1. Kapitel Aufgehängt -7-



Der Reïs Effendina stand fern und beobachtete mich. Ich ging auf ihn zu und fragte ihn in so zornigem Tone, daß ich fast sagen möchte, ich fuhr ihn an:


„War dies notwendig? Warum hast du mir es nicht vorher gesagt? Mußten sie denn ermordet werden?“

„Ermordet? Ich verzeihe dir diese Frage, weil du dich in Aufregung befindest. Konnte ich diese Menschen laufen lassen und ihnen Gelegenheit geben, ihr Handwerk fortzutreiben?“

„Das hätte ich nicht von dir verlangt. Du konntest sie begnadigen und in deinen Dienst nehmen. Du hast ganz dasselbe schon mit ihren Kameraden gethan, welche wir in der Seribah Aliab gefangen nahmen!“

„Ich that das nur auf deine Bitte hin. Wollte ich mich stets und so weiter nach deinen Wünschen richten, so müßte ich alle Sklavenjäger des Sudans zu meinen Asakern machen, und die Folge davon wäre, daß sie mich schließlich zwängen, selbst auch Sklavenjäger zu werden.“

„Davon ist keine Rede. Es handelt sich nur um die zwölf Männer hier.“

„Nur um die Zwölf?! Nur? Nimm die dazu, welche ich in der Seribah Aliab begnadigte, so sind ihrer, denen ich nie trauen könnte, genug, mir meine bisher so zuverlässigen Soldaten nach und nach zu verführen und vollständig zu verderben. Nein. Wehe dem, der wehe thut! Diese Hunde haben den Tod verdient, und ich kenne meine Pflicht. Du hast sie gesehen. Leben noch welche?“

„Noch drei, die so schwer verwundet sind, daß sie unmöglich aufkommen können.“

„Man wird sie erlösen. Komm’ zu dem Mokkadem! Er wird ganz entzückt darüber sein, dich sobald wiedergesehen zu haben.“

Während ich dieser Aufforderung folgte, winkte er drei seiner Leute zu sich und erteilte ihnen einen Befehl, den ich nicht verstehen konnte. Sie gingen nach dem Feuer. Ich sah nicht hin; aber drei rasch hintereinander fallende Schüsse sagten mir, daß sie den Auftrag erhalten hatten, die drei Verwundeten zu erschießen.

Der Mokkadem war an Händen und Füßen gebunden und an das Feuer geschafft. Dann nahm der Reïs Effendina einen Feuerbrand und forderte mich auf, mit ihm das Innere der Tokuls zu untersuchen.

Wir fanden in der ersten Hütte einige Fettlampen, welche wir anzündeten, da der brennende Ast gefährlich war, denn es stand zu erwarten, daß ein Vorrat von Pulver vorhanden sei. Die Hütte gehörte, wie wir später von ihm selbst erfuhren, dem Mokkadem. Da lagen meine, Ben Nils und Selims Waffen. Es fanden sich auch alle andern Gegenstände vor, welche uns abgenommen worden waren. Wir erhielten natürlich alles zurück.

Es versteht sich ganz von selbst, daß wir alles, was wir außerdem in diesem Tokul und den andern Hütten fanden, für gute Beute erklärten, und zwar sollte dieselbe unter die Bor verteilt werden. Als das der Häuptling derselben hörte, geriet er vor Freude beina he außer sich und floß von Versicherungen seiner Treue und Ergebenheit geradezu über.

Unser Zweck war erreicht, und wir beschlossen, nun zurückzukehren. Einige Asaker wurden dagelassen, um die Hütten während der Nacht zu bewachen. Am Morgen sollten die Bor die Beute abholen und die Tokuls in Brand stecken.

Die Heimkehr geschah in gerader Fahrt quer über den Maijeh hinüber, so daß wir in kurzer Zeit das Lager erreichten. Dort wurde der Mokkadem so niedergelegt, daß er die noch an dem Baume hängende Leiche seines Sündengenossen nicht sehen konnte. Sein vom Feuer beleuchtetes Gesicht hatte einen sehr ruhigen Ausdruck. Entweder besaß er Beherrschung genug, seine Angst zu verbergen, oder er hatte gar keine Sorge, sondern gab sich der Ueberzeugung hin, daß selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem Manne von seiner Stellung nichts Schlimmes geschehen könne. Diese Meinung wurde dadurch bestätigt, daß er, als man sich eine Zeit lang scheinbar nicht um ihn zu kümmern schien, mir in fast befehlendem Tone zurief:

„Soll ich etwa so liegen bleiben? Ich will losgebunden sein!“

Da trat der Emir zu ihm und antwortete:

„Du scheinst mißmutig zu sein? Wohl weil du Langeweile hast! Gut, du sollst Unterhaltung haben. Willst du vielleicht die Gnade haben, mir deine Wünsche mitzuteilen?“

„Spotte nicht, sondern bedenke, wer und was ich bin!“ fuhr der Gefangene auf. „Gieb mich frei!“

„Was wirst du dann thun, wenn ich diesem deinem Befehle Gehorsam leiste?“

„In diesem Falle bin ich bereit, euch die Mißhandlung, welche ich erduldet habe, zu verzeihen.“

„Wenn ich dir aber den Willen nicht thue?“

„So erinnere ich dich daran, daß ich Mokkadem der heiligen Kadirine bin und es mich nur ein Wort kostet, dich und euch alle zu verderben.“

„So! Laß uns dieses große Wort doch einmal hören!“

„Effendina, verhöhne nicht den Mann, der so hoch über dir steht! Hunderttausende, die zur Kadirine gehören, sind mir unterthan!“

„Aber ich gehöre nicht zu ihr!“

„Dennoch besitze ich die Macht, dir zu beweisen, wie tief du dich unter mir befindest!“

„Du brauchst dich nicht zu bemühen, o großer Mokkadem, denn ich besitze ganz dieselbe Macht und bin gern bereit, zu zeigen, daß du recht hast. In wenigen Augenblicken werden wir alle tief unter dir stehen, und du wirst über uns erhaben sein. Du sollst schon jetzt den Vorgeschmack davon haben. Sieh einmal da hinauf!“

Er deutete nach dem Baume und gab dem Mokkadem eine andere Lage, sodaß derselbe hinaufsehen konnte. Als der Gefangene den Gehenkten erblickte, war er für eine ganze Minute still, doch schienen seine Augen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Dann schrie er im Tone des Entsetzens auf:

„Wer ist das? Täuschen mich meine Augen? O Allah, Allah, Allah! Das ist ja – – – das ist der Muza’bir!“

„Ja, der Muza’bir,“ nickte der Reïs Effendina. „Er dünkte sich so erhaben über uns, daß wir ihn so hoch erhoben, um uns in Demut vor ihm neigen zu können. Da wir wissen, daß du noch über ihm stehst, werden wir dir einen noch höheren Platz anweisen.“

„Mir? Wollt ihr – mich – mich etwa – –?“

Er brachte die Frage nur stammelnd heraus, das letzte Wort blieb ihm gar im Munde stecken.

„Aufhängen?“ ergänzte der Emir. „Ja, aufgehängt wirst du werden. Was soll sonst mit dir geschehen?“

„Un – un – unmöglich!“

„Wir werden das Unmögliche möglich machen müssen, denn ich habe dem Muza’bir, deinem Freunde, versprochen, daß du, noch ehe der Morgen graut, mit ihm an demselben Baume hängen werdest.“

„Welch ein Mord! Welch ein Verbrechen! Was hat euch der Muza’bir gethan? Sein Tod wird gerochen werden. Ich selbst werde zum Khedive gehen, und wehe, dreifach wehe dann den Mördern! Ich werde von jetzt an weder ruhen noch rasten, bis ich euch vernichtet habe. Ihr habt eure verruchten Hände erhoben, um – –“

„Schweig’, du Hundesohn!“ donnerte ihn da der Emir an, welcher bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen hatte. „Wie darfst du von Verruchtheit sprechen! Du selbst bist ja der Verruchteste unter den Verruchten! Meinst du, deine verrückten Worte und Drohungen seien für mich Haschisch, der mich betrunken macht? Du weißt, daß wir alle deine Missethaten kennen, und wagst es dennoch, mir zu drohen? Wenn du von so hoch oben herab mit mir reden willst, werde ich dir gleich den geeignetsten Platz dazu anweisen. Hinauf mit ihm, hinauf, und zwar um zwei Aeste höher als der Muza’bir! Dann mag ihn seine heilige Kadirine, mit welcher er uns droht, vom Baume schneiden. Allah ist gerecht, und auch ich sage: Wehe dem, der wehe thut!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 3. Band