Knabe, als er in die Werkstätte des lothringischen Hofmalers Claude Henriet eintrat. Gleichzeitig arbeitete er bei dem Goldschmied und Münzgraveur Demange Crocque, und diese Tätigkeit ist für Callots späteres selbständiges Schaffen ungemein bedeutungsvoll geworden, denn bei aller Weichheit und malerischen Wirkung bemerkt man noch in Callots reifsten Radierungen die gravierte Kontur, die zeichnerische Geschlossenheit, den energischen Schnitt, der auf diese Einflüsse der Jugendzeit zurückzuführen sein dürfte. Callots Lebenslauf ist außerordentlich romantisch und spiegelt sich in den Motiven seiner Kunst. Als Zwölfjähriger entlief er dem Elternhaus, um nach Rom zu gehen. Auf dieser Flucht schloss er sich einer Zigeunertruppe an: seine phantastischen Zigeunerblätter sind ein Ausfluss dieses Erlebnisses, das sich dem Knaben unvergesslich einprägte und sich in der Erinnerung immer mehr ins Romantische, Groteske hineinsteigerte, bis es endlich dastand in seiner Kunst mit der monumentalen Größe eines Symbols. Diesem Auftakt folgte ein erlebnisreiches, aber doch auch schaffensfrohes Leben, dem indes leider nur vier Jahrzehnte Erdendaseins — Callot starb dreiundvierzigjährig 1635 — beschieden waren. Reflexe seiner Erlebnisse und Abenteuer sind Callots Werke, nicht Reflexe seiner eigenen Phantasie, wie E. Th. Hoffmann meinte. Der Kern der Wirklichkeit ist immer in ihnen, daher kann man Callots Folgen der „Misères de la Guerre" („Les Petites Misères de la Guerre" — 1632 — und „Les Grandes Misères de la Guerre" — 1633 — ) mit Goyas „Los desastres de la guerra" nur sehr oberflächlich vergleichen, obwohl diese Nebeneinanderstellung beliebt ist. Goyas symbolische Absichten sind ganz bewusst und seine Groteske entsprang seinem künstlerischen Willen, Callot dagegen ist ganz unbewusst über der Abschilderung von Tatsachen ins Symbolische gewachsen, weil diese Tatsachen selbst so erschütternd sind, und weil ihr Abschilderer alle künstlerischen Möglichkeiten aus dem Stoff herausholte und ihnen den gesteigertsten Ausdruck verlieh.
Nirgends ist Callots „Sachlichkeit" klarer in die Erscheinung getreten als in seinem Bildwerk über die berühmte Belagerung der nord-brabantischen Stadt Breda durch Ambrosio Spinola, das er im Jahre 1625 im Auftrag der Infantin Isabella anfertigte. Mit einer an Merian gemahnenden Akribie hat Callot verschiedene Phasen dieser Belagerung in dem Radierung-Zyklus festgehalten, der an der Grenze eines Karten werkssteht, aber in allen Einzelheiten von dem höchsten malerischen Reiz ist.
Ein ähnliches Werk schuf Callot 1629/30 in Frankreich, eine künstlerisch-topographische Darstellung der Belagerung der hugenottisch gesinnten Seefestung j. callot La Rochelle, die sich dem Kardinal Richelieu am 29. Oktober 1628 übergeben musste.
Kurz nach Callots Rückkehr in die lothringische Heimat ist dann ein Werk ganz anderer Art, die berühmten „Misères de la Guerre" entstanden bei denen nicht mehr der Überlegsame Künstler-Topograph, der gleichsam ein neutraler Zuschauer ist, das Wort führt, sondern der flammenlodernde Patriot, der sein geliebtes Heimatland von zügelloser Soldateska verwüstet weiß, der alle Gräuel und alles Elend eines Vernichtungskrieges mitansieht und miterleidet. Schweden und Franzosen hausten und wüteten im Land, Karl IV., Callots gütiger Mäzen, wurde vertrieben und im August 1633 ward Nancy zur französischen Stadt. Ludwig XIII. von Frankreich, im Siegerübermut seiner Zeit, verlangte von Callot, dass er die Erinnerung an den Untergang der alten lothringischen Residenzstadt im Bilde festhalte, aber Callot ließ ihm in kernhafter Patriotenweise wissen, ,,bevor er sich dazu hergebe, wolle er sich lieber beide Daumen abbeißen, um nie mehr fähig zu sein, eine Radiernadel zu führen".
Aus dieser anklagenden Gesinnung heraus sind die „Misères de la Guerre" entstanden. Man muss sie weniger als Anklagen gegen den Krieg überhaupt ansehen, als gegen den Zerstörungskrieg in Callots gesegnetem Vaterland, in Lothringen. Sieben Blätter umfasst die kleinere, wohl 1632 entstandene, aber erst nach Callots Tod erschienene Serie „Les Petites Misères de la Guerre", achtzehn die größere, 1633 entstandene und im gleichen Jahr erstmals gedruckte Folge „Les Grandes Misères de la Guerre", in der die Themata und Motive des kleineren Zyklus in der Hauptsache wiederkehren, so dass man in diesem wohl eine Art von Skizze erblicken muss.
Mit der „Werbung" hebt die Bilderreihe an, man erblickt weiterhin eine mörderische Schlacht mit realistischem Handgemenge und sodann mehr und mehr Kleinszenen, denen der heroische Zug durchaus fehlt; Episoden des Volkskriegs, Abschilderungen der Leiden, die der Nichtkämpfer zu ertragen hat: Plünderung, Feuersbrünste, Krankheit, Hinrichtung, Verstümmelung, Hinterhalte, Hunger, Not und Tod.
Wie ein erschütterndes Epos zieht das an uns vorbei, in seiner schlichten Unmittelbarkeit tief ergreifend wie etwa Grimmelshausens gleichzeitiger Roman vom „Simplizius Simplizissimus". Unter all dem Schreckenvollen zuckt der Schmerz, und wehe Stimmung erfüllt diese Bilder des Grauens. Der künstlerische Ausdruck, den Callot dafür fand, ist erschöpfend. Denn sein Herz schuf mit, ein wundes, schmerzerfülltes Patriotenherz, das von all dem Elend, das es erfuhr, gebrochen wurde vor der Zeit. Die „Grandes Misères" sind Callots letztes großes Werk: zwei Jahre, nachdem er sie vollendet, trat er vom Schauplatz dieser Gräuel ab, und sein Leib fand Ruhe in der Erde über sein Grab hin aber, über den heiß umstrittenen Boden Lothringens, toben heute wie vor dreihundert Jahren die Schlachten der Völker, und Kanonengebrüll und Trommelwirbel dringen bis zu Jacques Callots letzter Ruhestätte.
033 Truppenausmarsch, Jaques Callot
034 Aus den Capricci, Jaques Callot
034 Trommler und Pfeifer, Jaques Callot
035 Die Belagerung von SAINT-MARTIN-DE-RÉ (Teilbild), Jaques Callot
036 Seekampf, Jaques Callot
037 Die Belagerung von Breda (Teilbild), Jaques Callot
038 Plünderung eines Dorfes, Jaques Callot
038 Truppenwerbung, Jaques Callot
039 Überfall auf der Heerstraße, Jaques Callot
039 Marodeure, Jaques Callot
040 Die Belagerung von Breda (Teilbild), Jaques Callot