Verona, den 16. September. Theatergebäude,

Das Portal des Theatergebäudes von sechs großen ionischen Säulen nimmt sich anständig genug aus. Desto kleinlicher erscheint über der Türe vor einer gemalten Nische, die von zwei korinthischen Säulen getragen wird, die lebensgroße Büste des Marchese Maffei in einer großen Perücke. Der Platz ist ehrenvoll, aber um sich gegen die Größe und Tüchtigkeit der Säulen einigermaßen zu halten, hätte die Büste kolossal sein müssen. Jetzt steht sie kleinlich auf einem Kragsteinchen, unharmonisch mit dem Ganzen.

Auch die Galerie, die den Vorhof einfaßt, ist kleinlich, und die kannelierten dorischen Zwerge nehmen sich neben den glatten ionischen Riesen armselig aus. Doch wollen wir das verzeihen in Betracht der schönen Anstalt, welche unter diesen Säulenlauben angelegt ist. Hier hat man die Antiquitäten, meist in und um Verona gegraben, gesammelt aufgestellt. Einiges soll sogar sich im Amphitheater gefunden haben. Es sind etrurische, griechische, römische bis zu den niedern Zeiten und auch neuere. Die Basreliefs sind in die Wände eingemauert und mit den Nummern versehen, die ihnen Maffei gab, als er sie in seinem Werke »Verona illustrata« beschrieb. Altäre, Stücke von Säulen und dergleichen Reste; ein ganz trefflicher Dreifuß von weißem Marmor, worauf Genien, die sich mit den Attributen der Götter beschäftigen. Raffael hat dergleichen in den Zwickeln der Farnesine nachgeahmt und verklärt.


Der Wind, der von den Gräbern der Alten herweht, kommt mit Wohlgerüchen wie über einen Rosenhügel. Die Grabmäler sind herzlich und rührend und stellen immer das Leben her. Da ist ein Mann, der neben seiner Frau aus einer Nische wie zu einem Fenster heraussieht. Da stehen Vater und Mutter, den Sohn in der Mitte, einander mit unaussprechlicher Natürlichkeit anblickend. Hier reicht sich ein Paar die Hände. Hier scheint ein Vater, auf seinem Sofa ruhend, von der Familie unterhalten zu werden. Mir war die unmittelbare Gegenwart dieser Steine höchst rührend. Von späterer Kunst sind sie, aber einfach, natürlich und allgemein ansprechend. Hier ist kein geharnischter Mann auf den Knieen, der eine fröhliche Auferstehung erwartet. Der Künstler hat mit mehr oder weniger Geschick nur die einfache Gegenwart der Menschen hingestellt, ihre Existenz dadurch fortgesetzt und bleibend gemacht. Sie falten nicht die Hände, schauen nicht in den Himmel, sondern sie sind hienieden, was sie waren und was sie sind. Sie stehen beisammen, nehmen Anteil aneinander, lieben sich, und das ist in den Steinen sogar mit einer gewissen Handwerksunfähigkeit allerliebst ausgedrückt. Ein sehr reich verzierter marmorner Pfeiler gab mir auch neue Begriffe.

So löblich diese Anstalt ist, so sieht man ihr doch an, daß der edle Erhaltungsgeist, der sie gegründet, nicht mehr in ihr fortlebt. Der kostbare Dreifuß geht nächstens zugrunde, weil er frei steht, gegen Westen der Witterung ausgesetzt. Mit einem hölzernen Futteral wäre dieser Schatz leicht zu erhalten.

Der angefangene Palast des Proveditore, wäre er fertig geworden, hätte ein schön Stück Baukunst gegeben. Sonst bauen die Nobili noch viel, leider aber ein jeder auf den Platz, wo seine ältere Wohnung stand, also oft in engen Gassen. So baut man jetzt eine prächtige Fassade eines Seminariums in einem Gäßchen der entferntesten Vorstadt.



Als ich mit meinem zufällig aufgegriffenen Begleiter vor einem großen ernsthaften Tore eines wunderbaren Gebäudes vorüberging, fragte er mich gutmütig, ob ich nicht einen Augenblick in den Hof treten wolle. Es war der Palast der Justiz, und wegen Höhe der Gebäude erschien der Hof doch nur als ein ungeheurer Brunnen. »Hier werden«, sagte er, »alle die Verbrecher und Verdächtigen verwahrt.« Ich sah umher, und durch alle Stockwerke gingen an zahlreichen Türen hin offene, mit eisernen Geländern versehene Gänge. Der Gefangene, wie er aus seinem Kerker heraustrat, um zum Verhör geführt zu werden, stand in der freien Luft, war aber auch den Blicken aller ausgesetzt; und weil nun mehrere Verhörstuben sein mochten, so klapperten die Ketten bald über diesem, bald über jenem Gange durch alle Stockwerke. Es war ein verwünschter Anblick, und ich leugne nicht, daß der gute Humor, womit ich meine Vögel abgefertigt hatte, hier doch einen etwas schweren Stand würde gefunden haben.



Ich ging auf der Kante des amphitheatralischen Kraters bei Sonnenuntergang, der schönsten Aussicht genießend über Stadt und Gegend. Ich war ganz allein, und unten auf den breiten Steinen des Brà gingen Mengen von Menschen: Männer von allen Ständen, Weiber vom Mittelstande spazieren. Diese letztern nehmen sich in ihren schwarzen Überkleidern aus dieser Vogelperspektive gar mumienhaft aus.

Der Zendale und die Veste, die dieser Klasse statt aller Garderobe dient, ist übrigens eine Tracht, ganz eingerichtet für ein Volk, das nicht immer für Reinlichkeit sorgen und doch immer öffentlich erscheinen, bald in der Kirche, bald auf dem Spaziergange sein will. Veste ist ein schwarztaffeter Rock, der über andere Röcke geworfen wird. Hat das Frauenzimmer einen reinlichen weißen darunter, so versteht sie den schwarzen an der einen Seite in die Höhe zu heben. Dieser wird so angegürtet, daß er die Taille abschneidet und die Lippen des Korsetts bedeckt, welches von jeglicher Farbe sein kann. Der Zendale ist eine große Kappe mit langen Bärten, die Kappe selbst durch ein Drahtgestell hoch über den Kopf gehalten, die Bärte aber wie eine Schärpe um den Leib geknüpft, so daß die Enden hinterwärts herunterfallen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Italienische Reise