Der Weg zum Goldsee -4-



Aber wie zog sich das in die Länge, und wie öde war der Wald, dem der Engländer zu Recht den Namen „Nimmergrün“ gegeben hat. Nicht einmal Schatten werfen die grauen, in der leichten Morgenluft nur klappernden, nicht rauschenden Blätter, die mit den Stengeln senkrecht am Zweig sitzen. Sie sehen aus, als wollten sie dem ausgetrockneten Boden auch nicht einen Tropfen kostbaren Regenwassers entziehen.


Hafften war müde. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, und seine Glieder wurden schwer wie Blei. Wie ihm ging es vielen Menschen, wenn sie in die höheren Berge stiegen. Sein Begleiter schien das Wort Müdigkeit gar nicht zu kennen. Er war immer voraus, sprang einmal halb rechts, einmal halb links ab, um hier auf einen Felsblock, da auf einen umgestürzten Gumriesen zu klettern und sich einen Überblick zu verschaffen. Sein früheres stilles, fast schwermütiges Wesen war verschwunden, sein Auge nicht mehr so dunkel, die blassen Wangen gefärbt. Lächelnd blieb er endlich stehen und rief seinem mühsam hinterher keuchenden Begleiter zu:

„Nur noch wenige Minuten Geduld, lieber Freund, und ich führe Sie zur Belohnung an meine Zisterne. Da können wir ganz bequem rasten und frühstücken.“

„Das ist gut“, sagte Hafften. Er blieb stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Donnerwetter, ist mir warm geworden. Sie haben hier oben eine Zisterne angelegt?“

„Ich nicht, sondern Mutter Natur“, lachte sein Begleiter. „Sehen Sie den großen Stein da vor uns? Gleich zwischen den beiden Stringybarkbäumen hindurch?“

„Er hat Ähnlichkeit mit einem Sarg.“

„Genau der. Kommen Sie noch bis dahin, dann zeige ich Ihnen ein Wunder, das allein schon die Mühe des Heraufkletterns lohnt.“

Hafften hätte sich am liebsten gleich hier ausgeruht. Da aber die Entfernung bis zu dem Stein nur noch gering war, raffte er sich noch einmal auf, und nach kaum zehn Minuten hatten sie ihn auch erreicht.

„So, aber jetzt keinen Schritt weiter“, sagte der Deutsche, nahm sein Bündel ab und warf sich in den kühlen Schatten des Steines. „Erst müssen wir uns erholen und stärken. Die Kletterei kann wirklich der Böse holen!“

„Aber wir sind noch nicht oben“, lächelte sein Begleiter. „Und haben das schlimmste Stück eigentlich noch vor uns.“

„Das sind ja heitere Aussichten“, stöhnte von Hafften. „Wenn ich aber eine Weile gerastet habe, stehe ich wieder zur Verfügung. Jetzt zapfen Sie aber auch Ihre Zisterne an. Wenn das Wasser da oben in dem Stein sein sollte, sieht's böse damit aus. Dort hinauf können wir nicht ohne Leiter, und mir vertrocknen die Lippen.“

Der junge Mann erwiderte nichts, nahm aus seiner Tasche einen kleinen, ledernen Jagdbecher und hielt ihn in eine der Spalten, die der Felsblock hatte. Gleich darauf zog er ihn gefüllt zurück und sagte:

„Jetzt trinken Sie, aber vorsichtig, das Wasser ist eiskalt und könnte schädlich wirken.“

„Eiskalt in der Sonnenglut?“

„Probieren Sie nur.“

„Donnerwetter, wie Nektar“, rief Hafften, kaum daß er einen Schluck probiert hatte. „Wie ist das denn möglich?“

Der Fremde sah ihm lächelnd zu, wie er durstig das Wasser hineinschlürfte, und sagte dann:

„Ich sehe, Sie sind mit der Zisterne zufrieden. Aber die Sache ist ganz einfach, und ich bin nur durch einen Zufall darauf gestoßen. Dieser ganze riesige Stein muß wohl hohl sein oder zumindest eine Höhlung haben. Dadurch sickert das Wasser in einen unteren Behälter und bleibt hier herrlich kühl und frisch wie in einem Eiskeller.“

„Aber wie in aller Welt haben Sie den Platz gefunden? Neben diesem Stein könnte ein Mensch verschmachten, ohne zu ahnen, daß hier Rettung wäre.“

„Ich kam einmal hier an dem Hang entlang“, sagte der Fremde, „als ich einen Emu sah, der den Kopf dort hineingesteckt hatte. Als er mich auf den Steinen kommen hörte, lief er den Berg hinab. Ich konnte mir nicht denken, weshalb der scheue Vogel seinen Kopf in den Stein steckte, und untersuchte ihn deshalb. Dabei entdeckte ich ein paar frische Wassertropfen auf dem Fels. Erst fühlte ich mit dem Arm vorsichtig hinein und entdeckte diese Zisterne, die bestimmt mehrere Eimer Wasser enthält.“

Während er sprach, hatte er sich selbst auch etwas geholt. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatten, holten die beiden Wanderer auch ihre Lebensmittel hervor und stärkten sich vor dem Weitermarsch. Hafftens Führer versicherte ihm, daß der Weg sehr rauh werden würde, aber kaum noch eine Stunde dauere.

Hafften hatte seinen Begleiter noch nie so heiter, so auf fast wilde Art lustig gesehen, wie er jetzt aus seinem Leben erzählte. Gleichzeitig sprach er von einem wunderbar schönen Frauenbild, daß er merkwürdigerweise immer wieder mit ihrem heutigen Marsch in Verbindung brachte. Ihre Hand, meinte er, würde sie ihrem Ziel entgegenführen.

Hafften sagte lächelnd: „Eine so liebenswürdige Schöne würde sich bestimmt ungemütlich zwischen dem Felsgeröll fühlen. So gern ich in Damengesellschaft bin, so bedaure ich gar nicht, dieses Wunder heute nicht bei uns zu haben. Wir müßten sie wahrscheinlich abwechselnd tragen.“

„Die tragen?“ rief der Fremde, und ein eigenartiger, fieberartiger Blick schoß zu seinem Begleiter hinüber. „Sie sollten sie über diese Steine tanzen sehen!“

„Na, das wäre ein Kunststück“, schmunzelte Hafften vor sich hin. „Aber wie ist es, Kamerad, ich denke, wir haben lange genug geruht. Wenn es Ihnen recht ist, setzen wir unseren Marsch lieber fort. Je länger wir an Ort und Stelle Tageslicht haben, desto besser. Nachdem Sie diese Quelle so gut gefunden haben, fange ich auch an, an Ihren Goldsee zu glauben.“

„Fangen Sie an?“ wiederholte der Fremde mit einem sonderbaren, spöttischen Lächeln. „Und Sie sind doch schon den ganzen Berg heraufgestiegen! Aber wir haben noch Zeit, wir dürfen den Platz nicht vor der Abenddämmerung erreichen.“

„Was? Früher nicht?“

„Nein, sie erlaubt es nicht“, sagte sein Begleiter leise.

„Sie? Wer?“

„Pst - kommen Sie. Wir können von hier aus nur noch langsam vorwärts kommen, denn der Weg ist rauh und Sie sind an die Felspartien noch nicht gewöhnt.“

„Aber hier geht es gut!“

„Sind Sie schwindelfrei?“

„Es geht, aber ich habe es auch noch nie richtig ausprobiert. Müssen wir schlechte Stellen passieren?“

„Vielleicht finden Sie heute Gelegenheit, Ihre Schwindelfreiheit zu erproben“, sagte sein merkwürdiger Führer, griff sein Bündel auf und stieg wieder in das wüste Felsenchaos hinein, in dem von hier aus ihr Weg lag.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch