11. - In dieser Zeit hatte sich der Erzherzog leise in ein Gespräch mit Bella eingelassen. Er warf ihr die schändliche Falschheit ...

In dieser Zeit hatte sich der Erzherzog leise in ein Gespräch mit Bella eingelassen. Er warf ihr die schändliche Falschheit vor, mit der sie ihm Liebe geheuchelt, um dem kleinen Bräutigam eine Hauptmannsstelle zu verschaffen. Bella brach in Tränen aus und schwor ihm, es sei alles anders, ihre Liebe zu ihm sei ungeheuchelt, ja, es sei ihr edelster Wunsch, von ihm ein Kind zu haben, das ihrem Volke Glanz und Freiheit gebe. Diese Freimütigkeit setzte den Erzherzog in einige Verlegenheit (sie war tiefinnerlich unschuldig, er aber war nur unschuldig aus Stolz); er schwor stammelnd, daß er alles Mögliche tun wolle, ihren Wunsch zu erfüllen, der auch seinem politischen Verhältnisse angemessen sei.

Unter solchen Versicherungen führte er sie, ohne daß es der Kleine merkte, während Braka ihnen Zeichen zum Abzuge gab, ungestört von dannen.


Der Kleine hatte diese Welt im kleinen schon zweimal angesehen, und sie gefiel ihm viel besser als die wirkliche, während der Jude unter allerlei Gesprächen mit Cenrio das Ebenbild der feldflüchtigen Bella bearbeitete.

Cenrio bat den Juden, ihm doch nur eine Möglichkeit anzugeben, wie solch ein Bild belebt werden könne.

Der Jude sprach: „Herr, warum hat Gott die Menschen erschaffen, als alles übrige fertig war? Offenbar, weil das in ihrer Natur lag, als diese von Gott sich losgedacht hatte. Liegt das in ihrer Natur, so bleibt's auch in ihrer Natur, und der Mensch, der ein Ebenbild Gottes ist, kann etwas Ähnliches hervorbringen, wenn er nur die rechten Worte weiß, die Gott dabei gebraucht hat. Wenn es noch ein Paradies gäbe, so könnten wir so viel Menschen machen, als Erdenklöße darin liegen; da wir aber ausgetrieben aus dem Paradies, so werden unsre Menschen um so viel schlechter, als dieses Landes Leimen sich zum Leimen des Paradieses verhält!

Als er das gesprochen, hatte der alte Jude sein Werk beendigt, er hauchte die Bildsäule an, schrieb das Wort auf ihre Stirn, das sich unter Haarlocken versteckte, und eine zweite Bella stand vor beiden, die alles durch jenen Spiegel wußte, was Bella bis dahin erfahren, die aber nichts Eignes wollte, als was in des jüdischen Schöpfers Gedanken gelegen, nämlich Hochmut, Wollust und Geiz, drei plumpe Verkörperungen geistiger, herrlicher Richtungen, wie alle Laster; daß diese hier ohne die geistige Richtung in ihr sich zeigten, das unterschied sie selbst vom Juden, überhaupt aber von allen Menschen, die sie übrigens so wunderbar täuschen konnte, wie jenes alte Bild von Früchten alle Vögel, daß sie an die Leinewand flogen und davon zu naschen suchten. So naschten auch Cenrio und der alte Jude an dem Bilde, jeder gab ihr einen Kuß, ehe sie dieselbe an den Arm des Kleinen hingen, der endlich sich satt gesehen hatte und mit seiner Bella durch die übrige Lust des Abendgewühls, wo jetzt schon manches Messer unter den trunkenen Bauern gezogen wurde, sich nach Hause zurückzog. Braka war des Austausches der beiden Gestalten so wenig inne geworden wie der Kleine. Sie speisten alle drei in einer gewissen Stummheit miteinander, die nach den geräuschvollen Abwechselungen eines so wunderlichen Tages sehr natürlich war. Als sie abgesessen hatten, kam der Bärnhäuter mit einem halbzerkratzten Gesicht ins Zimmer und sprach: „So hat mich das verfluchte Weib, die Frau Nietken, zugerichtet, die in ihrer Trunkenheit ein Auge auf mich geworfen hatte und mich nicht loslassen wollte, da ich doch so dringende Neuigkeiten mitzuteilen habe. Sie hat mir verraten, daß der Erzherzog einen Anschlag auf unser Fräulein vorhaben müsse, weil er sich so heftig nach ihr erkundigt habe.“

Golem Bella, die nur bis zu dem Punkte etwas von der wirklichen Bella wußte, wo sie in den Spiegel gesehen, rief ganz laut: „Wie lieb ist mir das, da werde ich ein Kind bekommen, das mein Volk frei machen wird!“

Braka erschrak über diese laute Vertraulichkeit, und der Kleine sprang wie ein Rasender auf: „Also, du weißt davon, Bella, liebst ihn?“

„Freilich“, antwortete Golem Bella.

Der Kleine riß sich die Hirsenhaare aus und erstickte fast in gekränkter Eitelkeit, endlich brach sein Jammer, nach der Vorschrift seines rhetorischen Lehrers bearbeitet, in folgenden Worten aus: „Warum hast du mich zum Menschenleben aus dem sichern Schoße meiner Vorwelt durch höllische Künste herausgerissen? Ohne Falsch bestrahlten mich Sonne und Mond; ruhig sinnend stand ich da am Tage und faltete abends meine Blätter zum Gebete; ich sah nichts Böses, denn ich hatte keine Augen, ich hörte nichts Böses, denn ich hatte keine Ohren, aber die Anlage zu allem, die ich in mir fühlte, machte mich so sicher und reich. Meine Augen werde ich mir ausweinen und werde sie vermissen, mein Leben werde ich aufgeben und werde es ewig suchen, aber dieses Suchen soll deine Qual sein; wenn du mich fern von dir glaubst, werde ich bei dir sein. Du kannst mich nicht zerstören, wie du mich leichtsinnig spielend geschaffen hast; ich bleibe bei dir, werde die Wünsche deiner Habsucht nach Geld befriedigen, werde dir Schätze bringen, soviel du verlangst, aber es wird dein Verderben sein. Du wirst mich von dir werfen, mich vernichten wollen, aber doch bleibe ich bei dir, dir bin ich gebannt, bis eine andre mit noch größerem Verrat, als du gegen mich verübt, mich an sich kauft. Wehe allen kommenden Geschlechtern! Du brachtest mich zur Teufelei in die Welt, von der ich mich bis zum jüngsten Tage nicht frei machen kann!“

Golem Bella sprach ihm ganz in der Gesinnung der echten Bella von ihrer Zärtlichkeit vor, die sie trotz aller Liebe zum Erzherzoge für ihn hegte. Der Kleine sah sie verwundert an und sprach: „Du könntest mich wieder belügen, Bella; wer weiß, was diese Nacht mit dem Erzherzog verabredet ist. Gib mir ein Zeichen der Aufrichtigkeit. Der Mond scheint helle, wir fahren in der herrlichsten Kühlung bis zum nächsten Morgen nach einem Dorfe, wo wir in aller Stille getraut werden können, so kehren wir verbunden nach Gent zurück, um es bald auf immer zu verlassen, daß der glattzüngige Erzherzog uns nicht mehr versuchen kann. Wir reisen nach Paris, und ich erbiete meinen kriegerischen Mut dem Könige von Frankreich, der tapfere Männer, wenn sie auch klein von Gestalt sind, doch zu schätzen weiß.“

Golem Bella schwieg still, sie hatte keinen Willen und keine Redensart auf diesen Fall. Der Kleine legte sich das zu seinen Gunsten aus, und als Braka noch etwas dazwischen reden wollte, zog er seinen Degen und schwor, ihn mit ihrem Blute zu färben, wenn sie sich seinem Glücke widersetzte. Braka schüttelte sich vor Schrecken; sie konnte keinen Bissen essen. Der Kleine befahl dem Bärnhäuter, zusammenzupacken und einen Fuhrmann, es koste was es wolle, anzuschaffen, der sie nach dem nächsten Pfarrdorfe führe, da in Buik, wegen der Nachtmessen, wohl kein Pfarrer zu einer Trauung bereit sein möchte. Der Bärnhäuter betrieb alles, aus Furcht vor der trunkenen Wirtin, mit dem größten Eifer und mit der lobenswertesten Verschwiegenheit. Der Wagen stand vor der Türe, alle saßen darin, ehe Frau Nietken etwas merkte. Ihrem widersinnigen Geschrei zu entgehen, wurde ihr das Dreifache, was sie fordern konnte, zugeworfen; und die sonderbare Gesellschaft, eine alte Hexe, ein Toter, der sich lebendig stellen mußte, eine Schöne aus Tonerde und ein junger Mann, aus einer Wurzel geschnitten, saßen in feierlicher Eintracht, hegten große Gedanken vom Glück des Lebens, das sie eben zu begründen fuhren, von Schätzen, Heldentaten und Biergeldern, auf die der Bärnhäuter bei dieser Festlichkeit ungemein rechnete. Wie vergebens quält uns das Verhältnis zu manchen Menschen; könnten wir uns einbilden, er sei ein Toter, eine Erdscholle, eine Wurzel, unser Kummer und unser Zorn müßte verschwinden, wie aller Gram über unsre Zeit, wenn wir nur endlich gewiß wüßten, daß wir bloß träumten.

Wenn es sich in stürmender Nacht zuweilen in Blumenbeeten ereignet, daß ein paar getrennte Blumenkelche zusammengebeugt werden und sich nicht erkennen, bis der Mond wieder hervortritt, so ist die Freude stumm, die Grillen singen aber davon die lange Nacht bis zum Morgen, wo die Vögel sie ablösen. Der Erzherzog wollte sich rächen wegen des Verrats an seiner Liebe, das machte ihn gegen jede Sorglichkeit Bellas taub, die nicht wußte, was mit ihr vorgehe, als er sie heimlich auf sein Zimmer in sein Bette gebracht. Beide waren eingeschlafen, als der Gesang: De profundis clamavi ad te, Domine: Domine, exaudi vocem meam in der Kirche, die nicht fern lag, sie erweckte: ein Gesang, in den die Haufen auf den Straßen, die darin nicht mehr Platz finden konnten, einstimmten. Es war eine helle Sommernacht, und beide eilten ans Fenster. Bella erwachte erst jetzt aus ihrem Taumel: „Heiliger Gott, ist es schon so tief in der Nacht, wie soll ich in mein Bette kommen, wo bin ich, was ist mir geschehen, was soll aus mir werden?“

Der Erzherzog hatte sie zu lieb gewonnen, seine Freude war ihm zu neu, um sie durch eine Erinnerung an ihre Falschheit zu kränken: „Du sollst nun auf immer bei mir bleiben, wir verlassen uns nicht, wie Leib und Seele!“

„Ist es wahr?“ fragte Bella treuherzig, „da bin ich sehr glücklich!“

Der Erzherzog verwunderte sich: „Aber deine Heirat mit Cornelius, willst du die aufgeben?“

„Bin ich nicht dein?“ fragte sie, „soll ich nicht ein Kind von dir haben, das mein Volk zur Heimat führt?“

„Welchem Volke gehörst du, liebes Mädchen?“ fragte der Erzherzog, „betrüge mich nicht; fürstlich muß ich dich nennen, aber ich möchte wissen, ob das Schicksal dir gerecht war und dich einem Fürstenstamme einsegnete?“

„Mein Vater war Fürst Michael von Ägypten“, sagte Bella gerührt, „ich bin der letzte Zweig des alten Geschlechtes, das sich bei allen Umwälzungen oft siegreich, oft fliehend, doch in steter Unabhängigkeit erhalten hat, so sagte der Vater. Ich bin das letzte Kind aus meinem Stamme; mein Vater starb in den Verfolgungen, die über unser Volk ausbrachen; eine alte Wahrsagung bestimmt, daß ein Kind von mir und einem Weltbeherrscher die letzten Unglücksscharen unserer verfolgten Untertanen zum segensreichen Nil würde führen.“

„Ich traue deinen Worten ganz“, sprach Karl, „doch sage an, wie war es möglich, da dich so großer Sinn trug, dich gegen mich mit deinem kleinen Freunde zu verbinden? Wie konntest du dich mir hingeben wollen, ihm eine Anstellung zu schaffen? Nun ich dich hier so schön und heilig sehe vor mir stehen in dem Mondenscheine, da möcht' ich meine Ohren Lügen strafen; doch hörte ich es, als ich nach deiner Schönheit durch die Türe lauschte, und wollte im Genuß mich an dir rächen; doch hat mich diese Lust bezwungen, und ich bekenne dir jetzt meine Wut!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten