10. - Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich in der Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ...

Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich in der Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ernstlich, daß es die französische Prinzeß sein könnte, deren Heirat mit ihm von dem französischen Hofe gegen den Willen seines Großvaters betrieben wurde. Es ist bekannt, daß sein späteres politisches Talent in seinen früheren Jahren, die sich ganz zur körperlichen Ausbildung hinneigten, wenig durchschien, er hielt so manches für möglich, was ein andrer bezweifelt hätte, und Cenrio war eben mit Adrian zu beschäftigt, um ihm zu raten, er nahm also die Bitte, als Arzt wieder zu erscheinen, mit einer gewissen Ehrfurcht an, welche die zitternde Frau Nietken sehr überraschte.

Er machte sich jetzt durch einige Züge mit Kohle in den Augenbrauen und vor der Stirn unkenntlicher und ließ sich in das Krankenzimmer führen. Der Kleine war entzückt, ihn zu hören; der Erzherzog befragte ihn sehr ernstlich nach allen Kennzeichen. Der Kleine erzählte von dem wüsten Kopfschmerz, von der Übligkeit, vom Aufstoßen, von der gänzlichen Dunkelheit seiner Augen und wie er über sein ganzes Gesicht einen Ausschlag spüre (seine Augen im Nacken hervorzubringen schämte er sich vor den Leuten, auch hatte er sich ihrer in der guten Gesellschaft längst entwöhnt; endlich sagte er, daß er sein ganzes Glück versäume, wenn er nicht bald hergestellt wäre, weil der Erzherzog im Nebenzimmer seinetwegen angekommen sei und die Stellen im neuen Fähnlein wahrscheinlich in diesen Tagen vergebe:


„Ach, lieber Herr Doktor“, rief er in seiner militärischen Begeisterung, „wenn ich so wegstürbe, hätte mich die Welt nie in dem Glanze und der Herrlichkeit gekannt, wozu meine Abstammung und mein Mut mich berechtigen; oft kommt es mir vor, als wenn böse Zauberer der wahren Verwandlung meines Lebens entgegenstreben.“

Der Erzherzog hörte ihn geduldig an und konnte sich das alles wiederum nicht mit der fremden Prinzessin reimen, es sei denn, daß er ein von der alten Fee verzauberter Prinz sei, wie damals die Geschichten in spanischen Romanen häufig umliefen. Dieser Gedanke, zusammengehalten mit der Erscheinung im Landhause, setzte ihn in ein gewisses Staunen, was ihn leicht hätte verraten können, wenn der Kleine nicht allzu berauscht gewesen wäre und seine ahndenden Augen hätte brauchen dürfen. Endlich faßte doch der Erzherzog einen Entschluß, sagte ihm, das Mittel der gnädigen Frau sei wohlerdacht, er müsse sich jetzt ganz mit Decken überspannen und einwickeln lassen, um in einer recht gewaltsamen Dünstung den Kern des Übels auszutreiben. Vergebens seufzte der Kleine, er erschrecke vor sich selbst, als wenn er einen glühenden Ofen anfasse; Braka warf ihm mit beredter Zunge eine Decke nach der andern über, band sie zusammen und entfernte sich mit dem treuen Bärnhäuter unter dem Vorwande, als ob sie dem Kleinen etwas zu seiner Erfrischung schaffen wolle. Der Erzherzog war jetzt wieder mit Bella allein, doch mußten sie aus Rücksicht gegen den eingepackten Kranken jedes laute Wort vermeiden; auch war Bella noch sehr beschämt, als der Erzherzog sich auf ein Knie niederließ und zu ihr sprach: „In welchem schönen Bekenntnisse sind Sie gestört worden, Angebetete, ich ahnde, Sie sind eines edlen Fürsten Tochter, ich ahnde alles, was Sie mir zu sagen haben, aber ich wünschte die Gewißheit aus Ihrem Munde, die Gewißheit Ihrer Liebe, die allen Glanz Ihres Standes aufgegeben hat, um dem verhaßten Zwange der Politik zu entgehen. Nichts soll uns scheiden, ich kenne meine Niederländer, sie kennen ihre Freiheiten und werden auch meine Freiheit schützen, und selbst wenn die Gewalt über uns siegte, trägt uns das Meer zu einer neuentdeckten reicheren Welt!“

Wer könnte es Bella verdenken, die von aller Politik Europas nichts wußte, als daß der Fürst ihr Vater in derselben nicht geachtet, sondern verfolgt worden, daß sie bestimmt glaubte, der Erzherzog habe ihre Abstammung erfahren und erwähle sie zu seiner Gattin. Sie stand mit gerührtem Blicke vor ihm, blickte auf und nieder und sprach dann gebrochen: sie habe sich nur einmal verstellen können und nimmermehr wieder, sie leugne nicht ihre Abkunft, sie leugne nicht ihre Zärtlichkeit, die er schon früher in ihrem heimlichen Aufenthalte in ihr erweckt, die sein Anblick ihr bestätigt habe.

Sie senkte ihr holdes Angesicht, der Erzherzog wollte eben den Rand ihrer Lippen berühren, als der Kleine unter den Decken Bewegungen machte, entsetzlich über den Magen klagte und zuschwor, er müßte ersticken, ehe er kuriert sei. Der glücklich Liebende duldet keinen Leidenden, der Erzherzog sprang hinzu und öffnete das Gebinde, es dampfte, als wenn man die Serviette öffnet, worin ein Pudding gekocht worden; der Erzherzog sah ihn an, schob das Pflaster leicht von dem triefenden Gesichte und versicherte, er sei schon kuriert; er eile jetzt, um ihm noch ein paar stärkende Mittel zu senden, er möchte sich inzwischen ruhig halten.

So eilte er fort, und der Kleine, dem allmählich der Rausch verflogen, der wieder um sich sehen konnte, lag auf dem Bette mit dem seligen Gefühle eines vom Tode Erretteten, der sein Leben sehr lieb hat; er nahm Bellas Hand, drückte sie und sprach, daß ihm der Gedanke des Todes darum lästig gewesen sei, weil er sie hätte verlassen müssen. Er schien so sanft und zärtlich, daß Bellas alte, gleichsam mütterliche Zuneigung zu ihm nicht erlaubte, ihn zum Vertrauten ihrer neuen Liebe und ihres neuen Glücks zu machen. Er küßte sie, wie er gewohnt war, und der Erzherzog, der wieder an seiner Türwarte, an dem künstlich gebohrten Loche, lauerte, ergrimmte, weil er sich von neuem verraten glaubte, doppelt verraten, weil er in seiner Leichtgläubigkeit gegen Bella unverzeihlich kindisch und gutmütig sich erschien. Der Kleine versuchte sich jetzt auf seinen Beinen, und er konnte wieder gehen und stehen, ordnete seine Kleider und sagte Bella, sie möchte jetzt recht artig sein, er werde den Erzherzog zu ihr führen, und wenn dieser in recht heitrer Stimmung schiene, sollte sie um die Hauptmannsstelle für ihn anhalten, sie möchte aber recht schmeicheln, das Glück seines Lebens hänge daran; auch wolle er sie dann sicher heiraten. Sie schwieg verlegen. Er vergaß über seine kriegerischen Aussichten so ganz alle Krankheitsfurcht und alles Übelbefinden vom Trunk, daß er wie vor tausend Mann in dem Zimmer auf- und niederstolzierte und Braka zur Tür hinaustrieb, als diese mit ihrem heißen Wasser ihm in die Quere kam. So sind die meisten kleinen Leute, das Herz ist ihnen so nahe am Kopf, daß es in den Kopf überkocht oder überdampft.

Unser Wurzelmännlein konnte sich nicht mehr halten, er bürstete sich bald rechts, bald links; gleich wollte er dem Erzherzoge seine Aufwartung machen und fiel diesem, der in einem Anfalle der heftigsten Eifersucht Tag und Stunde verfluchte, ins Zimmer. Kaum hatte er sein Anliegen vorgebracht, so überhäufte ihn der Erzherzog mit Schimpfreden, nannte ihn einen lächerlichen, kleinen Wurzelburzius, einen Dukatenmacher, ein Alraunchen, daß der Kleine in die größte Verwunderung geriet, wie er diese seine Entstehung erfahren habe, und sich eilig davon machte, indem er verlegen ausrief: „Gnädiger Herr, woher wissen Sie das?“

Als er zurückgekommen, sagte er nichts von diesem Empfange, nur sah es ihm Braka an seinem ganzen Wesen an, daß er gedemütigt worden. Er sprach nur, daß er den Erzherzog nicht getroffen, daß er sich bald fort von dem Orte wünsche, wo ihm in jetziger Pestzeit jeden Augenblick eine neue Gefahr drohe; zugleich erkundigte er sich, ob der Arzt nichts gesendet. Braka, um ihren Aufenthalt zu sichern, ging selbst über die Straße in den Laden eines reisenden jüdischen Doktors, kaufte die stärksten Tropfen, welche manchen Sterbenden schon belebt hatten, und brachte sie dem Kleinen als etwas, das der belobte Arzt im Hause abgegeben. Kaum hatte der Kleine diese Höllentropfen eingenommen, so kam ihm der alte Mut wieder zurück. Er hätte rasend werden mögen, daß er dem Erzherzoge nicht derb geantwortet hatte; ihm fiel so viel Beißendes ein, daß er, bloß um es ihm oder einem seines Gefolges aufzuhängen, sich leicht bereden ließ, den Tag noch im Orte zuzubringen.

Es war jetzt die Zeit des höchsten Tumultes herangerückt. Die Rennen auf umgesattelten Pferden, wo der Reiter einer Gans, um sie zu gewinnen, den Faden, der sie an einem Seile aufgehängt hält, mit der Schere abschneiden muß, hatten angefangen; das Wiehern der Pferde, das Lachen der Menge über die getäuschte Zuversicht, die sich im Sande erniedrigt fand, rief alles herbei; auch unser Wurzelmännlein führte seine Damen zu diesem Schauspiele. Kaum war er dort, so verlor er aus Eifer die beiden Frauen fast ganz aus dem Gesicht, so daß Braka ihre Pflegetochter etwas überhören konnte. Bella erzählte ihr, daß der Erzherzog sie heiraten wolle; Braka sagte, das hätte seine schlimme Seite, sie könnte darüber ins Zuchthaus kommen, aber sie möchte ihm nur dreist und ohne Umschweife zu verstehen geben, daß sie ein Kind von ihm haben möchte, daß dies ihres Volkes Glück sei, so würde sich alles von selbst ohne weitere Einsegnung finden. Bella versprach, nach ihrer Vorschrift ihm alles zu sagen, wenn die Gelegenheit käme. Diese wurde aber durch den Zorn des Erzherzogs auf eine wunderliche Art herbeigeführt. Er hatte seine rasende Eifersucht ohne alle Zögerung seinem Freunde Cenrio verraten, dem sogleich ein trefflicher Einfall gekommen war. Er hatte bei einem Guckkasten einen gelehrten Juden aus Polen wiedergefunden, der ihm schon früher durch seine Kunst, Golems zu machen, manche Ergötzlichkeit verschafft hatte. Diese Golems sind Figuren aus Ton nach dem Ebenbilde eines Menschen abgedruckt, über welche das geheimnisreiche und wunderkräftige Schemhamphoras gesprochen worden, auf dessen Stirn das Wort Aemaeth, Wahrheit, geschrieben, wodurch sie lebendig werden und zu allen Geschäften zu gebrauchen wären, wenn sie nicht so schnell wüchsen, daß sie bald stärker als ihre Schöpfer sind. Solange man aber ihre Stirn erreichen kann, ist es leicht, sie zu töten, es braucht nur das Ae vor der Stirne ausgestrichen zu werden, so bleibt bloß das letztere Maeth stehen, welches Tod bezeichnet, und im Augenblicke fallen sie wie eine trockene Tonerde zusammen.

Der alte Jude wurde herbeigeholt, der Erzherzog verlangte ein solches Bild der schönen Bella und er wolle ihn fürstlich lohnen. Der Jude warnte ihn, er möchte sich mit solchem Bilde nicht abgeben, in seinem Vaterlande sei manches Unglück damit geschehen: einem Vetter sei der Golem, den er zu häuslichen Diensten gebraucht, so hoch gewachsen, daß er ihm nicht mehr an die Stirn habe langen können, um das Ae auszulöschen; da habe er befohlen, er sollte ihm die Stiefeln ausziehen, und während sich der Golem danach gebückt, habe er ihm listig das Ae von der Stirne gewischt, aber die ganze Last der Erde sei auf den armen Vetter gefallen, und er sei davon erdrückt worden. Der Erzherzog schwor, daß ein solcher Unfall dem nicht schade, dem er ihn bereiten solle, doch eine neue Schwierigkeit sei zu überwinden, wie das Bild der schönen Bella ähnlich zu machen sei. Der Jude verlangte, sie nur einmal in seinen Kunstspiegel einsehen zu lassen, so bleibe ihr Bild darin festgemalt. Der Kunstspiegel steckte in einem Guckkasten, und die ganze Kunst war, Bella zu demselben hinzulocken. Cenrio, der den Wurzelmann kannte, übernahm diese Besorgung, ihn und seine Schöne zu dem Guckkasten zu führen, während der Erzherzog verkleidet hinter dem Guckkasten versteckt war; alle eilten an ihren Posten. Cenrio traf den Kleinen noch bei dem Pferderennen; er sagte ihm heimlich ins Ohr, er solle sich den Zorn des Prinzen nicht zu Herzen nehmen, ein geheimer Feind von ihm habe dem Prinzen eine verhaßte Erzählung von seinem Betragen gegen die Schauspieler gemacht; doch sei dieser Eindruck noch zu überwinden, wenn er behaupte, daß er einmal von einem tollen Hunde gebissen sei. Der Kleine wurde froh und nötigte ihn, bei der Gesellschaft zu bleiben, indem er ihm seine Braut vorstellte. Cenrio sagte ihr manches Artige und bat sie, doch ja einem Guckkasten nicht vorbeizugehen, der eine Welt im Kleinen, alle Städte, Völker in bunten Bildern zeigte. Sie gingen dahin, Bella sah zuerst hinein, ungeachtet der neugierige Kleine nur mit Mißgunst diese Artigkeit erlaubt hatte; sie war überrascht von aller Herrlichkeit und hätte gern die ganze Vorstellungsreihe noch einmal übersehen, wenn nicht des Kleinen Ungeduld sie von dem Glase zurückgerissen hätte. Er war ganz außer sich über alles, was er erblickte: in jeder Stadt dachte er sich als Fürst; sah er fremde Soldaten, so prüfte er sich, wie er als Heerführer in der Tracht sich ausnehmen würde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten