Abschnitt 1

Seereisen und Colonien


Amsterdammer Bürger gingen in See, durchsegelten den wüsten, atlantischen und indischen Ozean, ja wiederholt die ganze Erde, und entrissen dem König von Spanien und beider Indien Ostindien und das Monopol des Seehandels – wer staunt nicht über diese Thatsache, wundert sich nicht über den riesenhaften Schwung, den eine Handvoll Menschen ihren Angelegenheiten zu geben vermag, sobald sie im rechten Elemente einmüthig, kühn und standhaft ihre Kräfte auf einen Punkt versammelt. Aehnliches Staunen ergreift uns, begleiten wir die ersten spanischen Abentheurer von dem ersten Augenblicke an, wo sie ihren Fuß an die Küste eines ungeheuren fremden Welttheils setzen bis zu dem Augenblick, wo sie den Söhnen der Sonne, den Gebietern uralter und zahlreicher Völkerstämme die Krone vom Haupt reißen und sich auf zauberhafte Art in den Besitz goldner Tempel und Paläste und blitzender Diamantengruben versetzen. Jedoch braucht man die eigentliche Natur seiner Empfindungen und der besondern Eindrücke, welche hier die Spanier, dort die Holländer auf uns machen, nicht einmal sehr scharf zu zerlegen, um eine nicht unbedeutende Verschiedenheit derselben gewahr zu werden. Glück, Kühnheit, Standhaftigkeit zeichnen allerdings die ersten Unternehmungen beider Völker auf gleiche Weise aus, sie bethätigten dieselben Eigenschaften und Kräfte, ohne welche der Mensch das Ziel großer Unternehmungen nicht erreichen kann, allein man bemerkt auf den ersten Blick, daß zunächst jenes Etwas, was sie anspornte und in fremde Länder führte, jene Feder, die ihre Kräfte in Schwung brachte, jenes Ferment, das diesen zur Gährung beigesetzt war, ganz verschiedenartig war. Der Spanier trat auf als Ritter, der Holländer als Krämer, der Spanier suchte Abentheuer und glänzende Thaten, der Holländer Erweiterung seines kaufmännischen Getriebes, der Spanier suchte Heiden, um sie zu bekehren, der Holländer Menschen, zweibeinige Wesen, um mit ihnen zu handeln, der Spanier dürstete nach Gold, um seinen Stolz, seine Genußsucht, seine Prachtliebe zu befriedigen, der Holländer hungerte nach Reichtümern und Schätzen, um sie aufzuspeichern und den Rest seines Lebens in unbedürftiger Behaglichkeit und Stille zu verbringen. Stumm und schweigend sind sie Beide, aber der Spanier brütete, der Holländer kalculirte, auf der geschlossenen Lippe des Spaniers saß Stolz, Verwegenheit, Verachtung, auf der Lippe des Holländers Kälte, welche weder die weiße Wange, noch der feuchte nebelhafte Blick Lügen strafte, während das Feuer, das dem Spanier aus den Augen blitzte und die Gluth, die seine dunkle Wange im Zorn überflog, nur zu deutlich zu erkennen gaben, daß er ein Südmensch war, und trotz der anscheinenden äußeren Kälte und der abgemessenen Gravität seiner Bewegungen, glühende Leidenschaften in seinem Busen verbarg. Der Spanier, ich komme darauf zurück, war Ritter, Fanatiker der Ehre, des Goldes und des Glaubens. Er sah, nachdem die christliche Ritterschaft des alten Continents noch zuletzt in seinem eigenen Lande, im Kampf mit den Mauren, ihren Todestriumph gefeiert hatte, keine andere Bahn des Ruhms und der Ehre vor sich, als übers Meer zu fliegen und der unglücklichen, mit weichen Naturmenschen übersäeten neuentdeckten Welt seine eisernen Fußstapfen einzutreten und auf dem Schutt goldener Reiche und Städte das vom Geifer des Fanatismus zerfressene Kreuz des katholischen Glaubens aufzupflanzen. Seine Erscheinung war dämonisch, der Indianer betrachtete ihn als bösen Engel, als göttliches Zerstörungswesen. Den Holländer sah der Malaye an als seinesgleichen und weit entfernt, ihn zu fürchten, oder auch nur zu hassen, leistete er ihm Vorschub gegen die Portugiesen, ging friedliche Handelsverbindungen mit ihm ein und gestattete ihm ahnunglos die Anlegung von Factoreien an der Küste seiner Inselländer, indem er im Gegensatz zu den Portugiesen voraussetzte, dergleichen bescheidene Waarenniederlagen und Rastplätze seien für den Holländer Anfang und Ende aller Bemühungen, in Ostindien festen Fuß zu fassen. In der That sind es Anfangs weniger die einzelnen feindseligen Berührungen mit den Eingebornen, die den Muth der Holländer in diesem Welttheil auf die Probe setzten, als vielmehr ihre Verhältnisse mit den Portugiesen, welche sie schon vor ihrer Ankunft eingenistet fanden und die nun durch Klugheit und Tapferkeit, wie durch jedes andere Mittel, das ihnen zu Gebot stand, Schritt vor Schritt aus ihren Besitzungen zu verdrängen, sie sich zur Aufgabe machten. Allein schon im Verlauf dieser Kämpfe und Listen, sahen ihnen die Eingebornen durch die Maske der Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und darauf begann eine Todfeindschaft und ein mörderischer Streit der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, der sich noch in die heutige Zeit hinzieht und bald hier, bald da, bald offen, bald heimlich ausbricht, dessen Ausbruch aber die Holländer theils durch Umsicht, Wachsamkeit und die Mittel einer schlauen Politik, die ihr divide et impera fortwährend vor Augen hatte, theils durch Gewaltstreiche, Waffen, Grausamkeiten zuvorzukommen, oder im Fall des Aufflammens zu ersticken bemüht sind und waren. Unähnlich den Spaniern, die auf ihre Opfer losstürzten und nicht eher rasteten, als bis ganze Königreiche ihnen zitternd zu Füßen lagen, überließen sie, ihrer mehr praktischen als ehrgeizigen Natur nach, die völlige Erringung der Herr schaft über diese ehemals freien und glücklichen Reiche und Inseln, dem schleichenden Lauf der Jahrhunderte, völlig zufrieden, die größtmöglichsten Handelsvortheile aus ihrer jährlich wachsenden Ueberlegenheit herauszuziehen. Gott vergebe ihnen, was sie thaten, aber noch mehr, was sie unterließen, es schauert mich vor der Marter der Jahrhunderte, welche sie über diese Menschen verhingen, vor der Geduld der Grausamkeit, welche sie ausübten, vor dem System des Verraths, das sie allmählig entfalteten. Die Haare stehn mir zu Berge, wenn ich an die Grausamkeiten denke, die Cortez und Pizarro und ihre Nachfolger an den Mexicanern und Peruanern verübten, allein ich kann mich eines Gefühls der Bewunderung nicht erwehren über die zerstörende Genialität dieser Männer. Lest ich hingegen die Geschichte der holländischen Colonisation in Asien, so überläuft mich kalter Schauer und ich ergrimme über den niederträchtigen Wuchergeist, der mit der trockensten Miene und mit dem kältesten Blut alle Blüthen der Menschheit mit Füßen tritt, um nur Muscatblüthen und Kaffeebohnen dafür einzutauschen. Es ist nicht meine Absicht, den düstern Vorhang vor diesen Scenen zu lüften, obgleich ich sehr wünsche, daß eine unparteiliche Hand einmal versuchen möchte, sowohl aus früheren Quellen, wie aus gegenwärtiger Anschauung das Betragen der Holländer aus den asiatischen Inseln, insbesonde re auf Java ins rechte Licht zu stellen, eine Beleuchtung, die graulich genug die bleichen Gesichter der alten Gouverneure und Befehlshaber der Colonie überspielen würde; ich will nur den Leser dieser Blätter darauf aufmerksam machen, daß nach Kenntniß der Thatsachen für ein edles, menschlich fühlendes Herz kaum möglich ist, sich der Abneigung gegen eine Nation zu erwehren, deren Moralkatechismus sich so wohl mit dem herzlosesten Egoismus vertragen hat. Montesquieu schreibt in seinen lettres persannes den Sieg der Holländer und die Verluste der Portugiesen in Ostindien hauptsächlich dem Umstande zu, daß diese gegen die Eingebornen menschlicher gewesen, als die Spanier und nicht auf Vertilgungskriege ausgegangen. Montesquieu hat Unrecht, wenn er hierbei der Tapferkeit der Holländer vergißt, die auf jeden Fall der portugiesischen gleichkam, wenn nicht oft in Verbindung mit größerer Seefahrtskunde dieselbe überflügelte, noch mehr aber Unrecht, wenn er der größeren List, zäheren Beharrlichkeit und vor Allem der durch nichts getrübten unritterlichen Leidenschaftlosigkeit derselben nicht gedenkt, welche die nöthige Klugheit im Verfahren gegen die Insulaner durch nichts alterirte. Man höre und urtheile aus dem einen Beispiel, das ich anführen werde, auf welchen Fuß die Holländer zu Anfang des 17. Jahrhunderts sich gegen die Beherrscher der Inselreiche gestellt haben. Der Viceadmiral van Weert, der im Jahr 1603 auf der Flotte, die Georg Spilberg als Admiral commandirte, nach Ostindien gesegelt war, suchte mit dem König von Zeylon Unterhandlungen anzuknüpfen, bestand aber darauf, daß der König die ersten Schritte thun und ihn auf seinem Schiffe besuchen sollte. Der König von Zeylon nahm diesen Argwohn so übel auf, daß er im Zorn zu seiner Leibwache die Worte: matta esto kan sprach, worauf der Viceadmiral und seine Begleiter am Ufer niedergemetzelt wurden. Nun würde der Portugiese, der Franzose, jeder Andere vielleicht, der sich an der Spitze einer solchen Ausrüstung, wie die holländische war, gesehn hätte, in der ersten Entrüstung über die Verrätherei des Königs sich dem Gefühl der Ehre und Rache hingegeben haben, ohne Erwägung wie viele Schiffsladungen Zimmt dadurch für die Zukunft verloren gehen würden, allein die holländische Mannschaft setzte diesen letzten Punct keineswegs außer Augen, sie hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Stelle des todten Viceadmirals mit einem lebendigen zu ersetzen, der, als wäre nichts von Erheblichkeit vorgefallen, umgehend die zerrissenen freundschaftlichen Verhältnisse wieder anspann und durch dies unbefangene Benehmen sich beim König so sehr in Gunst setzte, daß ein vortheilhaftes Handelsbündniß abgeschlossen wurde und Georg Spilberg mit einer vollen Ladung von Zimmt im Jahr 1604 nach Vliessingen zurückkehrte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Zweiter Theil